Ich sei, gewährt mir die Bitte, in Eurem Bunde - der Vierte:

Otokar III. von Steier, Markgraf der Steiermark

 

© Dr. Werner Robl, Berching, 13. Februar 2019

 

 

 

  Die Wallfahrt nach Jerusalem im Jahr 1167

Wer unsere Arbeiten zu den Pabonen und Tempelrittern kennt, weiß um die eminente Bedeutung der Jahre 1166 und 1167. Im Jahr 1166 hatten sich Burggraf Heinrich III. von Regensburg, Herzog Welf VI. und Pfalzgraf Friedrich von Wittelsbach dem Aufruf Kaiser Friedrichs I. Barbarossa zur Mobilmachung gegen Papst Alexander III. verweigert und sich stattdessen zu Jahresbeginn 1167 auf eine Pilgerfahrt nach Jerusalem begeben - angeblich, um dort Gelübde einzulösen, in Wirklichkeit aber, um dort mit Großmeister Bertrand de Blanquefort eine Ansiedlung des Templerordens am Lechrain und auf dem Nordgau in großem Maßstab zu vereinbaren. Mit dieser konzertierten Aktion erhoffte man sich, der weiteren Ausdehnung des staufischen Reichslandes in die bayerischen Kernlande hinein Einhalt zu gebieten. Das Konzept funktionierte dem Prinzip nach: Es kam nachfolgend zur Gründung einer ganzen Reihe von Templer-Kommenden. Die Wallfahrer selbst erlitten allerdings durch den Kaiser gravierende persönliche Nachteile, welche von Gunstentzug und Ächtung bis zur Verbannung für mehrere Jahre und Verlust ihrer Würden gingen. Zu den Details mehr in unseren Arbeiten, die über folgende Links zu erreichen sind. [Link] [Link] [Link] [Link].

Jerusalem im Jahr 1150, Kartenausschnitt, Cambrai, Médiathèque Municipale MS 437.

Von der schicksalsschweren Wallfahrt Herzog Welfs VI. im Jahr 1167 berichtete die "Historia Welforum", von seinen beiden Begleitern Sekretär Rahewin in seiner Fortsetzung der "Gesta Friderici" Bischof Ottos von Freising:

"In subsequenti vero hieme circa epiphaniam Guelfo senior Hierosolimitanum iter aggreditur et [...] pascha sanctum apud sepulcrum Domini celebravit.

Im folgenden Winter, um Epiphanie [6. Januar] begab sich Welf der Ältere [VI.] auf eine Reise nach Jerusalem und [...] feierte das heilige Osterfest am Grabe des Herrn." [Historia Welforum, z. B. in: MGH SS 21, S. 470]

"1167. Welfo senior et Heinricus burgravius et Fridericus palatinus comes Hierosolimam petunt.

Welf der Ältere, Burggraf Heinrich III. und Pfalzgraf Friedrich reisen nach Jerusalem." [Rahewin, Gesta Friderici, z. B. in: MGH SS 20, S. 492]

So weit, so gut.

Erst jüngst kam uns zur Kenntnis, dass auch Johannes Aventinus (1477-1537), der erste und wohl berühmteste aller bayerischen Geschichtsschreiber, diese Wallfahrt in seinen Annales ducum Boiariae kommentiert hat. Bei ihm liest sich der ganze Sachverhalt so:

"Cum ipsis Byzantium usque profecti sunt, voti solvendi causa Hierosolyma petituri, Velipho pater, Fridericus, Otonis Vitellopagi frater, Oto praefectus Reginoburgensis, Odagrius Stirius; hic in Ungaria in urbe, quam Quinque Templa vocant, obiit; caeteri ferias vernales Hierosolymis celebrant.

