Constantin Reindl (1738-1799)
"Constantin Reindl, einst Mitglied der erloschenen Societas Jesu, jetzt Professor am Luzerner Gymnasium und Chorregent im Tempel St. Xaver, wegen äußerst geglückter musikalischer Kompositionen ein Genie ..."
"Am 1. Juni 2008 besuchte ich ein Konzert in Luzern, wo u. a. Teile einer drei-chörigen Messe von Constantin Reindl aufgeführt wurden. Ich empfand sowohl das Werk und die Aufführung als sehr wertvoll und ich finde eine integrale Wiederaufführung dieses Werkes von großem Gewicht. Die lokalen Kulturschätze, die in den Klosterbibliotheken weilen, müssen der Vergessenheit entrissen werden [...]"
Wir zählen das Jahr 1738.
Das Schloss Jettenhofen, einst eine mauernbewehrte Niederungsburg am Rande des Bayerischen Jura, bei der Ortschaft Burggriesbach gelegen, hat eine lange Geschichte. Schon im 13. Jahrhundert ist es als Sitz des Ortsadels erwähnt. Im Folgenden ging es durch mehrere Hände und wurde 1523 auch teilzerstört, ehe es 1562 von Rudolf von Hirnheim im heutigen Zustand wieder aufgebaut wurde und 1585, nach dem Tod des letzten Hirnheimers, als erledigtes Lehen an den Eichstätter Fürstbischof Martin von Schaumberg (1523-1590) fiel. Dieser machte es im Jahr darauf zum Sitz eines fürstbischöflich-Eichstättischen Kastenamtes.
Als solches unterstand das Kastenamt Jettenhofen hoheitlich dem Pfleger, der auf der bischöflichen Hofburg beim nahen Obermässing residierte und in Jettenhofen die Hochgerichtsbarkeit ausübte. Zum Schloss gehörten damals 75 Tagwerk Wiesenland, eine große Schäferei mit 800 Schafen, die auf diesen Wiesen weideten, dazu 4 Baumgärten, 4 Weiher, 10 Waldabteilungen mit Wildbann und Vogelherd, dazu Besitz in 23 Dörfern der Umgebung. Versehen wurde der Schlossbesitz vom zugehörigen Schwaighof im Süden, der wegen des großen Besitzumfangs in den Jahren 1736/37 in 4 Teilhöfe geteilt wurde. Hinzu kam das Anwesen des Amtsknechtes und ein Hirtenhaus.
Die kirchliche Geschichte der Schlossherrschaft Jettenhofen endete mit der Auflösung des Hochstifts Eichstätt im Rahmen der Säkularisation. Vorübergehend, von 1802 bis 1804, fielen Schloss und Weiler Jettenhofen an den Großherzog Ferdinand III. von Toskana, der das Schloss samt den dazugehörenden Grundstücken weiterverkaufte. Von 1804 bis zum heutigen Tag wechselten mehrere Privatbesitzer.
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Der Weiler Jettenhofen liegt 7 km westlich von Berching, vor dem Kranz der Zeugenberge des Bayerischen Jura, und besteht aus dem Schloss Jettenhofen sowie einigen beigestellten Höfen. Links oben Ausschnitt aus dem k. b. Urkatasterplan von ca. 1820.
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Links der Schlossbau im heutigen Zustand, mit beigestelltem Nebengebäude, rechts der Rest des einstmaligen Mauerrings, mit dem "Kasten" links und dem ehemaligen Kastenamt (Schloss) rechts im Hintergrund.
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Blick von Osten auf die einstige Niederungsburg: Links das einstige Haus des Amtsknechtes (heute Ferienhaus), in der Ferne der gelb verputzte Schlossbau hinter dem verstürzten äußeren Mauerring. Dieser - nicht der innere Mauerring, wie im nachfolgenden Gemälde dargestellt - war bis 1796 mit einem stattlichen Torbau versehen, wie der Schutthügel belegt. Zwei Dutzend Schafe symbolisieren heute den einstigen Schatz des Schlosses und Kastenamtes Jettenhofen: eine Herde von 800 Schafen!
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Schloss Jettenhofen auf einem Gemälde in der Kirche St. Gangolf in Burggriesbach, aus der Zeit vor 1790. Gut erkennbar, wenn auch falsch platziert, ist hier der 1796 von den Franzosen zerstörte Torbau sowie der doppelte Mauerring, mit einem breiten Wassergraben dazwischen, der sich aus einer starken Jura-Quelle in der Nähe speiste. Gut erkennbar ist auch die oben abgebildete Feldkapelle, an der damals wie heute der Weg in das nahe Burggriesbach vorbeiführte. Der einstige Schwaighof des Schlosses liegt im Süden, im Bild zur Linken; er ist hier bereits viergeteilt, wie an der Zahl der Gebäude zu erkennen ist.
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Die bischöflich-Eichstättischen Kastner in Jettenhofen wechselten als Verwaltungsbeamte des Hochstifts Eichstätt häufig; Felix Mader zählt auf den Seiten 98f. seiner "Geschichte der Segelau" von 1938 sage und schreibe einundzwanzig von ihnen auf!
Im Sommer 1737 traf hier ein neuer Kastner ein, namens Georg Anton Reindl.
Als dieser hohe Herr am 2. September 1737 in der Kirche St. Gangolf in Burggriesbach mit Maria Anna Barbara Theresia Übelacker, der Tochter des Eichstättischen Landvogtei-Verwalters Johann Simon Übelacker, den Bund zur Ehe schloss, konnte man ihn insofern nicht als Neuankömmling im Kastemamt Jettenhofen bezeichnen, als er in Jettenhofen und eventuell auch im nahen, nur 3,5 km Luftlinie entfernten Kasten von Obermässing aufgewachsen war, wo sein Vater Franz-Xaver Reindl seinerseits als Kastner seines Amtes waltetete.
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"2do 7bris. Sponsus: Nobilis strenuus ac christianissimus dominus granarius in Jettenhoven Georgius Antonius Reindl. Sponsa: Nobilis virgo Maria Anna Barbara Theresia Ubelackerin filia legitima nobilis ac strenui domini Joannis Simonis Ubelacker Landvogtey-Verwalters Eustadii et conjugis Maria Barbara. Testes: Nobilis ac strenuus dominus Franciscus Xaverius Reindl granarius Obermessingae, pater domini sponsi et memoratus dominus Joannes Simon Ubelacker. Anno Christi Domini MDCCXXXVIII.
2. September: Bräutigam war der vornehme, gestrenge und äußerst christliche Herr Kastner von Jettenhofen, Georg Anton Reindl. Braut war die vornehme Jungfrau Maria Anna Barbara Theresia Übelacker, legitime Tochter des vornehmen und gestrengen Herrn Johann Simon Übelacker, Landvogtei-Verwalters in Eichstätt, und seiner Gattin Maria Barbara. Trauzeugen: Der vornehme und gestrenge Herr Franz-Xaver Reindl, Kastner in Obermässing, Vater des Herrn Bräutigam, und der erwähnte Herr Johann Simon Übelacker. Im Jahr unseres Herrn Christus 1738." |
Am 29. Juni 1738 stellte sich der erhoffte Nachwuchs des Paares ein, eben jener Junge, dem wir als späteren Komponisten diese Arbeit widmen - Constantin Reindl!
Getauft wurde der Stammhalter am nächsten Tag, den 30. Juni 1738, in der Kirche von Burggriesbach. Sein vollständiger Name lautete: "Constantinus Antonius Michael Ignatius Gangolphus Reindl".
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"30. Juny. Jettenhoven. Infans Constantinus Antonius Michael Ignatius Gangolphus, filius legitimus nobilis clarissimi & strenui domini Georgii Antonii Reindl J. U. Cand. granarii ibidem ac nobilis dominae Mariae Annae Barbarae Theresiae conjugis. Patrinus perillustris ac gratiosus dominus Constantinus Adolphus L. Baro de Welden, dominus in Hochholdingen et Laupheim, S. A. G. Principi et Episcopi Eustettensis p. l. aulicus. Levavit autem infantem ex S. fonte per procuratorem nobilem dominum Joannem Michaelem Planck telonarium Berchingensem. 30. Juni [1738]: Kind Constantin Anton Michael Ignaz Gangolf, legitimer Sohn des vornehmen, hochberühmten und gestrengen Herrn Georg Anton Reindl, Kandidat beider Rechte, Kastner allhier, und seiner vornehmen Gattin Anna Maria Barbara Theresia. Taufpate ist der hochberühmte und huldvolle Herr Constantin Adolf Baron von Welden [1715-1772], Herr auf Hochaltingen und Laupheim, seiner Durchlaucht, des Fürstbischofs von Eichstätt Hofherr. Das Kind hat aus dem Taufwasser gehoben [in Vertretung des Paten] der vornehme Herr Procurator Johann Michael Plank, Mautner in Berching. |
Der kleine Constantin war offensichtlich ein gesunder Junge und wuchs die nächsten Jahre in Schloss Jettenhofen auf - sozusagen mitten im Grünen, in den Wiesen und Getreidefeldern der ertragreichen Segelau, auch unter mehreren hundert Schafen, die um den Schlossring herum weideten!
Mit ihren weiteren Kindern hatte das Kastner-Ehepaar Reindl in Jettenhofen nicht soviel Glück: Zwar kamen, wie das Taufbuch in Burggriesbach belegt, in den Jahren zwischen 1740 und 1746 7 weitere Kinder auf die Welt, 4 Mädchen und 3 Jungen, aber je 2 der Jungen und Mädchen starben früh, z. T. schon unmittelbar nach der Geburt. Überlebt haben lediglich die Töchter Maria Walburga (getauft am 23.2.1741) und Maria Juliana (getauft am 12.8. 1744), sowie ein weiterer Sohn Johann Anton (getauft am 1.1.1746). Was aus diesen Kindern später wurde und wie lange sie lebten, ist uns nicht bekannt.
In den Jahren 1745 und 1746 soll einer unbestätigten Quelle zufolge dem Kastner Georg Anton Reindl in Jettenhofen ein weiteres Mitglied seiner Familie namens Joseph Anton Reindl, J. U. Licentiatus, zur Seite gestanden haben, zunächst als Offiziant und Heiling-Factor, zuletzt auch als Kastner. Wir nehmen allerdings an, dass in der Quelle der Name nur verwechselt ist - "Joseph Anton" statt "Georg Anton" - und in Wirklichkeit Personenidentität besteht. [Vgl. Schematimsus zum Jubel- und Hochfest zum 100jährigen Bestehens des Hochstifts Eichstätt, gedruckt 1746, 198 und 206]
Im Jahr 1744 dürfte der 6-jährige Constantin Reindl in die Dorfschule in Burggriesbach aufgenommen worden sein, wo er im Lesen, Schreiben, Rechnen und in der Religionslehre unterrichtet wurde. Der Schulweg dorthin betrug einfach nur 950 m, was der kleine Constantin problemlos bewältigen konnte, zumal er auf diesem Weg sicherlich nicht der einzige war.
Mit dieser Primärschule hatte Constantin Reindl ausgesprochenes Glück!
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Der einstige Schulweg des Constantin Reindl, vorbei an der barocken Kapelle "Mater dolorosa" und der Dorflinde von Jettenhofen.
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Der Burggriesbacher Lehrer Joseph Voraus hatte als Sohn des Berchinger Bildhauers Hans Georg Voraus († ca. 1753) von seinem Vater nicht nur die Bildhauerei und Fassmalerei erlernt, sondern noch weitaus mehr Talente entwickelt: Er war als ausgebildeter Tenorsänger auch in der Notenschrift und Gesangslehre bewandert und er verfügte obendrein über soviel Allgemeinwissen, dass er sich auch ohne Studium ab dem Jahr 1736 als Schulmeister und Mesner in Burggriesbach verdingen konnte. Vorgänger im dortigen Amt war ein gewisser Georg Hiener gewesen, der von 1699 bis zu seinem Tod im Jahr 1736 den Burggriesbacher Schul- und Mesnerdienst versehen hatte. Joseph Voraus wurde nicht nur sein langjähriger Nachfolger, sondern er heiratete obendrein Walburga, die Tochter Hieners, die ihrem verwitweten Vater in den Jahren zuvor den Haushalt geführt hatte. In einer vor Felix Mader in seiner "Geschichte der Segelau" zitierten Akte steht, dass der Pfarrer Fettig sich zuvor sehr für Voraus jun. als Schullehrer eingesetzt hatte: "Er sei im Singen, Lesen, Schreiben und Rechnen erfahren, außerdem Bildhauer und verstehe sich auch etwas auf die Fassarbeit; auch liebe er Zierde und Sauberkeit in der Kirche". [Mader, Segelau, 81] Notabene: Das Singen steht hier an erster Stelle!
Später übernahm Sohn Jonas Voraus den Burggriesbacher Schul- und Mesnerdienst. Im Jahr 1778 berichtete er nach Eichstätt, der im Vorjahr verstorbene Pfarrer Carl habe zwar vor 4 Jahren eine Orgel angeschafft, aber er selbst müsse nun vorübergehend einen externen Organisten in Kost und Logis nehmen, bis sein eigener Sohn seine Orgellehre abgeschlossen habe. Hieraus ist ersichtlich, dass die Familie Voraus in musikalischen Angelegenheiten umfassend unterrichtet und z. T. auch ausgebildet war. Das Ordinariat in Eichstätt lehnte die Bezahlung eines Interim-Organisten ab. Doch dies geschah lange, nachdem der Kastner Reindl mit seiner Familie Jettenhofen wieder verlassen hatte. Erst im Jahr 1798 endete die Lehrer-Ära "Voraus" in Burggriesbach.
Wir gehen davon aus, dass es der Burggriesbacher Lehrer Joseph Voraus war, der Constantin Reindls musikalisches Talent als erster entdeckte und es hinterher für ca. 3 Jahre nach Kräften förderte - vielleicht auch an der Orgel oder am Harmonium der alten Kirche St. Gangolf, die dann nach 1770 durch einen Neubau im Rokkoko-Stil ersetzt wurde. Damit dürfte er den Grundstein für Constantin Reindls spätere Karriere gelegt haben!
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Der einstige Schulweg des Constantin Reindl, von Schloss Jettenhofen (links im Bild) zur gotischen Kirche St. Gangolf und zum Dorf Burggriesbach, wo auch das Schulhaus stand (rechts im Bild).
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Beschäftigen wir uns ein wenig mit der Familie des Constantin Reindl. Ihre Wurzeln liegen im südlichen Mittelfranken, wie aus diversen Kirchenbüchern erschlossen werden kann:
Sie lässt sich konkret bis zum Großvater Franz-Xaver Reindl zurückverfolgen, der, wie bereits aus obiger Trauunganzeige ersichtlich ist, wie sein Sohn Georg Anton Reindl und später sein Enkel Constantin Reindl eine akademische Laufbahn absolviert hatte und damit zur Beamten-Elite im Hochstift Eichstätt zählte. Diese Linie der Reindls nennen wir im Folgenden der Einfachheit halber die "Akademiker-Linie". Daneben gibt es auch noch eine "Handwerker-" resp. eine "Schwarzbierbrauer-Linie" der Reindls und dazu eine angeheiratete "Strobel-Linie".
Wir beginnen mit dem Großvater Franz-Xaver Reindl (ca. 1685-1740):
Erstmalig greifbar ist dieser Großvater um 1710 in der südfränkischen Hopfenstadt Spalt, als er als junger Mann, offensichtlich bereits der höheren Bildungssprache mächtig, dem dortigen Kastner Wolfgang Michael Hödl als "scriba", d. h. als Amtsschreiber diente.
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Das Eichstättische Pfleg-Amt Wernfels-Spalt im Oberen Hochstift Eichstätt, Ausschnitt einer Karte von 1717.
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Ehe wir mit seinem Stammbaum fortfahren, beschäftigen wir uns mit der Stadt Spalt, wo Franz-Xaver Reindl den Grundstein zu seiner Familie legte. Diese war nämlich für ihn kein unbedeutender Dienstort, sondern ein Ort, der zu einer höheren Karriere geradezu prädestinierte.
Die Stadt Spalt liegt ca. 32 km Luftlinie von Jettenhofen entfernt an der Fränkischen Rezat. Da diese Stadt damals das wirtschaftliche Zentrum und den wichtigsten Umschlags- und Handelsplatz des Eichstättischen Pflegamtes Wernfels-Spalt, einer Exklave des Hochstifts Eichstätt, darstellte - mit Sitz des adeligen Pflegers auf der nahen Burg Wernfels und des Kastners im sogenannten "Kornhaus" von Spalt -, und auf eine lange, traditionsreiche Geschichte zurückblickte, die bis in die Karolingerzeit zurückreicht, da sie obendrein zwei Kollegiatstifte, St. Emmeram und St. Nikolaus, besaß, die 1619 vereinigt wurden, entbehrte Spalt schon im 17. und 18. Jahrhundert nicht einer Identität stiftenden Funktion.
Heute wird diese Funktion auch touristisch verstärkt, nicht nur durch den traditionellen Hopfenanbau und das Spalter Bier, sondern auch durch das historische Stadtbild, das von alten Kirchen, überhöhte Speicherhäusern und Hopfendarren aus Sandstein und Fachwerk dominiert wird.
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Hofenanbau und zwei Hopfenzupfer bei Spalt - historische Aufnahme.
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Bei dieser historischen Luftaufnahme befindet sich das Spalter Kornhaus im Vordergrund. Auf der anderen Seite der Herrengasse, die zur Kollegiale St. Nikolaus (mit ihren beiden Türmen) führt, desgleichen weiter hinten am rechten Bildrand erkennt man typische Spalter Speicherhäuser, mit ihren Hopfendarren, erkennbar am stark überhöhten Mansarddach und schlitzformigen Gauben, über die der ausgebreitete Hopfen ständig Frischluft bekam. Am linken Bildrand erkennt das Schiff der Spalter Pfarrkirche St. Emmeram.
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Franz-Xaver Reindl arbeitete um 1710 als Adlatus des Spalter Kastners im sogenannten "Kornhaus". Mit 3 Stockwerken und 3 Speicherböden versehen, kam dieser vormals Eichstättische Getreidekasten erst 1862 in den Besitz der Stadt Spalt. Zwischen 1897 und 1984 wurde er noch als Hopfenlager und Hopfensignierhalle genutzt, ehe man ihn 2015 zum heutigen Museum "HopfenBierGut" ausbaute und innen völlig neu gestaltete, unter Erhalt der archäologischen Struktur. [Link]
Am 13. März 1710 heiratete der Kastenamtsschreiber Franz-Xaver Reindl eine Spalter Bürgerstochter namens Barbara Strobel (aus der besagten "Strobel-Linie", mit zahlreichen Personen in der Stadt). Der entsprechende Kirchenbuchauszug ist zugleich das früheste Dokument aus der "Akademiker-Linie" der Reindl-Sippe.
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"Spalt 13 Martii 1710. Ex speciali licentia a reverendo ordinario nostro Eustadii obtento, matrimonio a me parocho juncti sunt dominus Franciscus Xaverius Reindel, scriba apud strenuum dominum Wolfgangum Michaelem Hödl granarium, et Barbara filia consulti viri Andreae Strobel. Testes fuerunt Leopoldus Danner, Wilibaldus Dier et Nicolaus Aschner.
Spalt, den 13. März 1710. Mit spezieller Erlaubnis unseres verehrten Ordinarius in Eichstätt wurden von mir, dem Pfarrer, ehelich verbunden Herr Franz Xaver Reindel [so!], Schreiber beim gestrengen Herrn Kastner Wolfgang Michael Hödl, und Barbara, die Tochter des Stadtrats Andreas Strobel. Trauzeugen waren Leopold Danner, Willibald Dier und Nikolaus Aschner." |
Kurz nach seiner Hochzeit muss der Schreiber Franz-Xaver Reindl von Spalt wegversetzt und wenig später selbst zum Kastner befördert worden sein:
Die Berufung in den Kasten von Obermässing war nicht von Ungefähr erfolgt, denn Franz-Xaver Reindl verstand sich in diesen Jahren offensichtlich besonders gut mit dem dortigen Pfleger, der sich sogar für zwei der Enkel als Taufpate zur Verfügung stellte. Dies war Rudolph Christoph Freiherr von Freyberg-Eisenberg auf Hopferau, der Bruder oder Neffe des amtierenden Eichstätter Fürstbischofs Johann Anton II. von Freyberg-Eisenberg zu Hopferau (1674-1757).
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Links zwei historische Aufnahmen von Obermässsing, mit Abbildung des Kastens, rechts der heutige Aspekt seines Nordgiebels.
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Obermässing war im Vergleich zu Pleinfeld oder Jettenhofen der geschichtlich bedeutendere Amtssitz, mit wesentlich älterer, mittelalterlicher Tradition. Eine erste Grangie wurde dort möglicherweise schon im 12. Jahrhundert vom Templerorden, spätestens aber um 1290 vom Deutschen Orden errichtet, ehe der Besitz 1465 unter Bischof Wilhelm von Reichenau (1426-1496) an das Hochstfit Eichstätt fiel. Seit dieser Zeit stellte der Kasten von Obermässing ein wuchtiges Gebäude dar, das im rechten Winkel unmittelbar an die Westfassade der Pfarrkirche "Mariä Himmelfahrt" anschloss. Ca. ein Vierteljahrhundert nach der besagten Hochzeit Georg Anton Reindls wurde dieser giebelseitige Massivbau unter dem Eichstättischen Hofbaudirektor Maurizio Pedetti (1719-1799) nochmals erweitert und mit einem steilen Satteldach erhöht, ehe es nach der Säkularisation 1826 auch noch die Schule von Obermässing und die Mesnerwohnung aufnahm. Das Gebäude am Kirchplatz 4/5 steht heute unter der Nummer D-5-76-122-157 unter Denkmalschutz.
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Das Dorf Obermässing heute: Der historische Kasten, der unmittelbar an die Kirche "Mariä Himmelfahrt" anschließt, ist mit einem Pfeil gekennzeichnet. Oben am Berg die Reste der fürstbischöflichen Hofburg, in der einst der Pfleger, als Vorgesetzter des Kastners Reindl von Obermässing, residierte.
