Jean-Paul-Égide Martini (1741-1816)

Lebensbilder eines Oberpfälzer Komponisten


 

© Dr. Werner Robl, Berching, Mai 2025

 


Freystadt (1741-1752)
 

Kurz vor 1735 zog im Landstädtchen Freystadt in der westlichen Oberen Pfalz, damals zum Kurfürstentum Bayern gehörig, ein 22-jähriger, junger Mann namens Johann Andreas Martin zu. Er kam aus dem steigenwälder Marktflecken Burgebrach im Hochstift Bamberg.

Burgebrach - alte Fotografie.

Der im Jahr 1713 geborene Andreas Martin verfügte über ein gewisses Bildungsniveau und auch über musikalisches Können, denn sein Vater Johann Martin war Mesner und Organist an der Burgebracher Kirche St. Vitus gewesen und hatte ihm die entsprechenden Kenntnisse und Fertigkeiten beigebracht. Nun sollte der Sohn Schulmeister und Organist werden!

In Burgebrach gelang dies allerdings nicht. Denn die dortige Kirche St. Vitus mit fast 1000-jähriger Tradition war 1731 vom Zisterzienser-Abt Wilhelm Zöllner aus Ebrach kurzerhand abgerissen worden, um einen Neubau Raum zu geben. Deshalb hatte schon Vater Johann mit seinem Sohn Andreas in das 6,5 km entfernte Herrnsdorf (heute Mönchherrnsdorf) ausweichen müssen, um an der Orgel der dortigen Ägidius-Kirche die Ausbildung seines Sohnes abzuschließen.

Da der neue Kirchenbau in Burgebrach erst viele Jahre später fertiggestellt war (Einweihung 1744) und dort eine große Orgel gar erst 100 Jahre später eingebaut wurde (1841), hätte Andreas Martin in Burgebrach nach Abschluss seiner Ausbildung auf das lebensnotwendige Zubrot als Organist und Chorleiter verzichten müssen, selbst wenn es ihm gelungen wäre, die dortige Lehrerstelle zu erhalten. Doch diese war inzwischen von einem Paul Martin besetzt, vermutlich Andreas' Bruder.

Andreas Martin scheint wiederum als Musiker sehr begabt gewesen zu sein. Eine Berufslaufbahn in Burgebrach kam demnach nicht in Frage.

Glücklicherweise war der ehrbare Vater Johann Martin als Mesner und Organist gut vernetzt. Es war vermutlich er, der sich nach einer entsprechenden Doppelstelle für seinen Sohn umsah und dabei auf Freystadt in der Oberen Pfalz stieß.

Freystadt, kolorierter Kupferstich von Matthäus Merian (1593-1650), um 1644.

Wegen des Ortes allein hätte sich allerdings ein Umzug in das 82 km Luftlinie entfernte Freystadt nicht gelohnt. Selbst wenn Burgebrach nur ein Marktflecken und Freystadt eine richtige Stadt war, unterschieden sich beide Ort kaum, was Umfang und Einwohnerzahl anbelangt. Ganz im Gegenteil: Der Markt Burgebrach war vielleicht sogar der gering größere von beiden Orten.

Freystadt und Burgebrach im Plan des k.-b. Urkatasters von 1820/30 - zum Vergleich.

Freystadt war als künftiger Lebensschwerpunkt für Andreas Martin aus ganz anderen Gründen attraktiv:

Tilly'sche Wallfahrtskirche Maria Hilf in Freystadt, Ansicht 1780.

Deshalb hatte man damals die Posten des Schulmeisters von Freystadt und des Organisten und Chorregenten für Maria Hilf und St. Peter und Paul öffentlich ausgeschrieben.

Die Trauungsanzeige des Paares Andreas und Barbara Martin, vom 22. Mai 1735:

"22. May. Copulatus est artificiosus juvenis Andreas Martin organista et ludimoderator in Freystatt, honesti Joannis Martin Aeditui in Burgebrach prope Bambergam, et Margar:(etae) conjugum filius legitimus, cum pudica virgine Maria Barbara, Joannis Eichs ludilis magistri in Freystatt p: m. (= propria manu, d.h. mit schriftlicher Bestätigung) et Mariae Barbarae conjugum filia legitima. Testes fuere Antonius Kück civis et fili(us) ludimagistri, ac Paulus Martin ludimagister in Burgebrach.

Am 22. Mai 1735 wurde in die Ehe verbunden der junge Künstler Andreas Martin, Organist und Schulmeister in Freystadt, legitimer Sohn des ehrbaren Mesners Johann Martin aus Burgebrach bei Bamberg und seiner Gattin Margarete, mit der keuschen Jungfrau Maria Barbara, legitime Tochter des verstorbenen Freystädter Schulmeisters Johann Eich und seiner Gattin Maria Barbara. Trauzeugen waren der Bürger und Lehrersohn Anton Kück, sowie Paul Martin, Schulmeister in Burgebrach."

So siedelte Andreas Martin nach Freystadt um und heiratete im Alter von 23 Jahren die am am 22. Mai 1735 in Freystadt geborene Maria Barbara, hinterbliebene Tochter des am 28. Oktober 1716 verstorbenen Schulmeisters Johann Eich.

Die Kirchenbücher Freystadt verraten, dass diesem Lehrer für 6 Jahre ein gewisser Michael Kück ins Amt gefolgt war, bis zu dessen Tod am 1. Juli 1720, und zuletzt eben der besagte Leonhard Reuter, der am 24. Juni 1734 das Zeitliche gesegnet hatte.

Ein Sohn des verstorbenen Schulmeisters Kück, der Freystädter Bürger Anton Kück, fungierte nun für die Braut als Trauzeuge; für den Bräutigam übernahm diese Rolle der Schulmeister Paul Martin, vermutlich sein Bruder oder Onkel, der dafür eigens von Burgebrach nach Freystadt angereist war!

Andreas Martin hatte Reuters Posten des Schullehrers ("ludimoderator") und Organisten ("organista") offensichtlich schon zuvor, wohl kurz nach seinem Eintreffen in Freystadt, übernommen, wie die Formulierung der Trauungsanzeige suggeriert, aber so richtig auf Dauer festgeschrieben war diese Anstellung erst durch die besagte kirchliche Trauung.

Dass Andreas Martin schon damals ein Könner auf der Kirchenorgel gewesen sein muss, entnimmt man ebenfalls der Trauungsanzeige, aus der Bezeichung als "artificiosus juvenis", d. h. als "junger Künstler".

Das kombinierte Wohnschulhaus, welches das junge Paar im Anschluss an diese Trauung bezog, lag nur einen Steinwurf von der Trauungskirche entfernt. Dies war noch nicht das 1859 zum Schulhaus umfunktionierte große Haus am Freystädter Marktplatz, in fränkischer Sandstein-Optik, mit der alten Nummer 20 (heute Marktplatz 30), das noch heute die alte Aufschrift "Knaben-Schule" trägt, sondern ein kleineres Haus in der Kirchengasse mit der ehemaligen Nummer 18, das seit dem Tod des Schulmeisters Reuter verwaist lag.

Das kleine kombinierte Wohnschulhaus des 17. Jahrhunderts lag in der Kirchengasse, an der Ecke zum Verbindungsweg zwischen der Kirchengasse und dem Marktplatz, und trug die alte Nummer 15. Ausschnitt aus dem Urkatasterplan von 1820/30.

Heute steht an der Stelle des alten Schulhauses mit der Nr. 15, das zu unbekanntem Zeitpunkt nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen wurde, ein moderner Neubau. Nichts erinnert an diesem Haus an die frühere Situation, wenn man von einer seitlich angebrachten Gedenktafel für J.P.E. Martini absieht (rot-schwarzer Pfeil).

Heute steht an der Stelle des Geburtshauses ein modernes Gebäude.

Glücklicherweise hat sich eine Fotografie vom Beginn des vorigen Jahrhunderts erhalten, die das Tilly'sche Schulhaus von einst noch zeigt.

Das alte Freystädter Schulhaus aus der Zeit der Tilly'schen Herrschaft, Aufnahme nach 1900.

Das Untergeschoß dieses ca. 9 Meter breiten und 10 Meter langen Eckhauses war aus Kalk- oder Sandsteinquadern gemauert und wies ca. 85 Quadratmeter Nutzfläche aus. Davon waren ca. 60 Quadratmeter in Erdgeschoss allein für den einzigen, relativ niedrigen Unterrichtsraum reserviert. Er wurde im Sommer von je zwei Fenstern im Nordosten und Nordwesten - bei fehlender Vormittagssonne - schwach belichtet, aber ermöglichte wenigstgens eine Querbelüftung. Im Winter wurdern solche Schulräume von einem großen Kachel- oder Eisenofen beheizt, den der Lehrer persönlich befeuerte. In der Seitengasse lag der Eingang zum Obergeschoss, wo der Lehrer mit seiner Familie wohnte. Die Schüler hatten im Nordosten - von Kirchplatz her - einen separaten Eingang zum Schulraum, der etwas niederiger als der Haupteingang des Hauses ausfiel, aber ebenfalls eine belüftbare Oberlichte trug.

Leider liegen uns keine genauen Schülerzahlen aus dem 18. Jahrhundert vor. Man kann aber davon ausgeht, dass damals die Zahl der Einwohner der Stadt Freystadt bei ca. 1000 ± x lag, wovon ca. 10-15 % Kinder im schulpflichtigen Alter (6 - max. 14 Jahre) waren. Von diesen besuchten aber wiederum nur 20-40 % tatsächlich die Elementarschule, da arme Eltern das Schulgeld gar nicht bestreiten konnten und viele Kinder in der Landwirtschaft oder im Handwerk der Eltern mitarbeiten mussten. Dabei handelte es sich ausschließlich um Knaben, denn die allgemeine Schulpflicht für Knaben und Mädchen wurde in Bayern erst 1802 erlassen.

Unter diesen Prämissen darf man davon ausgehen, dass der Schulmeister Martin im besagten Unterrichtsraum maximal 50, eher nur ca. 30-40 Schüler auf eng gestapelten Bänken unterrichtete. Ein von uns gering modifizierter Ausschnitt eines Gemäldes von A. Anker (1831-1910), aus dem Jahr 1896, zeigt anschaulich die Unterrichtsbedingungen, die zum Ende des 19. Jahrhunderts an vielen Orten nicht recht viel besser waren als im 18. Jahrhundert.

Heute steht an der Stelle des Geburtshauses ein modernes Gebäude.

Alles in allem waren es beengte Verhältnisse in der Freystädter Elementarschule, in der es nicht anders als heute vor allem um Lesen, Schreiben, Rechnen ging, daneben aber auch um die katholische Religionslehre. Für jeden Schüler standen max. 2 Quadtratmeter Aufenthaltsfläche und max. 4,5 Kubikmeter Rauminhalt zum Atmen zur Verfügung. Im eiskalten Winter, wenn die Fenster des Unterrichtsraums geschlossen blieben, lag die Gefahr der Ansteckung mit Infektionserregern (sowohl mit Viren als auch mit Bakterien, vor allem mit Tuberkulose-, Diphtherie- und Kauchhustenbakterien) sehr hoch, was die damals generell sehr hohe Kindersterblichkeit zusätzlich steigerte. Zum Vergleich folgen die heutigen Richtzahlen: Für jeden Schüler werden aktuell 6 Kubikmeter Luftraum gefordert, mit einer Frischluftzufuhr von 20 Kubikmetern , also mit einem drei- bis fünfmaligen Luftwechsel pro Stunde. In der Aufenthaltsfläche können allerdings Neubauschulen (wie z. B. in Berlin) sich bei 54-60 Quadratmetern Klassenraumgröße und ca. 32-35 Schülern pro Rauzm, also einem Aufenthaltsraum von ca. 1,7-2 Quadratmetern pro Schüler, schon wieder damaligen Verhälntnissen annähern. Nur die Raumhöhe ist in heutigen Klassenzimmern viel größer als zur Mitte des 18. Jahrhunderts.

Mit diesem Exkurs kehren wir zurück zu obiger Abbildung des Martin'schen Schul- und Wohnhauses in Freystadt:

Das Haus wies - im Gegensatz zu vielen anderen Ackerbürgerhäusern, die damals oft nur einstöckige Wohnstallgebäude mit weit herabgeschlepptem Dach waren - von Anfang an 2 Stockwerke auf, denn im ersten Stock über der Schule wohnte, wie bereits gesagt, der Schulmeister mit seiner Familie. Es ist relativ unwahrscheinlich, dass auch dieses Stockwerk mit Quadern gemauert war, eher handelte es sich um verputzte Riegelwände in leichterer Bauart, bei denen die Zwischenfelder eines konstruktiven Fachwerks oft nur mit einfachen Bruchsteinmauern ausgefüllt worden waren.

Im vorliegenden Fall dürfte sich direkt über dem Schulraum die im Winter beheizte Wohnstube des Hauses befunden haben, in der sich tagsüber das gesamte Familienleben abspielte. Daneben lag noch eine Warmkammer, die vielleicht dem Lehrer zur Vorbereitung des Unterrichts vorbehalten war. Befeuert wurde der zentrale Kachelofen von der Küche aus, die auch einen Backofen und einen Herd aufwies. Die Zeiten des offenen Rauchfangs über einer ebenso offenen Esse waren damals bereits vorbei. Die beiden dahinter liegenden Räume waren durch den oberen Flur von der Warmseite des Hauses getrennt; sie blieben auch im Winter meistens unbeheizt; hier befanden sich die Lebensmittelvoräte und Haushaltsgegenstände, daneben die Schlafkammer der Eltern und eine Schlafkammer mit Stockbetten, für alle Kinder. Ganz oben im First befand sich vielleicht noch ein Speicher, der von der Nordostfront aus über einen Ladebaum mit dem Flaschenzug erreicht werden konnte (in obigem Bild durch einen Zweig verdeckt).

Wenn sie von der Guten Stube aus durch die Fenster blickte, sah die Familie Martin auf die Kirchengasse, den Pfarrplatz und die Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul, die um 1730 unter Verwendung des hochgotischen Ostturms der Vorgängerkirche neu errichtet worden war. Auch diese Kirche sollte damals mit einer barocken Orgel versehen werden, falls dies nicht schon 1735 geschehen war. Es gab also damals in Freystadt in den beiden Kirchen für einen Organisten wie Andreas Martin, der obendrein auch "Chori regens", d. h. Leiter des Kirchenchores war, genügend zu tun! Im Gegensatz zur Festschrift von 2002 glauben wir aber nicht, dass auch in der Freystädter Spitelkirche und in der Friedhofskapelle St. Sebastian Orgel gespielt wurde.

So stellen wir uns in etwa die Berufs- und Wohnverhältnisse des Ehepaars Andreas und Barbara Martin in Freystadt vor - ab 1735.

Wir haben darüber keine spezielle Nachricht, sind uns aber darüber sicher, dass Andreas Martin nicht nur eine Karriere als Schulmeister mit entsprechender Anerkennung seitens der Bevölkerung vergönnt war, sondern dass er vor allem mit seinem Orgelspiel in beiden Kirchen der Freystädter Bevölkerung viel Freude gemacht hat. Dass er ein Virtuose seines Fachs war, davon spricht nicht nur sein Trauungsvermerk in den Freystädter Matrikeln, sondern dafür spricht auch die Tatsache, dass er einen seiner Söhne eine besondere Ausbildung in diesem Fach angedeihen ließ, die diesem später eine große Karriere ermöglichte. Dass er daneben auch Chorregent war, erzählt uns erst die Todesnachricht von seiner Frau im Jahr 1747; gleichwohl dürfte er dieses Amt von allem Anfang an mitversehen haben, womit das Einkommen für die Gründung einer richtigen Familie ausreichte.

 

Leicht war es für Andreas Martin und seine Frau trotzdem nicht. Schon kurz nach Amtsantritt, im Dezember 1735, kamen sich der wohl Neuerungen aufgeschlossene Andreas Martin und der seit November 1722 als "Platzhirch" herrschende Stadtpfarrer Georg Pinckel († 17.3.1752) - der vielleicht auch ein solcher war, gemäß dem lateinischen Sprichwort "nomen est omen" - schwer in die Haare. Wir zitieren aus der Festschrift von 2002, S. 37:

Es ging also mitunter für das Lehrer-Ehepaar Martin hoch her in Freystadt!

 

Dramatischer als diese Raufhändel verlief allerdings das Familienleben der beiden Eheleute, denn auf diesem lag, wie uns die Freystädter Pfarrmatrikel verraten, nicht nur Segen, sondern auch Fluch:

Ein Segen war es z. B., dass Maria Barbara Martin, obgleich sie schon nicht mehr die jüngste gewesen sein dürfte, ihrem Mann viele Kinder schenkte, gleich 10 an der Zahl.