Um ein Gelübde einzulösen, sind mit diesen bis nach Byzanz gereist, dann aber noch weiter bis Jerusalem: Welf, der Vater, Friedrich, der Bruder Ottos von Wittelsbach, Otto, der Burggraf von Regensburg und Otakar von Steier. Der letztere starb in Ungarn in der Stadt, die Fünfkirchen heißt, die anderen feierten die Frühlingsfeiertage in Jerusalem." [Johannes Aventinus: Annales ducum Boiariae, Buch 6, Kap. 5, S. 266]

Es ist offensichtlich, dass Aventinus aus den bereits genannten Quellen geschöpft, aber dabei auch einiges durcheinander gebracht hat. So hat er z. B. dem Regensburger Burggrafen den Namen seiner Bruders Otto gegeben, obwohl er selbst Heinrich hieß. Auch sind die Jerusalem-Pilger des Jahres 1167 laut Welfen-Geschichte über Italien nach Jerusalem gereist, aber nicht über Byzanz und schon gleich nicht zusammen mit Herzog Heinrich II. Jasomirgott von Österreich und Pfalzgraf Otto von Wittelsbach, von denen z. B. Rahewin etliche Zeilen früher - nicht in Zusammenhang mit den besagten Wallfahrern - berichtet hat.

Damit hat es sich aber schon mit Aventinus' Ungenauigkeiten. Die Nachricht, dass auch Markgraf Otokar III. von Steier bei dieser politischen Demonstration mit von der Partie war, kann sich der Geschichtsschreiber schwerlich aus den Fingern gesaugt haben.

Dieser Name eines "Vierten im Bunde" war für uns Anlass, der Sache etwas genauer auf den Grund zu gehen. Unter anderem galt es, die Biografie des steirischen Markgrafen in mehrfacher Hinsicht zu überprüfen: 1. bezüglich seiner Einstellung zum Papsttum und zur staufischen Reichskirchenpolitik, 2. bezüglich der Eckdaten seines Lebens und 3. bezüglich der Frage, ob die gewonnenen Erkenntnisse mit der besagten Wallfahrt in Einklang zu bringen sind oder nicht.

 

  Markgraf Otokar III. von Steier

Markgraf Leopold I. der Starke übergibt im Jahr 1129 im Beisein seines Sohnes Otokar III. die Stiftungsurkunde für das Kloster Rein. Otokar war in Wirklichkeit zu dieser Zeit erst ca. 4 Jahre alt, was das Bild nicht wiedergibt.

Wer sich mit dem Leben Markgraf Otokars III. von Steier näher beschäftigen will, dem gewährt die trotz ihres Alters noch immer lesenswerte Biografie von Prof. Franz Xaver Pritz, Chorherr im Stift St. Florian, einen ersten Überblick. [F. X. Pritz: Geschichte der steirerischen Ottokare ..., Linz 1846]. Weniger hilfreich ist in dieser Hinsicht dagegen das prolixe Werk von Albert Muchar [Geschichte des Herzogthums Steiermark, 8 Bände, Graz, 1844 - 1867]. Daneben existieren weitere, meistens aber doch relativ knapp gehaltene Übersichten aus älterer wie aus neuerer Zeit.

Wir haben an dieser Stelle nicht vor, unsererseits das Leben des vorletzten Markgrafen von Steier ad extenso auszurollen, sondern wir beschränken uns auf eine zusammenfassende Beschreibung seines Lebens und auf eine Wertung derjenigen Eigenschaften, welche geeignet sind, ihn mit den besagten Wallfahrern des Jahres 1167 in Beziehung setzen.

Otokar III., Fresko aus dem 12. Jahrhundert, in der Johanneskapelle von Pürgg/Steiermark.