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Da der Pfleger auf der Hofburg oberhalb von Obermässing auch oberster Richter des Pflegamtes war, residierte er wie sein Verwandter, der Bischof von Eichstätt, gern im relativ neuen und komfortablen fürstbischöflichen Schloss von Greding, das Jakob Engel in den Jahren zwischen 1695 und 1697 erbaut hatte. So nimmmt es kein Wunder, dass der zu persönlichem Reichtum gekommene, aber vielleicht schon erkrankte Kastner Franz-Xaver Reindl des Öfteren nach Greding kam und kurz vor seinem Tod, der unter unbekannten Umständen gegen Ende des Jahres 1739 eintrat, der dortigen Kirche eine herrliche Monstranz mit der Punze "Kastner Franz-Xaver Reindl, früher in Sandsee, Obermässing und Jettenhofen" stiftete. Diese Monstranz besteht aus vergoldetem Silber und zeigt Rokkoko-Muschelwerk und Figuren an der Sonne. Man findet auf ihr das Beschauzeichen "Augsburg" mit dem Jahresbuchstaben "D" = 1739-41, dazu die Meistermarke "J. L." - für Johann Joachim oder Jakob Lutz. Dies war derselbe Meister, der 1731 auch das Ostensorium für St. Gangolf in Burggriesbach angefertigt hatte. [Jerger 18f., KDB BA Hilpoltstein 80]
Da der Vater Franz-Xaver, in der Anzeige noch als Kastner von Jettenhofen bezeichnet, zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben war, war ein schriftlicher Abstammungsnachweis - "p. m. = propria manu" - erforderlich.
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"8. Januar: Jettenhovii. Nuptias spirituales seu Primitias in huiate ecclesia ad S. Gangolphum, primum SS. missae sacrificium Deo Summo ac Trino offerendo celebravit reverendissimus nobilis ac fortissimus J. U. Cand. dominus Georgius Augustinus Reindl /: Nobilis & strenui domini Fran. Xav: Reindl p. m. granarii in Jettenh: filius, ac reverendum parentem in officiis immediate succedentis moderni domini granarii Georgii Antonii Reindl J. U. Cand. frater :/ Archi Presbyteri vices sustinuit [...] Reverendus [...] ac pater in Christo. 8. Januar [1740], Jettenhofen. Die geistliche Hochzeit bzw. Primiz hat in dieser Kirche zum hl. Gangolf, indem er dem Höchsten und Dreifaltigen Gott das erste Opfer der allerheiligsten Messe anbot, der hochverehrte, vornehme und äußerst beherzte Kandidat beider Rechte, Herr Georg Augustin Reindl, gefeiert. Er ist - handschriftlich nachgeweisen - der Sohn des vornehmen und gestrengen, bereits verstorbenen Franz-Xaver Reindl, einst Kastner in Jettenhofen, den nun als Angehöriger in Diensten sofort der aktuelle Herr Kastner, Georg Anton Reindl, Kandidat beider Rechte, als Bruder [des Primizianten] vertrat. Die Stelle des Erzpriesters übernahm [unleserlich], verehrter Herr und Vater in Christus." |
Soweit zum Leben und Wirken Franz-Xaver Reindls. Wir verfolgen nun das Leben Georg Anton Reindls, des Vaters von Constantin Reindl:
Zunächst: Sein Geburts- und Taufort ist nicht bekannt, im Taufbuch der Stadt Spalt ist er nicht zu finden; so wird er erst nach Wegversetzung seines Vaters von Spalt auf die Welt gekommen sein. Wir gehen von einer Geburt zwischen 1711 und 1717 aus.
Kindheit und Jugend verbrachte Georg Anton Reindl in Pleinfeld und Jettenhofen, ggf. auch in Obermässing. Georg Anton Reindl wuchs also in fränkisch-oberpfälzischem Grenzgebiet auf.
Der Berufstart als Kastner erfolgte auf Schloss Jettenhofen, in der Nachfolge des Vaters. Zeit und Umstände wurden bereits geschildert. Zwischen 1738 und 1746 kamen 8 Kinder zur Welt, von denen nur 4 die erste Zeit überlebten.
Constantin Reindl war der Erstgeborene der Familie und lebte nachweislich bis zum 61. Lebensjahr.
Ende des Jahres 1746 wird Georg Anton Reindl von Jettenhofen abberufen; er kehrt auf Anordnung des Fürstbischofs Johann Anton II. Freiherr von Freyberg zurück nach Spalt.
Am 2. März 1747 ist Georg Anton Reindl in Spalt als Kastner des Eichstättischen Amtes Wernfels-Spalt dokumentarisch nachweisbar. Während sein Vorgesetzter, der Pfleger des Amtes auf der nahen Burg Wernfels residierte, bezog Georg Anton Reindl Wohnung und Amtssitz im Kornhaus von Spalt, in dem sein Vater einst Schreiber gewesen war.
Dieser große und schöne Getreidekasten, teils aus Stein, teils aus Fachwerk bestehend, wurde bereits besprochen; er war die Zehentscheuer der Fürstbischöfe von Eichstätt seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Hier wurden also die gesamten Zehenten und andere kirchlichen Naturalabgaben aus dem Amt Wernfels-Spalt eingesammelt und vor dem Verbrauch in der bischöflichen Mensa oder dem Verkauf zwischengelagert und umgeschlagen. Mit 36 Meter Länge, 134 Meter Breite und 20 Meter Höhe war dieser gigantische Bau am östlichen Stadtrand das größte Profangebäude der Stadt Spalt, deutlich bedeutsamer und größer als die Kasten in Pleinfeld, Obermässing oder Jettenhofen.
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Das Kornhaus von Spalt heute.
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Als Kastner von Spalt war Georg Anton Reindl auch Stadtvogt, Richter (zuständig für die niedere Gerichtsbarkeit des Amtes, also Zivilsachen) sowie Verwalter der Grundherrschaften des Amtes - in 37 Ortschaften und in Spalt selbst unmittelbar, sowie mittelbar in weiteren 27 Ortschaften außerhalb des Amtsbezirkes.
Wie später noch deutlich werden wird, wurden Georg Anton Reindl und seine Frau Maria Anna relativ alt, er ca. 73 Jahre und sie ca. 60 Jahre; in der Todesanzeige vom 19. Juni 1784 - eigenartigerweise nur ein interpolierter, einzeiliger Nachtrag des Sterbebuches; die eigentliche Todesanzeige fehlt - wurde Georg Anton Reindl noch immer als "Amtskastner" bezeichnet. Seine Frau war schon 6 Jahre zuvor, am 20. Januar 1778, entschlafen.
In diesem Zusammenhang ist für die Lebensgeschichte Constantin Reindls am wichtigsaten:
Der Stammhalter Constantin muss im Hinblick auf die Beförderung seines Vaters und den dadurch notwendig gewordenen Umzug von Jettenhofen nach Spalt auch die Elementarschule gewechselt haben, für ca. 2 weitere Jahre, was ihn dann wirklich zu einem echten Spalter machte, selbst wenn er dort nicht geboren worden war!
So ist es verständlich, wenn Constantin Reindl viele Jahre später, als er sein Studium der Theologie an der Universität Freiburg im Breisgau begann, im entsprechenden Matrikeleintrag den eigentlichen Geburtsort verschwieg und seine Herkunft mit den einfachen Worten beschrieb "Spaltensis Franco[niae] - aus dem fränkischen Spalt".
Am Ende einige kurze Anmerkungen zur Spalter "Handwerker- und Bierbrauer-Linie" der Reindls in Spalt:
In akribischer Auswertung der Spalter Pfarrmatrikel haben wir zwischen 1630 und 1800 27 Personen namens Reindl identifiziert - egal, ob geborene oder angeheiratete Reindl - und dabei 5 resp. 3 Generationen in 2 verschiedenen Familiensträngen erfasst. Dennoch hat sich die Lücke zwischen der "Akademiker-Linie", mit Franz Xaver und Georg Anton Reindl als Exponenten, und der "Schwarzbierbrauer-Linie", mit 3 Braumeistern namens Johann Reindl in Serie (Vater, Sohn und Enkel), nicht zweifelsfrei schließen lassen. Dies liegt vielleicht daran, dass der Spalter Stadtpfarrer, der im Jahr 1710 die Trauunganzeige für Franz-Xaver Reindl und seine Frau schrieb, aus Ehrfurcht vor dem "Schreiber des Spalter Kastners Hödl" vergessen hatte, wie üblich den Vater und die Mutter des Bräutigams zu benennen. So bleibt als einziges Indiz, dass diese familiäre Verbindung tatsächlich bestand, die Vermutung, dass Franz-Xaver Reindl mit dem doppelten Sohnes-Vornamen "Georg" den Vornamen eines Bruders namens "Johann Georg Reindl" aufgriffen haben könnte, geb. am 7. April 1703 in Spalt. Aber sehr belastbar ist dieses Indiz nicht.
Wenigstens eine entferntere Verwandtschaft der Kastner Reindl mit den Bierbrauern und Gastwirten Reindl in Spalt liegt nahe. Deren Brauerei und Gaststätte befand sich mit der alten Hausnummer 74 direkt am langestreckten Marktplatz von Spalt, unmittelbar vor dem Stift St. Nikolaus (heute Hauptstraße 16). Die zum Hinterhaus führende Altane, die sich schon im Urkataster um 1830 erkennen lässt, spricht für einen großen Beherbergungsbetrieb, mit Unterbringung von Reitern (oben) und Pferden (unten) in der Altane.
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Die zentrale Lage des Reindl-Anwesens (rot) vor den beiden Kirchen (violett) und dem Spalter Kornhaus (grün). Daneben bewohnte eine Familie Reindl Ende des 18. Jahrhunderts auch das Haus mit der alten Nummer 24, hier nicht im Bild.
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Leider ist heute das Erdgeschoss dieses stattlichen Hauses an der Spalter Hauptstraße stark durch unpassende Modernismen wie große Schaufensterscheiben verunstaltet. Für diesen tristen Abblick entschädigt ein wenig die schöne Marienfigur in der Fassade des 1. Stocks, die der "Spalter Madonna" des Reformators Georg Spalatin nachempfunden sein könnte.
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Die Vorliebe Constantin Reindls für die Stadt Spalt, der sich noch im späten Jahr 1765 einen "Spalter" nannte, obwohl er nur für kurze Zeit dort gelebt hatte, bezog sich möglicherweise weniger auf die männlichen Vorfahren seiner Familie, sondern auf häufige Besuche bei seiner Großmutter väterlicherseits, schon von Jettenhofen aus. Diese war die am 25. Juli 1686 in Spalt geborene Stadtratstochter Anna Barbara Strobel. Auch deren Familie haben wir über 4 Generationen (seit ca. 1620) verfolgt und dabei 14 Personen namens "Strobel" alias "Strobl" gefunden, wobei die Gattin des Franz-Xaver Reindl selbst aus der 3. Generation stammte.
Zwischen ca. 1750 und 1752 verfasste der gerade 12- bis 14-jährige Constantin Reindl einen zweiseitigen Pangyrikus in Gedichtform, für eine "Base" resp. eine Cousine 2. Grades namens "Maria Adelheid Strobl". Diese stand zwischen 1730 und 1752 als 14. Priorin den 34 Augustinerinnen im Kloster Marienburg bei Abenberg vor. Da es bei den Augustinerchorfrauen üblich war, bei der ewigen Profess den bürgerlichen Namen abzulegen und durch einen geistlichen Namen zu ersetzen, ist es auch in diesem Fall nicht möglich, diese Frau mit Familiennamen "Strobel" oder "Strobl" exakt zu verorten. Am ehesten sollte es sich um die am 9. Juni 1707 in Spalt - im Beisein der Patin Barbara Reindl! - getaufte Anna Barbara Strobel gehandelt haben, der Tochter einen gewissen Johann Michael Strobel. Dieser war wiederum ein Bruder der gleichnamigen Kastnersgattin Anna Barbara Strobel und für Contantin Reindl somit ein Großonkel. In der Taufanzeige eines Sohnes wurde dieser Großonkel "Strobel" auch als "Stadtgeiger" von Spalt bezeichnet, womit sich für seinen Großenkel, den späteren Komponisten Constantin Reindl, eine musikalische Vorbelastung aus der "Strobel-Linie" heraus ableiten lässt.
Da das besagte Lobgedicht auch aus anderem Grund vielsagend ist, wollen wir es mit Wort und Bild im nächsten Kapitel ausführlich vorstellen.
Soweit zu den Vorfahren Constantin Reindls. Vieles konnten wir klären, doch bei weitem nicht alles.
Als im Jahr 1747 auf den Jettenhofener Kastner Georg Anton Reindl eine neue Aufgabe in Spalt im Oberen Hochstift Eichstätt zukam, ging für seinen begabten Sohn Constantin auch der Grundschulunterricht in Burggriesbach vorzeitig zu Ende. Er dürfte ihn in Spalt noch für 2 Jahre fortgesetzt haben, denn üblicherweise war der Elementarschulunterricht erst nach der 5. Klasse beendet, wenn der Zögling ca. 11 bis 12 Jahre alt war. Erst danach war der Wechsel auf ein Gymnasium möglich. In Spalt fand Georg Anton Reindls für seinen Sohn gleich zwei geeignete Schulen vor, wobei jedoch in beiden der Musikunterricht keine große Rolle gespielt haben dürfte. Das eine war die Lateinschule am Stift St. Emmeram und St. Nikolaus, die ein "Canonicus scholasticus" leitete, das andere die sogenannte "Deutsche Schule", die der Magistrat der Stadt Spalt unterhielt. [Obeltshauser, Kurzgefasste Geschichte der Stadt Spalt, 6] In welcher von beiden Schulen Constantin Reindl konkret unterrichtet wurde, lässt sich heute nicht mehr nachweisen.
Georg Anton Reindl hatte einst in Eichstätt seine höhere Schulbildung bei den dortigen Jesuiten erhalten. Im Rahmen der "studia inferiora" ist er in Eichstätt 1724/25 erst als "syntaxista", 1725/26 dann als "humanista" und zuletzt 1726/27 als "retor" nachweisbar [Jerger 20]
Dieses Gymnasium war damals, wie nachfolgende Abbildung zeiugt, nicht im Kolleg der Jesuiten selbst gelegen, auch nicht im sog. "Ulmer Hof" (Gymnasium erst seit 1842) am heutigen Leonrod-Platz untergebracht, sondern es war seit 1614 im sogenannten "Kaisheimer Haus" installiert und wurde von 1614 bis 1773 von den Ingolstädter Jesuiten geführt.
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Die nach dem großen Brand von 1634 neu errichteten Gebäude des Jesuiten-Kollegs "Collegium Willibaldinum" in Eichstätt, im Jahr 1673. Der Schrägbau links außerhalb des Kollegs entstand 1625 als Jesuiten-Gymnasium im Haus des Klosters Kaisheim (sog. "Kaisheimer Haus"). Das Gebäude wurde nach Aufhebung des Jesuiten-Ordsn 1773 privatisiert, später überhöht, dann auch als Casino benutzt und birgt heute das Rechenzentrum der KU Eichstätt-Ingolstadt, das selbst den historischen Kongregationssaal in den beiden obersten Geschossen mit ihrer Technik belegt. |
Obwohl im Hinblick auf die Schulkarriere des Vaters die Aufnahme und weitere Schulbildung Constantin Reindls im Konvikt und Gymnasium in Eichstätt plausibel klingt, gehen wir im Gegensatz zu Jerger dennoch nicht von einem dortigen Aufenthalt in Eichstätt in den Jahren von 1750 bis 1755 aus, [Jerger 19f.] sondern von vornherein von einem primären Aufenthalt im Jesuiten-Konvikt in Ingolstadt, selbst wenn es dazu keinen Eintrag in einer Schülerliste gibt.
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Ingolstadt Gesamtansicht, Kupferstich von E. Bäck, um 1730. |
Für höhere Schulbildung in Ingolstadt sprechen zumindest einige Indizien:
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Jesuiten-Kolleg Ingolstadt, kolorierter Kupferstich von Michael Wening, vor 1718. Der Canisius-Konvikt ist das langgestreckte dreistöckige Gebäude im Vordergrund. |
Dieses stattliche Studienkolleg war von Ignatius von Loyola (1491-1556) höchstpersönlich aus der Taufe gehoben und im Jahr 1556 mit 18 Ordensmitgliedern bestückt worden, darunter mit dem künftigen Rektor und Theologieprofessor Petrus Canisius (1521-1597), einem der ersten deutschen Jesuiten, der dort die beiden Lehrstühle der Theologischen Fakultät installierte.
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Der Canisius-Konvikt heute. |
Noch im selben Jahr 1556 war in Ingolstadt vom jesuitischen Wissenschaftsorden auch das Gymnasium mit Konvikt (Internat) gegründet worden. Dieses war von 1584 bis zur Aufhebung des Jesuiten-Ordens im Jahr 1773, ja sogar noch lange darüber hinaus, in jenem Trakt des weitläufigen Kollegs untergebracht, der noch heute den Namen des ersten Rektors trägt: Canisius-Konvikt. Dieses Gebäude hat als einziges des einst weitläufigen Kollegs die Zeiten überstanden und dient heute als Mensa und Studentenwohnheim der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, er ist also nahe an seiner Ursprungsbestimmung.
In Eichstätt wie in Ingolstadt lehrten die Jesuiten im Rahmen der "studia inferiora" Latein, Griechisch, Rhetorik und Poesie, im Rahmen der "studia superiora" auch Philosophie und Theologie, eben jene Fächer, die zum späteren Priesterberuf prädestinierten. Aber allein in Ingolstadt wurde - nicht zuletzt wegen des im Vergleich zu Eichstätt größeren städtischen Publikums - für musikalisch begabte Schüler auch eine gesonderte musikalische Ausbildung angeboten. Diese erstreckte sich nicht nur auf die Kirchenmusik, mit Chorgesang, Orgel- und sonstigem Instrumentalspiel (wozu mit den Kirche "Heilig Kreuz" und "Maria de Victoria" gleich zwei Konzerträume zur Verfügung standen), sondern speziell auch auf das weltliche Musiktheater, mit häufigen öffentlichen Aufführungen (in den sog. "Jesuitendramen" allerdings weiterhin religiös gefärbt). Dafür musste jedoch auch die Kunst des Komponierens gelehrt und erlernt werden, und genau dafür war schon damals Constantin Reindl besonders geeignet.
In diesem Zusammenhang verweisen wir auf einen weiteren Komponisten des Bayerischen Jura (aus dem kleinen Pfarrdorf Mendorf 18 km nordöstlich von Ingolstadt), der in diesem Zusammenhang ein Vierteljahrhundert später denselben Ausbildungsweg nahm wie vor ihm Constantin Reindl. Es handelt sich um den berühmten Johann Simon Mayr (1763-1845), der 1774 aus denselben Gründen wie Constantin Reindl von Mendorf aus, über die Zwischenstation Weltenburg, den Weg ins Jesuiten-Kolleg Ingolstadt nahm, um später in Bergamo in Oberitalien als Komponist von mehr als 60 Opern und 600 Kirchen- und Kammermusikwerken sowie als Lehrer Donizettis in höchste Ehren zu kommen. [Link]
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Der Weg von Gerolfing nach Ingolstadt, ca. Mitte des 18. Jahrhunderts. Man erkennt in der Mitte das Liebfrauenmüster mit den beiden unterschiedlich hohen Türmen, zur Linken die Gebäude des benachbarten Jesuiten-Kollegs. Ein ähnlicher Blick auf Ingolstadt - nur mit anderen Gebäuden - dürfte sich ergeben haben, wenn Onkel Augustin Reindl von Oberhaunstadt aus die Landstraße nach Ingolstadt nahm, um seinen Neffen zu besuchen. |
Der Panegyrikus Constantin Reindls ist auf der Vorder- und Rückseite eines Einzelblattes aus Büttenpapier gedruckt. Er trägt den weitschweifigen Titel:
"Musicalischer Ehren=Klang an dem freudigen Nahmens=Tag der Hochwürdigen Hoch=Edlen Frauen Maria Adelhaid, Würdigsten Frauen Priorin in dem wohllöblichen Closter der regulirten Chor=Frauen zu Mariaburg"
Mit ihm wollen wir uns etwas näher beschäftigen:
Seine Adressatin erreichte er nicht, wie man zunächst annehmen möchte, am 18. Dezember, dem Patronatstag der heiligen Kaiserin Adelheid von Burgund (ca. 931-999), also eine Woche vor Weihnachten, sondern eher am Patronatstag einer anderen heiligen Adelheid, am 10. Februar:
Denn mit hoher Wahrscheinlichkeit hatte sich die Spalter Tochter aus der "Strobel-Linie" bei der Wahl ihres geistlichen Namens "Adelheid" auf die Gründerin des Kollegiatstifts St. Emmeram in ihrer Heimatstadt Spalt bezogen: Diese war die zwar wesentlich weniger populäre, im vorliegenden Fall jedoch äußerst sinnhafte heilige Adelheid von Metz (ca. 970-1046), die in ihrer 1. Ehe mit Heinrich von Speyer nicht nur den späteren deutschen König Konrad II. (1027-1039) gezeugt, sondern in ihrer 2. Ehe mit einem fränkischen Hochadeligen unbekannten Namens im Jahr 1037 n. Chr. die Kirche St. Emmeram in Spalt durch Dotation zum Kollegiatstift erhoben hatte. Dies war in Zusammenarbeit mit ihrem Sohn aus 2. Ehe erfolgt, Bischof Gebhard III. von Regensburg (1036-1060).
Mit der Wahl des Namens war also eine Regensburger Tradition in Spalt aufgegriffen, was für einen rein fränkischen Ort eher ungewöhnlich war.
Gleichwohl hatte dies seine Gründe, denn auch das Kloster, in dem Priorin Adelheid zwischen 1730 und 1752 als 14. ihrer Reihe lebte und wirkte, hatte, obwohl mitten in Franken liegend, eine Regensburger Tradition!
Im Kloster Marienburg lebten damals 34 Augustinerchorfrauen in einer auf die selige Stilla von Abenberg zurückgehenden Ordensgemeinschaft - nur 7,2 km Kilometer von Spalt entfernt, zu Füßen der großen Pabonenburg Abenberg.