Der Fluch bestand nun darin, dass 7 von diesen Kindern nicht lange lebten; zwei starben schon anlässlich der Entbindung, die meisten erst einige Wochen oder Monate nach der Geburt.

Mit diesen Kindern beginnen wir unsere Auflistung:

Drei weitere Kinder haben jedoch überlebt. Dazu zählen

 

Todesanzeige der Maria Barbara Martin, vom 21. Mai 1747:

"21 May obiit honesta Maria Barbara D:(omini) Andreae Martini chorregentis uxor. - Am 21. Mai 1747 ist die ehrbare Maria Barbara verstorben, die Gattin des Chorregenten Andreas Martin."

Psychisch und körperlich erschöpft von den vielen, teils frustran, teils erfolgreich ausgetragenen Kindern starb dann am 21. Mai 1747 die Gattin und vielfache Kindsmutter Maria Barbara Martin, vielleicht an den Folgen ihrer letzten Entbindung, da diese erst 3 Monate zurücklag. In diesen Tagen stand der kleine Johann Paul Egid Martin knapp vor dem 6. Geburtstag!

Was blieb dem hinterbliebenen Gatten Andreas Martin mit seinen 3 Kindern, die nun alle das Schulalter erreicht hatten und von ihm unterrichtet wurden, anderes übrig, als sich so rasch als möglich erneut zu verheiraten?

 

Trauungsanzeige vom 28. August 1747:

"Eodem die in facie ecclesiae contraxit mat:(rimonium) artificiosus dominus Andreas Martin, viduus, organista et ludimagister in Freystatt, cum virtuosa virgine Anna Maria domini spectatissimi Joan:(nes) Georgii Schiller consulis, et Annae Mariae conjugis filia leg(itima). Testes fuere Dominus Joan:(nes) Georgius Schitler et D:(ominus) Paulus Martin organista in Büchenbach.

Am selben Tag (den 28. August 1747) hat im Angesicht der Kirche die Ehe geschlossen der kunstreiche Herr Andreas Martin, Witwer, Organist und Schulmeister in Freystadt, mit der tugendreichen Jungfrau Anna Maria, der legitimen Tochter des hoch angesehen Stadtrats Johann Georg Schitler und seiner Gattin Anna Maria. Trauzeugen waren Herr Johann Georg Schitler und Herr Paul Martin, Organist in Büchenbach."

Und so geschah es. Am 28. August 1747 schloß Andreas Martin erneut den Bund für das Leben, nunmehr mit der Freystädter Stadtratstochter Anna Maria Schitler.

Aus dieser Trauungsanzeige erfahren wir nebenbei, dass Paul Martin inzwischen seinen Posten als Schulmeister in Burgebrach aufgegeben hatte - zugunsten des Organisten in Büchenbach (bei Erlangen).

Die zweite Frau des Andreas Martin, geb. Anna Maria Schitler, war genauso gebärfreudig wie die erste Frau. Denn aus dieser zweiten Ehe entstanden weitere 10 Kinder, von denen im Frühjahr 1761 noch 7 am Leben waren.

 

Nach nur 14 Jahren zweiter Ehe wurde schließlich am 7. März 1761 auch der Schulmeister und Organist Andreas Martin, der mit 2 Frauen 20 Kinder gezeugt hatte, zu Grabe getragen. Er war am 5. März 1761 plötzlich einem Schlaganfall zum Opfer gefallen. Zwar wurden ihm, in den letzten Atemzügen liegend, vom Pfarrer Pinckel, der ihm zu Lebzeiten so sehr zugesetzt hatte, noch die Sünden erlassen und die Letzte Ölung gegeben, zum Empfang der Hostie war er jedoch nicht mehr imstande. Zwei Tage später, am 7. März 1761, wurde er bei einem Sterbealter von nur 48 Jahren im Friedhof von Freystadt zur letzten Ruhe gebettet. All dies entnimmt man der nachfolgenden Todesanzeige.

Todesanzeige des Andreas Martin, vom 7. März 1761:

"7 Martius 5: Sepultus est spectatus et artificiosus Dominus Andreas Martin choriregens et ludimagister. Apoplexia tactus subito obiit, hinc quidem absolutus et extrema unctiuone munitus SS: viatico provideri n(on) potuit: maestam viduam et 9 liberos relinquans aetat:(e) circiter 48 annorum.

 Bestattet wurde am 7. März der angesehene und kunstreiche Herr Andreas Martin, Chorregent und Schulmeister allhier. Von Schlag getroffen, ist er am 5. des Monats plötzlich verstorben; ihm wurde zwar noch die Absolution und zur Stärkung die Letzte Ölung erteilt; zur allerheiligsten letzten Wegzehrung war er jedoch nicht mehr imstande. Er verstarb mit ca. 48 Lebensjahren und hinterlässt eine trauernde Witwe und 9 Kinder."

Ganz korrekt war diese Angabe nicht, denn in Wirklichkeit hinterließ Andreas Martin neben der trauernden Witwe 10 Kinder. Aber der wichtigste Sohn aus erster Ehe, Johann Paul Egid Martin, hatte schon 9 Jahre zuvor Freystadt verlassen, so fiel er bei der Aufzählung der hinterbliebenen Kinder nicht mehr ins Gewicht.

Etwas schärfer formuliert: Mit dem Tod des Vaters war er in Freystadt verloren und vergessen! Wir gehen deshalb nicht davon aus, dass er, wie vielfach kolportiert, nochmals nachhause zurückgekehrt wäre, um in Freystadt dem Vater beim Orgelspiel zur Hand zu gehen.

Für die trauernde Witwe Anna Maria geb. Schitler, war dieser Tod des Gatten eine Katastrophe. Wie sollte sie allein die 9 minderjährigen Kinder versorgen? Darüber, was nach dem Tod des Kindsvaters aus der vielfachen Mutter wurde, schweigen sich die Freystädter Kirchenbücher leider aus. Wahrscheinlich hat sie sich nochmals nach auswärts verheiratet, brauchte sie doch dringend einen Ernährer für ihre vielen Kinder.

Gedenktafel für J.P.E. Martin am Nachfolger des Geburts- hauses bei der Kirchengasse (vgl. Abb. weiter oben).

Wie stellte sich dieses von Höhen und Tiefen geprägte Leben im alten Schulhaus von Freystadt für den Sohn Johann Paul Egid Martin dar, von dem im Folgenden noch viel die Rede sein wird?

Zunächst:

Johann Paul Egid war

Bis zum 6. Lebensjahr wurde Johann Paul Egid Martin überwiegend von seiner leiblichen Mutter Barbara aufgezogen. Er hatte noch zwei ältere Geschwister, gleichwohl dürfte die Mutter trotz der vielen Hausarbeit genügend Zeit für ihren Sohn gefunden und damit ein herzliches Mutter-Kind-Verhältnis begründet haben.

Überschattet wurden allerdings Johann Paul Egids Vorschuljahre durch den frühen Tod aller weiteren Geschwister und am Ende, 1747 durch den tragischen Verlust der geliebten Mutter.

Ein Stiefmutter konnte diese nicht ersetzen, doch zum Glück für den kleinen Jungen übernahm ab seinem 6. Lebensjahr schwerpunktmäßig der Vater die weitere Erziehung, indem er ihn in den Reigen der Schulkinder aufnahm und ihm so wie allen anderen den Basisunterricht im Schreiben, Rechnen und Lesen sowie im römisch-katholischen Katechismus erteilte. So war der Verlust der Mutter wenigstens durch die tagtägliche Nähe und Betreuung des Vaters Andreas ein wenig kompensiert. Dieser muss, wenn wir den späteren Tenor der Anzeigen in den Kirchenbüchern beachten, ein guter Lehrer gewesen sein, der die Anerkennung und den Respekt der Freystädter Mitbürger erhielt.

Wie sich im Weiteren des Jungens Verhältnis zu seiner Stiefmutter Annemarie gestaltete, deren Zeit mit Haushaltsführung, vielen weiteren Schwangerschaften und der Erziehung der Geschwister mehr als ausgefüllt war, entzieht sich unserer Kenntnis. Es kann, muss aber nicht zwingend schlecht gewesen sein.

Vater Andreas hegte schon früh und über den normalen Unterricht hinausgehend das Vorhaben, aus seinem Sohn einen ebenso guten Orgelvirtuosen zu machen, wie er selbst einer geworden war. Dies führte zu einer intensiven Schulung des Sohnes: Beide, Vater und Sohn, werden viele Nachmittage zum Lernen und Üben, aber auch Gottesdienste und Konzerte gemeinsam an den Freystädter Orgeln verbracht haben.

Besonders beachtenswert war dabei die schöne und wohlklingende Orgel in der Wallfahrtskirche Maria Hilf, aus der Hand des Ingolstädter Orgelbauers Caspar König. Weder die Orgel noch ihr Prospekt haben sich erhalten, aber selbst das heutige Instrument mit seiner neobarocken Optik ist trotz oder gerade wegen des ungewöhnlichen Aufstellungsortes hoch oben unter dem Kirchengewölbe imstande, den Kirchenraum mit ungewöhnlich reinen und geradezu sphärischen Klängen zu durchfluten. Hier dirigierte Vater Andreas Martin als Kantor auch den Freystädter Kirchenchor, in dem seine Ehefrauen und die älteren Martin-Kinder vielleicht schon mitsangen. Der ursprüngliche Prospekt der König-Orgel wird dem der Orgeln in der Hofkirche von Neumarkt oder in der Kirche von Jahrsdorf geglichen haben, die vom selben Orgenbauer stammten.

Obendrein war über der Orgel in einem weiten Stuckrahmen ein Fresko aufgemalt, das ein himmlisches Engelskonzert darstellte. Dies ist die einzige, authentisch erhalten gebliebene Kartuschenmalerei des verstorbenen Hans Georg Asam (1649-1711) und seiner berühmten Söhnen Cosmas Damian (1686-1739) und Egid Quirin (1692-1750).

Dies alles war in der Tat ein schöner und feierlicher Rahmen, der dem begabten kleinen Jungen genug Anlass bot, in sich die Begeisterung für das virtuose Orgelspiel zu wecken, eine Begeisterung, die ihn Zeit seines Lebens nie mehr verlassen sollte.

Der Orgelraum der Freystädter Basilika auf der 2. Empore entzieht sich den Blicken von unten, nur auf der linken Aufnahme erkennt man einen geringen Teil des heutigen neobarocken Orgelprospektes. Die König-Orgel war spätestens 1860 aus unklaren Gründen entfernt und durch ein neueres Modell ersetzt worden. Ihre Disposition und Ihr Akanthusschmuck dürfte jedoch in etwa dem der Orgel in der Hofkirche Neumarkt entsprochen haben, die vom gleichen Orgelbauer und grob auch aus derselben Zeit stammt (vgl. Abb. weiter unten).

Doch all dies reicht nicht als Erklärung dafür aus, dass der junge Johann Paul Egid Martin im Jahr 1752 für immer sein Zuhause verließ - zunächst für eine gymnasiale Ausbildung, der sich später ein wissenschaftliches Studium anschließen sollte.

Reich wurde ein Schulmeister oder Organist deshalb noch lange nicht, und für einen Mann wie Andreas Martin, der obendrein noch sehr viele leibliche Kinder und eine Ehefrau zu versorgen hatte, stand die Bezahlung des jahreslangen Studienaufenthalts für seinen Sohn in weiter Ferne!

Dass der Vater dennoch die musikalische Karriere seines begabten Sohnes nach Kräften förderte und ihm nichts in den Weg stellte, erfahren wir aus einem späten Brief aus Paris - dies war nicht selbstverständlich und ein ausgesprochener Glücksfall!

Es müssen dennoch zusätzlich glückliche Umstände gewesen sein, die dem kleinen Johann Paul Martin einen Lebensweg eröffneten, von dem andere nur träumen konnten.

Den entscheidenden Förderer und Mentor sehen wir in dem Freystädter Pfarrer Veit Christoph Rickauer (-1757). Er war am 16. April 1752 dem im Vormonat verstorbenen Stadtpfarrer Georg Pinckel ins Amt gefolgt. Pfarrer Rickauer war der erste seiner Profession, der in Freystadt nicht vom ausgestorbenen Geschlecht der Grafen von Breiteneck-Tilly bzw. deren Pflegern präsentiert wurde, sondern vom bayerischen Kurfürsten Maximilian III. Joseph (1727-1777) persönlich, an den inzwischen die Grafschaft gefallen war. Herzlich wenig wissen wir von diesem Pfarrer, aber immerhin soviel, dass er aus Waldershof bei Marktredwitz stammte und um 1724/1725 an der Universität Bamberg Philosophie (Logik) studiert hatte. Diesem Ausbildungsabschnitt hatte sich ein Studium der Theologie angeschlossen, vermutlich in derselben Stadt.

In Freystadt musste ein neuer Pfarrer wie Rickauer sicherlich mit vielen Altlasten seines Vorgängers aufräumen, jenes Vorgängers, der es wiederum dem Schulmeister Andreas Martin anfangs so schwer gemacht hatte. Da beide - Martin und Rickauer - obendrein keine Einheimischen, sondern Zugezogene waren, werden sie sich bald angefreundet haben. Dass Pfarrer Rickauer auch den schönen Künsten gegenüber aufgeschlossen war, erkennt man an seiner filigranen Titelzeichnung für das neue Kirchenbuch in Freystadt (vgl. nachfolgende Abbildung). Pfarrer Rickauer kannte sich also bestens darin aus, worauf es bei dem hochbegabten Lehrersohn in Freystadt ankam und er wird den entscheidenden Impuls dafür gegeben haben, dass der kleine Paul eine höhere Schulausbildung inklusive eines Musikstudiums bekam!

In der Mitte das von Pfarrer Veit Christoph Rickauer gestaltete Deckblatt des Kirchenbuches 1752-1757. Der lateinische Urhebervermerk unten enthält ein Zahlen-Anagramm: Die groß geschriebenen Buchstaben repräsentieren römische Zahlen, die in Summe die Jahreszahl M+D+C+C+X+V+V+V+V+V+V+I+I+I+I+I+I+I+I+I+I+I+I = 1752 ergeben. Auf der Rückseite dieses Deckblattes liest man:

"NB: A serenissimo Electore Bavariae hac fuit prima praesentatio ad hanc parochiam post obitum Comitis de Tylli [so!] - Notabene: Vom erlauchtigsten Kurfürsten Bayerns war dies die erste Präsentation (eines Priesters) auf diese Pfarrei, nach dem Tod des Grafen Tilly."

Zur Linken sieht man den veranlassenden Kurfürsten Maximilian III. Joseph von Bayern (1727-1777). Zur Rechten erkennt man den Reichsgrafen Ferdinand Lorenz Franz Xaver von Tilly (1666-1724), welcher als Herr von Freystadt die Wallfahrtskirche Maria Hilf mit Eigenmitteln hatte errichten lassen, ehe er am 9. Januar 1724 erbenlos starb. Darunter befindet sich das Konterfei seiner Schwester Maria Anna Katharina von Montfort-Tilly, der letzten Überlebenden ihres Geschlechtes, die bis zu ihrem Tod im Jahr 1744 die Grafschaft Tilly auf Breitenegg pflegerisch versah, ehe diese dann nach ihrem Tod als längst "erledigtes Mannlehen" faktisch an den amtierenden Kurfürsten von Bayern fiel. Dieser wartete jedoch mit der Präsentation eines neuen Pfarrers in Freystadt noch weitere 8 Jahre, bis der dortige Pfarrer Pinckel hochbetagt aus dem Leben geschieden war.

Einen alten Pfarrverzeichnis zufolge blieb der Pfarrer Veit Christoph Rickauer der Pfarrei Freystadt nicht lange erhalten; er starb nach nur 7 Jahren Seelsorge überraschend am 10. November 1757 an einem Schlaganfall. Doch die Zeit, die ihm in Freystadt blieb, reichte wohl aus, dem jungen Johann Egid Martin einen Ausbildungsplatz zu besorgen - am Jesuitenkolleg in Neuburg an der Donau.

Johann Paul Egid Martin war also gerade 10 oder max. 11 Jahre alt - und nicht 18 Jahre, wie andere Autoren es wollen -, als er Freystadt in Richtung der pfälzischen Residenzstadt an der Donau verließ. Dies war auch genau das Alter, in  dem er gerade seine elementare Schulausbildung abgeschlossen hatte!

Trotz vieler Widrigkeiten in seiner Familie wird ihm der Abschied aus Freystadt schwer gefallen sein - es war ein Abschied ohne Wiederkehr!