Als der um 1125 geborene Otokar III. etwa um 1140/42 alleinverantwortlich in die Markgrafschaft von Steier, d. h. die Herrschaft über die Steiermark eintrat, blickte er bereits auf eine lange Ahnenreihe zurück, die bis hinauf in die Karolingerzeit reichte. Neben Dynasten anderen Namens soll es 6 oder 7 Otokare vor ihm gegeben haben, davon 3 oder 4 Grafen des Traun- und Chiemgaus, sowie 2 Otokare als Markgrafen der Karantaner Mark. Aus dieser wurde schließlich die Steiermark, ein riesiges Gebiet in den Ostalpen, das von der Traun und Donau im Norden bis zum Herzogtum Krain und zur Save hinabreichte. [Link]

Schon 2 Generationen vor Otokar III. hatte sich die Haltung der Markgrafen-Familie zu den drängenden Fragen von Kirche und Reich geklärt. Großonkel Adalbero hatte sich im Investiturstreit auf die anti-päpstliche Seite Kaiser Heinrichs IV. gestellt und sich deshalb gegen seinen leiblichen Bruder Otokar II. erhoben, der pro-päpstlicher Gesinnung war. Dieses Abweichlertum kostete Adalbero im Jahr 1082 das Leben.

Als konsequente Anhänger der gregorianischen Reform verfolgten seitdem die Markgrafen von Steier eine papsttreue und kirchenfreundliche Politik. Aus der konsequenten Unterstützung der Kirche und des Papsttums mag auch die enge Verbindung der Familie zum süddeutschen Welfenhaus entstanden sein: Otokars Mutter Sophia von Bayern (+1145) war die ältere Schwester Herzog Welfs VI. (1115-1191). Otokar selbst heiratete mit Kunigunde von Vohburg (+1184) eine Tochter Markgrafs Diepolds III. von Nabburg-Vohburg-Cham (1075-1146) und damit eine Frau derselben frommen Einstellung.

Ohne diese im wahrsten Sinn des Wortes prägenden Frauen kann die politische Einstellung und Karriere Otokars III. nicht verstanden werden. Während ihm selbst von ca. 1140/1142 an ein Vierteljahrhundert der persönlichen Regentschaft blieb - die Dauer werden wir im Folgenden begründen -, versahen die beiden Frauen an Otokars Seite insgesamt 30 Jahre Regentschaft in Vertretung Otokars: Sophia als Mutter vertrat ihren unmündigen Sohn ca. 17 Jahre lang, zwischen 1125 und 1142 (wobei er allerdings den Titel Markgraf schon von klein auf trug), und Kunigunde, seine Frau ersetzte in den Jahren von 1163 bis 1180, den Vater, bis ihr Sohn Otokar IV. mündig war. Immerhin war es letzterem im Jahr 1180 durch eine Gunst Kaiser Friedrichs I. Barbarossa vergönnt, als erster und zugleich letzter seines Stammes in den Rang eines Herzogs aufzusteigen unmd die Steiermark als von Bayern losgelöstes Herzogtum zu führen, bis zu seinem Tod im Jahr 1192.

Wenn zur Zeit der Regentschaft Ottokars III. sowie seiner Mutter und Gattin die politischen Verhältnisse in der Steiermark ruhig und friedlich blieben und der Markgrafen-Familie kein anderer Großer zur weltlichen Konkurrenz erwuchs, dann ist dies ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Markgrafen von Steier bei der Bevölkerung in hohem Ansehen standen und auch von allen edelfreien Geschlechtern im Land als Autoritäten anerkannt und respektiert wurden. Es muss alles in allem für die Steiermark eine erfreulich ruhige und förderliche Zeit gewesen sein.