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Links das Kloster Marienburg um 1930, rechts die Deckplatte des Stilla-Kenotaphs aus dem 12. Jahrhundert. Man erkennt in der Hand der seligen Stilla einen romanischen Saalbau mit 2 Fensterreihen, mithin eine Kirche mit profanem Obergeschoss, in einem Stil, den nur die Pabonen von Regensburg pflegten. |
Wegen der speziellen, aber wenig bekannten politischen Konnotation der Stilla-Legende haben wir der frommen und familientreuen, altbayerischen Pabonin Stilla einige Abschnitte in unserer großen Arbeit zu den Profangeschosskirchen der Pabonen im 12. Jahrhundert gewidmet (in Print-Version siehe Seite 71ff. und 303f.): [Link]
Soweit zur Base von Constantin Reindl.
In ihr wird eine vitale, altbayerisch geprägte und insgesamt sehr kirchenfreundliche Tradition und Frömmigkeit der katholisch gebliebenen Reindl-Sippe im protestantisch geprägten Franken spürbar, die sich auch darin niederschlug, dass wenigstens 2 männliche Mitglieder der "Akademiker-Linie" die Priesterlaufbahn ergriffen (Constantin Reindl und sein Onkel Augustin), und ein 3. Familienmitglied, der Großvater Constantins, wertvolle Kirchenutensilien gespendet hatte!
Leider konnten wir über die Priorin Adelheid kaum mehr in Erfahrung bringen. Wir fassen die Ergebnisse kurz zusammen:
Allerdings kann es sich beim Jahr 1752 auch nur um das Jahr ihres Rücktritts gehandelt haben. Denn im Staatsarchiv Nürnberg existiert eine Akte, nach der die Priorin Adelheid von Marienburg einem Martin Reindl (also wohl einem Verwandten) eine Schuld über 22 Gulden quittierte. Vom Archiv ist hier eine sehr späte Laufzeit 1773 angegeben. [StAN, Rentamt Spalt (vorbayerisch) 2900] Wenn dieses Datum stimmt, dann wäre die Priorin mindestens 66 Jahre alt geworden.
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Das doppelt bedruckte Blatt stammt aus der Bayerischen Staatsbibliothek, Signatur 2 P.o.germ. 57,36. |
"Güte und Bescheidenheit" wurden der Priorin von Marienburg hier gleich zweifach attestiert, von ihren "unwürdigen Vetter", ihrem "kleinen Vetterlein" Constantin Reindl, der damals gerade 13 oder 14 Jahre alt war! Die Priorin nannte er dabei "mein werthe Baas", was in diesem Fall einer Cousine 2. Grades entspricht.
Am auffallendsten und bedeutsamsten für die Lebensbeschreibung Constantin Reindls ist jedoch, dass es sich bei diesem Lob gar nicht um ein gesprochenes Gedicht handelte, sondern um einen Gesang, doppelt unterteilt in "Recitativ" und "Aria"!
Mit diesen spezifischen Begriffen, die im Bereich der Barock-Oper bereits seit ca. 1600 galten, scheint also zum ersten Mal in seinem Leben Constantins Talent für die Komposition einer Kantate oder einer Oper auf, und das bereits im frühen Teenager-Alter!
Das dazugehörige Wissen und Können kann Constantin Reindl nur im Jesuitenkolleg von Ingolstadt erfahren haben!
Ob die beiden Rezitative und Arien im Rahmen einer Aufführung je gesungen und gespielt wurden, entzieht sich unserer Kenntnis; dazu passende Noten oder gar eine Partitur fanden wir in der Bayerischen Staatsbibliothek nicht. Im Jesuiten-Theater von Ingolstadt wäre jedoch eine solche Aufführung problemlos möglich gewesen. Vielleicht ist die Priorin zur Feier ihres Namenstages eigens zu einer solchen Ehrung nach Ingolstadt angereist!
Spätestens im Jahr 1756 beendete Constanin Reindl die "studia inferiora" mit Erwerb des Magisteriums. Ehe er nun als Student die "studia superiora" in Angriff nahm, wobei er weiter im Canisius-Konvikt hätte leben können, nunmehr sogar in einem eigenen Zimmer, entschloss er sich - vermutlich aus freien Stücken - zu einem einschneidenden Einschnitt in seinem Leben:
Er wollte auch künftig zölibatär leben, d. h. auf eine eigene Familie verzichten, und lieber ein vollwertiger Jesuiten-Pater zu werden.
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Die Geburtsorte von Constantin Reindl, Jean-Paul-Égide Martini und Christoph Willibald Gluck - alle in einem Umkreis mit Radius 4,5 km! |
Dieser Entschluss unterschied ihn grundlegend von den beiden anderen Komponisten, die wie er in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in unmittelbarer Nähe zu seinem eigenen Geburtsort geboren waren: [Link]
Der Jesuiten-Orden war Constantin, nachdem er dem Elternhaus in Spalt durch die räumliche Ferne weitgehend entwöhnt war, offensichtlich zur zweiten Heimat geworden!
Ehe wir mit der Lebensbeschreibung Constantin Reindls fortfahren, ergibt sich für uns eine Zäsur. Denn es ist spätestens jetzt eine Erklärung dafür notwendig, dass wir schon bisher des Öfteren einen Autor namens "Jerger" zitiert haben, was wir in der Folge noch intensivieren werden.
Es handelt sich bei dem besagten Autor um den Wiener Komponisten, Dirigenten und Musikhistoriker Wilhelm Jerger (1902-1978), der als Junge bei den Wiener Sängerknaben sang, als Student der Musikwissenschaften an der Wiener Staatsoper den Kontrabass spielte und später, im Dritten Reich, als Mitglied der NSDAP zuerst kommissarischer Leiter und von 1840 bis 1945 Vorstand der Wiener Philharmoniker wurde. [Link] Im Rahmen der Entnazifizierung 1945 wurde er zunächst all seiner Posten und Ämter enthoben und sogar kurz inhaftiert, hinterher aber rehabilitiert. Dennoch wechselte er 1948 in die Schweiz, um weiteren Anfeindungen zu entgehen und erneut zu studieren. Anlässlich dieses Schweizer Studienaufenthaltes von 1948 bis 1958 verbrachte er auch längere Zeit in Luzern am Vierwaldstätter See. Im Jahr 1952 promovierte an der Universität Freiburg/Schweiz zum Thema "Constantin Reindl", dessen Bedeutung er zuvor in den Archiven von Luzern entdeckt hatte. Nach seiner Rückkehr nach Österreich war er zwischen 1958 und 1973 Direktor des Bruckner-Konservatorium in Linz, ehe er am 24. April 1978 dort starb.
Die Schweizer Dissertationsschrift hatte Wilhelm Jerger 1952 den Doktortitel der Philosophie verschafft; 1954 wurde sie in der Schweiz gedruckt und veröffentlicht. Ihr Titel lautet:
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Links das Deckblatt von Jergers Publikation von 1954, rechts der Komponist und Dirigent Wilhelm Jerger bei der Arbeit.
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Der Teil I von Jergers Forschungsbericht - Leben und Schaffen - erschien 1954 in Stans als Druckausgabe von 108 Seiten. Teil II - Analyse und Würdigung der Werke - wurde nie gedruckt, sondern liegt als maschinenschriftliches Einzel-Exemplar in der Kantons- und Universitätsbibliothek in Freiburg/Schweiz.
Wir haben bei unserer Arbeit zu Constantin Reindl bis jetzt auf viele Quellen zurückgegriffen, die Wilhelm Jerger, wenngleich er an diversen Stellen der Diözese Eichstätt schriftlich Informationen einholte, seinerzeit zum Eigenstudium nicht zur Verfügung standen. Dies betrifft vor allem die Kirchenbücher der Diözese Eichstätt, deren Online-Ausgabe nun erstmals eine effektive Suchr nach Familienangehörigen in größerem Rahmen ermöglicht, aber auch diverse andere Schrift- unmd Bildquellen. Ausgestattet mit diesen Hilfsmitteln, konnten wir erstmals seit Jergers Forschung Constantin Reindls Biografie in wichtigen Punkten ergänzen und zum kleineren Teil auch korrigieren.
Für die nun folgenden Lebensabschnitte Constantin Reindls versagen jedoch all diese deutschen Informationsquellen, und ein Gang in die Schweizer Archive ist uns nicht möglich. Insofern ist es ein ausgemachter Glücksfall, dass Jerger seinerzeit in ziemlicher Vollständigkeit aus den für ihn erreichbaren Archiven alle Informationen zu Reindl einholte, die dort zur Verfügung stehen. Insodern bleibt uns selbst eine aufwändige Archivrecherche vor Ort erspart, denn wir können im Folgenden umfänglich auf Jergers Veröffentlichung von 1954 zurückgreifen, welche im Grunde genommen die einzige Referenzliteratur zum Komponisten von Wert darstellt. Dies geschieht der Einfachheit halber nicht immer unter Angabe der genauen Textstelle - es sei denn, dass wir von Jerger's Informationen abweichen müssen, was hin und wieder der Fall ist.
Anders als Jerger stellen wir bei unserer Arbeit die musikhistorische Analyse nicht in den Vordergrund, zumal sie uns nicht zusteht, und konzentrieren uns mehr auf den allgemein-biografischen Teil, auf die Zeitumstände im Allgemeinen und die Lebensumstände und das Umfeld Constantin Reindls im Besonderen. Dabei kommt es uns auch mit Einsatz von vielen Abbildungen auf Anschaulichkeit an, wohingegen Jergers Dissertation nicht ein einziges Bild enthält. Insofern versteht sich unsere Arbeit als Ergänzung, aber nicht als Konkurrenz zu Wilhelm Jergers Dissertation. Wir hoffen allerdings, mit einigen zusätzlichen Hinweisen und mit unserem Bildmaterial den Rahmen Wilhelm Jergers um einiges erweitert zu haben.
Soweit zur eigenen Sache.
Nach diesem kurzen Statement kehren wir zurück zu Constantin Reindl und verfolgen seinen weiteren Lebensweg.
Nach einer zweiwöchigen Kandidatur trat Constantin Reindl am 29. September 1757 in das Noviziat der Oberdeutschen Provinz der "Societas Jesu" ein, in Landsberg am Lech. Dieses Noviziat war, sozusagen als vorpriesterliche Elite-Einrichtung, mit dem großen Jesuiten-Kolleg in Ingolstadt eng assoziiert, dabei auch bestens ausgestattet und organisatorisch perfekt durchstrukturiert.
Es dauerte genau eine Probezeit von 2 Jahren, in der die angehenden Jesuiten (Novizen) ihre Berufung prüften. Das Ausbildungsprogramm umfasste spirituelle Übungen wie die 30-tägigen ignatianischen Exerzitien, Gebete, Gemeinschaftsleben und praktische Einsätze, z. B. in der Krankenpflege. Besondere "Jesuitentafeln" - Holztafeln mit Kupferstichen, die Märtyrerschicksale der Jesuiten darstellten - dienten als Inspiration für standhaften Glauben. Die Landsberger Tafeln sind teilweise erhalten und befinden sich heute im Stadtmuseum Landsberg.
Erst nach absolvierter Probezeit konnten die jeweiligen Novizen in gefestigtem Glauben das Studium der Philosophie und Theologie absolvieren und nach weiteren Ausbildungsabschnitten (Regentschaft, Studium der Theologie, Tertiat) die ewige Profess ablegen - mit Gelübden 1. der Armut, 2. der Keuschheit, 3. des Gehorsams im Allgemeinen und 4. des Gehorsams gegenüber dem Papst. Damit dauerte der Weg vom Noviziat bis zur ewigen Profess bei den Jesuiten im Schnitt 15 Jahre!
Der bekannteste Novize von Landsberg (1663-1665) ist übrigens der in Eichstätt geborene Philipp Jeningen (1642-1704), ein asketisch lebender Volksmissionar, der im Jahr 2022 an seinem Wirkort Ellwangen selig gesprochen wurde. [Link]
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"Kirch und Collegium Societatis Jesu in Landtsperg", Kupferstich von Michael Wening, um 1701. |
Niedergelassen hatten sich die Jesuiten in Landsberg schon früh, im Jahr 1578, unterstützt durch Graf Schweikhard von Helfenstein, einem Förderer der katholischen Reform. Das Noviziat, zusammen mit einem Kolleg, diente der Ausbildung des Ordensnachwuchses für den gesamten süddeutschen Raum, Österreich und die Schweiz. Es war damit eine der zentralen Einrichtungen des Ordens in Deutschland und bereitete Novizen auf Aufgaben in Seelsorge, Bildung und weltweite Missionsarbeit vor, etwa in Lateinamerika, Asien und Südafrika.
Im 17. Jahrhundert hatten die Jesuiten hoch über den Ufern des Lech bei großer Nachfrage erweiterte bauliche Voraussetzungen für das Noviziat geschaffen und zwischen 1752 und 1754 unter dem berühmten Dillinger Jesuiten-Baumeister Joseph Ignaz Merani SJ (1693-1762) einen kompletten Neubau des Kollegs und der Heilig-Kreuz-Kirche mit Doppelturmfassade in Angriff genommen. Eingeweiht wurde die Kirche erst 1784, als Constantin Reindl Landsberg schon längst wieder verlassen hatte.
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Die Heilig-Kreuz-Kirche in Landsberg präsentiert sich noch heute so, wie sie 1754 errichtet wurde. |
Die Kirche war ein zentraler Ort für die Novizen, die dort vor allem ihre Gottesdienste feierten. Sie ist bekannt für ihre stilreine Rokkoko-Ausstattung und ein Fresken-Programm, welches das Heilige Kreuz und andere jesuitische Motive betont.
Alles in allem trugen die Jesuiten in Landsberg wesentlich zur Rekatholisierung von Stadt und Umgebung bei, nachdem ein Teil der Bevölkerung im 16. Jahrhundert der Reformation zuneigt gewesen war. Ihre Arbeit in Bildung und Glaubensvermittlung prägte die Stadt nachhaltig. Nach der Aufhebung des Jesuiten-Ordens 1773 ging das Kloster an die Malteser über. Heute werden die Gebäude z. T. als Agrarbildungszentrum genutzt, z. T. sind sie im neuen Stadtmuseum Landsberg aufgegangen.
Soweit zur Aktivität der Jesuiten in Landsberg.
Wir zweifeln nicht an Constantin Reindls religöser Begeisterung für die Kommunität der Jesuiten - er hatte bei deren Effektivität und den eingeräumten Freiheiten (keine Ordenstracht, kein gemeinsames Chorgebet, keine Klöster, keine Klausur) auch keinerlei Anlass dafür -, wir vermuten aber bei seiner Versetzung nach Landsberg und seinem Eintritt ins dortige Noviziat im Jahr 1756 auch ein handfestes praktisches Motiv:
Denn im Vorjahr hatte der Allgäuer Orgelbaumeister Augustin Simnacher (1688-1757) in der neuen Kirche eine neue Schleifladen-Orgel mir 21 Registern auf 2 Manualen und Pedal installiert. Nun benötigte dieser Handwerksmeister einen versierten Orgelspieler, mit dem er alle Pfeifen, Spiel- und Registertrakturen fein aufeinander abstimmen konnte.
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Das wunderbar ausgeschmückte Rokkoko-Interieur der Kirche Heilig-Kreuz in Landsberg am Lech. Blick zur doppelgeschossigen Empore mit der Simnacher-Orgel unter dem Deckengewölbe. |
Dieser zeitlichen Koinzidenz zwischen dem Noviziat Reindls und dem Orgelbau entnehmen wir einen weiteren Hinweis darauf, dass Constantin Reindl, schon über Jahre hinweg an den Ingolstädter Orgeln bestens ausgebildet, zu dieser Zeit bereits ein richtiger Orgelspieler gewesen sein dürfte! Nun erfuhr er als Virtuose auch noch wichtige Impulse aus dem Orgelbau selbst, ähnlich wie dies nur wenig später seinem Zeitgenossen und Landsmann Jean-Paul-Égide Martini in Nancy gelang.
Hier an dieser wertvollen Landsberger Barockorgel, die sich als einzige des berühmten Orgelbaumeisters Simnacher bis heute erhalten hat, konnte Constantin Reindl auf jeden Fall sein musikalisches Talent bestens ausleben und sich mit dem Orgelspiel das strenge Noviziat versüßen.
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Nahansicht der Simnacher-Orgel in Landsberg am Lech. Hier am Spieltisch dürfte bereits ein Constantin Reindl gesessen sein! |
Zurück in Ingolstadt setzte Constantin Reindl von 1759 bis 1761 am Jesuiten-Kolleg seine Ausbildung in der Philosophie fort und brachte sie auch zum Abschluss. Gelehrt wurden im Rahmen der Philosophie, wie an allen Universitäten der damaligen Zeit, die Sieben Freien Künste, allerdings in Ingolstadt nicht mehr in der klassischen Einteilung in "Trivium" (Grammatik, Dialektik, Rhetorik) und "Quadrivium" (Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musiklehre), sondern in modifizierter Form in einem 3-jährigen "Cursus", orientiert an den Werken des Aristoteles: Dabei wurde im 1. Jahr die Logik, im 2. Jahr die Physik und im 3. Jahr die Bücher "De coelo", "De mundo" "Meteorologica", sowie das 3. Buch von "De anima" und die "Metaphysik" - alles Werke des griechischen Philosophen Aristoteles - im Original gelesen und anschließend interpretiert. Das "Baccalaureat" konnte nur nach Absolvierung der Logik und der Hälfte der Physik, das "Magisterium" nur nach zusätzlich absolvierter Physik und Metaphysik erworben worden. [Prantl, Geschichte der ... Universität Ingolstadt, 1872, I, 323]
Sein Philosophie-Studium schloss Constantin Reindl im Jahr 1761 erfolgreich mit dem Titel "Magister" ab, also mit dem höherwertigen Abschluss. Dies prädestinierte ihn nun, wie vorgeschrieben, die 4 Praxisjahre des "Magisteriums" zu durchlaufen, was ihn in 3 weitere Jesuiten-Kollegien führte.
Wenn Reindl nun "Magister" war, dann war er schon deutlich weitergekommen als sein Vater oder Großvater, die allerdings Jura studiert hatten.
Unabhängig von den primären Aufgaben des Magisters im normalen Schulunterricht der Kollegien, die Constantin Reindl nun zu übernehmen hatte, hatte man ihn dazu ausersehen, die kirchlichen Gesänge und die Musikaufführungen in den jeweiligen Studentenkirchen zu leiten, mit Einsatz der Orgeln und der Kirchenchöre. Dies erkennt man daran, dass man ihm von Anfang an auch den Titel "Praefectus" oder "Director musicae" verliehen hatte. Ansonsten wurde er nun in den Akten der Jesuiten als "M. Reindl", d. h. als "Magister Reindl" - oder deutsch "Schulmeister Reindl" bezeichnet.
Nach seinem Biografen Jerger soll Reindl in dieser Zeit auch das Spiel auf der Violine und auf dem Violoncello zur Meisterschaft gebracht haben [Jerger 20], was auch von Zeitgenossen bestätigt wurde: "Er [...] spielte trefflich Violin und Basset." [Balthasar 63].
Wir betonen jedoch ein weiteres Mal, dass Reindls Instrumentarium ganz maßgeblich auch ein Tasteninstrument enthalten haben muss, das er bei der Gestaltung der Gottesdienste und bei der Leitung der Kirchenchöre benötigte und für das er auch später immer wieder komponierte. Es handelt sich, wie gesagt, um die Kirchenorgel. Die ersten Schritte im Orgelspiel dürfte er schon als Schuljunge in Burggriesbach hinter sich gebracht haben. Als er als Erwachsener die Simnacher-Orgel in Landsberg bediente, war er u. E. schon ein Könner!
Reindls erster Einsatzort im Rahmen seines Magisteriums war das Jesuiten-Kolleg Konstanz, das zwischen dem Konstanzer Münster und dem Ufer des Bodensees in den Jahren zwischen 1604 und 1607 neu errichtet worden war. Kurz vor dem Eintreffen Reindls, im Jahr 1761, war die Kolleg-Kirche "St. Konrad" im Stil des Rokkoko (Kanzel, Altäre) renoviert worden.
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Links planerischer Entwurf des Jesuiten-Kollegs Konstanz, heute im Generallandesarchiv Karlsruhe (Inv. Nr. G, Baupläne Konstanz 20), rechts die heutige Darstellung aus der Vogelschau, in Google Earth. |
In Konstanz sehen wir Constantin Reindl im Schuljahr 1761/62 in den Funktionen "Prof. Inf. [Grammaticae], Ord. sup., Praef. Mus. et atr. sup." verzeichnet, d. h. ausgeschrieben "Professor Inferioris Grammaticae, Ordinis superioris, Praefectus Musicae et atrii superioris", oder deutsch "Professor für die Eingangsgrammatik oberer Ordnung, Musikpraefekt und Gangaufseher in 1. Stock", dazu als "Soc. Praef. Congr. Lat. Cat. T", d. h. ausgeschrieben "Socius Praefecti Congregationis Latinorum Categoriae T" oder deutsch "Beistand des Präfekten der Lateiner-Kongregation der Kategorie T" (was auch immer Letzteres bedeutete). Konkret wird es sich darum gehandelt haben, dass Reindl in diesem Schuljahr auch bei der Leitung der Lateinkurse aushalf, weil der zuständige Präfekt gerade krank, abwesend oder anderweitig überfordert war.
Hier scheint erstmals das Multitalent Reindl auf, der offenkundig in der Grammatik und in der lateinischen Sprache genauso beschlagen war wie in der Musik!
Es folgt der entsprechende Auszug des "Catalogus" im Original.
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Auszug aus dem Katalog der Personen und Dienste in der Oberdeutschen Provinz des Jesuitenordens, Schuljahrgang 1761/62, München 1762. |
Das nächste Schuljahr 1762/63 verbrachte Constantin Reindl am Jesuiten-Kolleg Dillingen. Er ist dort im "Catalogus" der Oberdeutschen Provinz der Jesuiten als "Prof. Inf. Grammaticae, Ord. sup., Praef. Mus. et atr. sup." verzeichnet, d. h. ausgeschrieben "Professor Inferioris Grammaticae, Ordinis superioris, Praefectus Musicae et atrii superioris", oder deutsch "Professor für untere Grammatik oberer Ordnung, Musikpraefekt und Gangaufseher in 1. Stock". Seine Konstanzer Funktion als Hilfslehrer in der Lateinischen Sprache war also entfallen.