 


Neuburg an der Donau (1752-1757)

 

Ausschnitt eines Kupferstichs von Neuburg a. d. Donau (um 1644) aus der "Topographia Germaniae" des Matthäus Merian von 1657. Das Institut "Heilig Kreuz" der Jesuiten oben in Bildmitte, bezeichnet mit den Ziffern 8 (Hofkirche) und 9 (Seminar).

Mit Neuburg a. d. Donau hatte man für Johann Paul Egid Martin die am nächsten gelegene Ausbildungsstätte gesucht, wenngleich er mit dem Wechsel dorthin zum Wintersemester 1752/53 auch einen Wechsel der politischen Einheit vollzog - von der Oberen Pfalz, die damals zu Kurbaiern gehörte, nach Pfalz-Neuburg. Dabei sollte man jedoch erwähnen, dass Freystadt selbst früher auch schon einmal Pfalz-Neuburgischer Besitz gewesen war, und dass um 1750 das Territorium von Pfalz-Neuburg mit der Exklave um Hilpoltstein bis zur Schwarzach reichte, also bis vor die Tore Freystadts. Bei solcher Nähe  gab es also, topografisch bedingt, durchaus Beziehungen.

Zu der Zeit, als der Sohn Andreas Martins als einziger seiner Familie in das Studienseminar der Jesuiten in Neuburg einzog, war dieses bereits eine alt-ehrwürdige Institution mit bewegter Gschichte, seiner Auflösung 1774 näher als seiner Gründung, die im Jahr 1638 unter Herzog Wolfgang Wilhelm von Neuburg erfolgt war. Der Zweck der Gründung lag darin, dem im 30-jährigen Krieg und danach grassierendem Pristermangel zu begegnen, indem man die Priesterlaufbahn auch begabten Kindern aus der ärmeren Landbevölkerung erschloss - mit einer dem heutigen Gymnasium analogen Ausbildung unter einem Dach. Dazu wurde das Seminar nach und nach reich dotiert und dem bildungsbewussten Jesuiten-Orden übergeben.

Das Angebot in Neuburg war insofern verlockend, als einem jeden "alumnus" = Zögling die Seminargebühren gestundet und für den Fall, dass er sich hinterher für mindestens 5 Jahre als Priester verpflichtete, sogar ganz erlassen wurden. Siehe hierzu die "formula obligationis" in nachfolgender Abbildung.

Das Elternhaus hatte lediglich für Bekleidnung und Verpflegung zu sorgen; im Fall der Familie Martin gab vielleicht Pfarrer Rickauer einen Zuschuss, denn die Situation des Elternhauses in Freystadt darf bei den vielen Kindern, die zu ernähren waren, eher als prekär eingeschätzt werden.

In den Genuß eines zusätzlichen kurfürstlichen Stipendiums - in den Schülerlisten erkennbar an dem Epithet "alumnus Electoralis" - kam Paul Martin allerdings nicht, selbst wenn der Pfarrer Rickauer ein "kurfürstlicher" Pfarrer war: Er ist in den Schülerlisten nur als einfacher "alumnus" verzeichnet. Vielleicht lag diese Einschränkung auch daran, dass die "alumni Electorales" später für höhere Staatsaufgaben vorgesehen waren, was bei Paul Martin sicherlich nicht der Fall war.

Links Seite aus dem "Catalogus Seminaristorum" von 1756/57. In der vorletzen Zeile (unten vergrößert) liest man "Paulus Martin Freystadiensis Bojus, Organoedus. Inst.(ructor) in organo. Alumnus = Paul Martin aus Freystadt in Bayern, Orgelspieler, Lehrer im Orgelspiel, Zögling (des Seminars)". Paul war also der Rufname!

Rechts die "Formula obligationis", mit der sich die Seminaristen zu einem 5-jährigren Pfarrdienst nach Abschluss des Priesterseminars verpflichten mussten. Der Text in Übersetzung:

"Verpflichtungsformular für die Zöglinge des Seminars 'Heilig Kreuz' in Neuburg: 'Ich, N., aus dem Ort N. der Diözese N., N. Jahre alt, akzeptiere nach Kenntnisnahme der Regeln des Pfälzischen Priesterseminars zum Heiligen Kreuz in Neuburg a. d. Donau diese in der Gesamtheit und im Detail - gern und aus freien Stücken. Vor allem verspreche und schwöre ich, dass ich die kirchliche Stellung, die ich mir überlegt erwählt habe, auf mich nehmen werde, sobald mir dies die Leiter des Seminars anordnen, und dass ich ohne deren ausdrückliche Erlaubnis keine andere, wie immer geartete Stellung annehmen werde. Ich werde vielmehr solange im Seminar bleiben, bis ich von ihnen zur Seelsorge in Pfalz-(Neuburg) eingesetzt werde. Sollte ich aber während der Ausbildung - was Gott verhüten möge! - aufgrund eigenen Verschuldens aus dem Seminar entlassen werden, so verpflichte ich mich, die für mich aufgewandten Kosten dem Seminar getreulich nach dem Urteil der Vorgesetzten zurückzuerstatten. Ferner verpflichte ich mich, nach Abschluss des Studiums und Erhalt der heiligen Weihen mich für die Dauer von 5 Jahren nach Verlassen des Seminars an demjenigen Ort für die Seelsorge zur Verfügung zu stellen, wo es die Oberen für richtig erachten. Nach Ablauf der 5 Jahre verspreche ich, pflichtgemäß weiterhin in der Pfalz seelsorgerlich tätig zu sein, jedoch an einem Ort meiner Wahl." [Datum, Unterschrift]<>

 

Konkrete Quellen zu den Unterrichtsfächern Johann Paul Egid Martins - kurz Paul Martin - im Jesuitenkolleg Neuburg standen uns für diese Übersicht nicht zur Verfügung, nur Quellkenhinweise. Allerdings lässt sich auf Basis des typischen Lehrplans jesuitischer Bildungseinrichtungen im 18. Jahrhundert und der bekannten Biografie des späteren Komponisten Martini eine fundierte Rekonstruktion vornehmen:

Das pfalz-neuburgische Jesuitenkolleg, kolorierte Federzeichnung von 1723. Dieser Aspekt kommt dem Jesuitenkolleg, das Johann Paul Egid Martin besuchte, näher als die vorherige Abbildung. Man erkennt einen Verbindungsgang, der vom Kolleg direkt zur Orgelempore der Hofkirche hinüberführte.

Der Fokus lag in Neuburg sicherlich auf der Vorbereitung für kirchliche, akademische oder musikalische Karrieren. Die Jesuiten folgten dabei der "Ratio Studiorum" von 1599, einem standardisierten Lehrplan, der in ihren Schulen sogar europaweit angewendet wurde.

Im Fall des kleinen Paul Martin liest sich nach den Unterlagen des Studiensemninars (Ms.1b, Jg.1757, Ms.2b, S.101, 104, 106, 111, 115, 123) sein Neuburger Curriculum so: Dies war jedoch nur der Basisunterricht. Denn bei Paul Martin hatte die Musik den absoluten Vorrang: Schon in den ersten Schülerlisten war er als "organoedus" = Orgelspieler verzeichnet. Zum Ende seiner Studienzeit durfte er sich sogar "instructor in organo" = Orgellehrer nennen, d. h. er hatte bereits mit 16 Jahren - nach theoretischer und praktischer Prüfung im Orgelspiel - die Lehrbefähigung erhalten. Man vergleiche dazu die Angaben in obiger Abbildung!

 

Mit Paul Martins Orgelspiel ist die berechtigte Frage verbunden, an welchen Orgeln er seine Ausbildung erhielt.

Zunächst zum Tagesunterricht: Selbst wenn eine große Kirchenorgel in Jesuiten-Seminar in Neuburg gefehlt haben sollte, gab es in solchen Kollegs alternative Wege, um Orgelunterricht zu ermöglichen.

Erst ab einem gewissen Ausbildungsniveau durfte Paul Martin dann auch an großen Kirchenorgeln üben oder dort schon selbständig Gottesdienste begleiten:
Die Neuburger Hofkirche heute.

 

Leider haben wir auch keine Information über Paul Martins Lehrer an der Orgel und an anderen Instrumenten. Die von Dr. Martin Veit aus Neuburg angelegte und im Internet zugänglich gemachte Datenbank über den Jesuitischen Lehrkörper in Neuburg beginnt mit dem Jahr 1616, endet aber leider schon mit dem Jahr 1635 und wurde danach nicht mehr fortgeführt. Wenigstens nennt sie den lateinischen Titel der jesuitischen Musiklehrer: "praefecti musicae"! [Link]

 

Wie es sich im Einzelfall auch verhalten haben mag - wir verfügen hierzu leider über keine weiteren Dokumente -, Johann Paul Egid Martin, der in Neuburg a. d. Donau im Alter von 10 Jahren schon als fast fertiger Orgelspieler = "Organoedus" ankam - schon im ersten Schülerverzeichnis "Syntaxista minores" von 1752/53 ist er als solcher bezeichnet - wurde dort profund im Orgelspiel weiter ausgebildet, und es dauerte bei seinem Talent nur 4 bis 5 Jahre, dann war er es selbst, der andere Zöglinge des Studienseminars an der Orgel unterrichtete. Andernfalls hätte er sich 1756/57 nicht "Instructor in organo" nennen dürfen.

Über Paul Martins Leben in Neuburg, über ein eventuelles Heimweh und über stattgehabte Heimaturlaube, über sein Verhältnis zu Lehrern und Mitschülern, breitet sich leider der Mantel des Schweigens.

Nur eines ist sicher: Eine enge innere Bindung an die katholische Kirche scheint der junge Martin in Neuburg a. d. Donau entgegen allen Intentionen der Jesuiten nicht entwickelt zu haben. Und katholischer Pfarrer wollte Paul Martin schon gleich nicht werden, denn da hätte er ja das Orgelspiel wieder aufgeben müssen!

Als am 10. November 1757 der Pfarrer Rickauer in Freystadt starb, der ihm vielleicht eine Art Freund und Mentor gewesen war, hielt Paul Martin nichts mehr in Neuburg, zumal nun möglicherweise auch der Unterhaltszuschuss des Pfarrers entfiel. So findet man in der Neuburger Schülerliste des Wintersemesters oder Schuljahres 1757/58 nicht mehr den Namen "Paul Martin".

Da Paul auch nicht zu einer Rückzahlung der Studiengebühren imstande gewesen wäre, verließ er das Kolleg vermutlich heimlich und ergriff die Flucht. Eine Rückkehr nach Hause war damit allerdings vereitelt; sie hätte sich abgesehen von der Gefahr der Ergreifung auch deshalb nicht gelohnt, weil sein Vater Andreas, der dem eigenen Ableben bereits nahe stand, für ihn weder Unterkunft noch Beschäftigung gehabt hätte.

So treffen wir Paul Martin erst wieder im Jahr 1758 an, nunmehr weit außer Landes, in Freiburg im Breisgau.

 


Freiburg im Breisgau (1758-1759)
 

Der 16-jährige Paul Martin hatte sich inzwischen, bei seiner Wanderschaft in den Breisgau, ein Inkognito als Familiennamen zugelegt, um ja nicht aufzufallen und entdeckt zu werden: "Schwarzendorf". Dieses Inkognito ist zwar nur anekdotisch überliefert und quellenmäßig bis dato nicht abgesichert, aber plausibel ist es schon:

Da passte der Nachname "Schwarzendorf": Originell war er sowieso, und schon gar nicht gelogen: Paul Martin kam ja wirklich aus dem "schwarzen Dorf" - und im Zweifelsfall hätte er sich darauf hinausreden können, er habe sich beim Namen nur ein wenig verschrieben!

Wie Paul Martins Fluchtweg von Neuburg a. d. Donau nach Freiburg i. Breisgau verlief, und wie lang diese Wanderung dauerte, entzieht sich unserer Kenntnis. Ähnlich wie der junge Christoph Willibald Gluck vor ihm (um 1729/30) wird er sich unterwegs bei einzelnen Pfarrern vorgestellt und sein Orgelspiel angeboten haben, was ihm dann das Reisegeld einbrachte.

Schon im Wintersemester 1758/59 treffen wir Paul Martin in der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg unter den Studenten der "Logik" an.

"Freiburg im Brisgöw“ - historische Ortsansicht von 1721, Radierung von Gabriel Bodenehr d. Ä. Linker Pfeil: Universität "Albertina", mit der Universitätskirche "Maria Immaculata", die dem Jesuiten-Orden gehörte. Der mittlere Pfeil markiert die Franziskanerkirche "St. Martin" am heutigen Rathausplatz, der rechte Pfeil das Freiburger Münster.

Die Stadt Freiburg und ihre Universität Albertina gehörten damals zu Vorderösterreich, d. h. zu den habsburgischen Vorlanden westlich von Tirol und Bayern. Die Universitätsgebäude waren bis 1750 gerade frisch errichtet und die Lehrstühle von Österreich aus laizistisch reformiert worden, d. h. sie waren der Veranwortung der Jesuiten und dem Zugriff der Staatsmacht bis 1767 entzogen. Es handelte sich somit um die modernste und freieste Universität auf deutschen Boden, in der damaligen Zeit.

Zum "ausländischen" Erzherzogtum Österreich gehörend, hatte Ägidius Paulus Martin - so nannte er sich jetzt unter Umstellung zweier Vornamen und Weglassung des dritten, laut den Matrikeln der Universität - von Seiten des Jesuiten-Ordens nichts zu befürchten. Somit legte er nun das Pseudonym "Schwarzendorf" ab.

Eintrag in den Matricula der Universität Freiburg, unter dem Rektorat von Prof. Joseph Lambert Bader, Bd. 4 1656-1788 fol. 358v., 1758/59.

 

Leider sind nicht nur in Freiburg, sondern auch an den beiden nächsten Wirkorten Martins die heute noch verfügbaren Primärqellen zu diesem musikalischen Oberpfälzer so rar, dann wir uns im Folgenden auf die Lebensbeschreibungen des 19. Jahrhunderts verlassen müssen, welche meist nur die weitere berufliche Karriere schildern, aber leider so gut wie keine Angaben zu Paul Martins Privatleben enthalten.

Die älteste und wichtigste uns vorliegende Lebensbeschreibung, die wahrscheinlich durch das Hörensagen von Zeitzeugen entstanden sind, findet man bei

Es folgen und schließlich

Die letzteren historischen Kurzbiografien bauen mehr oder weniger auf die primäre Veröffentlichung von François-Joseph Fétis auf. Da sie nicht durch J. P. E. Martins eigene Angaben zustandegekommen sind, enthalten sie viel Falsches oder Unwahrscheinliches, was wir stillschweigend übergehen. Wenn aber etwas daraus brauchbar und plausibel klingt, dann zitieren wir im Folgenden der Einfachheit halber nur mit Autoren-Namen und Seitenzahl.

Der belgische Musikhistoriker François-Joseph Fétis (1784-1871) war der erste, der uns darüber aufklärt, dass Paul Martin in Freiburg sein Studium, das 4 Semester oder 2 Jahre dauerte, selbst finanzierte, indem er beim Freiburger Franziskaner-Konvent den Posten des Organisten übernahm. Die Minderbrüder waren als Bettelorden das pure Gegenteil der geschäftstüchtigen Jesuiten, weitaus weniger streng, dafür umso orthodoxer. So kann man, wenn man so will, bei dieser Ordenszuwendung des Paul Martin davon ausgehen, dass er zwar von den Jesuiten wenig hielt, aber dennoch ein guter Katholik geblieben war.

Die Franziskanerkirche "St. Martin" in Freiburg.

Im Übrigen war die Franziskanerkirche in Freiburg wie auch das Kloster selbst, die angrenzende Gasse und ein nahes Tor, das im Süden aus der stark befestigten Stadt hinausführte, jenen heiligen Martin von Tours geweiht, der Paul und seiner ganzen Familie den Nachnamen geliehen hatte. Ob Paul Martin direkt bei den Franziskanern auch Logis nahm, entzieht sich unserer Kenntnis.

Wenn stimmt, was François-Joseph Fétis im Weiteren berichtet, dann hätte er von Freiburg aus nochmals kurz seinen Vater in Freystadt aufgesucht, aber nur, um dort festzustellen, dass er dort keinesfalls bleiben könne. Wenn dieser Heimatbesuch stattfand, dann muss er kurz vor dem Tod des Vaters im Jahr 1761 gewesen sein, denn bei dessen Beerdigung war Paul Martin mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht anwesend (zur Begründung siehe oben). Und weitere Bezugspersonen in Freystadt, an denen er hing, hatte er nicht mehr: Seine geliebte Mutter Barbara war seit über 10 Jahren tot, seine Stiefmutter war ihm von Anfang an fremd geblieben, und seine Geschwister, Marie-Sophie und Andreas, vermutlich ebenfalls.