Nachdem schon sein Vater Leopold der Starke im Jahr 1122 nach dem Aussterben der verwandten Eppensteiner deren weitläufige Allodien und damit einen großen Teil der Kärntner Mark jenseits der Tauern an sich genommen hatte, gelang es Otokar III. in der relativ kurzen Zeit seiner Herrschaft, den Allodialbesitz in der Steiermark auf friedlichem Weg nochmals in beträchtlichem Umfang auszuweiten: So übernahm Otokar II. im Jahr 1147 von seinem auf dem Kreuzzug verstorbenen Onkel Bernhard das Gebiet um Trixen und große Teile der Untersteiermark um Marburg und Radkersburg, mit etlichen Burgensitzen. Im Jahr 1158 kam nach dem gewaltsamen Tod seines Cousins, Graf Ekberts III. von Formbach, auch die gesamte Grafschaft Pitten im heutigen Niederösterreich hinzu. Dazu versah Otokar einige Salzburgischer Vogteien und Aquileier Lehen. Am Ende übertraf das Herrschaftsgebiet des Markgrafen von Steier flächenmäßig das 1156 gegründete Herzogtum Österreich.

Die hinzu-erworbenen Gebiete verwaltete Markgraf Otokar III. jedoch nicht nur zum eigenen Profit, sondern er stattete damit zum kulturellen Nutzen des Landes etliche Klöster aus, z. T. Konvente, die schon seine Vorfahren gegründet und gefördert hatten, wie Traunkirchen, Admont, Seckau, Garsten (gegr. durch Otokars Großvater Otokar II. 1082), Gleink und Rein (beide gegr. durch Otokars Vater Leopold den Starken 1123 und 1129), z. T. aber auch monastische Einrichtungen, die er selbst aus der Taufe hob, wie z. B. das Hospiz am Semmering (1160), das Augustiner-Chorherrenstift Vorau (1163) und die Kartause Seiz (1165).

Es war eine blühende Steiermark, die Otokar III. bei seinem Tod hinterließ.

 

  Krieg und Frieden

Krieg hat Markgraf Otokar III. ebenso wenig in die Steiermark gebracht wie seine unmittelbaren Vorfahren:

Wir gehen bei solchen Verhaltensweisen davon aus, dass Markgraf Otokar III. den Kriegsdienst alsbald nur noch als lästige Pflicht ansah, der man sich am besten entzog. Viel lieber betrieb er, ggf. unter dem Einfluss seiner Mutter und seiner Frau, eine konfliktfreie und gegenüber den Nachbarn konziliante Landespolitik, zum Nutzen der Steiermark und der eigenen Familie.

So wandelte sich Markgraf Otokar mit einem erstaunlichen Sinn für die Realitäten vom Kämpfer der jungen Jahre zu einem weisen Pazifisten.

In nichts erkennen wir die Abscheu vor einer Aggressionspolitik besser als in den Malereien der Johanneskapelle in Pürgg, die auf Veranlassung des Markgrafen um die Mitte des 12. Jahrhunderts auf einem Hügel über dem Ennstal entstand und noch heute einen der schönsten und wichtigsten Freskenzyklen des alpinen Raumes beherbergt.

Die Fresken der Kirche St. Johannes der Täufer in Pürgg. links vorne neben dem Chorbogen der Stifter der Kirche, Otokar III. von Steier.
Der Krieg der Katzen und Mäuse nach Äsop, in der Johanneskapelle von Pürgg.

Mehr zeitgenössische Kritik an den schlimmen Entwicklungen des Christentums kann man u. E. in einer abendländischen Kirche des 12. Jahrhunderts nicht erwarten!

Der Künstler von Pürgg, der in geradezu genialer Vision schon die Schwäche und das unrühmliche Ende der Kreuzzüge voraussah, hatte nur deshalb zu seiner Gestaltung Gelegenheit, weil er sich der Rückendeckung des Erbauers und Finanziers dieser Kirche, eben Markgraf Otokars III., sicher sein konnte!

Einst stand neben der Kirche auch ein Ansitz des Traungauer Markgrafen, der jedoch längst abgegangen ist (die Burg Graunscharn?). Nur die Kirche überdauerte die Zeiten!