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Links das Jesuiten-Kolleg Dillingen um 1750, kolorierter Stich von Gabriel Bodenehr, rechts der Südflügel des Jesuiten-Kollegs Dillingen im heutigen Aspekt. |
Im Kolleg Dillingen, das bezüglich der Musik auch anderen Ordensleuten offen stand, wurde seitens der Studenten mittags und abends eine Stunde lang gesungen und gespielt, und an Festtagen beim Offizium und in der Vesper das Erreichte dann öffentlich aufgeführt. [Jerger 25, P. Wagner, Universität und Musikwissenschaft 1921, zitierend]
Hier lag also Reindls musikalisches Aufgabenfeld; er wird sich bewährt haben. Über seine Tätigkeiten in Dillingen erfahren wir allerdings nichts Konkretes, da leider alle Quellen versiegen.
Die beiden folgenden Schuljahre 1763/64 und 1764/65 verbrachte Constantin Reindl erstmals in der Schweiz, im renommierten Jesuiten-Kolleg Luzern.
Luzern war damals eine geschichtsträchtige Stadt von ca. 3000 Einwohnern, äußerst malerisch an den Ufern des Vierwaldstätter Sees gelegen - gerade dort, wo der See in den Fluss Reuss auslief. Diese Lage gibt bereits folgender Stich des Matthäus Merian von 1642 wieder, wobei allerdings damals das Jesuiten-Kolleg noch nicht bestand.
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Ansicht der Stadt Luzern 1642, kolorierter Stich der "Topographia Helvetiae, Rhaetiae et Vaesiae" des Matthäus Merian, Frankfurt/Main 1654. |
Ob er sich Constantin Reindl selbst dorthin beworben hatte oder ob er von der Ordensleitung in Dillingen nach Luzern abdeligiert worden war, ist nicht bekannt.
Im "Catalogus" von 1764/65 ist Reindl in Luzern als "Prof. sup. gramm., Praef. mus." und als "Praef. ministr. et Bibl. Paup." bezeichnet, ausführlich als "Professor superioris grammaticae, Praefectus musicae" und als "Praefectus ministrantium et Bibliotheca pauperum". Diese Titel bedeuteten eine Aufwertung Constantin Reindls, auch im Sinn erhöhter Verantwortlichkeit. Er war nun nicht nur "Professor der gehobenen Gammatik" und "Musikpräfekt", sondern er leitete auch die Ministranten der Kirche "St. Xaver", deren Zahl damals sicher nicht gering war, und er stand obendrein der sogenannten "Bibliothek der Armen" vor. Der Begriff "Bibliotheca pauperum" ist dem mittelalterlichen Begriff "Biblia pauperum" entlehnt und angepasst, dem biblischen Freskenprogramm mittelalterlicher Landkirchen, das selbst Analphabeten möglich machte, den Inhalten des Alten und Neuen Testamentes per Bild und Priesterwort zu folgen. Vermutlich gab es in Luzern inzwischen etliche gedruckte Bücher, nicht mit wissenschaftlichen Inhalten, sondern mit vielen Abbildungen biblischer Szenen, mit denen nun den geistig und materiell Minderbemittelten von Luzern ein religöses Lehrprogramm angeboten wurde. Dass daraus im Lauf der Zeit eine Art von "Volksbibliothek" wurde, die es anderweitig in Luzern damals gar nicht gab, [Jerger 26] bleibt unbenommen.
Im Folgejahr 1765 ist dann Constantin Reindl auch noch als "Prof. hum.(anitatis)" vermerkt, das man vielleicht besser als "Professor im Fach Humanismus" versteht, denn als "Professor der Humanität".
Inwieweit Constantin Reindl diesen stark erweiterten Aufgabenspektrum nachkommen konnte, bleibt offen, aber vielleicht waren einige Titel auch ohne konkreten Inhalt, denn in den Diarien Luzerns ist er in den beiden Jahren ausschließlich als "Musicus" vermerkt. [Jerger 27]
Das Jesuiten-Kolleg von Luzern zeigt am besten folgende Abbildung aus der Vogelschau, dem Schumacher-Plan Luzerns von 1790entnommen. Eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Gebäudeteile folgt später. Von Interesse ist in diesem Plan aktuell nur das Gymnasium, in dem der Magister Constantin Reindl damals lehrte; es lag gegenüber des Kollegs, auf der anderen Seite der Straße, und ist im Plan gut sichtbar mit der Nummer 100 bezeichnet.
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Das Jesuiten-Kolleg in Luzern, Ausschnitt aus dem Schumacher-Plan von 1790. |
Als Constantin Reindl im Jesuiten-Kolleg von Luzern seinen ersten, zweijährigen Auslandsaufenthalt absolvierte, umfasste es ca. 25 Ordens-Mitglieder. Besonders wichtig für Reindl war, dass er hier, abgesehen von seinem Lehrauftrag, das erste Mal in seinem Leben auch mit einem höchst vitalen Luzerner "Schultheater" konfrontiert wurde, das bedeutendste in der ganzen Schweiz. Dies mag ihn besonders als Musiker inspiriert haben.
Musik hatte bei den Luzerner Jesuiten seit jeher einen besonders hohen Stellenwert und auch vor ihnen schon eine lange Tradition. Den breiteren Rahmen erklärt Jerger in seiner Dissertation ab S. 26ff., wir verzichten deshalb auf eine eigene Darstellung und ziehen nur das Resümee: Es ging sozusagen in Luzern - vielleicht mehr als an anderen Wirkstätten der Jesuiten - darum, dass genau so, wie das Auge der Irdischen durch die herrlich ausgeschmückte Kirchenbauten im positiven Sinn auf Gottes Herrlichkeit, Schönheit und Größe eingestimmt werden sollte, auch deren Ohr dieselbe Empfänglichkeit und Sensibilität bei den Tönen und Klängen entwickeln konnte. Bei der Gottes-Erfahrung wollte man also damals alle Sinne ansprechen! Als sich der Magister Constantin Reindl bemühte, in Luzern diesem hehren Anspruch besonders gerecht zu werden, war er jedoch nicht allein, sondern er bekam sofort Unterstützung durch zwei musikalisch versierte Patres des Kollegs, Pater Cronthaler und Pater Kiecher. Gemeinsam bemühten sich die drei um die musikalische Ausschmückung des Kollegs:
"Tres vero e nostris, Musici P. Cronthaler, P. Kiecher et M. Reindl, operam suam junxerunt in adornanda Musica [...]"
Drei aus unserer Reihe, Pater Cronthaler, Pater Kiecher und Magister Reindl, vereinten ihr Bemühen, der Musik [im Kolleg] den nötigen Schmuck zu geben [...]" [Diarium vom 29. Juli 1764, Jerger 31]
Das Luzerner Diarium erwähnte nämlich für den 2. September 1765:
"Hora 9. ad prandium accessere P. Rhetor [wohl verschrieben; eher "Rector", d. h. der Rektor des Kollegs], P. Mayr eius socius, et M. Reindl Musurgus. Circa horam 2dam exhibita fuit 1ma vice Tragoedia et finita circa mediam 6tam. In coena per modum hospitii fuere tractati P. Rhetor [alias
"Rector"], M. Mayer, eius adiutor et M. Reindl modulorum musicorum auctor et director [...]"
Um 9 Uhr [vormittags] stellten sich der Pater Rektor, Pater Mayer, sein Stellvertreter, und der Komponist, Magister Reindl, zum Essen ein. Ab ca. 2 Uhr [nachmittags] bis halb 6 Uhr [abends] wurde eine Art von [musikalischer] Tragödie zum ersten Mal aufgeführt. Danach erhielten der Pater Rektor, sein Stellvertreter M. Mayr und Magister Reindl, der Schöpfer und Dirigent der musikalischen Weisen, nach Art der Hospizküche eine Brotzeit [...]" [Jerger 31, Reindl hier unsinnigerweise als Komponist verneinend]
Constantin Reindl wurde hier nicht nur zum ersten Mal als "musurgus", d. h. als "Tonkünstler" oder "Komponist" und als "Urheber der musikalischen Weisen" bezeichnet, sondern es wird aus dem Kontext heraus auch klar, dass er als Komponist und Dirigent ein dreieinhalbstündiges tragisches Singspiel zur Aufführung gebracht hatte. Er war zu diesem Zeitpunkt gerade 27 Jahre alt - übrigens genauso alt wie sein Landsmann Christoph Willibald Gluck, der vor ihm als Autodidakt seine erste Oper "Artaserse" mit großen Erfolg 1741 in Mailand präsentiert hatte, sozusagen aus dem Nichts heraus!
Ergo: Der 27-jährige Constantin Reindl war schon 1765 ein veritabler Opern-Komponist, und die Premiere seines Musikdramas im September 1765 war seine Abschiedsvorstellung in Luzern!
Denn schon wenige Tage später, kurz nach dem 6. September 1765, reiste er in Begleitung des Rektors von Sitten und des Hochwürdigen Superiors der Schweizer Mission (als Teil der Oberdeutschen Provinz) von Luzern ab, zunächst nach Beromünster. Während der erstgenannte Pater von dort ins Wallis zurückkehrte, stellte der zweitgenannte tags darauf in Beromünster ein Empfehlungsschreiben für Reindl aus, mit dem dieser in Freiburg vorstellig werden konnte. Leider ist der Name seines Gönners nicht genannt:
"Post 6tam discessere P. P. Superior Sedunensis, R. P. Superior Missionis Helvetiae, omnes Beronam; inde primus rediturus in Vallesiam, alter cras Panegyristen acturus tertius abiturus ad Theologiam Friburgum Brisgow [...]"
Nach dem 6. September verließen Luzern der ehrwürdige Rektor von Sitten, dann der ehrwürdige Obere der Schweizer Mission und Magister Reindl [Luzern], alle mit dem Ziel Beromünster. Von dort wollte der erste ins Wallis zurückkehren, dort wollte der zweite am Folgetag eine Empfehlungsschreiben erstellen, mit dem der dritte nach Freiburg im Breisgau weiterreisen konnte, um sich in der dortigen Theologischen Fakultät vorzustellen [...]" [Diarium vom 28. September 1764, Jerger 34]
So treffen wir schon 5 Tage später den Magister Reindl 110 km Luftlinie weiter nördlich von Luzern an, eben in Freiburg im Breisgau, wo er sich als Student der Theologie ins Matrikelbuch der habsburgischen Universität "Albertina" einschrieb.
Reindls musikalisches Genie war also von den Schweizer Jesuiten in vollem Umfang erkannt worden, und man hatte ihm unverzüglich zum Studium der Theologie geraten, damit er so schnell wie möglich als Jesuiten-Pater und Komponist von Opern fest und auf Lebenszeit in den Schweizer Jesuiten-Orden eingebunden werden konnte.
Talent-Förderung ging also im 18. Jahrhundert in der Schweiz so!
Dabei befand sich damals der Jesuiten-Orden bereits in einer kritischen Lage, denn schon im Vorjahr war der Orden in Frankreich verboten worden, und 2 Jahre später wird auch Spanien mit einem landesweiten Verbot folgen!
Die Stadt Freiburg und ihre Universität "Albertina" - so benannt nach ihrem Gründer, Erzherzog Albrecht VI. von Österreich - gehörten zwischen 1368 und 1803 zu Vorderösterreich, d. h. zu den habsburgischen Vorlanden westlich von Tirol und Bayern.
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"Freiburg im Brisgöw“ - historische Ortsansicht von 1721, Radierung von Gabriel Bodenehr. Linker Pfeil: Universität "Albertina", mit der Universitätskirche "Maria Immaculata", die dem Jesuiten-Orden gehörte. Der mittlere Pfeil markiert den Rathausplatz mit der Franziskanerkirche "St. Martin", der rechte Pfeil das Freiburger Münster. |
Nach seiner praktischen Ausbildungsphase als Lehrer und seiner Rückkehr aus Luzern war Constantin Reindl nun an die Theologische Fakultät der Universität Freiburg gewechselt, um dort das Studium der Theologie zu absolvieren. Schon ab ca. 1500 war in Freiburg Theologie gelehrt worden, nach dem Konzil von Trient 1586 eingeteilt in die theologischen Fächer Exegese, Dogmatik, Moral- und Kontrovers-Theologie; später kamen als weitere Teilfächer Kirchengeschichte, Pastoral-Theologie und die biblischen Sprachen hinzu.
Ab 1620 waren es mit wenigen Ausnahmen die Jesuiten, die den Lehrkörper im Fachgebiet "Theologie" stellten.
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Das Jesuitenkolleg Freiburg aus der Vogelschau, aus Süden, kolorierter Stich von Gabriel Bodenehr, zwischen 1735 und 1765. Die Darstellung des Kollegs ist realitätsfern, der dargestellte Neubau des Südflügels wurde gar nicht verwirklicht. Blatt aus dem Archivum Monacense SJ. |
Nachdem die "Albertina", die Freiburger Universiät österreichischer Prägung, durch den "Holländischen Krieg" (1672-1678) und den nachfolgenden "Spanischen Erbfolgekrieg" (1702-1714) wiederholt in Bedrängnis geraten war und wegen französischer Besetzung Freiburgs, von 1686 bis 1698 und von 1713 bis 1715, nach Konstanz in den dortigen "Lanzenhof" hatte verlegt werden müssen, um nicht völlig zu erlöschen, gab es zu Reindls Zeit in Freiburg keine separaten universitären Räumlichkeiten mehr, und der Universitätsbetrieb wurde allein im Jesuiten-Kolleg aufrechterhalten - zumindest, was die Theologische Fakultät anbelangt. Dazu war dieses Kolleg bis 1750 renoviert und erweitert worden.
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Aufriss des erneuerten Jesuiten-Kollegs Freiburg nach dem Um- und Neubauten von 1702 und 1725-27. |
Während in dieser Zeit der Erholung ein Großteil der Freiburger Lehrstühle von Österreich aus laizistisch reformiert wurde und zeitweise sogar der Veranwortung der Jesuiten und dem Zugriff der habsburgischen Staatsmacht bis 1767 entzogen war, galt dies für die Theologische Fakultät nur bedingt. Im Fall Reindls ist allerdings auch ein Hauch von Freiheit zu spüren, wie gleich zu sehen sein wird. So oder so stellte die Theologische Fakulät ein festes Bollwerk des orthodoxen Katholizismus gegen den Protestantismus dar, im Gegensatz zu den umgebenden Universitäten in Basel, Heidelberg, Tübingen oder Strassburg.
Das war der Sachstand, als Constantin Reindl Mitte September oder Anfang Oktober 1765 in der Theologischen Fakultät in Freiburg das Studium der Theologie begann. Den folgenden Eintrag in das Matrikelbuch der Universität haben wir bereits eingangs bezüglich der Herkunft Reindls aus Franken zitiert und diskutiert, wir bilden ihn nun in der gesamten Länge ab:
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"1765 12mo Septembris: Dominus reverendus er religiosus [...] Constantinus Reindl S. J. Spaltensis Franco[niae] Dioecesis Eustad: Theologiae 1mi anni stud: - 12. September 1765: Der verehrte und fromme Herr Constantin Reindl SJ, aus Spalt in Franken und aus der Diözese Eichstätt, Student der Theologie im ersten Jahr." Auszug aus dem Matrikelbuch der Universität Freiburg im Breisgau, Bd. 4, Rektorat J. F. Kreyser 1765/66, fol. 381v. |
Im Ostflügel des Freiburger Kollegs, im sogenannten Konvikt (vgl. Abbildung oben), wohnte also ab dem September 1765 Constantin Reindl. Wo die universitären Veranstaltungen stattfanden, bleibt vorderhand unklar; als Hörsäle dienten vermutlich Räume des Kollegs und des Gymnasiums. Constantin Reindl musste also bei seinem Studium der Theologie entweder das Kolleg gar nicht verlassen oder nur die Straße überqueren!
Das Studium fand unter der Ägide des betagten Theologieprofessors Dr. Joseph Friedrich Kreyser statt, einst Pfarrer in Feldkirch und Dekan des Kapitels in Breisach, seit dem 31. Oktober 1750 (mit mehrfachen Unterbrechungen) Rektor der Universität Freiburg, pensioniert 1768, verstorben und im Freiburger Münster begraben 1774.
Dieser gelehrte, in der Theologie wie in den Heiligen Schriften bewanderte Mann war rigenartigerweise kein Jesuit, sondern er gehörte zum Weltpriestertum; er war über Konstanz nach Freiburg gekommen, ordiniert vom Konstanzer Fürstbischof (seit 1750) und Kardinal Franz Konrad Kasimir Ignaz von Rodt (1706-1775).
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Beginn des Studienjahrs 1765. Einführung aus dem Matrikelbuch der Universität Freiburg im Breisgau, Bd. 4, Rektorat J. F. Kreyser 1765/66, fol. 380r. Rechts der Konstanzer Fürstbischof von Rodt, Deckenfresko im Neuen Schloss Meersburg, von Joseph Ignaz Appiani (1706-1785). |
In den drei Jahren, in denen Constantin Reindl in Freiburg Theologie studierte, wechselte sein - wohlgemerkt nicht-jesuitischer - Hochschullehrer nicht, wie der soeben vorgestellte Auszug des Matrikelbuches belegt.
Im letzten Studienjahr ging Reindl allerdings in seine Heimatdiözese zurück, aus der er einst aufgebrochen war.
Das Constantin Reindl das 4. Jahr seiner Theologieausbildung in Ingolstadt verbracht hätte, wie von Jerger in den Raum bestellt [Jerger 34], wagen wir zu bezweifeln, denn dafür findet sich nicht der geringste Beleg. Dass Reindl später Kontakt mit Musiker-Kollegen hatte, die in Ingolstadt ihr Theologiestudium abgeschlossen hatten, P. Stanislaus Mayr, und P. Michael Woecker, tut in diesem Zusammenhang nichts zur Sache. Denn der Abschluss des Theologiestudiums widmete sich der Berufsvorbereitung, und die dazugehörige Pastoraltheologie wurde damals zwar in Zusammenarbeit mit der Ingolstädter Fakultät, aber nicht an deren Ort gelehrt, sondern im jesuitisch geführten "Collegium Willibaldinum" in der nahen Bischofsstadt Eichstätt. Dies geschah vor allem durch den Moral- und Pastoraltheologen Pater Augustin Kraus SJ, der im Auftrag des Bischofs Raymund Anton Graf von Strassoldo (* 1718, Bischof von Eichstätt 1757-1781), gerade im Jahr 1768 ein Lehrbuch für angehende Priester, die "Instructio pastoralis Eystettensis" veröffentlicht hatte, ein umfangreiches Werk von 570 Seiten. Dieses hatte wohl Constantin Reindl im "Willibaldinum" durchzustudieren, ehe er sich zur Priesterweihe anmelden konnte, die eben am besten in der Heimardiözese stattzufinden hatte.
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"St. Johannes Baptist" auf dem Domplatz, neben dem Chor des Eichstätter Doms, Fresko von Johann Michael Franz, Schloss Hirschberg, um 1765/66. |
Er kam also erstmals um den Ausbildungsort Eichstätt nicht herum.
In Eichstätt befand sich damals auf dem Domplatz, hinter dem Chor des Domes, eine kleine 3-schiffige Hallenkirche aus der Zeit um 1525, die dem Domkapitel gehörte und auf den Überresten eines romanischen Vorgängerbaus aufbaute, der im frühen Mittelalter als Pfarrkirche von Eichstätt gedient hatte. Obwohl diese Kirche "Johannes dem Täufer" geweiht war, war sie nicht das Baptisterium des Doms.
Nach der Zerstörung der Jesuiten-Kirche am Leonrod-Platz (beim Stadtbrand von 1634, verursacht durch die marodierenden Schweden) waren die Jesuiten von Eichstätt vorübergehend auf diesen Kirchenbau ausgewichen, bis 1661 ihre große Kirche am Kolleg als Renaissancebau von Format wieder hergestellt und ab 1717 sogar mit herrlichen Stuckdekorationen und Fresken zur "Schutzengelkirche" von heute aufgewertet worden war.
Doch nicht in der Eichstätter "Schutzengelkirche", auch nicht in einer anderen Kollegienkirche von Ingolstadt, wie Jerger irrig meinte - keine der dortigen Kirchen und Oratorien war Johannes dem Täufer geweiht -, sondern in jener viel kleineren, geradezu intimen und dennoch traditionsreichen Kirche "Johannes Baptista"t, eine spätgotische Kirche mit jesuitischer Tradition, wurde der frisch gebackene Theologe der "Societas Jesu", Constantin Reindl, am 20. Mai 1769 zum Priester geweiht.
Lage und Ausehen des damaligen Kirchenbaus zeigt das nebenstehende, fast zeitgleich entstandene Gemälde von Johann Michael Franz (1715-1793) aus dem Schloss Hirschberg.
Nach einer Mitteilung des Diözesanarchivars Franz-Xaver Buchner nahm der letzte Eichstätter Weihbischof Franz Heinrich Wendelin Freiherr von Kageneck (1704-1781) die Priesterweihe vor. [Jerger 35] Dieser Mann hatte zuvor schon bei der Weihe des oben genannten Konstanzer Bischofs von Rodt assistiert und 1758 sogar den amtierenden Bischof Strassoldo in Eichstätt persönlich geweiht. Der Freiherr von Kageneck war seitdem ein angesehener Mann, sozusagen die rechte Hand des Fürstbischofs.
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Die profanierte Kirche "St. Johann-Baptist" heute, als "Haus des Gastes" genutzt für Ausstellungen und Veranstaltungen. Auf den Missbrauch als Lagergalle nach der Profanierung 1807/08 deutet noch der Flaschenzug im Giebel hin. Die einstige Empore ist ausgebaut, die spätgotischen Gewölbe aus der Zeit um 1524 sind erhalten. Die Tür im Hintergrund des Chores, falls 1769 vorhanden, lag hinter dem Hauptaltar. Man kann sich also anhand dieser Aufnahme die einstige Priesterweihe Constantin Reindls gut vorstellen. |
Leider wissen wir nicht, wo Constantin Reindl anschließend seine Primizen feierte. Seine Seminar- oder Ordensprimiz wird er nach der Weihe entweder in der Kollegkirche von Ingolstadt oder wahrscheinlicher in der Schutzengelkirche von Eichstätt gefeiert haben.