Doch auch Freiburg war für ihn kein Ort, in dem sich auf Dauer leben ließ.

Egid Paul Martin war erfüllt vom ungestillten Ehrgeiz, als Organist weiter vorwärts zu kommen, er wollte nun endlich eine Orgel und ihr Geheimnis bei ihren Bau kennenlernen, aber dafür waren die damaligen Orgeln in Freiburg nicht geeignet.

Die hervorragende Orgel-Tradition im deutschsprachigen Elsass und im französischen Lothringen, die gerade in Martins Zeit Jean-André Silbermann mit seinem Orgelbau-Archiv zur Spitze geführt hatte, hatte jedoch jenseits des Rheins zu einer ganzen Reihe von namhaften Orgelbauern und Meister-Orgeln geführt. [Link] Paul Martin hatte auch gehört, dass gerade jetzt in der nicht allzu weit entfernten Kathedrale von Nancy eine neue Orgel gebaut würde, eine der größten Lotbringens, die mit sage und schreibe 4194 Pfeifen, 65 Registern und 4 Manualen ihresgleichen suchte.

So brach er nach 4 Semestern Studium noch im Jahr 1760 seine Zelte in Freiburg ab und machte sich ein weiteres Mal auf den Weg: "Ma vocation c’est la musique - Meine Berufung ist die Musik", soll er gesagt haben.

François-Joseph Fétis hat diesen Aufbruch mit einer schönen Legende verbrämt, die vermutlich Martin später in Paris erzählte, wenn er gefragt wurde, warum er ausgerechnet nach Frankreich gekommen sei:

"Incertain de la route qu'il devait suivre, il monta sur un clocher et jeta dans l'air une plume dont il examina la direction; le vent l'ayant poussée vers 'la porte de France", ce fut par là qu'il sortit, et, sans argent, il s'achemina vers Nancy, s'arrêttant le soir dans des couvents où son costume d'étudiant lui faisait trouver un gîte convenable ..." [François-Joseph Fétis 1864, S. 7]

"Da er nicht sicher war, welchen Weg er einschlagen sollte, stieg er auf einen Kirchturm [freilich der des Freiburger Münsters] und warf eine Feder in die Luft, deren Richtung er prüfte. Da der Wind sie in Richtung der "Porte de France" trieb [sog. "Rheintor" in Breisach, nach Plänen von Vauban, im Westen von Freiburg], verließ er die Stadt durch diese und machte sich ohne Geld auf den Weg nach Nancy. Er ging nach Nancy, wo er sich abends in Klöstern aufhielt, die ihm aufgrund seiner Studententracht eine angenehme Unterkunft boten ..."

 

"La porte de France" alias "Rheintor" in Breisach am Rhein, ca. 20 km westlich von Freiburg, direkt am Ufer des Rheins gelegen. Wenn man von Freiburg aus die Perspektive nach Breisach über die Vogesen hinweg mit leichter Achsdrehung nach Nord fortsetzt, landet man direkt in Nancy.

 

 


Nancy (1760-1764)
 

Der junge Paul Martin plante zielstrebig seine weitere Karriere.

Mit der lothringischen Hauptstadt Nancy, in die er sich nun via "Porte de France" begab, hatte er schon zum zweiten Mal, neben Freiburg, eine sehr überlegte Wahl getroffen. Denn er fand dort nicht nur Voraussetzungen für seine weitere Berufsausbildung und Karriere, sondern er entging mit der Auswahl dieser Stadt auch geschickt einer Mobilisierung zum Militärdienst.

Stanislaus Leszczyński (1677-1766), König von Polen und Großfürst von Litauen 1704-1709, 1733-1736, Fürst von Zweibrücken 1714-1719, Herzog von Bar und Lothringen 1736-1766. Gemälde von Jean Girardet.

Seit 1756 tobte nämlich in Europa ein schrecklicher Krieg: Der Siebenjährige Krieg (1756-1763) war ein globaler Konflikt zwischen den Großmächten Europas, wobei Preußen und Großbritannien gegen Österreich, Frankreich und Russland kämpften, ein Krieg, der an wechselnden Orten immer wieder aufflammte und zu erbitterten Schlachten führte, mit schrecklichen Verlusten an Soldaten und in der Zivilbevölkerung.

Schon Freiburg im Breisgau war allerdings als Hauptstadt von Vorderösterreich nicht besonders kriegsgefährdet gewesen, im Sinn von direkten Belagerungen oder Schlachten, erst recht aber nicht Nancy. Denn obwohl der Krieg 7 Jahre lang in Europa tobte, lag Nancy als Hauptstadt von Lothringen abseits der Hauptschauplätze und es war auch politisch nicht direkt in dem Krieg involviert. Die Stadt war obendrein durch ihre Nähe zur Großmacht Frankreich und durch die französische Präsenz relativ geschützt, und es gab in der betreffenden Zeit vor Ort auch keine direkten militärischen Bedrohungen wie Belagerungen oder Schlachten - im Gegensatz zu vielen anderen Großstädten Europas. Indirekte Auswirkungen wie Einquartierungen oder wirtschaftliche Belastungen waren zwar möglich, aber das unterschied Nancy nicht von anderen Städten im Reich.

Wie die Zukunft erwies, blieb tatsächlich in der ganzen Zeit, in der Paul Martin in Lothringen und speziell in Nancy weilte, die Lage ruhig, und so prägte die kulturelle Blüte unter Herzog Stanislaus I. die Stadt und das Herzogtum weitaus stärker als kriegerische Ereignisse.

Stanislaus I. Leszczyński (1677-1766) war ein gebürtiger Pole; er war nach dem Polnischen Erbfolgekrieg (1733-1735) wegen des doppelten Verlustes der polnischen Königswürde vom Königreich Frankreich, das ihn zuvor bei seiner Wahl zum König von Polen unterstützt hatte, nach dem Wiener Präliminarfrieden 1735 mit dem Herzogtum Bar und Lothringen entschädigt worden (als Teil des Heiligen Römischen Reichs). Nun herrschte Stanislaus seit 1736, also seit fast 30 Jahren in Lothingen - als unumstrittener Souverän, mit Residenzen in Commercy und Lunéville.

Speziell die Hauptstadt Nancy brachte Stanislaus I. zu großer wirtschaftlicher und kultureller Blüte, wie man noch heute am besten an den Prachtbauen rund um die "Place Stanislas", die auch mittig sein Standbild trägt, erkennt.

"La place Stanislas" in Nancy.

Der junge Paul Martin avisierte allerdings ein anderes Ziel in Nancy, nämlich die Primiziale und spätere Kathedrale "Notre-Dame-de-l'Annonciation". Dort entstand gerade in dieser Zeit, zwischen 1756 und 1763, unter den Händen des lothringischen Orgelbauers Nicolas Dupont (1714-1781) eine neue Hauptorgel. Mit 44 Registern war diese Orgel die größte in ganz Lothringen; sie übertraf dabei sogar die berühmte Orgel in der Kathedrale von Toul, mit 42 Registern. Zur Zeit, als Paul Martin dort eintraf, dürfte diese grandiose Orgel im Großen und Ganzen schon fertiggestellt, aber noch nicht fein abgestimmt worden zu sein.

Der spätbarocke Orgelprospekt der Primiziale von Nancy. Wenn Martin hier spielte, dann in der Tat auf einem Meisterinstrument, mit 44 Registern!

Doch ehe sich Paul Martin in der Kirche bekannt machte, stand für ihn ab 1760 etwas anderes auf dem Programm, nämlich das Erlernen und fließend akzentfreie Sprechen der französischen Sprache, was ihm auch nach und nach gelang. Wer ihm das Französische beibrachte, wissen wir nicht; vielleicht hatte er mit dem Lernen schon in Freiburg begonnen.

Aller Anfang ist schwer: Da ihm in dieser Zeit ein regelmäßiges Einkommen fehlte, suchte er zunächst als fahrender Student Logis in einigen Klöstern, meinte François-Joseph Fétis. Kost und Logis bezahlte er in dieser Zeit wohl nicht mit Geld, sondern durch sein Orgelspiel, das er den Klosterkirchen unentgeltlich zur Verfügung stellte.

Schließlich gelang es ihm, sich beim Orgelbau-Meister Nicolas Dupont (1714-1781) bekannt zu machen. Dieser war ein gebürtiger Lothringer und in Nancy ein renommierter Mann. 27 Jahre älter als Paul Martin, war wohl der beste Ausbilder, den sich dieser wünschen konnte:

Hier in Kürze die Hauptstationen seines Lebens:

Aus heutiger Sicht zeichnen sich Nicolas Duponts Orgeln durch ihre klassische französische Struktur aus, die er mit technischen Neuerungen kombinierte. Seine Zusammenarbeit mit Thierry in Paris beeinflusste seinen Stil, und er setzte neue Standards in Lothringen. Sein Meisterwerk blieb die besagte Orgel in der Primiziale von Nancy. Sie vereinte in sich sein handwerkliches Können und seine künstlerische Vision, und spiegelte so in ihrer Art die kulturellen und religiösen Ambitionen der ganzen Stadt wider. Durch seine Pariser Ausbildung, seine Werkstatt in Malzéville und seine Zusammenarbeit mit talentierten Lehrlingen prägte er den Orgelbau in Lothringen nachhaltig.

Ein französischer "facteur d'orgues" und sein Gehilfe bei der Arbeit.

Dieser renommierte Orgelbau-Meister namens Nicolas Dupont nahm Paul Martin noch im Jahr seines Eintreffens in seinen Mitarbeiterkreis auf und wurde ihm sogar ein fürsorglicher Förderer:

Denn Paul Martin beeindruckte ihn nicht nur durch das Orgelspiel als solches, sondern auch dadurch, dass er erstaunliche Kenntnisse des Orgelbaus an den Tag legte. Paul hatte diese Kenntnisse vielleicht schon als Kind erworben, denn die Stadtpfarrkirche "St. Peter und Paul" von Freystadt hatte vielleicht gerade zu der Zeit, als ihm sein Vater die ersten Schritte im Orgelspiel beibrachte, eine neue Orgel erhalten. Andernfalls konnte Paul Martin seine Kenntisse und Fertigkeiten auch in Neuburg an der Donau erworben und vertieft haben.

Wie dem auch sei: Nicolas Dupont hielt viel von Paul Martin, er gewährte im freie Kost und Logis und gab ihm die Gelegenheit, die neue Orgel von Nancy zusammen mit ihm selbst einzuspielen und alle 4194 Pfeifen fein abzustimmen, was sicherlich die ganze Zeit von 1761 bis zur Einweihung der Orgel im Jahr 1763 in Anspruch nahm.

Welchen Fortschritt das für Paul Martin bedeutete, verdeutlicht schon der rein optische Vergleich der Dupont-Orgel in Nancy mit der König-Orgel in Freystadt, an der er seine ersten muskalischen Ausflüge unternommen hatte. Zwar ist in Freystadt die Originalorgel des Ingolstädter Orgelbauers Caspar König von 1716 nicht mehr erhalten, ihr Prospekt dürfte sich aber nur wenig von dem der erhaltenen König-Orgel in der Hofkirche von Neumarkt i. d. Oberpfalz unterschieden haben, welcher folgende Abbildung zur Rechten zeigt. Was die Größenordnung beider Orgeln anbelangt, so vergleiche man einfach die Anzahl der Pfeifen!

Links die Dupont-Orgel von Nancy, rechts die König-Orgel von Neumarkt i. d. Oberpfalz, die ursprünglich sogar noch kleiner war als heute.

In diese fruchtbare Zeit nach 1760 fallen auch die ersten größeren Kompositionen Paul Martins:

Wenn François-Joseph Fétis mitteilt, dass Nicolas Dupont dafür sorgte, dass Paul Martin in Nancy bekannt wurde, dann sicherlich weniger wegen seiner Orgelkunst als wegen seiner Fähigkeiten als Komponist, die sich nun nach und nach entfalteten. Leider können wir diese ersten Titel heute im Detail nicht angeben, da hierüber keine Aufzeichnungen existieren. Es könnte sich um Messen oder Motetten für den kirchlichen Gebrauch gehandelt haben, ggf. auch um Tastenwerke für Cembalo und Orgel, Präludien, Fugen oder Suiten, und eventuell auch um Kammermusik sowie Chansons und Ariettes im galanten Stil, die Martin am kulturbeflissenen Hof Herzog Stanislaus' I. bekannt machen sollten.

Da der Name "Martin" zwar in Frankreich keineswegs unbekannt war, aber eher für einen Vornamen als für einen Familiennamen gehalten wurde, außerderm mit seiner nasalen Aussprache wenig melodiös und künstlerisch klang, riet Nicolas Dupont Paul Martin dazu, seinen Familienamen zu italienisieren, d. h. um ein betontes "i" an Ende zu "Martini" erweitern.

Und so geschah es: Seit dieser Zeit nannte sich Paul Martin ausschließlich in kombinierter französisch-italienischer Sprache "Jean-Paul-Ègide Martini" - oder kurz "J. P. E. Martini". Damit markierte er bewusst die beiden Länder, die in der Entwicklung der Opernkomposition federführend gewesen waren. Da aber damals ein viel berühmterer "Martini" in Italien exisierte, nämlich der Bologneser Musikologe Padre Giovanni Battista Martini (1706-1784), setzten die Musikliebhaber alsbald dem Wort "Martini", wenn sie Paul Martin aus Freystadt meinten, das künstlerisch klingende Epithet "Il Tedesco", d. h. "der Deutsche", hinzu. Mit diesem klärenden Zusatz findet man Martini auch noch Jahre später in Paris.

Der Zusatz "IL TEDESCO" findet sich gedruckt noch zu einem Zeitpunkt, zu dem ihn J.P.E. Martini bereits wieder abgelegt hatte, wie auf dem italienischen Titelblatt von 6 in Paris veröffentlichten Triosonaten "a grand orchestra", aus dem Jahr 1770.

 

François-Joseph Fétis berichtete, dass J.P.E. Martini wenig mit der streng akademischen Harmonielehre und dem durchkonstruierten Kontrapunkt am Hut hatte, ähnlich wie sein Landsmann Christoph Willibald Gluck in Wien. Umso mehr habe er (wie dieser) die Musik großer Meister studiert. Schließlich seien es einige "leichte Kompositionen" - fr. "compositions légères" - gewesen, die ihn am Hof des Herzog Stanislaus bekannt machten, der seine Art von Musik goutierte - "qui goûtai sa musique!". Herzog Stanislaus war es auch, der Martini als "Hofkomponist" oder vielleicht sogar als seinen "Kapellmeister" anstellte und ihm damit ein regelmäßiges Ein- und Auskommen verschaffte.

Nach dem Biografen Guya de Gabourdin unterhielt Stanislaus ab 1737 ein bemerkenswert großes Orchester-Ensemble von 39 Musikern, und es war vielleicht sogar das bedeutendste Orchester in ganz Europa, wenn man in Betracht zieht, dass die Hofkapelle König Ludwigs XIV. von Frankreich, seines Schwiegerssohnes in Fontainebleau, gerade mal die halbe Zahl an Musikern beschäftigte. Geschlagene 54036 Pariser Pfund soll diese Ensemble jedes Jahr gekostet haben, 7mal soviel wie die 5 Leibärzte des Königs und seines Apothekers zusammen!

Monsieur "Martini Il Tedesco" hatte nun seinen Anteil daran. Dass er diesen Karrieresprung von Null auf Hundert geschafft hatte, hatte er nicht nur seinem Mentor Nicolas Dupont und seiner Kompositionskunst zu verdanken. Nein, unser Paul Martin, Lehrrssohn aus Freystadt, muss vielmehr viel Charme und diplomatisches Geschick besessen haben, ein Talent, das seinesgleichen suchte. So öffneten sich ihm nicht nur hier in Nancy, sondern auch später in Paris immer wieder die Türen des Hochadels, wovon andere Konponisten oder Organisten nur träumen konnten.

 

Mit diesem Rückenwind von höchster Stelle war nun Paul, der sich zusätzlich zu seinem italienisierten Namen auch "maître de musique" nannte, imstande, erstmals in seinem Leben auf Freiersfüßen zu gehen - und er wurde in dieser Eigenschaft auch bald fündig.

Am 3. Mai 1764 heiratete er Marguerite Camelot, die Tochter des Zimmermanns Nicolas Leopold Camelot, der vielleicht am Orgelprospekt in Nancy mitgearbeitet hatte. Dass dieses Mädchen Enkelin oder Nichte des ersten Organisten der Kirche in Nancy gewesen sei, wird verschiedentlich kolportiert; wir haben aber dazu bis dato keine beweisende Quelle gefunden.