 

  Weltverachtung und Christglaube

Aus der überaus intelligenten und weitschauenden Aufarbeitung der Kreuzzug-Idee, aus der versteckten Kritik an der offiziellen Reichskirchenpolitik heraus mag sich für Markgraf Otokar III. in den letzten Jahren seines Lebens eine weiter gehende Reform des eigenen Lebens erschlossen haben: Je reicher er wurde - allein das Silber von Zeiling mag seine Taschen bis 1158 kontinuierlich gefüllt haben, hinzu kam das Eisenerz von Leoben! -, desto mehr wandte er sich innerlich einem asketischen Leben in der direkten Nachfolge Christi zu. Als "pauper Christi - Armer in Christus", voller Bescheidenheit und Demut, wollte er wenigstens sterben, wenn es ihm schon nicht gelang, als Markgraf so zu leben. Auch dafür finden sich untrügliche Hinweise.

Die Kartause von Seiz heute.
Links der steyrische Panther, in der Aula des Justizpalastes Wien. Das Fabelwesen ist zum ersten Mal auf einem Siegel Otokars von Steier nachweisbar. In der Mitte das Wappen der Grafschaft Formbach-Neuburg-Pitten, am äußeren Burgtor der Neuburg: der Hase in den Fängen des Greifs. Rechts die barocke Grabplatte Markgraf Otokars III. in der Klosterkirche Rein, von 1696: Hier hält der schlafend wirkende Markgraf den Hasen traulich im Arm.
Der König von Thule mit seinem Becher, Ausschnitt eines Gemäldes von Pierre Jean van der Ouderaa, aus der Gartenlaube, Leipzig 1899.

In nichts erkennt man besser als in dieser Symbolhandlung von "thulischen Ausmaßen", dass sich der gereifte Markgraf Otokar zum Zeitpunkt seiner Verfügung geistig längst aus dem weltlichen Leben, aus Reichtum und Macht, hinausbegeben hatte, um durch Entsagung an der Qualität des künftigen, ewigen Lebens zu arbeiten! Für die Welt blieb da nichts als Verachtung, also jener bereits erwähnte "contemptus mundi", der sich als geistige Strömung von Frankreich und Italien her in ganz Europa verbreitet hatte und um dieselbe Zeit in Österreich Einzug hielt. So schrieb z. B. gerade um 1160 der Laienbruder Heinrich unter Abt Erkenfried von Melk in seinem mittelhochdeutschen Mahngedicht "Memento mori":

"Nu gedench aber mensch dines todes
nach den worten des herren Jobes;
der sprichet churz sint mine tage,
min leben nahet zu dem grabe,
des er ouch anderswo ist gehugede:
gedenche dines schephaeres in der jugende
e dich diu zit bevahe,
daz dir din ungemach nahe,
unt e din stoup werde
wider zuo der erde
[...]

Nun aber gedenke, Mensch, deines Todes,
nach den Worten des Herrn Hiob,
der spricht 'Kurz sind meine Tage,
mein Leben nähert sich dem Grabe,
dessen er auch anderswo eingedenk ist:
Denk an deinen Schöpfer in der Jugend,
ehe dich die Zeit umfängt,
dass dein Ungemach nahe ist,
und dass dein Staub wieder zu Erde wird'
[...]"

[Heinrich von Melk: Codex Vindobonensis 2696]

 

  Lebensparallelen

Wir schließen nach diesen Ausführungen über das Leben des frommen Markgrafen Otokar III. von Steier mit einer vergleichenden Betrachtung. Wenn man die Aktivitäten und Haltungen des Markgrafen in der Quintessenz betrachtet, so ist unübersehbar: Otokar III. prägten ähnliche Einstellungen und Eigenschaften wie die bekannten, eingangs genannten Wallfahrer des Jahres 1167:

In diesem Zusammenhang ist uns wichtig zu betonen, dass die häufig kolportierte Feststellung, Markgraf Otokar habe sich kurz vor seinem Lebensende auf einen privaten Kreuzzug begeben, grundlegend falsch und irreführend ist.