Dem üblichen Brauch gemäß war allerdings die Heimatprimiz an einem der nachfolgenden Sonntage das wichtigere Ereignis. Diese Heimatprimiz sollte er zusammen mit seinem Onkel Georg Augustin Reindl als Konzelebranten in der Heimatpfarrei Spalt bzw. in der ehemaligen Kollegiale St. Emmeram in Spalt gefeiert haben - im Beisein der Eltern, die damals noch am Leben waren, der Geschwister und seiner Base, der Priorin von Marienburg (hier ist das Überleben ungewiss) sowie aller anderen Verwandten. Den Familienmitgliedern hätte auch Reindls Primizsegen gegolten, mit Handauflegung für jeden Anwesenden und dem Segenspruch: "Durch die Ausbreitung meiner Hände und durch die Anrufung der seligen Jungfrau Maria, des heiligen N.N. und aller Heiligen segne und behüte Dich der allmächtige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen."
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Die einstige Kollegiat- und heutige Stadtpfarrkirche St. Emmeram in Spalt, im Kern aus dem 12. Jahrhundert. |
Üblicherweise war damals wie heute der neu geweihte Priester der Hauptzelebrant der Messe, also Constantin Reindl selbst. Wer in der Pfarrei Spalt 1769 als weiterer Konzelebrant zur Verfügung stand, ist nur schwer auszumachen. Der Stadtpfarrer Josef Anton Baumeister war bei Hochzeiten nur selten anzutreffen, eher fungierten als Traupriester Säkularkanoniker des Vereinigten Kollegiatstifts St. Emmeram und Nikolaus, so ein "dominus Strauß", aber auch ein auswärtiger Pfarrer Johann Adam Seybold, obendrein ein "dominus Andreas Baader", Aushilfskooperator und "SS. Theologiae Baccalaureus".
Am wahrscheinlichsten war jedoch bei Reindls Primiz der "dominus Josephus Benedictus Zinsmeister" anwesend, denn dieser hatte wie Reindls Vater weltliches und kirchliches Recht studiert, er war außerdem in Personalunion Kooperator der Stadtpfarrei und Vikar am Kollegiatstift Spalt und - last not least - er gehörte zur angeheirateten Verwandtschaft der Reindls.
Eine Primiz war bis in die Jetztzeit hinein nichts anderes als die "Vermählung des Priesters" mit Christus und seiner Kirche, in diesem Fall oft symbolisiert durch eine "Primizbraut" oder "geistliche Braut", meistens ein weiß gekleidetes Mädchen, das bei der Prozession eine "Primizkrone" oder einen Kelch voraustrug. Trotz des Charakters der "Trauung" hat der entscheidende Konzelebrant im Trauungsbuch von Spalt diesen wichtigen Termin im religiösen Leben Constantin Reindls nicht vermerkt. In diesem Zusammenhang erinnern wir daran, dass genau dies 1740 bei Reindls Onkel Augustin und dessen Primiz in Burggriesbach der Fall gewesen war!
Falls es sich dennoch so zugetragen hat, wie angenommen, dann dürfte dies für den Priester Constantin Reindl der letzte Besuch in seiner Heimat, und der Abschied von Eltern und Verwandten endgültig gewesen sein!
Wilhelm Jerger verortete seinerzeit, nach Erhalt von Informationen aus dem "Archivum Romanum Societatis Jesu", [Jerger 35 Fussnote] Constantin Reindl ein zweites Mal in Freiburg im Breisgau. Reindl muss sich also, nachdem er die Diözese Eichstätt und seine Heimat Spalt für immer hinter sich gelassen hatte, gerade dorthin begeben haben, wo er zuvor 3 Jahre, von 1765 bis 1768, unter einen nichts-jesuitischen Lehrer die Grundlagen der Theologie studiert hatte, um nun einen ersten Lehrauftrag zu übernehmen. Dabei überrascht es nicht, wenn er im "Catalogus" der Oberdeutschen Provinz der Jesuiten im Kolleg Freiburg in 3 Funktionen verzeichnet ist: 1. als Lehrer der Grammatik, 2. als Lehrer im katholischen Katechismus und 3. als Beichtvater: "Prof. med. gramm., Cat.(echista) et Conf.(essarius) extr.(a) t.(emplum)", d. h. er hatte keinen eigenen Beichtstuhl. In den Katalogsaufzeichnungen erscheint er aber diesmal nicht als "Praef. mus.", d. h. als Präfekt der Musik.
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Auf diesem Stich des Freiburger Jesuiten-Kollegs, von C. J. Porta, aus der Zeit um 1727 (heute Universitätsarchiv Freiburg, PK 14) ist Reindls Wirkort, das Gymnasium der Jesuiten im damaligen Aussehen festgehalten. Heute steht an seiner Stelle ein nichtssagender Neubau. |
Lehrort dürfte vor allem das dem Kolleg gegenüberliegende "Gymnasium Academicum" gewesen sein, in dem es damals auch immer wieder Theater-Aufführungen gab, die Constantin Reindl interessiert und motiviert haben dürften. Ob er für Freiburg komponiert hat, ist leider nicht bekannt.
Auf Dauer scheint Constantin Reindl seine Lehrtätigkeit auf Probe in Freiburg nicht befriedigt zu haben, denn schon im Folgejahr sehen wir in der neu gegründeten Bayerischen Provinz des Ordens, immerhin über 300 Kilometer weiter östlich!
Das Kloster Ebersberg war schon im Jahr 934 n. Chr. im Bereich der ehemaligen Burg Ebersberg von zwei Semptgrafen gegründet worden - zunächst als Augustinerchorherrenstift. Von 1013 bis 1595 war es ein relativ wohlhabendes Benediktiner-Kloster. Nach Zerstörung durch Herzog Heinrich XVI. von Bayern (1393-1450) war das Kloster 1595 von Papst Clemens VIII. als monastische Struktur aufgehoben und als künftiges Kolleg dem Jesuiten-Orden übergeben worden. Im Jahr 1668 wurde die im Dreißigjährigen Krieg stark beschädigte Stiftskirche erneuert und eine zusätzliche Sebastianskapelle errichtet, die in Reliquienschränken u. a. die kostbare Silberbüste mit der Hirnschale des hl. Sebastian barg. In dieser Zeit besang der Jesuitenpater Jacob Balde in neulateinischen Oden die Schönheit der Gegend, besonders den Reiz des nahen Egglburger Sees.
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Die Jesuiten-Residenz Ebersberg, Kupferstich von Michael Wening um 1701. Der dreigeschossige Putzbau mit Satteldach war 1666 durch die Baumeister Michael Beer und Johann Moosprugger auf den Fundamenten des mittelalterlichen Benediktinerklosters errichtet worden. Die Bedeutung des Bauwerks wurde 1773 durch die Aufhebung des Jesuitenordens stark gemindert; 1781 vernichtete ein Großbrand die ehemalige "Residenz" und den Dachstuhl der Kirche. |
In der "Residenz Ebersberg" - so nannten die Jesuiten ihre kleineren Standorte - war Aufbauarbeit zu leisten, denn das dortige Kollegium war personell noch schwach ausgestattet. Nach dem "Catalogus personarum" aus dem Zentralarchiv der Jesuiten in Rom verbrachte Constantin Reindl hier sein 3. Probejahr - in welchem "Officium", ist leider nicht angegeben. [Jerger 35]
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Auszug aus dem Catalogus personarum [...] Societatis Jesu, die Residenz Ebersberg für 17170/71 betreffend. |
Wir selbst konnten Constantin Reindl darüber hinaus in Ebersberg nicht dingfest machen; insofern bleibt seine Tätigkeit hier völlig im Dunkeln. Wenigstens gibt uns die barocke Stifts- und Pfarrkirche St. Sebastian, ein wunderbar lichtes, dreischiffiges Bauwerk von Johann Georg Ettenhofer (1733/34), mit einer überlebensgroßen Schnitzfigur des Heiligen Sebastian am Hochaltar, eine Vorstellung davon, wo Constantin Reindl 1771 seine regelmäßigen Gottesdienste absolvierte und wo er vielleicht als Organist und Chorleiter auch nebenberuflich gestalterisch tätig war.
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Die Pfarrkirche St. Sebastian heute. |
Leider ist auf der Empore von St. Sebastian in Ebersberg der barocke Orgelprospekt nicht erhalten. Sehr groß dürfte das Instrument jedoch nicht gewesen sein, insfern war die Ebersberger Orgel nicht geeignet, Constantin Reindl spielerisch weiterzuentwickeln.
Ein Jahr 1771 in Ebersberg, dann war für Constantin Reindl auch diese Zeit vorbei - gottseidank, möchte man sagen, denn 1780 brannte die seit 1773 verlassene Jesuiten-Residenz Ebersberg nieder und ein völliger Neubeginn wurde fällig, ein Neubeginn, den Constantin Reindl als Lehrer vielleicht gar nicht hätte überstehen können.
Die beiden folgenden Jahre, 1772 und 1773, verbrachte der Jesuit Constantin Reindl wieder in Luzern. Dass man dort bereits auf ihn gewartet hatte, haben wir bereits begründet. Es dürfte aber neben der Anerkennung als Komponist, die Reindl schon 1765 dort erfahren hatte, auch die Schönheit, der Reichtum und die politische Unabhängigkeit dieser eidgenössischen Stadt gewesen sein, die in ihn seit seinem dortigen Aufenthalt im Rahmen des Magisteriums in den Bann geschlagen hatte.
In der Tat lag das große Luzerner Jesuiten-Kolleg an so exponierter Stelle an den Ufern des Flusses Reuss, dass man hier fast den Aspekt der Basilika "Santa Maria della Salute" am "Canale Grande" in Venedig erreichte. Hier schlug seit langem das kulturelle Herz von Luzern, und es nimmt nach dem, was wir in der Folge darüber erfahren, kein Wunder, wenn hier im Jahr 1838 neben der ehemaligen Jesuiten-Kirche das Stadttheater Luzern entstand, heute ein Mehrspartenhaus mit 481 Sitzplätzen, das größte staatlich subventionierte, professionelle Theater der Schweiz. Erreicht wurde damals und erreicht wird heute diese schöne Uferzone vis-à-vis der eigentlichen Stadt Luzern am besten in einem Fußmarsch über die malerische Kapellbrücke, die heute als der schönste Ort und das schönste Fotomotiv von Luzern gilt.
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Die mitterlalterliche, überdachte und ziegelgedeckteKapellbrücke führt über den Ausfluss des Vierwaldstätter Sees, den Fluss Reuss, mit dem Wasserturm an der Seite. Im Hintergrund am westlichen Ufer der Reuss erkennt man die ehemalige Jesuitenkirche von Luzern, davor in gewisser Distanz zur Kirche das Stadttheater Luzern, mit seiner klassizistischen Fassade (rechts vom Wasserturm). |
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Das Äußere der Luzerner Jesuiten-Kirche "St. Xaver"; das nur teilweise abgebildete Mettenwyl-Haus zur Rechten grenzt an das Dulliker-Haus und dieses an das ehemalige Luzerner Gymnasium der Jesuiten. |
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Die Luzerner Jesuiten-Kirche mit Kolleg und Ritter'schem Palast aus der Vogelschau, Originalzeichnung aus der Zeit um 1698, heute im Archiv des Jesuitenordens in Rom: Links die Kirche "St. Franz-Xaver", meist kurz "St. Xaver" genannt und 1677 eingeweiht. Hinten vom Chor der Kirche aus steht die sogenannte "Sakristei" etwas quer; das daran anschließende Ökonomiegebäude ist heute abgegangen. Im Vordergrund schließt westlich der Kolleg-Kirche der östliche Kolleg-Flügel von 1756 an, dann folgt der Ritter'sche Palast, einstige Schultheissen-Residenz von 1556, schon 1577 ins Kolleg integriert. Sein 3. Stockwerk enthielt einst die Bibliothek der Jesuiten. An den Ritter'schen Palast, der heute die Regierung des Kantons Luzern und den Kantonsrat beherbergt, schließt westlich der zweite Flügel des Jesuiten-Kollegs an, ein Neubau von 1695. Die Spitalkirche zur Rechten steht heute nicht mehr; sie wurde 1788 abgebrochen. Zentral lag einst der Kolleg-Garten der Jesuiten, heute zum Parkplatz der Regierung degeneriert. |
Der "Catalogus" der Jesuiten verzeichnet Constantin Reindl im Jahr 1772 als "Prof. rud.(imentorum)" (d. h. "Lehrer der Rudimente", in den "studia inferiora" der Jesuiten), sowie als "Praef. mus. conf. in Choro" (Musikpräfekt, Kantor und Chorleiter). Im Jahr 1772 wirkte er auch als "Con.(cionator) in Aula Gymn.", also als Studentenprediger in der Aula des Gymnasiums, das ähnlich wie in Freiburg oder Eichstätt als freistehendes Gebäude gegenüber des Jesuiten-Kollegs lag.
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Das zum Jesuiten-Kolleg gehörige Gymnasium von Luzern, vis-à-vis des Ritter'schen Palastes auf der anderen Seite der heutigen Bahnhofstraße gelegen, wurde schon weiter oben gezeigt, hier ist es nun in Rot herausgehoben. Der Bau enthält heute das Bildungs- und Kulturdepartement des Kantons Luzern. Der sogenannte "Marianische Saal" unter seinem Dach wird heute als Veranstaltungsraum genutzt, der Jesuiten-Brunnen vor dem Gymnasium besteht unverändert fort. |
Dieses Gebäude war also für den 34-jährigen Professor Constantin Reindl der Ort der Berufsausübung; gewohnt hat er gegenüber im Jesuiten-Kolleg, wie üblich.
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Links der schöne Jesuiten-Brunnen, mit Muschelbecken und Balusterfuß aus Granit. In der Mitte das Gymnasial-Gebäude im heutigen Zustand, die Dach-Laterne von einst ist inzwischen beseitigt. Rechts der unter dem roten Ziegeldach befindliche "Marianische Saal", mit seinen Mansard-Fenstern, seiner niedrigen Empore und seiner Stuckdecke. |
Zur feierlichen "ewigen Profess" als Jesuiten-Pater kam Constantin Reindl infolge der weltweiten Aufhebung des Jesuiten-Ordens im Jahr 1773 nicht mehr. Dies meldet eine handschriftliche Protokollnotiz, heute im Staatsarchiv Luzern [AJ/1773, Mappe Aufhebung], eine Quelle, die auch seinen wahren Geburtsort und sein eigentliches Geburtsdatum, den 29. Juni 1738, referiert:
P. R. P. Constantinus Antonius Ignatius Reindl de Jettenhofen Franco. Dioc. Eustattensis n.(atus) 29. Juni 1738, presbyter 1769 nondum professus, professor rudimentorum, confessarius de tempore presbyteratus, director chori."
"Der Priester und verehrte Pater Constantin Anton Ignaz Reindl, am 29. Juni 1738 geboren in Jettenhofen in Franken, in der Diözese Eichstätt, Priester seit 1769, noch ohne ewige Profess, Professor der Basiswissenschaft, auch Beichtvater seit der Zeit seines Presbyterats, und Chorregent." [Jerger 17]
Bemerkenswert an dieser Notiz ist:
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Satirischer Stich zur Aufhebung des Jesuitenordens, nach einem Gemälde von J. B. Bergmüller, Augsburg, nach 1773: Die Kaiserin Maria-Theresia vergießt Krokodilstränen, denn - obwohl erzkatholisch - war auch sie dem Orden gar nicht so hold gewesen! |
Wie befürchtet, hob Papst Clemens XIV. (* 1705, Papst 1769 - † 1774) am 21. Juli 1773, ca. ein Jahr vor seinem eigenen Tod, auf Drängen von konspirativen Kreisen der Kurie mit dem Breve "Dominus ac Redemptor" die "Societas Jesu" weltweit auf.
Gründe und Anlässe gab es genug. Sie waren nur zum kleineren Teil reell, zum größeren Teil vorgeschoben:
Im Jahr 1814, kurz nachdem Napoléon Bonaparte die Suprematie über Europa verloren hatte, wurde der Orden vom zuvor exilierten, heute selig gesprochenen Papst Pius VII. (* 1742 † 1823, Papst 1800-1823) wieder hergestellt und in seine alten Rechte eingesetzt. Die Bedeutung von früher erreichte der Orden damit allerdings nicht mehr.
Soweit zur Geschichte der Jesuiten.
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Links Papst Clemens XIV., der erklärte Feind, rechts Papst Pius VII, der freimütige Freund des Jesuiten-Ordens. |
Für Constantin Reindl kam die ersehnte Rehabilitation seines Ordens viel zu spät; er war 1799 bereits verstorben.
Fahren wir zunächst fort mit seiner Biografie. Dabei folgen wir am besten wortwörtlich Wilhelm Jergers Dissertation, die jedoch in einigen Punkten zu ergänzen ist:
"Obwohl die Ordensaufhebung durch das Breve 'Dominus ac Redemptor' des Papstes Clemens XIV. am 21. Juli 1773 verfügt wurde, nahmen die Formalitäten und die Abwicklung der Säkularisation, mit der in Luzern Dr. Jost Ludwig Hartmann, Chorherr zu St. Leodegar, als bischöflicher Kommissar betraut war, beträchtliche Zeit in Anspruch. Nach mehrerlei Absprachen und dem Erlass von gegenseitigen Durchführungsbestimmungen wurde schließlich am 17. Januar 1774 das Breve den Ordensangehörigen eröffnet. Gemäß einer Vereinbarung bzw. einer Festlegung durch die bischöfliche Aufhebungskommission vom 13. Dezember (unter ad 5 der Übereinkunft) verließen die 21 Priester und 6 Laienbrüder für 24 Stunden das Kollegium, um am nächsten Tag wieder zu Ablegung des Juraments als Weltgeistliche zurückzukehren. Während die meisten Ex-Jesuiten in der Folge Luzern verließen, verblieben daselbst nur die vormaligen Patres Franz Regis Krauer, Franz Josef Bielmann, Joseph Ignaz Zimmermann, Cornelius Bossard und Constantin Reindl. Sie wurden in Anstellungsverhältnisse übernommen. Das Kollegium war nun zu einem welt-geistlichen Staatsinstitut geworden und der Obrigkeit unterworfen. Diese übernahm u. a. auch die Vermögensverwaltung und Besoldung. Das 'Xaverianische' Haus wurde so ein Zwischending von geistlicher Vereinigung und staatlichem Professoren-Konvikt.
Das war der äußere Anlass dafür, dass sich u. a. das Triumvirat Krauer—Zimmermann—Reindl nunmehr zu einer ein Vierteljahrhundert währenden, äußerst fruchtbaren schöpferischen Tätigkeit zusammenschloss. Reindl konnte sich nun weit mehr als früher mit Komposition und Musikunterricht befassen. Die Heranbildung einer Reihe tüchtiger Musiker, die überwiegend als ambitionierte Liebhaber nicht nur praktisch, sondern auch schöpferisch hervorgetreten sind, trägt reiche Früchte. Maßgeblich sind diese Männer, ist dieser Schülerkreis, später bei der Gründung der Musik- und Theaterliebhabergesellschaft im Jahre 1806 beteiligt. Ihre Namen lauten: Konrad Guggenbühler, Franz Xaver Guggenbühler, Joseph Singer, Joseph Georg Weber, Peter Joseph Hegglin und Veit Fröhlich [...]" [Jerger 36f., mehrfach B. Fleischlin, Annalen Gymnasium Luzern, 1882-1886, zitierend.]
Professor Constantin Reindl war schon vor der Aufhebung seines Ordens in Luzern eine anerkannte Autorität; danach kam er notgedrungen seinem eigentichen Ziel immer näher: Er war nun nicht mehr ausschließlich Musikpräfekt des Kollegiums, er wurde der alleinige Komponist des deutschen Singspiels, einziger Protagonist des bürgerlichen Theaters, der Liebhaberbühne in Luzern und damit in der deutschen Schweiz.
Die ehemaligen Jesuiten-Pater Krauer und Zimmermann schrieben den Text von ca. 2 Dutzend Singspielen und erwiesen sich dabei als wirkliche "Dichter und Dramatiker von Rang", wobei sie langsam die Wende von französisch geprägten Klassizismus hin zum vaterländischen Schauspiel der Eidgenossenschaft vollzogen. [Jerger 39]
Für Constantin Reindl schufen die beiden Dichter einige Libretti, deren Namen sich im Staatsarchiv Luzern erhalten haben, auf einem handgeschriebenem Einzelblatt ohne Signatur, zusammen mit anderen Papieren in einer Mappe mit der Aufschrift "Geschäftsakten der Bürgerbibliothek Luzern, Faszikel Musikalien" (fol 1r.). Es folgt die betreffende Liste; de Orthografie wurde von uns dem modernen Sprachgebrauch etwas angepasst:
"Zu den nachfolgenden 8 Operetten haben den Text geliefert: Die Hochwürdigen Herren Professoren Zimermann und Franz Regis Krauer selig. — Musik vom Luzernischen Musikdirektor P. Reindl:
Mit der Annahme, dass dem Constantin Reindl bei dieser Explosion seiner schöpferischen Tätigkeit die Entlassung aus dem Jesuiten-Orden leicht gefallen wäre, hat es sich Jerger u. E. aber doch etwas zu leicht gemacht. Constantin Reindl hing wie viele andere sehr an diesem Orden, hatte er ihm doch seine ganze Ausbildung und seinen bisherigen Werdegang zuverdanken. Die Aufhebung des Ordens muss deshalb für ihn doch einen schmerzhaften Einschnitt bedeutet haben. Schutz und Fürsorge des Ordens im täglichen Leben empfielen nun komplett, für die Kost musste nun selbst gesorgt, für die Logis eine Miete gezahlt werden. Dazu brauchte es ein zusätzliches Einkommen und auch Rücklagen für schwierige Zeiten. Diese waren früher gar nicht notwendig gewesen, da der Jesuiten-Orden zuvor gar kein Privateigentum gekannt und seine Mitglieder zur persönlichen Besitzlosigkeit verpflichtet hatte. Sparen wiederum musste erst gelernt sein!