Es folgt zunächst der Text der Verlobungsanzeige in deutscher Sprache, wie ihn der Ausstellungskatalog von 2002 wiedergibt, danach folgt die originale Trauungsanzeige mit deutscher Übersetzung. In beiden Fällen unterschrieb Paul Martin nur mit seinem Nachnamen, einem simplen "Martini" Dagegen hatte der Priester das "Égide" eigenwillig in den südfranz. Heiligennamen "Gilles" umgewandelt, der allerdings ebenfalls dem lateinischen Namen "Aegidius" entsprach, und er hatte ihn an zweiter statt an dritter Stelle gesetzt. Es ist gut möglich, dass sich der Bräutigam über diese Eigenmächtigkeit ärgerte und nur deshalb sein lakonisches "Martini" auf den Dokumenten hinterließ.

Verlobung am 22. April 1764 (N° 1051 im Trauungsbuch von Nancy):

"Am heutigen Tag des Jahres 1764 habe ich mit Erlaubnis des Monsieur Le Cure Jean-Gilles-Paul Martini und Marguerite Camelot im Beisein der unterzeichneten Zeugen verlobt.

MARTINI, Marguerite CAMELOT, Jean-Baptiste PIGNOLET, SIMONIN, LORESTIN, DEVANET prêtre ex licentia parochi."


[Es folgen alle Paare, die an diesem Tage verlobt wurden].

Folgende Abbildung zeigt nun das originale Trauungsdokument von 4. Mai 1764:

Die Hochzeitsanzeige des "Jean Gilles Paul Martini, maitre de musique" und der "Margueritte Camelot", vom 4. Mai 1764.

Hier die deutsche Übersetzung:

"Im Jahre siebzehnhundertvierundsechzig, dem 3. Mai nach der Bekanntmachung des dritten Aufgebotes der künftigen Heirat zwischen Jean Gilles Paul Martini, Meister der Musik, jüngerer Sohn des verstorbenen Andreas Martini, Meister der Musik, und der Marie Barbara Eichin, stammend aus Freystadt in der Oberpfalz, Bistum Eystatt, und der angegebenen Pfarrgemeinde einerseits, und Marguerite Camelot, Tochter des Nicolas Leopold Camelot, Zimmermann, und der Marie Anne Pignolet aus meiner Pfarrgemeinde andererseits, wahrscheinlich veröffentlichte Tatsache in der Pfarrgemeinde Freystadt, wie es durch das Zertifikat des Monsieur Le Cure des gleichnamigen Ortes festgestellt wurde, welches (das Zertifikat) in ordentlicher Form durch Monsieur Le Grand Vicaire von Eystadt per Datum 3. Februar dieses Jahres beglaubigt ist, wogegen es keine Einwände gibt noch irgendwelche Hinderungsgründe bekannt sind, seien sie ziviler oder kirchlicher Art.

Ich, der Unterzeichnete, Prêtre et Cure der Pfarrgemeinde Saint-Sébastien von Nancy, habe beider Einverständnis zur Heirat erhalten und ihnen den kirchlichen Hochzeitssegen erteilt, wie es die Heilige Kirche vorschreibt, im Beisein des Abbé Camelot, des Onkels der Braut, Priester und Pfründeninhaber an der Primiziale
[Hauptkirche] dieser Stadt und in Anwesenheit der Zeugen Jean Louis Demanger, Philippe Beauval, Nicolas Leopold Camelot und Jean Baptiste Pignolet."

[Es folgen alle Unterschriften]

Der eigenhändige Schriftzug "Martini" und die Unterschrift seiner frisch angetrauten Frau "Marguerite Camelot" im Trauungsdokument von Nancy, in Vergrößerung.

Das frisch getraute Paar wohnte damals in der Innenstadt von Nancy, im Pfarrsprengel der Kirche Saint-Sébastien, im Südwesten der Altstadt. Diese Kirche war nach Plänen des Architekten Jean Nicolas Jenneson (1686-1755) erst 30 Jahre zuvor im Stil des französischen Barock fertiggestellt worden - und sie war allein wegen des freien Platzes, der einen unverstellten Blick auf die Prunkfassade gewährte, ein ausgesprochen schöner Trauungsort. Zur Verdeutlichung folgen zwei Darstellungen dieser Kirche, links eine Fotografie von heute, rechts der Aspekt der Kirche im 18. Jahrhundert:

Die Kirche Saint-Sébastien in Nancy, die Hochzeitskirche Jean-Paul-Égide Martinis und Marguerite Camelots.

Mit der Unterzeichnung des Trauungsdokumentes war Jean-Paul-Égide Martini endgültig zum Franzosen geworden.

Zum Bürger von Nancy auf Dauer wurde er damit jedoch nicht, denn er hatte gesehen, dass sich in der letzten Zeit der Zustand des fast 88-jährigen Herzogs Stanislaus so verschlechtert hatte, dass von dessen Seite keine lukrativen Aufträge mehr zu erwarten waren. In der Tat war damals Stanislaus so schwach und dement geworden, dass er zwei Jahre später an einer Verbrennung verstarb, die er sich durch den Sturz in einen befeuerten Kamin selbst zugezogen hatte.

Auch war in der Primiziale von Nancy die Dupont-Orgel schon im Vorjahr fertig gestellt und eingeweiht geworden, sodass es für Martini auch dort keine weiteren Aufgaben mehr gab. Und in die Reihe der dortigen Organisten wollte er sich als jüngster bestimmt nicht einreihen.

Da hatten der 23-jährige Herr Martini nund seine junge Gattin Marguerite schon im Vorfeld der Hochzeit beschlossen, bald nach der Trauung Nancy zu verlassen und gemeinsam in der französischen Metropole Paris ihr Glück zu versuchen, also dort, wo damals die größte Orgel Frankreichs stand. Mit dem Tod des Herzog Stanilaus am 23. Februasr 1766 waren Nancy und Paris sowieso in ein und demselben Königreich Frankreich vereint; ein Landeswechsel hatte also genau genommen mit diesem Umzug nach Paris gar nicht stattgefunden.

Außerdem winkte in Paris ein Preis, mit dem sich Jean-Paul-Égide Martini auch dort hervortun konnte, so er ihn gewann!

 


Paris - Ancien Régime (1764-1798)
 

Jean-Paul-Égide Martini zog mit seiner jungen Frau Marguerite Camelot nach Paris. Das Jahr ist nicht dokumentiert, aber wegen des 1675 in Paris erschienenen Werkes "Opus primum", 6 Quartette für Flöte, Viola, Bass und Violine, ist als Jahr das Umzugs em ehesten das Jahr 1764, spätestens das Jahr 1765 annehmen.

Während wir von diesem Zeitpunkt an relativ umfassend über Martinis Berufsleben, vor allem über die von ihm komponierten, publizierten und inszenierten Werke informiert sind, verliert sich sein Privatleben nahezu im Dunkeln. Dies liegt vielleicht auch daran, dass sich bisher keiner die Mühe gemacht hat, sämtliche Kirchenbücher der ca. 30-50 katholischen Pfarreien in Paris nach familiären Spuren zu durchforsten. Adressangaben finden sich in der damaligen Zeit sowieso nur sporadisch.

Aus Nachlassakten, die in der Bibliothèque Nationale de France verwahrt sind, soll allerdings hervorgehen, dass aus der Ehe mit Marguerite Camelot wenigstens 3, eher 4 Kinder hervorgingen:

In Paris soll es drei weitere Kinder gegeben haben:

Die Ehe selbst stand unter keinem guten Stern. Als sich im Rahmen der Französischen Revolution, die später noch ausführlicher zur Sprache kommt, per Gesetz vom 20. September 1792 die Chance auftat, eine Ehe erstmals zivil zu scheiden, zögerten Jean-Paul-Égide Martini und/oder Marguerite Camelot nicht lange und ließen sich im Jahr darauf scheiden. Dazu mehr später.

Mehr haben wir über das Ehepaar Martini nicht ermitteln können. Eines ist jedoch sicher: Martini verheiratete sich nicht ein zweites Mal, denn sein Sterbedokument des Jahres 1816 (am Ende dieser Arbeit) schildert seinen familären Status als "geschieden" und nicht als "wiederverheiratet".

Soweit zu Jean-Paul-Égide Martinis Privat- und Familienleben.

 

Freimaurer-Jeton der Loge "Les Amis réunis" in Paris, von 1780, 8,23 g Silber, Diameter 3 cm. Auf der Vorderseite unten langes Quadrat mit den Buchstaben A-F-R, darüber ein Rutenbündel mit Band, dazu die Umschrift "NOTRE UNION FAIT NOTRE FORCE - UNSERE VEREINIGUNG IST UNSERE STÄRKE". Auf der Rückseite Lorbeerkranz mit der Inschrift:"JETTON DE LA SOCIÉTÉ DES AMIS RÉUNIS, PARIS 1780 - JETON DER GESELLSCHAFT DER VEREINTEN FREUNDE, PARIS 1780."

Schon bald nach seinem Eintreffen im Jahr 1764 soll Martini der Freimauerloge "Les amis réunis" von Paris beigetreten sein, wohl unter dem Stuhlmeister "Savalette de Langes". Andere Quellen sprechen von einem Eintrittsjahr 1782. In anderen Städten wie Lille, Lyon, Dublin, Toulouse, Mainz, Kreuznach oder auch St. Petersburg gab es gleichlautende Logen, die jedoch hier nichts zur Sache tun!

In der damaligen Zeit war die Mitgliedschaft in solchen Geheimgesellschaften - allein in Paris gab es 65 davon - von äußerster Wichtigkeit. Besonders viele Künstler traten ihnen bei, um durch verdeckte Netzwerke ihre Vermarktungschancen zu erhöhen und an lukrativere Aufträge zu kommen. So zählten z. B. auch ein Voltaire, ein Jean Jacques Rousseau oder ein Wolfgang Amadeus Mozart zur Pariser Loge "Les amis réunis", und selbst ein Napoléon Bonaparte soll später in ihr verkehrt sein!

Nicht selten entschied aber eine solche Mitgliedschaft auch über Wohl und Wehe eines Künstlers. Mozart soll z. B. nach seiner Rebellion gegen seine Wiener Loge und der unbedachten Erklärung, eine eigene Loge gründen zu wollen, einem Giftmord zum Opfer gefallen sein!

Im Fall Jean-Paul-Égide Martinis findet sich jedoch in seiner ganzen weiteren Karriere - auch nicht während der Französischen Revolution - kein einziges Indiz dafür, dass für sein Fortkommen als Musiker und Komponist seine Mitgliedschaft in der Pariser Loge entscheidend gewesen sei. Ganz im Gegenteil - man bekommt bei ihm wiederholte Male den Eindruck, er habe alle seine Geschickte ganz gezielt allein und aus eigenem Antrieb heraus gesteuert.

Insofern erwähnen wir zwar an dieser Seille seine Mitgliedschaft in der Pariser Loge "Les amis réunis", bewerten sie jedoch nicht und ziehen im Folgenden auch keine weiteren Rückschlüsse daraus.

 

Étienne François de Choiseul, Gemälde von Louis-Michel van Loo, nach 1763.

Kehren wir zurück in die erste Pariser Zeit, als das Paar noch voller Hoffnungen war. Paris war zu dieser Zeit der absolute Höhe- und Mittelpunkt europäischer Kultur und speziell der Musik.

Bei Martinis Eintreffen in Paris soll nach François-Joseph Fétis soeben ein Wettbewerb eröffnet worden sein, bezüglich der Komposition eines neuen Marsches für das dort stationierte Regiment der Schweizer Garde. Martini nahm die Herausforderung an und komponierte eine Marschmusik, die dann bei einer Militärparade im Hof des Schlosses Versailles neben vielen anderen unter großem Beifall gespielt wurde. Und es war in der Tat Martini, der dabei alle Konkurrenten aus dem Feld schlug und den 1. Preis gewann.

Dieser wurde ihm von Etienne François Duc de Choiseul (1719-1785) verliehen, dem amtierenden Kriegsminister von Frankreich zwischen 1761 und 1770, und der Duc de Choiseul war von Martinis Kompositionskunst offensichtlich so begeistert, dass er den jungen Mann promt unter seinen persönlichen Schutz stellte und als Kapellmeister in die eigene Hofmusik aufnahm.

In dieser Funktion entstanden aus der Hand Martinis eine ganze Reihe von weiteren Märschen und sonstigen Stücken der Militärmusik, wobei er nach François-Joseph Fétis zum ersten Mal den "goût allemand" in Frankreich bediente und dabei Werke von großer Harmonie und völlig neuer Instumentierung schuf, wie uns später ein Zeitgenosse versichert. Obendrein komponierte er zum Ende seiner Militärlaufbahn auch einige Sinfonien, darunter eine Sinfonie in D-Dur, die sich erhalten hat.

Das Verhältnis zwischen Martini und seinem Gönner scheint über 4 Jahre ungetrübt geblieben zu sein. Um seinen Günstling weiter bekannt zu machen, verschaffte ihm der Herzog von Choiseul im Jahr 1768 auch noch den Rang eines "Sous-lieutenant à la suite" (der Reserve) im "Régiment de Chamborant hussards". Dieses mehrfach kriegserfahrene Kavallerie-Regiment war 1735 unter dem Namen "Régiment d'Esterhazy" aus der Taufe gehoben und ab dem 20. Februar 1761 unter dem Kommandeur André Claude Marquis de Chamborant als "Régiment de Chamborant hussards" fortgeführt worden.

Abb. aus Claude A. Littret de Montigny: Uniformes militaires ..., 1772.

In diesem renommierten Regiment zu dienen, brachte Martini zwar ein wenig Einkommen, Auszeichnungen und sonstige Vorteile ein, der Dienst blieb aber in seinem Fall ein reiner Ehrendienst ohne konkrete militärische Aufgaben, so dass er sich in vollem Umfang der Kompositionskunst verschreiben konnte.

Von diesem Zeitpunkt an spielte die Orgelkunst bei Martini über lange Zeit keine Rolle mehr. Er hatte wohl begriffen, dass mit dem Komponieren künftig weitaus mehr zu verdienen war als mit der Sakralmusik.

Das Musiklexikon "The New Grove" listet an die 100 Märsche auf, die von Martini stammen sollen - wahrscheinlich waren es etwas weniger -, die aber leider heute alle verloren sind. Sie alle sollen in Bezug auf Melodieführung und Instrumentierung so innovativ und für die Beteiligten auf den Paraden so mitreissend gewesen sein, dass andere Militärmusik alsbald keine Chance mehr hatte.

Hören wir dazu die überschwängliche Schilderung eines Zeitgenossen, dessen Brief, aus dem sie stammt, später noch komplett zur Vorstellung kommt:

Martini führte in Frankreich auch eine musikalische Form ein, die vor ihm unbekannt war; dazu entwickelte er für die Musikwissenschaft ein Verfahren, das sie zuvor nicht gekannt hat. Lange Zeit bildeten Trommel und Pfeife die einzige Instrumente der Regimentsmusik. Die an die Pracht des Hofes und der Hauptstadt gewohnten Offiziere wollten in ihren Regimentern aber eine besondere Musik. Bis dahin wurden die Musiker eines Regiments eher nach der Ausstattung ihrer Uniformen als nach ihren musikalischen Talenten beurteilt.

Es sei mir an dieser Stelle gestattet, auf persönliche Erfahrung zu verweisen: Ich hatte die Ehre, drei Jahre lang mit Regimentsmusik betraut zu sein. Folglich hatte ich die Gelegenheit, die Kompositionen mehrerer Meister auszuprobieren, und ich habe beobachtet, dass die Märsche von Martini den Bewegungen des Soldaten mehr Geschlossenheit und mehr Energie einflößten, dass sie ihrer Haltung mehr Erhabenheit verliehen, sodass die Soldaten auf ihrer Stirn eine Art Frohsinn verbreiteten, die man bei anderen nicht finden konnte. Und wenn ich aus ein wenig Eitelkeit eine größere Zuschauermenge zur Parade anlocken wollte - welch schönere Musik hätte ich im Ärmel gehabt als einen Marsch von Martini! Und ich wurde von meinen Vorgesetzten gelobt, sowohl für die Wahl des Komponisten als auch für die Ausführung
[...]

Jean-Paul-Égide Martini hatte den Militärdienst im Husarenregiment am 1. April 1768 als "volontaire" = Freiwilliger angetreten; er setzte ihn bis zum April 1772 fort.

Folgende Übersicht zeigt den Eintrag Jean-Paul-Égide Martinis in die Liste der Unter-Leutnante im französischen Original, und enthält die soeben definierten Eckdaten:

 

Noch im Militärdienst befindlich, hatte sich Martini zuletzt bereits der Unterhaltungsmusik seiner Zeit zugewandt. Er veröffentlichte nun schriftlich jene Quartette und Trios, die sich schon am Hof Stanislaus I. Leszczynski in Nancy bewährt hatten, sowie weitere Musikstücke.