 

  Lebensende

Fehlschlüsse treffen auch bei Otokars vorzeitigem Tod zu, von dem einigen österreichischen Annalen berichten. So soll er bereits am 31. Dezember 1164 in Fünfkirchen (heute Pécs in Ungarn) gestorben sein, womit alle Spekulationen über eine gemeinsame Friedensinitiative in den Jahren 1166 und 1167 und Aventinus' obenstehende Angaben ad absurdum geführt wären.

Doch dem ist nicht so, wie sich im Folgenden erweisen wird:

Wenn man den Primärquellen zum frühen Todesjahr 1164 nachgeht, stößt man zunächst auf das sogenannte Fragment von Vorau [Vgl. Caesar Aquilinus: Annales duc. Styriae, Gratz 1768, S. 105] und die Annalen von Reichersberg. Beide Chroniken wurden im 13. Jahrhunderts aus älteren Vorlagen kompiliert, also geraume Zeit nach dem Ableben des Markgrafen. Es ist wohl am ehesten so, dass bezüglich des Todesjahres das Vorauer Fragment wie auch ein halbes Dutzend österreichischer und bayerischer Klosterannalen (z. B. von Admont, Salzburg, Osterhofen, Niederaltaich) von der Reichersberger Quelle abhängen. [Zur gegenseitigen Abhängigkeit vgl. F.-J. Schmale: Die österreichische Annalistik im 12. Jahrhundert, in: DAfEM 31, S. 186] Deshalb referieren sie nahezu gleichlautend einen Satz wie den folgenden, mitunter ergänzt durch die gleich-jährig taxierten Todesfälle Graf Gebhards von Burghausen, Siegfrieds von Liebenau und Luitpolds von Plein:

"1164. Otacher marchio de Stira obiit. - Im Jahr 1164 stirbt Markgraf Otokar von Steier."

Dabei ist die durch die Editoren der Monumenta Germaniae Historica ermittelte Jahreszahl nach dem sog. "Weihnachts- oder Naitivitätsstil" zurückgerechnet, denn in den von W. Wattenbach edierten "Annales Reichersbergenses" steht wörtlich:

"1165. Otakar marchio de Stira mortuus est 2 Kal. Ian. in Ungaria in loco qui Quinqueecclesensisis dicitur, dum esset in via qua ad sepulchrum Domini ire disposuerat.

Markgraf Otokar von Steier ist an den Kalenden II des Januar 1165 in Ungarn verstorben, in der Ortschaft Fünfkirchen, während er auf dem Weg zum Grab des Herrn war, den er sich vorgenommen hatte." [Vgl. MGH SS 17, S. 471]

Für dieses Jahr 1165 hat noch nicht der relativ zuverlässige Historiograf Magnus von Reichersberg verantwortlich gezeichnet (erst ab 1167), sondern ein Anonymus, insofern bleibt die Quellenlage unklar.

Machen wir zum behaupteten Todeszeitpunkt, die Jahreswende 1164/1165, mit Hilfe nicht-annalistischer Quellen die Gegenprobe:

Die historische Edition des steirischen Urkundenbuches nach J. Zahn [Bd. 1, 799-1192, Graz 1875, S. 452ff.] weist insgesamt 4 Urkunden aus, welche den Markgrafen bis in das Jahr 1166 hinein weiterleben lassen:

Links das Reiter-Siegel Otokars III. von Steier, auf einem Diplom des Stiftes Rein von 1164, rechts (Bild im Bild) ein ähnliches, vom 8. Juni 1147. [ReinOCist AII|1 und AI|10].

Zu dieser Liste kommt noch eine Urkunde Kaiser Friedrichs I. Barbarossa:

Auch wenn das aus den Reichersberger Annalen entnommene Todesdatum Markgraf Otokars III. von Steier von der Fachwissenschaft als Apodiktum, quasi als unumstößliches Dogma gehandelt wird, schließen wir uns dieser Einschätzung aufgrund der soeben vorgestellten Urkunden nicht an, sondern gehen vielmehr davon aus, dass sich durch den Fehler eines Reichersberger Chronisten in eine ganze Reihe von mittelalterlichen Annalen Österreichs ein systematischer Datierungsfehler eingeschlichen hat.