An ein Weggehen auf Dauer dachte Constantin Reindl jedoch nicht: Er war einer der wenigen Ex-Jesuiten, die in dieser schwierigen Umbruchszeit immer im Luzerner Jesuiten-Kolleg blieben, die im ehemaligen Jesuiten-Konvikt lebten und im ehemaligen Jesuiten-Gymnasium unterrichteten.
Es muss aber schwer genug für Reindl gewesen sein, jetzt mit seinem Können neben dem Schulunterricht ein ausreichendes Einkommen zu erzielen, zumal nicht nur viele - fast alle - Mitbrüder die Sozietät, sondern auch viele Schüler das Gymnasium und den Konvikt verlassen hatten. So verlegte er sich zunehmend auf das Komponieren. Dieser Umstand und die Personalnot im ehemaligen Jesuiten-Kolleg führte sogar zu einem kleinen Eklat, in den der Priester Constantin Reindl persönlich verwickelt war:
"P. Ignaz Aurelian zur Gilgen beanstandete indes in einer Bittschrift vom 20. April 1774 die Dispensierung Reindls vom geistlichen Dienst, die nach der Ordensaufhebung teilweise erfolgt sein muss. Zu dieser Zeit war im 'Xaverianischen Haus' bereits eine einschneidende Restriktion im geistlichen Aufgabenkreis eingetreten. 'Es mussten die Landmissionen eingeschränkt und schließlich aufgegeben werden. Nur mit Mühe konnten die vielen Gottesdienste, Andachten und Feste bei St. Xaver fortgeführt werden'. 1778 wurden ernste Klagen über Zwietracht und mangelhafte Hausordnung im Kollegium laut. Es wurde die Willkür in der Abhaltung der Gottesdienste, in der Erteilung von Schulferien seitens 'M.(einer) G. (nädigen) H.(erren)' gerügt. Kurzerhand verordnete man: 'Herr Chor-Regens Reindl wird nunmehro an den Sonntagen in der Kirchen des hl. Xaveri nachmittag um 1 Uhr die gewohnte Kinder- oder Christenlehr, wie auch in der hl. Fastenzeit die schon lang übliche Communion-Kathi [Katechese] halten, actum, den 16. Wintermonat 1778'. Reindl wurde also durch eine knappe und bündige Verfügung wieder im geistlichen Dienst beansprucht [...]" [Jerger 43f., Luzerner Archivmaterial zitierend]
Wer Reindl in dieser schweren und anstrengenden Zeit konkret vor Ort unterstützte und ihm zu einem zusätzlichen Ein- und Auskommen verhalf, wissen wir nicht, aber eines wissen wir genau: Er muss sich sehr bemüht haben, in der Schweiz und am Vierwaldstätter See zu bleiben!
Doch gerade dazu musste er anfangs Luzern eben doch verlassen, wenn auch nur vorübergehend. So ist Constantin Reindl in den Jahren von 1775 bis 1777 auch auswärts tätig!
Ca. 40 km nordwestlich von Luzern, am Schnittpunkt der Kantone Luzern, Bern und Aargau, stand auf fast neutralem Boden das Zisterzienser-Kloster St. Urban. Dieser altehrwürdige Konvent war bereits im 12. Jahrhundert als Sekundärfiliation der Zisterze Morimond gegründet worden. Auch in St. Urban hatte man schon schwierige Zeiten durchgemacht, aber im 17. und 18. Jahrhundert prosperierte das Kloster enorm. In den Jahren 1711 bis 1721 war ein kompletter barocker Neubau von Kirche und Konventgebäuden erfolgt - seitdem präsentieren sich die Klostergebäune wie folgt:
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Zisterzienserkloster St. Urban im Jahr 2005, aus der Fischaugenperspektive. Gemeinfreie Abbildung aus Wikipedia. |
In den Jahren 1761 bis 1721 hatten die Orgelbaumeister Joseph und Viktor Ferdinand Bossard in der Kirche auch eine neue Orgel eingebaut, mit originell über Kreuz stehenden kleinen Pfeifen. In den Jahren 1777 bis 1780 entstand zusätzlich eine Orangerie, ehe 1848 auch dieses Kloster komplett aufgelöst wurde. Erst 1873 hier zog in den verwaisten Gebäuden eine Psychiatrische Klinik des Kanton Luzern ein, die noch heute - nunmehr überwiegend in nahen Neubauten - existiert.
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Das herrliche Innere des barocken, lichtdurchströmten Kirchenbaus von St. Urban. Es handelt sich um eine Hallenkirche mit Doppelturm-Fassade, im Inneren mit gestuckten barocken Gewölben und seitlichen Emporen versehen, gegliedert durch wuchtige Doppel-Pilaster. Im Hintergrund erkennt man auf der unteren Abbildung auf der geschwungenen Empore die Bossard-Orgel mit ihren z. T. über Kreuz stehenden Pfeifen. Das schön und aufwändig geschnitzte Chorgestühl von St. Urban ist hier nicht zu erkennen. |
Hier in St. Urban fand also Constantin Reindl in den Schuljahren 1775/76 bis 1776/1777 eine Anstellung als Musiklehrer - ob in hauptamtlicher oder nebenamtlicher Funktion, wie Jerger meinte, wollen wir offen lassen.
"1775—77 ist Reindl an der Klosterschule von St. Urban tätig. Die Musiklehrerstelle an dieser Schule war jedoch nebenamtlich und zog ihn keinesfalls von Luzern ab. Den alten Ruhm dieser Anstalt erneuerte Abt Benedikt Pfyffer v. Altishofen (1768—1781), welcher der Schule ein 'adeliges Institut sowie eine pädagogische Bildungsanstalt für Volksschullehrer' anfügte. Die lateinische Schule oder das 'adelige Institut' war den Schulen von Mainz und Fulda nachgebildet. Der Unterricht beschränkte sich nicht auf die Unterweisung in den klassischen Sprachen, sondern dehnte sich auch auf moderne Sprachen und die freien Künste, Musik, Tanzen, Reiten, Fechten und Zeichnen aus. Die Konventualen wurden durch Reindl in der Musik, durch Lindorf von Augsburg im Orgelspiel unterrichtet. Unter den Komponisten von St. Urban ist besonders P. Johann Evangelist Schreiber von Arth (1716—1800) zu erwähnen, von dem mehrere Werke im Druck erschienen. Reindls bedeutendster Schüler daselbst war jedoch Pater Konrad Guggenbühler. Im 18. Jahrhundert wurden bei den Festen in St. Urban viele Singspiele aufgeführt. Die Texte wurden zum Teil gedruckt, während die Musik nur handschriftlich verbreitet wurde [...]" [Jerger 37, mehrfach Liebenau, Stiftsschule St. Urban, 1898, zitierend]
Welche weiteren Funktionen Constantin Reindl in St. Urban einnahm, entzieht sich unserer Kenntnis. Vielleicht spielte er neben der Erteilung des Musikunterrichts auch zeitweise die Bossard-Orgel.
Jerger führt in diesem Zusammenhang auch 4 von ihm in der Zentralbibliothek Luzern entdeckte Kompositionen von Singspielen aus St. Urban auf, doch keine trägt die Signatur von Reindl und alle fallen sie aus dem Zeitrahmen, sodass sie auch kaum von Reindl stammen können.
Zur damaligen Zeit stand das Singspiel in deutscher Sprache gerade in Luzern bereits in hoher Blüte - unter vielen anderen kulturellen Aktivitäten, die man vereinsmäßig bereits gebündelt hatte. Kaum aus St. Urban zurück, wurde Constantin 1776 in die Helvetische Concordia-Gesellschaft in Luzern aufgenommen und er wurde sofort zu deren Musikdirektor ernannt.
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Porträt von Franz Joseph Leonti Meyer von Schauensee in der Porträtgalerie der merkwürdigen Luzernerinnen und Luzerner, heute im Katalogsaal der ZHB Luzern, gemalt von Ildefons Troxler (1741-1810). |
Die Musik-Gesellschaft war am 16. Februar 1768 unter dem hochtrabenden Namen "Hoher Reichs-Ritter-Orden vom Goldenen Concordia-Stern" von Reindls Luzerner Komponisten-Kollegen Franz Joseph Leonti Meyer von Schauensee (1720-1789) gegründet worden, der wie Reindl eigentlich Priester war und von 1752 bis 1768 als Kantor und Organist an der Luzerner Hauptkirche "St. Leodegar am Hof" gewirkt und dort auch zahlreiche Kompositionen hinterlassen hatte.
Der untadelige Ruf der Concordia-Gesellschaft, die vor allem aus dem Druck der "Aufklärung" heraus entstanden war, breitete sich rasch aus; zwischen 1769 und 1781 wurde sie offiziell auch von den Kantonen Zug, Schwyz, Unterwalden und Uri anerkannt.
Aber schon im Jahr 1783, also noch zu Lebzeiten Reindls und Meyers von Schauensee, löste sich der Verein wieder auf. Damals hatte die an sich sehr konservative Schweiz eine mächtige Unruhe ergriffen, wenig später brach im benachbarten Frankreich nach einem Staatstreich die Französische Revolution aus.
Wenn man nun 1776 Constantin Reindl zurück nach Luzern und in die Gesellschaft seines Konkurrenten Mayer von Schauensee berief und ihn mit einem Ehrentitel für Luzern zu erhalten suchte, dann muss sein herausragendes Talent als Komponist längst erkannt und anerkannt gewesen sein - was die Schweizer Ordensleiter der Jesuiten ja bereits im Jahr 1765 so empfunden hatten!
Was war unter der Luzerner Concordia-Gesellschaft im Detail zu verstehen, und welche Aufgaben hatte darin ein "Musikdirektor" Constantin Reindl? [Link] Lesen wir dazu bei Jerger nach:
"'Anstelle der vom Aufklärungsgeist durchdrungenen Helvetischen Gesellschaft (Schinznacher Gesellschaft) aber erstarkte in den Orten nach dem Beitrittsverbot von 1769 eine Vereinigung katholischer Geistlicher, Staatsmänner und Gebildeter, die aus dem traditionellen innerschweizerischen Gemeinschaftsbewusstsein herauswuchs und diese zu stärken suchte: die Concordia-Gesellschaft.' [...] In diesem etwas fantastisch anmutenden und aufgeblähten Gebilde — es gab fast mehr Würden als Mitglieder — spielte die Musik eine große Rolle; innerhalb der 34 zu verteilenden Ämter fiel dem ernannten Musikdirektor eine wichtige Aufgabe zu. Der 33. Paragraph, welcher Aufgaben und Ämter des Musikdirektors (bzw. Vizemusikdirektors) umschreibt, lautet: 'Dieses Amt behaltet er 4 Jahre lang, nach welchen sodann ein neuer erwählt, oder aber, je nach Gestalt der Umstände, er wiederum kann bestätigt werden. Der Beamte soll die Anstalten zu den Musiken machen und alles anordnen, was für die Kirchen- und Tafelmusik erforderlich ist. Auch, was die Trägerlöhne der Instrumente und Musiks-Gerätschaften betragen, und sonst Unentbehrliches der Musik wegen muss ausgelegt werden, und falls etwas weniger Kosten gibt, soll er es dem gegenwärtigen Ober- oder Unter-Zahlmeister eingeben, damit der Betrag derselben auf die gegenwärtigen Personen könne ausgeteilt, und ehe alles auseinandergeht, zeitlich gesammelt werden. Er wolle stets bedacht sein, zierliche und angenehme Musiken auszuführen, und mit guten Musikanten diese zu unterhalten. Sollte es ihm unmöglich fallen, bei dem einen oder anderen Kongress persönlich zu erscheinen, so wird er den Vize-Musikdirektor bestellen, dass er ihn ersetze und
sein Amt versehe.' [...]
'Musik-Konzerte, oder oftmals ein Sing- oder anderes kurzweiliges Spiel', gehörten zu den Veranstaltungen der Gesellschaft. Der Gesellschaft scheinen nach dieser Richtung hin ausreichende Mittel zur Verfügung gestanden zu haben, denn 'die zur Unterhaltung der Gesellschafts-Orchester gedungenen fremden Musikanten werden von der gesamten Gesellschaft defrayirt [finanziert], und sollen, als Gesellschafts-Angehörige zur Kongress-Tafel, gleich den Mitgliedern, zugelassen werden. Hat die Gesellschaft aber zur Besetzung der Orchester unter sich selbst die nötigen und erforderlichen Musikanten, wird man sich der fremden enthalten, bis man ihrer wiederum bedarf.'
Anlässlich der Versammlung von 1777 zu Bürglen in Uri sind 'die von dem herzoglich-uralten Stifts Luzern Kapitularherrn Meyer verfertigte vor- und nachmittägige Musiken von 22 auserlesenen Musikanten, auf 3 Orgel-Chören der Kirche, aufgeführt worden.'
Wiewohl es sich bei dieser Musikdirektorenstelle um eine Episode im Leben Reindls handelt, so verdient sie doch, registriert zu werden, denn Reindls schöpferische Tätigkeit dürfte daraus zusätzliche Impulse empfangen haben. In Luzern bestand auch ein Musik-Kollegium, gegründet 1760 von Meyer von Schauensee, mit dem Reindl möglicherweise musizierte. Es fehlte somit nicht an mehrfachen Gelegenheiten zur praktischen Musikausübung [...]" [Jerger 41ff., anfangs eine unbekannte Quelle, danach mehrfach die Satzung der Concordia zitierend, Orthografie von uns gering angepasst]
Resümee:
"Reindls Tätigkeit war eine umfassende und auch anstrengende, da seine amtliche Stellung als Professor am Gymnasium und als Musikdirektor niemals unterbrochen wurde. Die Obliegenheiten eines Musikdirektors in der Concordia-Gesellschaft beanspruchten ihn allerdings nur während der Kongresse, die einmal oder zweimal im Jahr außerhalb Luzerns stattfanden. [...]" [Jerger 43f.]
Soweit zu Constantin Reindls Mitgliedschaft in der "Helvetischen Concordia-Gesellschaft" in Luzern.
Allen persönlichen Hindernissen und allen Routineaufgaben des Lehrers in diesen schweren Jahren zum Trotz:
Reindl hatte aus der Not heraus, genügend Ein- und Auskommen zu erzielen, und nun befreit von den Zwängen jesuitischer Ordnung, sein eigentliches, bis dato mehr oder weniger vernachlässigtes Ziel erreicht - die Komposition von Singspielen zur Unterhaltung der Bevölkerung - erstmalig in deutsch-schweizerischer Sprache.
Diese Werke wurden hier von den deutschsprachigen Schweizern Luzern ganz bewusst "Singspiel" genannt, um ihre Eigenständigkeit gegenüber den Heimatländern der Oper, Italien und Frankreich, zu betonen. Manchmal beschäftigten sich diese Singspiele mit ernsthaften, viel öfter aber mit heiteren und unterhaltsamen Inhalten, dabei immer in einem volksnahen Genre: Die Italiener hätten von "Opera buffa", die Franzosen von "Opéra comique" gesprochen. Gleichwohl waren es keine unmoralischen Werke, sondern atmeten speziell bei Constantin Reindl den Geist des Katholizismus als die beste aller Lebenformen. Dies wagen wir allein aufgrund seines Werdegangs zu behaupten, selbst wenn wir den Inhalt der einzelnen Libretti nicht kennen.
Dass aber bei dieser fleißigen Kompositionsarbeit bei Constantin Reindl die Seelsorge und der Messdienst zu kurz kamen, liegt auf der Hand. Das rügte schon im Jahr 1774 sein ehemaliger Mitbruder, Pater Aurelian Anton Ignaz zur Gilgen. Der damalige Vorwurf wog sicherlich schwer, und Reindl wird sich hinterher bemüht haben, seinen Priesterpflichten sorgfältig nachzukommen. Denn sein Kollege stammte aus alt-eingesessenem Luzerner Patriziergeschlecht und hatte einen guten Ruf. Die Luzerner Patrizier-Familie zur Gilgen hatten schon mehrere hochstehende Geistliche in verschiedenen Generationen hervorgebracht, u. a. einen Abt Joseph zur Gilgen von St. Urban (1656-1706) und einen Fürstabt Bonifatius zur Gilgen in Pfäfers (1707), seinen Bruder. [Artikel "zur Gilgen, Josef", in: Biographia Cisterciensis, Version 22.12.2018]
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Auszug aus dem Helvetischen Kalender des Jahres 1798 (Deckblatt links und Ausschnitt rechts oben), sowie des Jahres 1795 (Ausschnitt rechts unten). |
Seinen Schulunterricht am Luzerner Gymnasium absolvierte Reindl von vornherein pflichtgemäß , obwohl er seit dem Jahr 1782 doppelt belastet war, da er neben der reinen Musiklehre und der Chor- und Theaterarbeit auch noch deutsche Grammatik lehren musste. Notgedrungen hatte Constantin Reindl in diesem Jahr einen Posten des Grammatikers übernehmen müssen, den bis dahin der "Prof. Gramat. Franz Buolmann" bekleidet hatte, was ihm aber wenigstens ein Zubrot verschaffte. So berichtete die "Schweizerische Monats-Chronik vom Hornung 1782".
Als "Instruktor musicae" war Reindl am Luzerner Gymnasium über viele Jahre und bis zuletzt tätig, auch noch in den Jahren 1795 bis 1798, wie der "Helvetischen Kalender von 1795" und 1798 jeweils berichtete.
Da Constantin Reindl in den letzten Jahren nur noch Musikunterricht gab, aber keine Grammatik mehr lehrte, nehmen wir an, dass 1797/98 sein letztes Dienstjahr war - ehe er Ende 1798, im Alter von 60 Jahren, in den Ruhestand versetzt wurde. Dies geschah vielleicht von offizieller Seite, vielleicht aber zwangen ihn die äußeren Lebensumstzände dazu. Denn in der "Chlistadt", d. h. der Kleinstadt von Luzern, in der Reindl lebte, waren schlimme Zeiten angebrochen. Dazu mehr am Ende dieser Arbeit.
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Christoph Willibald Gluck 1775. Gemälde von Joseph Siffred Duplessis. |
In Zusammenhang mit seiner kompositorischen Arbeit am neuen Oper-Genre "Singspiel" wollen wir nicht vergessen, dass genau zur selben Zeit ein berühmter Landsmann Reindls, der wie er selbst im Eichstättischen Sulzgau geboren war, erst in Paris und später in Wien ebenfalls die Idee entwickelte, nach vielen Opern italienischen und französischen Stils, die ihm ein riesiges europaweites Ansehen und auch sehr viel Geld eingebracht hatten, endlich für den deutschen Sprachraum Singspiele in deutscher Sprache zu entwickeln und die Musik dafür zu komponieren. Konkret plante dieser Komponist zur entsprechenden Zeit, ein Bardiet (altgermanischer Heldengesang) des norddeutschen Literaturstars Gottlieb Friedrich Klopstock (1734-1803) zu vertonen, das den Namen "Die Hermanns Schlacht" trug. Leider ließ ein Schlaganfall 1781 alle Pläne in dieser Hinsicht scheitern.
Der Name dieses berühmten Landsmannes von Reindl ist Christoph Willibald Gluck (1714-1787), nur ca. 4,5 km von Reindls Geburtsort Jettenhofen entfernt im kurbayerischen Dorf Weidenwang geboren. Wer mehr dazu wissen will, sei auf unsere Vortragsfolien zum Thema verwiesen: [Link]
Was aber Constantin Reindl anbelangt, der offensichtlich vom selben Nationalstolz wie Gluck ergriffen war, so sind ab dem Jahr 1779 zahlreiche Aufführungen von Opern und Operetten Reindls nachweisbar, also von Werken, bei denen er nun expressis verbis als Komponist des Bühnenwerkes genannt wird. Einen Teil davon haben wir schon zuvor vorgestellt. Leider ist bei all diesen Werken kein Datum oder Zeitraum der Kompositionsarbeit erhalten, sodass man bezüglich der chronologischen Reihenfolge etwas im Dunklen tappt oder auf Sekundärquellen angewiesen ist, um wenigstens den Termin der Uraufführung festzulegen. Wer in diesem Zusammenhang ausführlichere Informationen wünscht, sei auf Jergers Dissertation ab S. 45 verwiesen, und auf seine beiden Folgeschriften von 1954/55, deren Resultate wir im Folgenden nur summarisch zusammenfassen.
Doch bevor wir diese Zusemmenstellung der Werke Constantin Reindls vorlegen, wenden wir uns zuerst dem damaligen Aufführungsort der neuen "Singspiele" zu:
An den Chor der Luzerner Kirche "St. Franz-Xaver" schloss in Richtung Südwesten ein langgestreckter zweigeschossiger Bau an, der das Jesuiten-Kolleg nach Südosten begrenzte. Sein Untergeschoß enthielt die prächtige, reich mit Paramenten und Meßgeschirr ausgestattete Sakristei, kein kleiner Nebenraum wie bei mancher Landkirche, sondern schon eher ein prunkvoller Fürstensaal; so wurde alsbald der ganze Bau schlicht "Sakristei" genannt. Jeder in Luzern wusste, worum es sich bei diesem Gebäude handelte.
Der erste Stock und das Dachgeschoss der Sakristei waren jedoch einem großen Saal vorbehalten, der nicht durch Zwischenwände unterteilt war wie das gewölbte Erdgeschoss, und wahrscheinlich eine große Stuckdecke enthielt, ähnlich dem "Marianischen Saal" im Gymnasium (vgl. Bild oben). Diesen großen Saal hatte man im 18. Jahrhundert zu einem Theater umgestaltet, das insgesamt 500 Zuschauern Platz bot, also sogar mehr Besucher fasste als z. B. das Stadttheater Luzern, der erst im 19. Jahrhundert ganz in der Nähe entstand - in Ersatz dieses Saales.
Dieser erste große Theatersaal Luzerns diente von 1740 bis 1773 als reines Jesuiten-Theater; doch nach Aufhebung des Ordens, also genau zur Zeit, in der nun Constantin Reindl für diesen Aufführungsort umfänglicher komponierte, wurde es zum "Obrigkeitlichen Comoedienhaus ob der Sakristei" umfirmiert.
Da das städtische Publikum diesen Saal weder durch die Kirche noch durch die geweihte Sakristei betreten durfte, fügte man von der öffentlichen Seite her ein mehrstöckiges Treppenhaus an, und noch später, als der Jesuiten-Komplex längst privatisiert und durch eine Mauer abgegrenzt war, auch noch ein weiteres Treppenhaus und einen Übergang aus Holz. Eine innere Verbindung zu den geweihten Gebäudeteilen (Sakristei der Kirche) bestand zu diesem Zeitpunkt nicht mehr; die Türen waren zugemauert.