Speziell die 6 Trios für großes Orchester, die er einem weiteren hohen Militär namens François-Xavier Comte de Löwendal in italienischer Sprache widmete, weisen seinen Namen in Italienisch auf.

Doch von diesem Zeitpunkt an ließ Martini den in Nancy angenommenen Zusatz "Il Tedesco" (vgl. oben) beiseite, denn er schien ihm in Paris weder zeitgemäß noch inhaltlich angebracht: Verwechlungen mit einen gebürtigen Italiener waren ihm nun lästig; er fühlte sich auch eher als Franzose denn als Deutscher und wollte als solcher behandelt werden, erleichterte es doch seine weitere Karriere!

 

Le prince de Condé im Alter, Gemälde von Charles Boulanger de Boisfremont, um 1820.

Im Jahr 1771 kann Jean-Paul-Égide Martini seine erste Oper veröffentlichen:

Dieses Erstlingswerk, eine Opera comique" in 3 Akten, mit dem Namen "L'amoureux de 15 ans ou La double fête - Ein Liebhaber mit 15 Jahren oder Das doppelte Fest", war der soeben erfolgten Hochzeit des erst 15-jährigen Louis VI. Henri de Bourbon-Condé (1756-1830) gewidmet. Martini hatte den Text von Laujon, Sekretär des Prinzen, mit gefälliger Musik unterlegt und die daraus entstandene Oper der 5 Jahre älteren Gattin des Prinzen, Louise-Marie-Thérèse-Bathilde d'Orléans (1750-1822), gewidmet.

Die Oper, die den 15-jährigen Prinzen seine 20-jährige Braut entführen lässt, wurde anläßlich der ungewöhnlichen Fürstenhochzeit am 18. April 1771 in der "Comédie italienne" in Paris zur Uraufführung gebracht. Das Ereignis fand vermutlich noch im "Hôtel de Bourgogne" in der "Rue Mauconseil" statt, und noch nicht im "Théâtre Favart" oder "Théâtre Feydeau", die erst später für die italienische Komödie erbaut wurden.

Das Lob der Kritiker war hinterher uneingeschränkt - das "köstlichen Stück" war Stadtgespräch!

Die Prinzessin Constance de Salm-Reifferscheid-Dyk (1767-1845), in deren Salon Martini später geladen wurde, begeisterte sich ex post besonders für diese Komposition. Und der Musikkritiker Arthur Pougin beschrieb später jede Arie und jedes Duett bis ins Detail und fand sie "les plus exquises"! Dieser Erfolg von 1771 hob Martini in den Rang eines ausgezeichneten Komponisten, der fürderhin die Konkurrenz anderer Komponisten in Paris weniger fürchten musste.

 

Jean-Paul-Égide Martinis Karriere als Opernkomponist schien nun gesichert: Er quittierte im April 1772 seinen Militärdienst bei den Husaren und wurde "Directeur de la musique" im Hause Condé!

In dieser Funktion schrieb Jean-Paul-Égide Martini zur Geburt des Erbprinzen Louis Antoine Henri de Bourbon-Condé, duc d'Enghien (2. August 1772) später auch noch die Oper "Le nouveau né - das Neugeborene".

 

Sein Erfolg wird durch die begeisterte Aufnahme auch dieser Oper gefestigt, so dass am Ende diesen Jahres eine weitere komische Oper folgte: "Le fermier cru sourd ou Les méfiances - Der taube Bauerntölpel oder Das Misstrauen".

Charles Philippe, comte d'Artois, im Jahr 1798. Porträt von Henri-Pierre Danloux.

Inzwischen hatte Martini die Stelle des Musikdirektors bei Charles Philippe de France, Comte 'Artois (1757-1836), angenommen, dem späteren König Charles X.

Dieser junge Mann war damals gerade 17 Jahre alt, aber er war könglichen Geblüts. immerhin der Ururenkel des Sonnenkönigs Ludwig XIV. (1638-1715), der Enkel König Ludwigs XV. (1710-1774), der Sohn der Stanislaus-Tochter Maria Leszczyňska (1703-1768) und Ludwigs, des Dauphin von Frankreich (1729-1765), der 1765 tragisch an der Tuberkulose gestorben war, und ein Bruder König Ludwigs XVI. (1754-1793).

In Diensten dieses Königsbruders blieb Martini bis zum Jahr 1783.

 

Mit der Thronbesteigung des 19-jährigen König Ludwigs XVI. im Jahr 1774 änderten sich in Paris die Verhältnisse.

Ludwig XVI. hatte am 16. Mai 1770 als 15-jähriger Kronprätendent die erst 14-jährige habsburgische Erbherzogin Marie Antoinette (1755-1793) geheiratet, die Tochter des österreichischen Kaiserpaares Franz I. Stephan von Lothringen (1708-1765) und Erzherzogin Maria Theresia von Österreich (1717-1780).

In diesem königlichen Ehepaar spigelt sich bereits der Niedergang des französischen Absolutismus:

Zwar wird Ludwig XVI. heute nicht mehr so negativ beurteilt, wie früher, aber die horrende Staatsverschuldung, die sich durch den verschwenderischen Lebenstil des französischen Hochadels nach und nach ergeben hatte, bekam auch er nicht mehr in den Griff. Auch war er kaum imstande, durch Reformen dem Verhängnis, das alsbald über ihn und seine Familie hereinbrechen sollte, noch etwas Entscheidendes entgegenzusetzen.

Ludwig XVI. und seine Gattin empfangen einen Kardinal, Aquarell von Joseph Navlet.

Königin Marie-Antoinette wiederum fiel schon von Beginn ihrer Regentschaft an am französischen Hof durch Eigenwilligkeit, Unerfahrenheit und Verschwendungssucht unangenehm auf. Lange Zeit suchte sie allerlei Zerstreuung, kam auch ihrer Pflicht, einen Thronfolger zu zeugen und zu gebären, erst sehr spät nach - und machte sich alles in allem bei der Pariser Bevölkerung sehr unbeliebt. Der Spruch, den sie auf die Vorhaltung hin, die Armen könnten sich kaum noch Brot kaufen, getätigt haben soll: "Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen." stammt allerdings nicht von ihr, er war schon lange vor ihr im Umlauf.

Politisiert hat sich Marie Antoinette erst durch die Französische Revolution, und dann sogar in erstaunlicher Reife und Umsicht, aber zu diesem Zeitpunkt war für sie, ihren Mann, die Familie und die ganze Monarchie Frankreichs bereits zu spät.

Dass das Königspaar schließlich im Jahr 1793 tragisch auf dem Schafott endete, dürfte hinreichend bekannt sein.

 

Christoph Willibald Gluck um 1776, Lithografie von F. E. Feller.

Aber noch war es 1774, im Jahr der Thronbesteigung, nicht soweit:

Die künftige Königin Marie Antoinette brauchte in Paris und Versailles kulturelle Unterstützung, speziell in der städtischen Opernszene, und dazu schickte man ihr nun ein musikalisches Genie!

Genau in diesem Jahr der Thronbesteigung erschien in Paris auf Zutun des österreichsichen Hofes der Opern-Dramatiker Christoph Willibald Gluck (1714-1787). Dieser war genau wie Jean-Paul-Égide Martini ein gebürtiger Oberpfälzer und deshalb aus demselben Schrot und Korn wie dieser. Er war geboren am 2. Juli 1714 in Weidenwang [Link], nur 7,2 Kilometer Luftlinie vom Geburtsort Jean-Paul-Égide Martinis in Freystadt entfernt.

Beide Komponisten, Gluck und Martini, standen sich also durch die gemeinsame Landsmannschaft sehr nahe und sie werden sich vermutlich in Paris auch persönlich kennengelernt haben. Was sie unterschied, war ihr Alter - Christoph Willibald Gluck war 27 Jahre und somit eine ganze Komponistengeneration älter als Martini - und die Tatsache, dass sich Gluck, der sich in der Vergangeheit auch mit französischen Komödien beschäftigt hatte, nun ausschließlich im ernsten Fach, in der "Opera seria" französischer Prägung, betätigte, mit der Vertonung hochdramatischer Stoffe der klassischen Antike, während Martini sich bis dato ausschließlich im komödiantischen Fach, in der französische "Opera buffa", bewegt hatte.

Außerdem kämpfte das musikalische Schwergewicht Gluck in einer ganzen Klasse höher um Anerkennung als der noch junge Martini!

Seine mit Verve und Können eingeübten Opern "Iphigénie an Aulide" (Uraufgeführung am 19. April 1774) und "Orphée et Euridice" (Uraufführung am 2. August 1774) hatten so durchschlagend neue Elemente der Opernkunst nach Paris gebracht, soviel Aufsehen erregt, dass in diesem denkwürdigen Jahr die komischen Opern zurückstanden.

So nimmt es keine Wunder, dass Martinis nächste komische Oper "Rendezvous bien employé - Gut genutztes Treffen" nur wenig Anklang fand.

Erst im Spätherbst gelang es ihm, mit dem lyrischen Drama "Henri IV. ou La bataille d'Ivry - Heirnich IV. oder Die Schlacht von Ivry" - also erstmals auch mit einem ernsten Opernstoff - einen neuen Schwerpunkt seines Könnens zu setzen. Gluck war zu diesem Zeitpunkt bereits wieder nach Hause gereist, um allerdings in den nächsten Jahren bis 1779 mit weiteren dramatischen Opern immer wieder nach Paris zu kommen.

Aber auch zu Komponisten der neuen Generation stand Martini in erheblicher Konkurrenz: Dazu gehörten die Franzosen Pierre-Alexandre Monsigny (1729-1817) und François-André Danican Philidor (1726-1795), der Belgier André-Ernest-Modeste Grétry (1741-1813, der so alt wir Martini war und in Paris quasi als die Nummer 1 im komischen Opernfach galt, dazu Glucks Rivale Niccolò Piccini (1728-1800), später auch der Gluck-Schüler Antonio Salieri (1750-1825) und sein italienischer Landsmann Luigi Cherubini (1760-1842). Und Henri Montan Berton (1767-1844), mit dem Martini später in freundschaftlichem Briefkontakt stand, repräsentierte zur Zeit der Französischen Revolution mit seinen Stücken die antiklerikale Haltung des Musiktheaters der Zeit, woran Martini so nicht teilnahm.

Es war also starke Konkurrenz, der sich Jean-Paul-Égide Martini in Paris in den nächsten Jahrzehnten ausgesetzt sah, und dennoch behauptete er sich gut!

 

Am 14. November 1774 wurde in Paris seine Oper über "Heinrich IV. oder Die Schlacht von Ivry" im Beisein der neuen Majestäten, König Ludwigs XVI. und seiner Gattin Marie-Antoinette, mit frenetischem Beifall gefeiert, allerdings später wegen des provozierenden Librettos von Berbabé Farmian Durosoy vom König persönlich vom Spielplan genommen. Die Hintergründe sind dabei unklar, zumal Henri IV. der erste Bourbone auf dem französischen Königsthron und der Librettist Durosoy ein glühender Royalist war, der später wegen seiner königstreuen Haltung sogar hingerichtet wurde. Mag sein, dass der Text zu volksverbunden, zu religionstolerant war oder ganz einfach ein Herrscherbild formte, dass dem selbstunsicheren König zu fordernd erschien. Offiziell habe Durosoy die Ehre von Heinrich IV. verletzt, hieß es. Nichtsdestotrotz blieb die Oper ein Erfolg, und sie trat hinterher einen Siegeszug durch ganz Europa an, mit Aufführungen in Wien 1775, Brüssel 1775, Frankfurt 1776, St. Petersburg 1784, Antwerpen 1820.

Die Ouvertüre und das Zwischenspiel (Entreact) zwischen Akt 2 und 3 der Oper "Henri IV" geben eine Vorstellung davon, wie lebhaft und ungewöhnlich zuvor Martinis Militärmusik gewesen sein muß. Er hatte hier neben den Instrumenten, wie Trompeten, Zimbeln, Hörner und Klarinetten, auch Gewehrfeuer, einen Kanonendonner und einen Sturmwind, erzeugt von einer Windmaschine, hinzugefügt!

"Ich kenne keine schönere Ouvertüre als die zu Henri IV. Sangreich, ausdrucksvoll, mit großer Kunst durch gefällige Abwechslung der Blas- und SAtreichinstrumente bereichert, bringt sie die glücklichste Wirkung hervor und wird nie in Vergessenheit geraten. Die beiden Zwischenakte und der Marsch dokumentieren nicht weniger Talent als die Ouvertüre." So schwärmte 1861 J. B. von Pfeilschifter in seinem "Bayerischen Plutarch".

Eine Partitur-Kopie der British Library liegt in London, weist aber leider fälschlicherweise F. A. D. Philidor als Komponisten aus.

 

Im "Theâtre de Fontainebleau" feierte Jean-Paul-Égide Martini am 17. Oktober 1783 einen weiteren großen Erfolg, mit seiner Oper "Le Droit du Seigneur - Das Herrenrecht". Das war eine Komödie in drei Akten, die er der Duchesse de Fronsac widmete.

Diese Oper blieb in Fontainebleau trotz der nachfolgenden Revolution 25 Jahre auf dem Spielplan! Es folgten auch Aufführungen in Amsterdam 1784, Kassel 1784/87, Liège/Lüttich 1786, Hamburg 1789/95/96, Berlin 1790 und Stockholm 1799.

So manchem Zeitgenossen in Frankreich  galt "Le Droit du Seigneur" als das schönste Werk des Komponisten Martini!

Das Widmungsschreiben zu dieser Oper, das die 2. Frau des 8. Herzogs von Fronsac, Marie-Antoinette de Galliffet (1757-1814), betraf, verfasste Martini in überschwänglich schmeichelnder Sprache, was treffend die Höflichkeitsrituale der Zeit widerspiegelt:

Hier die deutsche Übersetzung:

"An Madame, die Herzogin von Fronsac!

Dies ist kein Widmungsbrief voll von Lobesworten, den ich die Ehre haben möchte an Euch zu richten; würde ich es wagen, von Eurer Schönheit, Euren Talenten, Eurer Huld zu sprechen, so würde mich Eure Bescheidenheit zum Schweigen verpflichten - um all Euren Charme und all das Gute zu beschreiben, das Ihr um Euch verbreitet.

Es bedürfte einer Feder aus dem Goldenen Zeitalter: Denn das Vorhaben, ein vollkommenes Bild von all Euren schönen Qualitäten, die Eure Seele charakterisieren, zu zeichnen, wäre zu schwer für mich. Es ist daher, Madame Herzogin, nichts weiter als eine einfache Hommage aus meiner tiefen Dankbarkeit heraus, die ich versuche Euch anzubieten, für all die Güte, mit der Ihr mich beehrt.

Wenn der Erfolg von "Le Droit du Seigneur" es mir gestattet, Euch flehentlich zu bitten, diese Widmung zu akzeptieren, dann deshalb, um Euch zu beweisen, dass meine Dankbarkeit genauso lange anhalten wird wie die Existenz dieses Werkes: Möget Ihr nun die Güte haben, davon überzeugt zu sein, wie auch von dem tiefsten Respekt, mit dem ich, Madame, verbleibe als

Euer sehr ergebener und sehr gehorsamer Diener Martini."

Der "Maître de musique" Jean-Paul-Égide Martini hatte mit dem Ende des Jahres 1783 in Paris den Gipfel seines Erfolgs als Komponist geistreicher Opern-Komödien erklommen!

 

Jean-Pierre Claris de Florian, Lithografie von J. Mangot.

Im darauffolgenden Jahr 1784 gelang ihm eine weitere Großtat, nunmehr in einem ganz unscheinbar wirkenden Genre - und diese Großtat macht ihn geradezu unsterblich - bis zum heutigen Tag:

Jean-Paul-Égide Martini schloss Bekanntschaft mit dem Dichter Jean-Pierre Claris de Florian, einem Großneffen des berühmten Voltaire. Zu einem Gedicht aus dessen spanischer Novelle "Célestine" von 1784, in der Claris de Florian unter dem Namen der "Célestine" seine Angebetete, Marie-Thérèse-Louise de Savoie-Carignan Princesse de Lamballe verewigte (später ein weiteres Revolutionsopfer), schrieb Martini die Musik.

Damit beschritt Martini für sich ein ganz neues und für einen Opern-Komponisten ungewöhnliches Genre, das erst durch die Befreiung der tradierten Opernmusik durch Christoph Willibald Gluck so machbar und "modern" geworden war, doch zuvor als viel zu simpel für einen renommierten Mann wie Martini gegolten hätte.

In der Romanze "Plaisir d'amour" wird die Geschichte eines Ziegenhirten erzählt, der seiner untreuen Geliebten Sylvie nachweint.