Mit anderen Worten: Das wahrscheinliche Todesjahr des Markgrafen ist das Jahr 1166!

Ein triftiger Ausschlussgrund für diese Später-Datierung findet sich nicht.

Auch ist keineswegs sicher, dass der Markgraf wirklich am 31. Dezember gestorben ist. In den Totenbüchern des Mittelalters erscheint gerade bei unbekanntem Todestag oft das Kommemorations-Datum, d. h. das Datum, an dem die Todesnachricht bei einem Konvent eingetroffen ist, oder auch das örtliche Bestattungsdatum. Bei größerer Distanz konnten Monate zwischen Tod und Bestattung liegen. So ist es z. B. denkbar, dass der Leichnam des Markgrafen erst Ende Dezember in der Kartause von Seiz eintraf, um dann am letzten Tag des Jahres dort bestattet zu werden. Aus Gründen der allgemeinen Reisebedingungen (Fehlen Unterkunfts- und Futtermöglichkeiten) wäre ein Aufbruch ins Heilige Land zwischen den Weihnachtsfeiertagen und dem neuen Jahr äußerst ungewöhnlich, Otokar wird also viel wahrscheinlicher schon im Spätherbst nach Fünfkirchen, seinem Sterbeort, aufgebrochen sein.

 

  Die Pilgerfahrt nach Jerusalem - eine konzertierte Aktion

Wichtiger als die soeben behandelten Fragen ist für uns der Rückschluss, dass Johannes Aventinus im entscheidenden Punkt seiner Einschätzung recht gehabt hat:

Vieles spricht dafür, dass Markgraf Otokar III. eine gemeinschaftliche Aktion mit dem Welfen-Herzog, mit Burggraf Heinrich von Regensburg und Pfalzgraf Friedrich geplant hat, eine Friedenswallfahrt nach Jerusalem, die sich in plakativer Weise gegen den unmittelbar bevorstehenden Feldzug Kaiser Friedrichs I. Barbarossa gegen Papst Alexander III. wandte.

Zwei Jerusalempilger des Jahres 1493. Abbildung aus Johann Sigmund Brechtel: Genealogie der Herren von Auersperg..., BSB Cod.icon. 324.

Der eingangs zitierte Satz aus Aventins Annalen ergibt also inhaltlich und zeitlich einen Sinn und bedarf deshalb keiner Korrektur der Personenliste:

"[...] voti solvendi causa Hierosolyma petituri, Velipho pater, Fridericus, Otonis Vitellopagi frater, Oto praefectus Reginoburgensis, Odagrius Stirius; hic in Ungaria in urbe, quam Quinque Templa vocant, obiit; caeteri ferias vernales Hierosolymis celebrant.

Es sind, um ein Gelübde einzulösen, Vater Welf, Friedrich, der Bruder Ottos von Wittelsbach, Otto [freilich Heinrich], der Burggraf von Regensburg und Otakar von Steier aufgebrochen. Der letztere starb in Ungarn in der Stadt, die Fünfkirchen heißt, die anderen feiern die Frühlingsfeiertage in Jerusalem."

[Vgl. Johannes Aventinus: Annales ducum Boiariae, Buch 6, Kap. 5, S. 266]

In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass nach den Forschungen von F.-J. Schmale Aventinus bei seiner Bibliotheksreise nach Reichersberg einer älteren - und im vorliegenden Fall wohl zuverlässigeren - Version der dortigen Annalen bedient hat, einer genauer berichtenden Schrift, welche heute verschollen ist. [Vgl. F.-J. Schmale, a. a. O., S. 200]

Im Übrigen ist zu bedenken, dass auch die früh (ab 1123) redigierten Melker Annalen und die Regensburger Annalen das Todesjahr 1164 nicht bestätigen, obwohl es zu erwarten wäre, wenn dieses Jahr stimmte.