Genau diese Situation gibt der Luzerner Stadtplan von Franz-Xaver Schumacher (1755-1808) wieder, aus den Jahren 1790-1792:
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Das ehemalige Jesuiten-Kolleg Luzern in Großabbildung, die "Sakristei" mit den steinernen und hölzernen Zugängen zum "Comoedienhaus ob der Sakristei" - über die Mauer des Komplexes hinweg - sind genau zu erkennen. Selbstredend entstand durch die hölzernen Bauten eine gewisse Brandgefahr. |
Im Jahr 1834 musste dieser 100 Jahre alte, allseits beliebte Theatersaal mit seinem komplizierten Zugang geschlossen werden, vornehmlich wegen der Gefahr der Brandstiftung, in Wirklichkeit aber, um dem zwischen 1835 und 1839 vom Architekten Louis Pfyffer von Wyher (1783-1845) erbauten Stadttheater Luzern (parallel zur Kirche) nicht die künftige Kundschaft wegzunehmen.
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Historische Fotografien - die rechte mit der barocken Sakristei entstand vor, die linke mit dem Anbau entstand nach dem Zweiten Weltkrieg - zeigen noch die ehemalige Situation. Das spätklassizistische Hochgeschoß, das nun sogar in die Oberfenster der Kirche einstrahlte, entstand erst später (zu unbekanntem Zeitpunkt). |
Dieser Theaterort war bei den Luzerner vielleicht auch deshalb so beliebt, weil er damals vom Zugang des Treppenhauses aus den unverbauten Blick auf den Vierwaldstädter See und die dahinterliegenden Alpen freigab.
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Die Lage der Sakristei mit dem "Obrigkeitlichen Comoedienhaus ob der Sakristei" im Stadtplan Luzern von 1837. |
Den "genius loci" im Grünen zeigt auch diese moderne Rekonstruktion der Stadt um 1790. Wir hoffen, dass Luzerner Künstler Silvan Baer mit der Veröffentlichung eines Ausschnitts seines Werkes an dieser Stelle einverstanden ist, zumal er doch Werbung für den Kauf seiner Gesamtwerkes macht: [Link]
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Die 4000-Einwohner-Stadt Luzern um 1790, Ausschnitt. © Silvan Baer, Luzern. Nebenbei: Heute sind es 80000 Einwohner in Luzern, und nichts von der Schönheit der umgebenden Landschaft ist von der Innenstadt aus noch zu sehen. |
Überwiegend hier, an diesem begnadetem Ort, wurden nun innerhalb von 21 Jahren die Singspiele des Constantin Reindl nach und nach zur Aufführung gebracht, mindestens 9 an der Zahl, vermutlich aber noch viel mehr. Die Kompositionen der anderen Luzerner Komponisten, vor allem Meyers von Schauensee (1720-1789) und des Sinfonikers Joseph Xaverius Dominik Stalder (1725-1765), standen dem komplexen Musiktheater Reindl'scher Prägung, das bei der Komposition weitaus mehr als nur das reine "Tonsetzen" erforderte, weit zurück.
Mit Fug und Recht kann man deshalb Constantin Reindl, "den Meister leichten Buffostiles" nach A. Geering, als den eigentlichen Schöpfer des deutschsprachigen Singspiels in der Schweiz bezeichnen!
Daneben komponierte der Oberpfälzer in Schweizer Diensten aber auch zahlreiche Werke für den geistlichen Gebrauch, Motetten, Oratorien, Messen, daneben auch weltliche Lieder, Kantaten und Sinfonien. Ein Großteil dieser Werke, darunter einige weitere Opern, gelten heute als verschollen.
Es folgen die Luzerner Bühnenwerke zu Lebzeiten Constantin Reindls, laut Jerger 1954, z. T. von uns ergänzt:
Eine von Jerger nicht erfasste "Missa Pastorella" - Hirtenmesse für Chor, Orchester und Orgel - stammt aus Hohenlohe, Zentralarchiv Neuenstein, Archiv Bartenstein Ba 120. Diese Messe wurde einst auf Schloss Bartenstein/BW aufgeführt; wie und wann sie aus der Schweiz dorthin gelangte, ist uns nicht bekannt. Die Partitur können wir hier im Original vorstellen:
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Missa Pastorella, Archiv Bartenstein Ba 120, Deckblatt und 1. Seite. Durch Klick auf das Bild kommt man zur kompletten Partitur.
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Nach diesem Einschub setzen wir Jergers Werkliste fort:
Eventuell wurden inzwischen noch weitere Werke Constantin Reindls von anderen Forschern aufgefunden, die hier unberücksichtigt sind.
Wir beenden diesen musikalischen Teil mit einem Autografen Constantin Reindls aus der Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, der demonstriert, wie virtous und kunstreich Constantin Reindl eine seiner Sinfonien entwarf:
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Constantin Reindl: Sinfonie à la grande
orchestre, 18. Jh. AML III-12. Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Sondersammlung.
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Constantin Reindls Lebensweg ist ausreichend nachzuvollziehen, sein privater Lebensstiel, sein Innenleben, all die Hoffnungen, Wünsche, Ängste, Freunden und Leiden, die ihn auf diesem Lebensweg begleiteten, dagegen so gut wie gar nicht. Trotz all der beschriebenen Etappen bleibt Constantin Reindls Persönlichkeit bis zum Schluss fast in der völligen Anonymität.
So geben wir wenigstens einigen Stimmen von Zeitgenossen Raum, die sich über Reindl äußerten. Wiedergegeben sind sie alle in der Dissertation von W. Jerger, ab S. 51. Die Ortografie haben wir dem heutigen Sprachgebrauch leicht angepasst, ohne Prosodie und Inhalt zu stören.
Den Anfang macht jedoch das einzige authentische Schreiben aus der Feder Constantin Reindls, das sich in der Schweiz erhalten hat:
Im Jahr 1780 war die 4-jährige Amtsdauer Reindls als Musikdirektor der Concordia-Gesellschaft abgelaufen, und diese bereits in erster Auflösung begriffen. Da ergriff Reindl von sich aus die Initiative zu etwas Neuem. Er rief zu Konzerten auf, die zur ständigen wöchentlichen Einrichtung in Luzern werden sollten. Die Ankündigung [Chronicon Lucernense 1769-1798, M 64, fol. 141, Bürgerbibliothe Luzern] hatte folgenden Wortlaut:
Die Liebe zum Schönen und Guten, die zu Luzern die Väter des Volkes beseelt und von da in jeden Bürger überströmt, hat auch eine Anzahl musikalischer Freunde zur Beförderung dieser, mit allen edlen gefühlvollen Seelen so genau verwandten Kunst, zur gemeinschaftlichen Absicht vereinigt, fünf Monate hindurch wöchentlich freitags, oder, nach einer hochadeligen Zunft näherem Befehle, an einem anderen Hochdenenselben beliebigen Tage ein Konzert zu geben.
Da gewiss kein empfindungsvolles Herz ohne Liebe, ohne Geschmack, ohne Hang zur Musik in dieser Welt existieren kann, und alle Zeiten und alle Weisen aller Zeiten, so wie unser gegenwärtiges Zeitalter und diese liebe Stadt die Erhöhung der Empfindung, d. h. jedes edle natürliche Gefühl für Wahrheit, Güte des Verstandes und Herzens, Tugend, Menschlichkeit und Religion zum Hauptzweck gemacht —, die Musik aber auf unser Herz einen unwiderstehlichen Eindruck hat, jede Empfindung belebt, jedes Gefühl erhöht, und jede edle Leidenschaft der Seele aufweckt, stärkt und beflügelt; so muss dieser Vorschlag willkommen sein.
Die Liebe zu derselben ist in unserer lieben Stadt in der schönsten Blüte, und der Geschmack dafür der gründliche, und fast möchte der Schreiber dies behaupten, der beste; französische Tändeleien und Murks, italienische Klagelieder und Opernarien sind dem gesetzten Schweizer noch gleich unerträglich. Seine freie wahre Seele beherrscht seine Sinne, und daher ist ihm nur Wahrheit, die mit seiner Seele harmoniert, willkommen. Und diese schätzt er, er liebt den Mann, der sich über das Alltägliche schwingt, von Wahrheit zu Wahrheit bis zu den dunkeln Empfindungen der Entzückung steigt, staunend dasteht und nun fragt, ob man folgen kann. Dies ist Luzerner Geschmack. Nicht aufgeblasen durch Zeitungsschreiber und Journalisten, und nicht gepredigt durch posaunende Reisende.
Öffentlich hält den sich seines Wertes bewussten Luzerner Bescheidenheit zurück. Reisende lernen unsere vortrefflichen Privathäuser nicht kennen. Zeitungsschreiber und Journalisten - dank unseres guten Genius - haben unsere Ehre und unsere Fehler, denn beides wandelt bei ihnen mit gleichem Schritt, entferntem Menschen noch nicht zugetragen.
Verborgen in dem einsamen Zimmer, weint mancher vortreffliche Jüngling und manches edle und fühlende Mädchen in himmlischen Harmonien, und die Träne der Empfindung fließt unbemerkt und ohne Dank. Ihr Herz, das der Wahrheit fühlender Gedichte folgt, sich zu edlen Taten ermuntert und bald in wonnetrunkenen Augenblicken in Anbetung hinsinkt, bald statt tiefer Schwermut sich Heiterkeit und Rührung ins Herz spielt, genießt allein, und unmitteilend hängt die Fantasie an süßen Schwärmereien, die so viele andere entzücken würden.
Mancher Vater des Vaterlandes, nach der Last drückender Geschäfte, wünscht Erholung, Stärke neuer Kräfte, eine andere Stimmung seiner Seele, die ihn von dem Wust der Akten zu dem würdigen Genuss der Freuden dieses Lebens führen. Müde von der Sorge, von der Arbeit des belasteten Tages wünscht er sich Aufheiterung, er, der für das Wohl seiner Gattin, seiner Kinder, für das Wohl und Beste des Landes gearbeitet, sehnt er sich mit der zärtlichen Gattin, mit liebenden Kindern nach aufheiternden freudenreichen Augenblicken.
Hier bietet man Ihnen ein Vergnügen, eine Erholung an, die Ihren Dank verdienen, Ihre Liebe uns zuwenden, und Ihre Beförderung uns erwerben wird. Hören Sie unsere Vorschläge:
Eine ansehnliche Anzahl Liebhaber der Musik haben sich zm Konzertieren vereinigt, diese erbieten sich alle Freitage, oder auf näheren Befehl an einem anderen Tage, abends um 6 Uhr ein Konzert in zwei Absätzen zu geben, die vorzüglichsten Musikalien der größten Meister Deutschlands, Frankreichs und Italiens herbeizuschaffen, und beständig mit Neuigkeiten aufzuwarten und abzuwechseln.
Sie werden Virtuosen, großen Meistern und Kennern der Musik, die hier durchreisen sollten, ihre willfährige Hand bieten, sich öffentlich hören zu lassen, und die Gelegenheit erleichtern, dass die Hochadeligen Herren und Damen von Luzern Virtuosen hören, bewundern und sich danach bilden werden können.
Sie werden einen Flügel oder ein Forte-Piano herbeischaffen, damit Liebhaber und Liebhaberinnen dieses herrlichen Instruments, derer unsere Stadt doch viele und vortreffliche zählt, obgleich deren Bescheidenheit es nicht erlaubt, sie öffentlich zu nennen, Konzerts auflegen und sich öffentlich produzieren können; die Bewunderung, der Beifall der Zuhörer wird ihnen eine kleine Belohnung für Vollkommenheiten sein, die so in der Stille aufkeimten, blühten und reiften. Eltern werden da öffentlichen Dank ernten in dem Zuruf frohlockender Freunde, und vollkommene Mannspersonen und Frauenzimmer die Freude des mitempfindenden Zuhörers.
Zu diesen wichtigen Bewegungsgründen kommt noch der Ruhm, die Ehre dieser Stadt. Die Bescheidenheit, die zurückstehende Schüchternheit Luzerns hat ihren nachbarlichen Städten schon zu viel aufgeopfert.
In diesem Fall soll es nicht so sein. Uns soll nicht das vorgegangene Beispiel unserer Nachbarn, nicht die Aufmunterung großer Städte, nein, der Ruf unseres Herzens, die lockende Stimme unserer Empfindungen soll uns treiben, jeder Freund der schönen Künste und Wissenschaften, jeden Liebhaber der Musik mit der größten Stärke der Unwiderstehlichkeit zur Beförderung der Vereinigung hinreißen. Hierzu gehören aber einige nähere Bestimmungen, die weder Habsucht noch andere unedle Quellen zum Grund haben. Die Herbeischaffung der Musikalien, die Beleuchtung des Saales, die Bedienung in Ansehung der Instrumente, andere unvorhergesehene Unkosten und Aufwand nötigen die Gesellschaft, eine kleine Einlage zu erbitten, die vorausgezahlt wird, und zwar für versprochene fünf Monate nur 20 Batzen. Soweit das.
Die Konzerte, Sinfonien, Singstücke etc. werden jedesmal dem Hochadeligen Pränumeranten angezeigt und mitgeteilt werden.
Der Anfang ist im Monat Jenner, künftigen Jahres. Möchten doch die Väter des Vaterlandes und eine gesamte Hochadelige Zunft diese geringen Bemühungen für Hochdero Vergnügen und für die edle Kunst mit Ihrem Beifall beehren, mit Nachdruck befördern und unterstützen, und dadurch Ihren Söhnen, Ihren Kindern zeigen, wie Ihre Gnade, Ihre Liebe das jederzeit mit Freude ergreift, was Hochdieselben von der Ehrfurcht und Achtung aller derer überzeugt, die so glücklich sind, unter Ihrem Schutz zu leben.
Luzern, den 24sten Christmonats 1780.
Reindls Adlatus Vitus Fröhlich war damals 23 Jahre alt, Reindl selbst 42 Jahre. Dieser Aufruf, der erste nachweisbare Versuch der Organisierung eines kontinuierlichen Konzertlebens in Luzern, hatte durchschlagenden Erfolg.
"Dein Angedenken sei gefeiert,
Und werde jedesmal erneuert
Wenn wir, wie sonst, zusammentreten,
Und, Erdesorgen, zu zerstreu'n
Harmonisch uns zusammen freu'n
Bey Reindls hüpfenden Quartetten."
Schwer zu verstehen, was mit "hüpfenden" Quartetten gemeint ist. Jerger hatte dafür keine Erklärung.
Schon lang war es der Wunsch aller Musikfreunde, dass unser Herr Professor Reindl einmal etwas von seinen allgemein beliebten, vortrefflichen Musikkompositionen öffentlich bekannt machen möchte; endlich kann man es diesen Freunden sagen, dass ihr Wunsch erfüllt sei. Beim Professor und in hiesiger Buchhandlung finden sie sechs Quartette von zwei Violinen, Alt und Bass, zu Lyon sehr sauber gestochen, und auf schönem Papier gedruckt; 9 Livres. Eine Empfehlung darf man diesen Quartetten nicht mitgeben: Sie sind teils hier schon gehört und mit vollem Beifall aufgenommen worden, teils aber sprechen so viele Stücke des geschickten Herrn Künstlers, die in einer langen Reihe von Jahren hier aufgeführt wurden, für sich. Wer denkt hier nicht an seine schönen Operetten, welche die Zahl von Dreissig wohl übersteigen mögen? Seine Gefälligkeit und unverdrossene Mühe schenkte sie dem Publikum, zu solchem Vergnügen, dass es noch eine lange Fortsetzung derselben wünscht. Öffentlich sei ihm hier der schon lang gebührende Dank gesagt, öffentlich seine Kunst gepriesen, wenn nicht jede Anpreisung ihr Verkleinerung ist; öffentlich seien den Musikliebhabern die neuen Quartette empfohlen, dass die musikalische Welt sich auf baldige andere freuen kann. Ein geschickter Mann steht über dem Lob; er sucht es zu entfernen, selbst von dem Wert seiner Kunst überzeugt und keines Ruhms bedürftig. Allein dies Denkmal war Pflicht, und verletzt eben darum keine Bescheidenheit. Ich schweige und lade meine Leser zur Pantomime, die zu der Schlacht vor Sempach von Herren Bürgern heute aufgeführt wird, ein: die Musik derselben ist ein neuer Beweis der Kunst des Mannes, den ich angepriesen, und seiner Gefälligkeit für Luzern, das mit Recht auch seine Vaterstadt zu sein und zu bleiben sich freuen mag.
M."
Hier erfahren wir u. a., dass Constantin Reindl insgesamt über 30 Operm alias Operetten geschrieben hat. Das Lob des Schreibers für den Komponisten spricht für sich und bedarf keiner weiteren Kommentierung.
"Kommt, Musikfreunde, her,
Und teilt mit uns die Freude:
Wer singt, wie Reindl, wer,
In Nähe — weit und breit —?
Gleich Sängern auf der Flur
Tönt heut' sein Musikchor,
In jedem Zug Natur,
Bezaubert unser Ohr!!!
Heut' zeig der Musikmann,
Dass nicht nur Welsche singen;
Zeigt, dass ein Deutscher kann —
Wie sie — nach Ruhm sich schwingen!!!"
Erstaunlich: Hier erinnert ein Luzerner an Reindls Herkunft in Deutschland! Die "welschen Sänger", das war damals die sogenannte Koberwein'sche Truppe (mit 32 Vorstellungen in Luzern), wobei jedoch weder eine französische noch eine italienische Besetzung vorlag und Koberwein selbst ein Wiener war.
Wieder ein volles Lob für den Opernkomponisten Constantin Reindl!
Es handelte sich um ein Horn-Doppelkonzert von Rosetti.
Schade, dass wir heute diese Musik Reindls, die damals in den Himmel gehoben wurde, nicht hören können, weil sich so gut wie keiner daran wagt!
Gibt es eine größere Wertschätzung eines Fachmannes als diese?
Kein Zweifel, nach all diesen Zitaten:
Constantin Reindl war von einer solchen Kunstfertigkeit in der Musik und gleichzeitig von einer derart liebenswürdigen Wesensart, dass man ihn seinerzeit in Luzern liebte und nach eigenem Ermessen schalten und walten ließ, wie er wollte!
Ab ca. 1796 sollte sich aber dies gründlich ändern, denn in Luzern schlug allmählich die Stimmung um!
Wilhelm Jerger schrieb einst "Von 1796 an versiegen die Quellen zum Leben und Schaffen Reindls [...]" [Jerger 67], er ersparte sich aber eine plausible Erklärung.
Möglicherweise hatte ein Augenleiden Reindl zunehmend die Niederschrift von Opern-Partituren verwehrt, sodass nach 1796 schon keine Singspiele mehr von ihm erschienen. Augenprobleme suggeriert zumindest sein einzig erhaltenes Porträt, abgebildet am Ende dieser Arbeit: Man erkennt hier bei sonst wachen, ja sogar pfiffig blickenden Augen eine gewisse "Chemosis" der Bindehäute und ein beiderseitiges "Pterygium" (Flügelfell) - beides sind in der Regel Zeichen chronischer Augenreizung. Nichtsdestotrotz bleibt das Augenleiden eine vage Hypothese unsererseits, denn der wahre Grund von Reindls Rückzug aus der Öffentlichkeit lag vermutlich ganz woanders - im Aufkommen eines unguten Zeitgeistes und in den politischen Rahmenbedingungen des Landes!
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Die Erweckung des Schweizers, Allegorie der Helvetischen Revolution von 1798, kolorierte Radierung von Lorenz Ludwig Midart: Im Hintergrund der gallische Hahn mit Glorienschein, davor die nur leicht bekleidete, aber mit den Farben der Trikolore umgürtete Freiheit. Sie ruft den biederen Schweizer zum Kampf auf - für (angebliche) Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz!
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Landauf, landab wurden infolge der sogenannten "Aufklärung" plötzlich Freiheitsideale und Menschenrechte nachgefragt, die früher niemand wirklich interessiert hatten. Alte Tradtionen und Ideale gerieten ab sofort immer mehr ins Hintertreffen, und speziell in der Schweiz und gerade in Luzern sahen sich die führenden Stände, die alte Patrizier-Schicht und die hohe Geistlichkeit, plötzlich in der Defensive - keiner ihrer Exponenten blieb verschont, es sei denn, er schloss sich nun freiwillig und quasi in Selbstzerknirschung den neuen Idealen an, der Vorherrschaft des "aufgeklärten" Bürgertums.
Aber solche Ideale haben immer zwei Seiten. Schlimmer als diese Entwicklung war der Spaltkeil, der damit durch das Schweizer Volk getrieben wurde. Es dauerte nicht lange, da prallten unterschiedliche politische Einstellungen und Weltanschauungen unversöhnlich aufeinander: Damit wurde die alte Eidgenossenschaft zum Austragungsort kriegerischer Auseinandersetzungen.
Noch im 1. Koalitionskrieg 1792-1797 hatte die Schweiz versucht, ihre Neutralität zu wahren. Dabei geriet sie jedoch selbst immer stärker unter Druck, denn die neben Preussen kriegsführenden Parteien, Frankreich und Österreich, wollten sich strategisch wichtige Passagen über die Alpen um jeden Preis sichern. Als französische Revolutionsheere auf Befehl Napoléons Bonaparte in das Land einfielen, hielt die ehe locker organisierte alte Eidgenossenschaft dem militärischen Druck nicht mehr stand und zerfiel.
So entstand im Jahr 1798 unter französischer Besatzung die sogenannte "Helvetische Republik".
Da die Luzerner Patrizier, die bisher unter Franz Bernhard Meyer von Schauensee (1763-1848) die Stadtregierung gestellt hatten, sich als genauso opportunistisch erwiesen wie in anderen Städten der Schweiz, dankte sie im Januar 1798 ab und machte den Weg frei für das neue, unnatürlich geschaffene Staatswesen. Luzern wurde daraufhin ab den 4. Oktober 1798 für ca. 9 Monate Sitz der neuen Schweizer Regierung - wohlgemerkt: von Frankreichs resp. Napoléons Gnaden! Das Frappierende daran: Dies geschah nicht ohne Unterstützung eines Großteils der Bürger und selbst von Teilen der Landbevölkerung. Sie bekamen nun erhöhte Mitbestimmungsrechte und meinten, in eine glorreiche demokratische Zukunft zu gehen.