Martini vertonte dieses Liebeslied mit einer schlichten, zu Herzen gehenden Melodie, einem echten Ohrwurm, wie sich nachfolgend erweisen wird.

Der Schriftsteller Jean Baudrais veröffentlichte es zum ersten Mal zwei Jahre später, in seinen "Etrennes de Polymnie, recueil de chansons, romances, vaudevilles", Paris 1786.

Es folgt der Wortlaut der Dichtung Claris' de Florian, im französischen Original und in deutscher Übersetzung:

Plaisir d'amour ne dure qu'un moment.
chagrin d'amour dure toute la vie.

J'ai tout quitté pour l'ingrate Sylvie.
Elle me quitte et prend un autre amant.

Plaisir d'amour ne dure qu'un moment.
chagrin d'amour dure toute la vie.

Tant que cette eau coulera doucement
vers ce ruisseau qui borde la prairie,

Je t'aimerai me répétait Sylvie.
L'eau coule encore. Elle a changé pourtant.

Plaisir d'amour ne dure qu'un moment.
chagrin d'amour dure toute la vie.

Die Freude an der Liebe währt nur einen Augenblick.
Der Liebeskummer dauert ein Leben lang.

Ich habe alles für die undankbare Sylvie verlassen.
Doch nun verlässt sie mich und nimmt einen anderen Liebhaber.

Die Freude an der Liebe währt nur einen Augenblick.
Der Liebeskummer dauert ein Leben lang.

Solange dieses Wasser sanft fließt
zu diesem Bach, der die Wiese säumt,

Werde ich dich lieben, sagte Sylvie wiederholt zu mir.
Das Wasser fließt noch immer, es hat sich jedoch verändert.

Die Freude an der Liebe währt nur einen Augenblick.
Der Liebeskummer dauert ein Leben lang.

 

Mit der ersten Textzeile als Titel, "Plaisir d'amour", wurde Martinis Romanze ein großer, zeitloser Erfolg. Es handelt sich dabei, wenn man so will, um das berühmteste Liebeslied aller Zeiten!

Airs du Droit du Seigneur et Trois Romances Nouvelles, avec Accompagnement du Harpe ou Forte Piano par Mr. Martini Amateur, Paris 1790.

Das Chanson "Plaisir d'amour" wird bis heute in den verschiedensten Variationen und Instrumentalisierungen gespielt und gesungen, Sängerinnen und Sänger aller Gesangsrichtungen und Orchester aller Art haben eine Cover-Version in ihrem Repertoire. Sogar ein Kirchenlied wurde daraus: "Der Herr segne Dich ..."

Die deutsche Wikipedia schreibt dazu:

"Die Melodie erschien 1786 im ersten Band von Jean Baudrais' 'Etrennes de Polymnie", zusammen mit einer Gitarrenbegleitung von Ange-Étienne-Xavier Poisson de La Chabeaussière. Das Lied mit Klavierbegleitung erschien 1790 bei Le Normant d’Étiolles in Paris im Druck. Auch der Violinvirtuose und Verleger Jean-Jérôme Imbault (1753–1832) soll um 1790 in Paris eine Instrumentalfassung veröffentlicht haben.

Hector Berlioz instrumentierte die Melodie 1859 für kleines Orchester. Der französische Oboist und Komponist Casimir-Theophile Lalliet (1837–1892) verarbeitete die Melodie zu einer Fantasie mit dem Titel: Fantasie sur une melodie de Martini. Satzbezeichnung: Allegro agitato – molto lento. Die Japanerin Keiko Abe verarbeitete die Melodie zu den Stücken Marimba d’amore (11 Min.) und 2002 zu Piacer d’amor (6 Min.) für Marimbaphon.

Bekannte Interpreten des Liedes waren: Fritz Wunderlich 1965, z. B. in 'The Art of Fritz Wunderlich', Deutsche Grammophon 2005, Yvonne Printemps 1931, Tino Rossi 1955, Joan Baez 1961, Judith Durham von den Seekers 1963, Marianne Faithfull 1965, Nana Mouskouri und Charles Aznavour 1971, Brigitte Bardot, Barbara Hendricks, Andrea Bocelli, Mireille Mathieu, Peter Alexander, Ivan Rebroff und Eddy Mitchell. Das Lied ist auch ein Ankerpunkt der Auftritte eines der weltbesten A-cappella-Gesangs-Ensembles, der King's Singers aus England.

Helen Vita singt auf ihrem Album 'Die frechsten Chansons aus dem alten Frankreich' (1965) eine deutsche Version mit einem ironisch-frivolen Text von Walter Brandin. Udo Jürgens veröffentlichte 1969 auf dem Album 'Udo 70' eine von ihm bearbeitete Version unter dem Titel 'Du gingst vorbei'. Michael Schanze hatte 1970 mit der Version 'Ich hab’ dich lieb' Erfolg.

'Can’t Help Falling in Love' von Elvis Presley, gecovert unter anderem von UB40, basiert auf der Melodie des Liedes.

Zwei Filmen hat dieses Lied einen entscheidenden Stempel aufgedrückt: 'Die Erbin' (1949) und 'Sliver' (1993). In 'Wir sind keine Engel' wird das Lied mit einem neuen Text von Roger Wagner, 'Ma France bien-aimée', verwendet."

So gut die vor-revolutionären Opern Jean-Paul-Égide Martinis auch waren, sie sind in der Versenkung verschwunden und werden heute nicht mehr gespielt, geschweige denn inszeniert. Das Lied "Plaisir d'amour" dagegen, das im Grunde genommen dem Zenith seiner Karriere entsprang, machte Martini unsterblich!

Zum Ende dieses Abschnitt verlinken wir auf 3 Tonbeispiele zum Evergreen "Plaisir d'amour". Dazu klickt man auf das jeweilige Bild!

 

Wir fahren fort mit Martinis Lebensgeschichte:

Wer mit seinen Opern Erfolg haben wollte, der versäumte es nicht, sich vor der Uraufführung in dem einen oder anderen Salon vorzustellen und einige Stücke aus der jeweiligen Oper zu präsentieren, um das künftige Publikum, die Hautevolée von Paris, auf den richtigen Geschmack zu bringen. In diesem Sinn bemühte sich Jean-Paul-Égide Martini auch um Madame Louise-Élisabeth Vigée-Lebrun, die berühmteste Porträtmalerin des Ancien Régime. In Band 1, Brief 6 ihrer 1835 erschienenen Memoiren liest man folgenden Satz:

"J'étais bien loin de me flatter, comme vous pouvez croire, que tous vinissent pour moi: ainsi qu'il arrive dans les maisons ouvertes, les uns venaient pour trouver les autres, et le plus grand nombre pour entendre la meilleure musique qui se fît alors à Paris. Les compositeurs célèbres, Grétry, Sacchini, Martini, faisaient souvent entendre chez moi les morceaux de leurs opéras avant la première représentation [...]"

Wie es in offenen Häusern üblich ist, kamen die einen, um die anderen zu finden, und die meisten, um die beste Musik zu hören, die damals in Paris gemacht wurde. Die berühmten Komponisten, Grétry, Sacchini, Martini, ließen oft die Stücke ihrer Opern vor der ersten Aufführung bei mir hören. [...]

Wichtiger für Jean-Paul-Égide Martini war seine Einführung in den Salon der Constance-Marie de Theis, Prinzessin von Salm-Reifferscheid-Dyk (1767-1845). Bei dieser werten Dame traf sich damals die geistige Elite von Paris, sie selbst war Philosophin und Dichterin zugleich, und sie wird nach dem beiderseitigen Kennen- und Schätzenlernen für Martini in der Folge das Libretto zu einer weiteren Oper namens "Sapho" schreiben, einem Bühnenstück, das später mit über 100 Aufführungen ein weiterer großer Erfolg wurde.

 

In dieser Zeit kündigen sich aber auch immer mehr die Vorboten der Französischen Revolution an: Das "Ancien Régime" war bereits maximal verschuldet, das Volk wurde immer unzufriedener, viele Leute hungerten sogar, und die vom Hochadel vergebenen Stellen wurden kaum noch bezahlt. Kurz: Die wirtschaftliche Lage im Königreich Frankreich war an einem Tiefpunkt angelangt!

Jean-Paul-Égide Martini spürte, dass ihm die Komposition von Opern in Bälde kaum mehr Einnahmen bringen würde, da niemand in Paris mehr den Eintritt bezahlen konnte. Da entschied er sich in seiner vorausschauenden Klugheit für einen vormals gut dotieren, vor allem aber sehr einflussreichen Beamtenposten (im Auftrag des Königs), der ihm wenigstens die Chance gab, ganz entscheidend selbst auf das Pariser Musiktheater Einfluss zu nehmen und den Einsatz der eigenen Werke zu forcieren. Dass es in Bälde auch keinen König mehr geben würde, dass alle Strukturen der alten Regierung zusammenbrächen, konnte er sich freilich selbst in den kühnsten Träumen nicht ausmalen, wie auch sonst keiner seiner Zeitgenossen.

Doch um an den begehrten Posten zu kommen, musste man inzwischen eine beträchtlich Summe aus eigener Tasche aufwenden. Martini war geschäftstüchtig und er hatte seit langem Geld angespart. So war es ihm kein Problem, im Jahr 1788 16000 Livres (Pariser Pfund) auf den Tisch zu legen - als Anzahlung dafür, dass er die begehrte Anstellung am Hof als "Surintendant de la musique du Roi" erhielt. Und so geschah es. Mit diesem Spitzenamt war Martini künftig für die gesamte Pariser Kirchenmusik zuständig, zugleich aber auch designierter Generaldirektor der wichtigsten Pariser Bühnen und der gesamten Hofmusik - auf Lebenszeit. Normalerweise griff diese Regelung aber erst, wenn der Vorgänger durch Tod aus dem Amt geschieden war. In Martinis Fall ging es schneller: Sein Vorgänger Antoine Dauvergne hatte bereits sein Amt durch eine Intrige einbüßt!

Der Sturm auf die Bastille, Aquarell von Jean-Pierre Louis Laurent Houël.

Am 6. Februar 1789, wenige Wochen vor Ausbruch der Französischen Revolution, brachte Jean-Paul-Égide Martini noch eine weitere Oper zur Uraufführung: "Annette et Lubin", eine "Opera comique" in einem Akt, nach einer Vorlage des Dichters Charles-Simon Favart (1710-1792). Leider traf Martini damit nicht mehr den Nerv der Zeit, und die Oper blieb ohne Erfolg.

Auch die Freude über das renommierte Spitzenamt des Superintendenten währte nicht lange, denn plötzlich brach mit dem Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 die Französische Revolution los - und Jean-Paul-Égide Martini musste sich gezwungenermaßen grundlegend neu sortieren.

 


Paris - Revolution (1789-1799)
 

Das Feydeau-Theater in Paris.

Der Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 war der Auftakt der Revolution. Im gleichen Jahr wurden die großen Bühnen und Musik-Theater von Paris zu einem einzigen Ensemble zusammengeschlossen, im "Theâtre du Monsieur", das später "Théâtre Feydeau" genannt werden wird - und Jean-Paul-Égide Martini war hier der Generalmusikdirektor.

Trotz aller Widrigkeiten begann er im nächsten oder übernächsten Jahr mit der Komposition der schon lange geplanten Oper "Sapho". Diese Arbeit wurde jedoch durch die Erstürmung der Tuilerien, am 10. August 1792, unterbrochen.

Noch im selben Jahr verlor Jean-Paul-Égide Martini auf einen Schlag alle Anstellungen, selbst die kleine Pension von 800 Francs jährlich, die ihm seit 1784 gewährt worden war, wurde ihm nun gestrichen.

Es war alles verloren!

In dieser misslichen Lage wurde Jean-Paul-Égide Martini politisch aktiv:

Seine Unterschrift findet sich z. B. auf einer Petition an die gesetzgebende Versammlung, die am 24. Juni 1792 von 58 Musikverlegern und Komponisten unterzeichnet wurde. Darin wurde die Einführung von Schutzbestimmungen für musikalisches Eigentum gefordert.

 

Als ehemaliger Kapellmeister vieler Fürsten und als Generalmusikdirektor des Königs galt Jean-Paul-Égide Martini inzwischen als ausgemachter "Royalist" und "Reaktionär"; so musste er nun sogar um Kopf und Kragen fürchten! Der Terror regierte in Paris, und die Revolution fraß bekanntlich nicht nur ihre Kinder. In seiner Not ließ Jean-Paul-Égide Martini eines Tages gezwungenermaßen seine Familie zurück und flüchtete Hals über Kopf nach Lyon zu einem Unterstützer, vermutlich zu Charles-Guillaume Lenormant d'Etiolles (1717-1799), dem Gatten der Marquise de Pompadour, einst Mätresse König Ludwigs XV.

Im Lyoner Exil verfasste er für diesen, um sich bar aller Musikinstrumente und Auftrittschancen die Zeit zu vertreiben, ein theoretisches Werk über die Gesangslehre, die "Mélopée moderne ou L'art du chant, réduit en principes ...".

Auszüge aus Martinis Werk "Mélopée", das später in Paris verlegt wurde.

Wir wissen nicht, wer Martini in dieser Zeit mit Informationen aus Paris versorgte, aber noch imselben Jahr 1792 gewann er die Gewissheit, dorthin zurückkehren zu können, ohne Schlimmeres befürchten zu müssen. Aus heutiger Sicht ist es ein Wunder, dass die Revolutionäre ihn an Leben ließen. Viele seiner Kollegen endeten auf der Guillotine, speziell Künstler, die für Marie Antoinette tätig waren, wie z.B. der Architekt Gabriel, der Planer des Hameau in Versailles.

Zuhause fand Martini allerdings einen familiären Scherbenhaufen vor: Seine Frau Marguerite hatte ihn wohl zugunsten eines anderen Mannes verlassen und ließ nun ihre Ehe mit Martini am 6. Juni 1793 entsprechend der neuen Zivilgesetzgebung scheiden. Die weiteren Hintergründe bleiben unklar; die Kinder des gescheiterten Paares dürften zu dieser Zeit längst die elterliche Wohnung verlassen haben.

 

Es war nun in Paris und in Frankreich die Zeit der Ersten Republik angebrochen, mit radikalen Zügen und einem neuen Kalender; der jakobinische Terror und der Einsatz der Guillotine standen auf der Tagesordnung.

Das Königtum war schon im Vorjahr abgeschafft worden, die königliche Familie befand sich inzwischen in Haft. Schon am 21. Januar 1793 wurde König Ludwig XVI. öffentlich hingerichtet; seine Frau, Königin Marie Antoinette, landete im Oktober desselben Jahres auf dem Schafott.

Wie Jean-Paul-Égide Martini in dieser Zeit all die Lasten seines Lebens trug, ohne feste Anstellung und ohne regelmäßiges Einkommen, wissen wir nicht. Aber wenigstens gelang es ihm, im Lauf des Jahres 1794 die didaktische Abhandlung "Partition pour accorder le piano et l'orgue" zu veröffentlichen, und zum Ende des Jahres war dann auch endlich seine Oper "Sapho" fertiggestellt. Am 14. Dezember 1794 wurde das Bühenstück im "Théâtre Rue du Louvois" uraufgeführt und es wurde ein weiterer Riesenerfolg!

"Diese Oper ist, wie es in der Biographie des Contemporais hieß, unstreitig das schönste Werk des berühmten Meisters. Sie fand solchen Beifall, dass sie über hundert Male hintereinander gegeben werden musste", merkte Pfeilschifter im "Bayerischen Plutarch" an.

Mit der Oper "Sapho" begannen die Einnahmen wieder etwas zu fließen, oder besser gesagt, zu tröpfeln, aber wegen der Inflation waren die Lebenshaltungskosten extrem hoch, und Martini litt weiterhin Not, wie man zwei späteren Briefen entnimmt!

 

Gegen Endes des Folgejahres 1795 war nach dem Sturz der Jakobiner unter Maximilien de Robespierre wenigstens die schlimmste Terrorphase in Paris zu Ende, und es installierte sich nun als letzte Regierungsform der Französischen Revolution ein fünfköpfiges Direktorium in Paris. Damit begannen wieder etwas ruhigere Zeiten.

Dennoch muss man die Jahre 1795 und 1796 als die wirtschaftlich schwierigsten im Leben Jean-Paul-Égide Martinis bezeichnen. Es sind von ihm zwei Briefe überliefert, die all seine Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung widerspiegeln.