Wenngleich es sich um eine zuvor abgesprochene Aktion handelte, so reisten dennoch die 4 Wallfahrer auf verschiedenen Wegen: Während Markgraf Otokar III. die Landroute über Ungarn gewählt hatte, begab sich zumindest Herzog Welf VI., wahrscheinlich aber auch sein beiden anderen Pilger-Gefährten, über Italien ins Heilige Land. So berichtet die Historia Welforum. Herzog Welf wollte offenkundig vor dem Ablegen nach Palästina noch in den eigenen Domänen Mittelitaliens nach dem Rechten sehen und anschließend seinen Sohn persönlich dem Kaiser anempfehlen. Später bereute er dies angesichts des tragischen Todes seines Sohnes bitterlich. [Vgl. Historia Welforum, z. B. in: MGH SS 21, S. 470]

Auffallenderweise fand dieser Aufbruch nach Italien sehr zeitig im Jahr 1167 statt, am 6. Januar, dem Fest der Erscheinung des Herrn. Hieraus ergibt sich die Möglichkeit, das Markgraf Otokar von Steier quasi eine Art Vorhut darstellte, der durch einen noch früheren Aufbruch im Spätherbst 1166 den anderen Pilgern voran-reisen und die Lage unterwegs und in Jerusalem sondieren sollte, ehe die drei anderen Wallfahrer dort eintrafen.

Diesem Vorhaben kam sein plötzlicher und wohl unerwarteter Tod in Fünfkirchen in die Quere. Es ist nicht auszuschließen, dass der ca. 41-jährige Otokar einem Attentat zum Opfer fiel, denn die politischen Verhältnisse in Ungarn waren damals alles andere als friedlich, und ein Jerusalem-Fahrer der damaligen Zeit sollte zumindest beim Aufbruch frei von Krankheitszeichen gewesen sein. Gewissheit wird es aber darüber nicht geben.

Das damals Otokar III. im Auftrag Kaiser Friedrichs I. in den Thronwirren zwischen Stephan III. und Stephan IV. vermitteln wollte, wie es H. Dopsch in der Deutschen Biografie wollte, halten wir für absurd, denn dieser Einsatz ist weder mit einer Pilgerreise vereinbar noch fand er nach einigen Barbarossa-Urkunden so spät statt. [Link]

Wahrscheinlich wurde der tote Markgraf in Fünfkirchen von seinen Anhängern geborgen und seinem letzten Willen gemäß in die Niedersteiermark nach Seiz überführt, wo erst am 31. Dezember 1166 sein Leichnam feierlich zur letzten Ruhe gebettet wurde.

Es ist gut möglich, dass sich seine bayerischen Wallfahrer-Kollegen aus vertrauter Verbundenheit und Solidarität heraus zu seiner Beerdigung in der Kartause Seiz einfanden, um genau eine Woche später von dort nach Italien aufzubrechen, wie es die Historia Welforum will (z. B. per Schiff von Triest zur welfischen Mark Ancona). Zumindest der zeitliche Zusammenhang der Daten stellt Solches in den Raum.

In diesem Erklärungsmodell liegt unseres Erachtens die höchste Wahrscheinlichkeit für den damaligen Ablauf der Dinge. Der Markgrafen-Tod zum Jahresende 1164, der in 95 Prozent der Literatur über ihn eingezogen ist, ist in unseren Augen nichts anderes als der Irrtum eines Chronisten, der lange nach den Ereignissen berichtet hat.

Für uns hat sich Aventinus am Ende als zuverlässigerer Gewährsmann erwiesen, als zunächst zu erwarten war.

Markgraf Ottokar III. von Steier war in der Tat im Jahr 1166 - im Bunde der Vierte!

 

 



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