Wer ins Hintertreffen geriet, das war der geistliche Stand, die vielen Weltpriester und die Ordensgemeinschaften, denn sie vertraten nach wie vor die alte, christlich geprägte Staatsordnung.
Gutes Beispiel dafür, wie man mit dem geistlichen Stand plötzlich umsprang, ist die Vertreibung der Ursulinen aus Luzern, ein Konvent, der der Stadt bis dahin über lange Zeit zum Segen gereicht hatte. Kurzerhand wurden die Ursulinen jetzt aus ihrem Kloster im Norden der Stadt vertrieben und quasi als vogelfrei erklärt, weil man ihre weitläufigen Gebäude für den Großen Rat der Stadt, aber auch für die Kanzleien, Archive und die neue Staatsdruckerei der "Helvetischen Regierung" benötigte.
Dieser Spuk brutaler Übergriffigkeit dauerte jedoch nur kurz, denn in der "Ur-Schweiz" südlich und östlich von Luzern, im Wesentlichen in den Gebirgskantonen Nidwalden, Uri, Schwyz, Glarus, sowie im Kanton Zug und im Wallis hatte sich inzwischen zunehmender Widerstand gegen die französische Hegemonie gebildet: Man rief nun als Schutzmächte Österreich und auch Russland an und versuchte mit Hilfe von deren Heeren, die leider sehr oft zu spät kamen, Neutralität und Freiheit der alten Eidgenossenschaft zu retten, so gut es ging. Als die vereinten Gegner Napoléons auf ihrem Feldzug gegen die neue Staatsordnung von Osten her bis nach Zürich vordrangen, musste die Regierung der sogenannten "Helvetischen Republik", die sich in Luzern als erster Hauptstadt niedergelassen hatte, im Mai 1799 nach Bern flüchten, um hinterher nie mehr zurückzukehren. Ihr rasches Ende kam mit dem 10. März 1803.
Der Professor und Komponist Constantin Reindl lebte aber gar nicht in diesem wendehälsisch-verweltlichten Teil von Luzern, sondern er erlebte die ungute Entwicklung, die sich dort ergeben hatte, sozusagen auf Distanz von südlichen Ufer der Reuss aus, auf einem seit Jahrhunderten geheiligten Boden: In der sogenannten "Chlistadt" (Kleinstadt) von Luzern hatten sich nur ein Paar Händler in einem einzigen Straßenzug niedergelassen, den Rest bildeten ausschließlich geistliche, erzkatholische Einrichtungen. Da war zunächst das 1773 aufgelöste Jesuiten-Kolleg, das aber duch die verbliebenen Patres noch immer ein wenig den Geist des Ignatius von Loyola atmete. Etwas weiter westlich, in unmittelbarer Nachbarschaft, wohnte der Konvent der Franziskaner-Konventualen im "Barfüßerkloster". Südlich davon, am Krienbach, lag das Heilig-Geist-Spital, und westlich der "Barfüßer" das Kapuzinerinnen-Kloster "St. Anna im Bruch". Den Priestern, Nonnen und Mönchen, die in der "Chlistadt" südlich der Reuss den Segen und Anspruch des Katholizismus hochhielten, wehte nun der scharfe Wind einer anti-kirchlichen, anti-monastischen Revolution in der Schweiz entgegen, und das hatte unmittelbare Auswirkungen auf aller Leben, auch auf das Leben und den Status eines Constantin Reindl.
Eine dramatische Verschlechterung der Lage ergab sich allerdings im Herbst 1798, als die Landsgemeinde von Nidwalden - nur wenige Kilometer südlich der Kleinstadt von Luzern - auf Betreiben des fanatischen Kapuzinerpaters Paul Styger die Einführung der Helvetischen Verfassung sowie die Eingliederung in den neuen, absichtlich geschwächten Groß-Kanton "Waldstätte" ablehnte, damit "die blutdürstigen fränkischen Gessler ihnen das kostbare Kleinod der Religion und der Freiheit" nicht entrissen (O-Ton Styger).
Hierauf marschierten ca. 10000 französische Soldaten unter General Balthasar Alexis Henri Antoine von Schauenburg (1748-1831) auf und griffen von allen Seiten Nidwalden an!
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Helvetische Revolution und sognannte "Franzoseninvasion" 1798 - Übersicht.
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Am 9. September 1798 kam es schließlich zur Entscheidungschlacht. Der drückenden Übermacht der Franzosen trat ein Scherflein von nur 1600 Nidwalder Bauern entgegen, die sich zuvor freiwillig zur Landesverteidigung zur Verfügung gestellt hatten. Sie kämpften einen heroischen Abwehrkampf; so gelang es z. b. am Kehrsitenberg nur 30 Nidwaldern, über fünf Stunden 800 Franzosen in Schach zu halten. Doch bei Einbruch der Dunkelheit zogen alle Einheimischen erschöpft den Kürzeren und wurden schließlich völlig aufgerieben.
Hinterher berichtete der französische General Schauenburg von der "unglaublichen Hartnäckigkeit dieser Menschen, deren Kühnheit bis zur Raserei ging. Man schlug sich mit Keulen, man zermalmte sich mit Felsstücken."
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Schlacht um Stans, von der Bluematt aus.
Zeitgenössische Ausmalung einer vorbestehenden Lithografie von Nicolas Pérignon (1726-1782).
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Gedenktafel für die Opfer am Oberen Beinhaus in Stans, dort angebracht im August 1807.
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Hinterher flutete die französische Besatzung die ganze Zentralschweiz mit ihren Truppen; das Land wurde immer mehr ausgeplündert, es stand unter Napoléons Knute.
Den eigentlichen Schuldigen hatte man schnell dingfest gemacht: Es war in der Tat nicht nur der rabiate Kapuzinerpater Paul Styger gewesen, sondern der gesamte katholische Klerus von Nidwalden, der zuvor in seinen Predigten zum Freiheitskampf gegen die Franzosen aufgerufen hatte! Viele Geistliche wurden jetzt verfolgt, z. T. auch misshandelt und hingerichtet. [Gut, Überfall in Nidwalden 1798, 535ff.]
Und dies alles geschah nur ca. 10 km Luftlinie weiter südlich von Constantin Reindls Aufenthaltsort entfernt, an sich einem der schönsten Plätze der Innerschweiz!
Kein Wunder, wenn sich bei dieser brenzlichen Lage Angst unter den Klerikern der Kleinstadt von Luzern ausbreitete, zumal dieser Teil der Stadt, nur ca. 5 km von der Grenze des Kantons Nidwalden entfernt, des Schutzes durch Mauern entbehrte und leicht von der französischen Besatzung auf das Korn genommen werden konnte!
Zu einem Überfall kam es glücklicherweise in der Folge nicht, aber man litt dennoch: Bald waren auch hier alle Getreide-, Gemüse- und Fleischvorräte aufgebraucht!
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Preisliste Grundnahrungsmittel, Luzern, Ausschnitt aus dem Luzerner Wochenblatt vom 12. April 1799.
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Viele Menschen im Kanton Nidwalden hatten kein Dach mehr dem Kopf; sie froren und erfroren, da bald auch das Brennholz fehlte, und sie hungerten, da plötzlich das Nahrungsangebot stark verknappt war. Sie drängten nun in Lumpen in die Kleinstadt von Luzern. Punktuell halfen nun sogar die französischen Besatzer mit Lebensmittelspenden aus, um das Schlimmste zu verhindern. Viele Nidwalder waren aber zuvor vor den Feinden außer Landes geflohen und noch nicht wieder zurückgekehrt, sodass in der Stadt nun an allen Ecken und Enden Arbeitskräfte fehlten. In Luzern nördlich der Reuss wurde zwar noch Handel getrieben, aber die Preise für die Grundnahrungsmittel explodierten, bis bei galoppierender Inflation eine Preisbremse erlassen wurde. Die jeweils aktuellen Preise erschienen regelmäßig zum Vergleich im Luzerner Wochenblatt. Die Auszahlung der Löhne für die städtischen Angestellten verzögerte sich nun. Der Schulbetrieb wurde allerdings aufrecht erhalten, sogar in größerem Umfang, denn die neue Verfassung sah nun erstmals die allgemeine Schulpflicht vor.
Wir haben keine Nachricht darüber, wie der alleinstehende Intellektuelle Constantin Reindl, der nun bereits vorgerückten Alters war, die letzten 6 Monate seines Lebens, von Oktober 1798 bis März 1799, verbrachte, aber wir können es uns vor dem geschilderten Hintergrund lebhaft vorstellen:
Es waren Bilder der Apokalypse, die nun an ihm vorüberzogen. Mit der Musik war für ihn kein Geld mehr verdient, auch der Schulunterricht hatte endgültig geendet, sodass er auf keine weiteren Einkünfte zurückgreifen konnte, sondern nur auf Erspartes, wenn er sich mit der notwendigen Nahrung versorgen wollte. Doch unabhängig von den explodierten Kosten war das Warenangebot in Luzern nun denkbar schwach. Verwandte auf dem Land, die ihn nun mit Lebensmitteln unterstützten, hatte Constantin Reindl nicht, aber vielleicht griffen ihm die nahen Konvente mit ihren Vorräten ein wenig unter die Arme und linderten den schlimmsten Hunger. Möglicherweise war Constantin Reindl nun auch zum ersten Mal ohne eigenes Hauspersonal, das helfen konnte. Das fast menschenleere Jesuiten-Stift verlassen konnte er nun ebenfalls nicht mehr, denn er gehörte zum Klerus, für den es mittlerweile brandgefährlich geworden war. Selbst ein kleiner Spaziergang hätte ihn um Kopf und Kragen bringen können!
So ging Constantin Reindl, der früher immer von Glück gesegnet gewesen war, in diesen kalten und dunklen Wintermonaten 1798/99 seinen persönlichen Kreuzweg - überwiegend allein, auf sich selbst gestellt, vermutlich auch ohne Unterstützung und Pflege am Ende seiner Tage.
Noch in seiner Dissertation von 1954 war es Wilhelm Jerger aufgrund der erschlossenen Quellen nicht möglich gewesen, den Tod Constantin Reindls zu definieren - weder hinsichtlich der Umstände noch des Ortes noch des genauen Todestages. Er fand nur folgenden Beschluss der Luzerner Verwaltungskammer vom 21. November 1799, sodass er zunächst - irrigerweise - von einem Sterbejahr 1798 ausging:
Auf gemachten Vorschlags eines Mitgliedes, dass es nötig sei, an die Stelle des vor einem Jahr verstorbenen Bruders Reindel [so], gewesenen Chorregenten uns Musik-Instruktor einen Mann zu stellen [...]" [Jerger 68, nach VPr. I 182 Schachtel 1481, Nr. 58]
Reindls Nachfolger im Amt hieß übrigens Peter Joseph Hegglin, aus dem "engsten Kreis Reindls", wie Jerger meinte. Sein künftiges Jahresgehalt lag bei 500 Luzerner Gulden. Wann er es zum ersten Mal gesehen hat, wissen wir nicht.
In weiteren Facharbeiten aus den Jahren 1954 bis 1961, in denen Wilhelm Jerger neue Informationen und auch Musikbeispiele von Constantin Reindl beibrachte, war dann ohne Quellenangabe plötzlich von einem Sterbedatum 25. März 1799 die Rede.
Demnach lag Reindls Sterbetag in jenen letzten Wintertagen im Jahr 1799, an denen wegen der zunehmenden Abwehrschwäche, die sich unter dem Stress der kalten Jahreszeit entwickelt, seit jeher und zu allen Zeiten das Sterbemaximum der Menschen liegt. Wenn man die geschilderten misslichen Zeitumstände berücksichtigt, die sich gerade an der Wende von 1798 zu 1799 ergaben, dann hat sich das Spektrum der möglichen Todesursachen deutlich erweitert:
Mit Constantin Reindl starb zum Winterende 1799 die "gute alte Zeit" in der Schweiz, jene Zeit der festgefügten Ordnung, in der der gemeinsame Glaube an die Dreifaltigkeit Gottes und der Respekt vor der Obrigkeit das Leben bestimmt und dem Land zu ungeheurem Reichtum und blühender Kultur verholfen hatte. Mit ihm starb also letztlich ein ganzes Zeitalter. Am Ende war es aber für ihn gut so.
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Tod eines Gelehrten, Fotomontage.
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Damit kommen wir abschließend zur Frage, wo der tote Constantin Reindl zur letzten Ruhe gebettet wurde.
Ein amtliches Sterbedokument, da darüber Aufschluss gäbe, existiert nicht. Im Gegensatz zu Jerger, der selbst Jahre nach Abschluss seiner Dissertation noch immer den Sterbort "Luzern" mit einem Fragezeichen versah oder den Sterbeort einfach offen ließ, haben wir wenig Zweifel daran, wo Constantin Reindls Grab zu suchen ist.
Vorweg: Eine Bestattung im Städtischen "Gottesacker" bei der Stiftskirche St. Leodegar scheidet aus. Kein "Chlistädter" hätte sich dort bestatten lassen; die Distanz des Friedhofs zur Kleinstadt war viel zu groß, und speziell ein ehemaliger Jesuit wie Reindl hatte keinerlei persönliche Beziehung zur Stiftskiche. Deshalb verwundert es auch nicht, dass sich im Sterbebuch von St. Leodegar im März 1799 keinen Eintrag für Constantin Reindl fand.
Viel wahrscheinlicher ist es, ja es besteht sogar letztendlich die einzige Möglichkeit darin, dass Constantin Reindl im separaten Mönchsfriedhof des Luzerner "Barfüßerklosters" zur letzten Ruhe gebettet wurde.
Dieser kleine, der Öffentlichkeit gar nicht zugängliche Friedhof lag genau in dieser Zeit zwischen dem ehemaligen Jesuiten-Kolleg und dem Franziskaner-Kloster, das seit dem 13. Jahrhundert bereits exitierte und im Luzerner Volksmund gern "zu den Barfüßern" genannt wurde. Gemeint war mit diesem Volksmund-Ausdruck der gemäßigte Orden der Franziskaner-Konventualen oder Franziskaner-Minoriten (abgekürzt OFMConv), alternativ auch "Minderbrüder" genannt.
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Im Schumacher-Plan von 1790 erkennt man die enge räumliche Beziehung zwischen dem ehemaligen Jesuiten-Kolleg, in dem Reindl wohnte - wir vermuten, in einer Etagenwohnung in dem Haus, das an die Sakristei anschloss und zum Hirschgraben wies -, und dem Franziskaner-Kloster, hier gelb unterlegt. Der öffentliche Friedhof des Klosters ist hier in grüner Farbe, der Mönchsfriedhof in roter Farbe markiert. Der Stern symbolisiert Constantin Reindls angenommene Grabstelle.
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Als im Jahr 2017 hinter den nördlichen Seitenkapellen der Franziskanerkirche vor der Anlage eines Parkplatzes im Bereich des ehemaligen Mönchsfriedhofes eine Rettungsgrabung durchgeführt wurden, fanden sich dichte Lagen von Menschenknochen. Vielleicht war das Skelett Constantin Reindls darunter!
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Vielleicht waren es gerade diese Mönche, die um Reindls persönliche Not im Winter 1798/99 wussten, die den sterbenden Komponisten bis zu seinem letzten Tag begleiteten, ihm die christlichen Sterbesakramente erteilten und ihn hinterher bei sich bestatteten.
Anders können wir es uns nicht vorstellen, und weitere Friedhöfe gab es in Luzern nicht.
Warum aber geschah Reindls Grablege nicht im Volkfriedhof, über dessen Sterbebücher man Aufschluss über seinen Tod hätte gewinnen können?
Nun - gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatten auch die Barfüßer der Kleinstadt unter erheblichen Schickanen zu leiden. Mit dem November 1798 wurde ihr Volksfriedhof vom neuen, anti-klerikal engestellten Magistrat geschlossen, angeblich wegen Überbelegung und Seuchengefahr, in Wirklichkeit aber, um den Orden durch Entzug der Stolgebühren eine Einkommensquelle zu entwenden. Dies ist der Grund, warum ausgerechnet zum November 1798 die Sterbematrikel der Franziskaner enden.
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Seite 199 aus dem ältestem Totenbuch der Franziskaner in Luzern: "Zu diesem Totenbuch von 200 Seiten gehört noch ein zweites, ebenfalls von den verehrten Franziskanern geführtes, welches da anfängt, wo dieses aufhört, nämlich mit dem Januar 1742 fortgeht, bis zum 7. November 1798. Von da enthält es nur die gestorbenen Mitglieder des Franziskanerklosters in der Aue, bis zum 12. Juni 1833. Ursprünglich war weder dieses noch das folgende Buch mit Seitenzahlen versehen, auch fehlt zu beiden ein Register, über dessen spätere Verfertigung man 200 Seiten frei lassen möge." Darunter steht auf Lateinisch die Zeile: "A mense Nov. 1798 coemeterium Franciscanorum utpote in urbe situm et cadaveribus refertum, clausum est. - Vom Monat November 1798 an ist der Friedhof der Franziskaner, nämlich der in der Stadt gelegene und mit Leichen überfüllte, geschlossen worden."
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Nur so erklärt es sich, warum es in Luzern zu Constantin Reindl keinen Eintrag in einem Totenbuch gibt!
Aber auch diesem Friedhof war keine lange Existenz beschieden. Als im Jahr 1838 die Franziskaner-Niederlassung in Luzern endgültig aufgehoben wurde, dauerte es, wie der Stadtplan von P. Segesser aus dem Jahr 1849 belegt, keine 11 Jahre, bis der Friedhof dem Erdboden gleichgemacht war und seine Umfassungsmauern fielen, um einer breiten Einfahrt in den sog. "Posthof" Raum zu geben.
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Plan von P. Segesser aus dem Jahr 1849: Die Stelle, an der wir Constantin Reindls primäre Grablege vermuten, ist mit einem roten Stern markiert.
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Die Franziskaner-Kirche "Maria in der Au" heute. Der Brunnen im Vordergrund ist der sogenannte "Barfüßerbrunnen", der Parkplatz hinter den Seitenkapellen, wo einst Constantin Reindls Grab lag, ist mit einem roten Stern markiert.
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So erahnen wir zwar die genaue Stelle, wo Constantin Reindl Ende März 1799 begraben worden war, sehen sie aber zugleich entweiht. Wenn sich schon kein Grabstein Constantin Reindls in Luzern findet - er wurde in der schlechten Zeit 1799 vielleicht gar nicht angefertigt -, dann hätte die Stadt Luzern wenigstens später ein Ehrenmal für einen ihrer größten Söhne errichten können. Doch auch in dieser Beziehung gilt: weit gefehlt! Constantin Reindl ist und bleibt in Luzern vergessen!
So setzen wenigstens wir ihm ein Denkmal, bzw. wir widmen das Denkmal für die Gefallenen von Nidwalden am Schlachtort Allweg bei Ennetmoos für ihn um, denn auch er hat wie diese am Ende sein Leben der christlichen Tradition in Luzern geopfert:
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Diese Stele am Anfang des Rotzberges, im Ortsteil "Allweg", markiert die "Schlacht bei Allweg 1798". Nahezu zeitgleich begann aus denselben Gründen, die zur Schlacht führten, wohl Constantin Reindls persönliches Martyrium, das mit seinem Tod am 25. März 1799 endete. Ihm widmen wir nun die virtuelle Aufschrift: "Dem Helden von 1799 - Constantin Reindl"
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Constantin Reindl SJ ist erspart geblieben, in eine Zeit der Säkularisierung, der Profanierung selbst heiligster Stätten, hinüberzugehen, in der er sich mit Sicherheit nicht mehr wohlgefühlt hätte. Stattdessen ging er im Alter von 61 Jahren für immer von uns, zu seinem Schöpfer im Himmel, an den er immer geglaubt und für den er musikalische Werke von höchster Qualität geschaffen hat.
So zeigen wir am Ende dieser Arbeit das Beste und Anschaulichste von Constantin Reindl, was wir neben seiner Musik von ihm haben - nämlich sein Konterfei aus der Porträtgalerie der merkwürdigen Luzernerinnen und Luzerner, einst gemalt von Ildefons Troxler (1741-1810):
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Constantin Reindl in der Porträtgalerie der merkwürdigen Luzernerinnen und Luzerner, Katalogsaal ZHB Luzern, Öl/Karton 28x19cm, um 1790:
Übersetzung: "Constantin Reindl, einst Mitglied der erloschenen Societas Jesu, jetzt Professor am Luzerner Gymnasium und Chorregent im Tempel St. Xaver, wegen äußerst geglückter musikalischer Kompositionen ein Genie, wegen seiner einzigartigen Sorgfalt, mit der er den Glauben besang, verdientermaßen lobenswert, hat er schon höchstes Lob erfahren. Er ist geboren im Jahr 1738." |
Dieser Lobestext aus berufenem Mund stammt vom Luzerner Patrizier, Staatsmann und Historiker Joseph Anton Felix von Balthasar (1737-1810), Mitglied der Helvetischen Gesellschaft. Er wurde erst später von Kasimir Pfyffer veröffentlicht.
Wegen seiner herausragenden Leistungen als Komponist sind wir Constantin Reindl auch heute noch zu Dank verpflichtet; so lasst uns beten:
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Trotz vieler Mängel und Fehler bleibt Wilhelm Jergers Dissertationsschrift von 1954 über Constantin Reindl wegen der Erschließung vieler Luzerner Quellen die entscheidende Referenzliteratur.
Inzwischen ist diese Schrift nur noch in wenigen Exemplaren in Schweizer Antiquariaten erhalten, und sie auch nur bei wenigen Bibliotheken auszuleihen. Obendrein handelt es sich um eine sehr lose gebundene Brochüre von 108 Seiten, die beim Lesen ihre buchbinderische Stabilität verliert und zu zerfleddern droht.
Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, unser Arbeitsexemplar zu digitalisieren und hier als PDF-File von ca. 40 MB für den Download zur Verfügung zu stellen. Mit Klick auf das folgende Bild gelangen Sie zu Ihrem Exemplar!
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