Zunächst verwies er das "Diréctoire Exécutif" bzw. einen seiner "Directeurs" auf seine Verdienste als Opernkomponist, indem er etliche seiner Werke für den französischen Markt aufzählte: "L'Amoureux de quinze ans", "La bataille d'Ivry", "Le droit du seigneur", von den neuen Opern "Annette et Lubin", dazu seine klassische Gesangsschule "Mélopée", die Oper "Sapho", mehrere Liederzyklen und zuletzt die Oper "Ziméo". In ganz Europa genieße er einen ausgezeichneten Ruf, so schrieb er, in Frankreich aber, wo er seit Jahrzehnten lebe, versuche man, ihm sein Auskommen zu verwehren, das angesichts seiner Fähigkeiten jedoch gewährt werden müsse. Er wünsche sich nur, in seiner Wahlheimat von seinen Talenten ehrenwert leben zu können, und er bitte nun die "Citoyens Directeurs", ihn gerechterweise weiterzubeschäftigen und ihm ein Auskommen zu ermöglichen, nachdem er schon 32 Jahre in Frankreich lebe und in seiner Kunst erfolgreich zum Ruhm der französischen Nation beigetragen habe.

Der Brief endet mit der Grußformel Martinis und seiner damaligen Pariser Adresse:

"Salut et Respect et a signé Martini, Secteur de Brutus, rue du Sentier No. 3A., à Paris ce 30 Pluviôse an 4"

"Gruß und Respekt vom unterzeichneten Martini, wohnhaft im Sektor Brutus, in der Rue du Sentier Nr. 3A, Paris, 30. Pluviôse, im Jahr 4 der Republik." [28. Februar 1795]

Das Stadthaus, in dem Martini damals wohnte, ist heute noch nachvollziehbar; Straße und Hausnummer haben sich seitdem nicht mehr geändert:

Links das Haus in der Rue du Sentier Nr. 3A, erkennbar an seiner dunkleren Fassade, rechts seine Lage im Stadtplan von Paris.

Es folgt die Abbildung von Seite 1 des besagten Briefes:

Brief Martinis an das Pariser Direktorium aus dem Jahr 1795.

In einem zweiten Schreiben an denselben oder einem anderen "Citoyen Directeur" protestiert Martini erneut gegen die Einstufung als Ausländer. Er deutet erstmals auch Intrigen von Konkurrenten und Neidern an; gemeint waren Étienne- Nicolas Méhul (1763-1817) und Charles-Simon Catel (1773-1830). Martini bittet erneut um dringende Hilfe, da er inzwischen völlig mittellos sei und so seine Talente für Frankreich nicht weiter entwickeln könne.

Hier der Wortlaut des Schreibens in deutscher Übersetzung:

"Bürger Directeur.

Ich bin in Deutschland geboren und ein Zeitgenosse von Gluck. Unser Heimatboden muss unserer Seele den Sinn für die Kunst der Musik vermittelt haben. Ich schmeichle mir, die Ehre zu haben, Ihnen durch mein Schaffen bekannt zu sein. Das Vertrauen, das aus dieser Beziehung rührt, ist eine Verlockung, der schwer zu widerstehen ist. Ich gebe ihr nach und wage es, Bürger "Directeur", mich im Besonderen an Euch zu wenden und Euch zu bitten, mich vor dem Absturz zu bewahren, den meine geheime Feinde mir bereiten. Meine Haltung war stets untadelig gewesen, unfähig der Niedertracht, ich kann Euch von mir ohne Furcht erzählen, und ich kann es mir erlauben, einige Details aus meinem Leben und Wirken vorzubringen.

Ich habe mich 1788 von allen Musikern Frankreichs dazu entschlossen, das Amt des "Generalmusikdirektors" des damaligen Königs mit Bargeld und Diensten zu kaufen, die ich 5 Jahre erbringen musste. Das hat mich alles in allem, vorher und nachher, ca. 25000 Pfund gekostet, die ich zuvor über 24 Jahre angespart hatte. Der Bürger Titelträger dieses Amtes hat ebenfalls Geld von mir erhalten, 16000 Pfund, doch zurückgezahlt hat er nichts ...!

Hier bricht die abgebildete Seite 1 des Schreibens ab. Den Inhalt von Seite 2 erfährt man aus dem Freystädter Ausstellungskatalog von 2002, nunmehr in indirekter Rede:

Martini schrieb im Weiteren, nie habe er ein Honorar für diese Dienste erhalten. Seit der Revolution sei eine kleine Pension von 800 Franken aus dem Jahre 1785 ebenfalls gestrichen worden. Er habe sich nun um eine Stelle am staatlichen Musikinstitut beworben, aber zu seiner Überraschung habe man ihm vorgeworfen, dass er Ausländer sei, dass er dem König gedient habe und diesem ein "Domine salve" geschrieben hätte. Man schütze vor, Ausländer hätten lange genug in Frankreich Ansehen genossen, jetzt seien die Franzosen an der Reihe.

Er habe diesen Elenden nicht geantwortet, doch deren Intrige richte sich noch immer gegen ihn. Der Neid versuche ihn zu vernichten. Seit 3 Jahren spiele man ihn nicht mehr am Theater in der Rue Favart. Drei Jahre habe er an einer großen Oper namens "Ziméo" gearbeitet. Man kritisiere keineswegs seine Musik, sondern die Dichtung, womit jedoch gerade er riskiere, die Frucht dreijähriger Arbeit zu verlieren. Seine Oper "Sapho" habe er aus finanziellen Gründen dem Theater in der Rue Louvois überlassen, aber dort werde sie nur sehr wenig aufgeführt, und die Mittel, die er dafür erhalte, seien ebenfalls sehr gering ..."

Der Bittbrief endet mit folgenden Worten:

"Bürger Directeur, ich habe keinen Pfennig Einkommen, keinen Arbeitsplatz, und wenn Ihr nicht die Güte habt, Euch für mich zu verwenden, wird es mir unmöglich sein, mein Talent hier weiterzuentwickeln".

Die französische Nation sei stolz, einen Gluck, einen Sacchini, einen Piccini zu ehren und zu belohnen, doch ich, deren Zeitgenosse, bin in den Fängen meiner geheimen Feinde.
[...] Wenn ich das Glück hätte, Euch und den Innenminister zu treffen, könnte ich Euch vielleicht Wege aufzeigen, wie ich mich der Republik nützlich machen könnte, durch meine Talente, durch meine Erfahrung. [...] Ich bin 54 Jahre [...] Verzeiht, Bürger Directeur, dass ich Euch solange bemühe, aber ich setze mein ganzes Vertrauen in Eure Güte, denn das Glück meiner Existenz hängt davon ab ...

Soweit die beschwörenden Worte Martinis.

Dieser erneute Vortrag seines Anliegens blieb nicht ohne Erfolg. Martini wurde aber zunächst wie einige andere Komponisten aufgefordert, einen Gesang zur Jahresfeier der Französischen Revolution zu komponieren, was er auch tat. So entstand die unter seiner Federführung die "Hymne à la république", auch "Chant du Ier Vendémiaire" genannt, nach einem Text von Jean Chenier.

Hymne zum 5. Jahrestag der Republik

Die Darbietung der Hymne erfolgte im Oktober 1796 auf dem Marsfeld. Der Erfolg vor Ort war zwar mäßig, doch die Auswirkung für Martini am Ende dennoch erfreulich: Diese Hymne war, wenn man so will, Martinis Freifahrtsschein für neue Aufgaben - nunmehr in der Ersten Republik:

Im darauffolgenden Jahr 1796 wird ihm der erstmals wieder angemessen dotierte Posten eines "Inspecteurs" des am 3. Januar 1795 neu gegründeten "Conservatoire de musique" in Paris verliehen. Diese Anstellung war lange Zeit unsicher gewesen, wie der berühmte Grétry zuvor in einer öffentlichen Erklärung bestätigt hatte:

"Alles, was dieser unterrichtete Mann sagt, ist vollkommen wahr. Ich bedaure, Martini im Conservatoire der Musik nicht neben mir zu erblicken [...] Er verdiente mehr als ich einen Platz in dieser nützlichen Anstalt einzunehmen, denn er ist methodischer, lehrreicher."

Am Ende hatte es mit der staatlichen Anstellung doch noch geklappt. Als "Inspecteur" war Martini einer von 5 Experten, die die Aufgabe hatten, den korrekten Betrieb und die Professionalität des Konservatoriums unter dem Direktor François-Joseph Gossec (1734-1829) zu überwachen, an der zunächst nur "harmonie" und "accompagnement", ab 1800 aber auch die Kompositionskunst gelehrt wurde, von den Komponisten Niccolò Piccinni, Étienne-Nicolas Méhul und Luigi Cherubini.

Letztere waren zu diesem Zeitpunkt auch Mitgleider des Direktoriums, doch als Mitbewerber um die Inspektur hatte sie Martini zuvor, im Jahr 1796, noch aus dem Feld geschlagen!

Jean-Paul-Égide Martini muss ein äußerst gewiefter, mit allen Wassern gewaschener Mann und ein geschickter Verhandler gewesen sein!

Luigi Cherubini wird ihm erst im Jahr 1816, allerdings schon am 1. Tag nach seinem Tod, als Inspektor des Konservatoriums nachfolgen. Der Posten, für den Martini zuvor 6000 Franken jährlich erhalten hatte, war zu diesem Zeitpunkt bereits auf 14000 Franken oder 560 Pariser Pfund jährlich erhöht worden!

Das neue Konservatorium bezog die Gebäude der ehemaligen "École royale du chant et de déclamation" in der "Rue Bergère".

Mit dem Beamten-Posten des Inspektors war Martini nicht mehr zum Komponieren gezwungen - und es folgte bei ihm in der Tat eine kompositionslose Zeit von 4 Jahren.

 


Paris - Napoléon Bonaparte (1799-1815)
 

Die siegreichen Feldzüge nach Italien (1796) und Ägypten (1798) hatten dem gebürtigen Korsen und französischen Oberbefehlshaber Napoléon Bonaparte (1769-1821) große Popularität in Armee und Volk verschafft.

Im Jahr 1799 gelang ihm der Sturz des Direktoriums (Staatsstreich vom 18. Brumaire VIII), am 13. Dezember diesen Jahres ließ er sich für 10 Jahre zum obersten von 3 Konsuln wählen. Faktisch hatte er nun die alleinige Macht in der Hand.

Napoléon Bonaparte, Gemälde von Jacques-Louis David.

Napoléon zentralisierte das nachrevolutionäre Staatsgefüge Frankreichs und veranlasste Reformen in Justiz, Militär und Verwaltung (1804 "Code civil", erstes bürgerliches Gesetzbuch Frankreichs). Durch erfolgreiche Kriegszüge gelang es ihm auch, endlich den französischen Staatshaushalt sanieren.

Im Jahr 1802 ließ er sich zum Konsul auf Lebenszeit wählen, 1804 folgte die Krönung zum Kaiser von Frankreich. Was folgte, war die sukzessive Unterwerfung von fast ganz Mitteleuropa.

Im Jahr 1809 ließ er die kinderlose Ehe mit Joséphine Beauharnais (1763-1814) scheiden und er heiratete nun am 2. April 1810 die österreichische Kaisertochter Marie-Louise. Mit ihr zeugte er seinen einzigen legitimen Sohn, Napoleon II., der allerdings hinter politisch keine Rolle spielte.

Schließlich wendete sich Napoléons Schicksal zu seinen Ungunsten:

Der Russland-Feldzug von 1812 wurde zum Desaster, zehntausende Soldaten starben an Kälte, Unterernährung und Krankheiten, der Korse war mit den Resten der glorreichen Armee ab sofort in der Defensive. Inzwischen hatte sich Russland erfolgreich mit Preußen und Österreich verbündet, sodass Napoléon 1813 auch noch die sogenannte "Völkerschlacht" bei Leipzig verlor. Im Jahr darauf war selbst die Hauptstadt Paris verloren.

Nach vorübergehendem Exil auf der Insel Elba kehrte Napoléon jedoch für hundert Tage noch einmal als Herrscher Frankreichs zurück, wurde aber dann am 18. Juni 1815 in der Schlacht bei Waterloo vernichtend geschlagen und musste hinterher unwiderruflich abdanken.

Damit war Napoléons Zeit vorbei. Auf Dauer auf die ferne englische Insel Helena verbannt, starb Napoléon Bonaparte schließlich am 5. Mai 1821, vermutlich an Magenkrebs.

Soweit in aller Kürze die Lebensgeschichte des großen Korsen.

 

Während seiner Herrschaft bis 1812 war in Paris allmählich eine Abkehr von den meisten revolutionären Ideen erfolgt; man schätzte es nun, wieder eine ordnende Hand an der Spitze des Staates zu haben und international erfolgreich zu sein. Ein Großteil des Adels wurde nun in seine alten Rechte und Besitzungen wieder eingesetzt.

Die Metropole Paris sollte zu einer monumentalen Zentrale napoléonischer Macht und Pracht werden, und so setzte dort eine umfassende Bautätigkeit ein: Ganze Stadtviertel wurden abgerissen und neu errichtet, mit großzügigen Straßenzügen und feudalen Plätzen und Gebäuden.

Auch das Pariser Kulturleben nahm in dieser Zeit rasant an Fahrt auf - und davon profitierte nun auch Jean-Paul-Égide Martini:

Ab Mitte des Jahres 1801 unterrichtete er selbst am Pariser Konservatorium die Kompositionskunst, neben dem Kirchenmusiker Jean-François Lesueur (1760-1837), der vor der Revolution 1. Kapellmeister der Kathedrale Notre-Dame de Paris gewesen war. Beide Musiker waren jedoch nur ein Jahr tätig, denn am 23. September 1802 wurden sie für abgesetzt erklärt, und ihre Lehrstühle wurden nicht mehr besetzt. Lesueur hatte sich zuvor offen über Missstände des Konservatoriums empört, was als Entlassungsgrund genügte; ob dies auch für Martini zutraf, ist uns nicht bekannt, desgleichen auch nicht, ob er mit der Entlassung als Lehrer auch seinen Dienst als Inspektor verlor.

 

Aus dieser späten Zeit nach 1800 haben wir anderweitige Nachricht von ihm. Denn damals besuchte der junge François-Joseph Fétis (1784-1871) das Pariser Konservatorium, und er erzählte hinterher in seiner Musiker-Biografie folgende Anekdote über Martini (hier deutsche Übersetzung"):

"Als ich unter dem Direktorat von [Jean-Baptiste] Rey (1734-1810) im Konservatorium von Paris die Harmonielehre studierte, kam plötzlich Martini, um die Klasse unseres Meisters zu inspizieren. Dabei korrigierte er eine Lektion, die ich ihm vorgestellt hatte. Ich ließ die Anmerkung fallen, dass eine Stelle seiner Korrektur nicht gut sei, weil er eine Abfolge von direkten Quinten zwischen der Alt-Stimme und der Zweiten Geige zugelassen habe. 'Im vorliegenden Fall kann man aufeinanderfolgende Quinten zulassen', gab er zur Antwort. 'Warum sollte man sie zulassen?' wehrte ich mich. 'Wenn ich Ihnen gesagt habe, dass es so ist, dann ist es so!' antwortete er. 'Nun, in diesem Fall will ich Ihnen Glauben schenken, aber das Motiv für diese Ausnahme hätte ich schon gern erfahren!' Da meinte er etwas unwirsch: 'Sie sind aber so was von neugierig!'

Man muss diese lächerliche Antwort nicht eigens kommentieren, aber alle Schüler begannen damals zu lachen, und selbst unser ernster Professor stimmte ins allgemeine Gelächter ein.

Seit dieser Zeit warf mir Martini, wann immer ich ihn traf, zornige Blicke zu. Es ist beileibe schwierig, bei dieser Schroffheit, bei der Härte seiner Manieren und bei dem Despotismus, den er gegenüber seinen Untergebenen an den Tag legte, den Autor einer Vielzahl von Melodien zu erkennen, die voller Süße und Sinnlichkeit sind!"
[Fétis 8]

Nun - Was Fétis hier als Unhöflichkeit verkannte, war der typische "Charme" eines echten Oberpfälzers, den Martini hier an den Tag gelegt hatte, jene rauhe Schale, die sich der Oberpfälzer über lange Jahrhunderte und schwierigste Zeiten hinweg quasi als Schutzschild zugelegt hatte, die aber überhaupt keinen Widerspruch zu einem facettenreichen, sensiblen und oft durchaus zärtlichen Innenleben darstellte. Doch ehe ein Oberpfälzer wie Martini solch zarte Empfindungen in Paris an den Tag legte, musste freilich erst viel Wasser die Seine hinunterlaufen!

Von Martinis Landsmann Christoph Willibald Gluck (1714-1787) hat man übrigens Ähnliches berichtet - und die Gründe für das jeweilige Verhalten waren dieselben! Außerdem prägte beiden Ausnahme-Komponisten die innere Abneigung gegen gekünstelte Musik, welche z. B. durch die formale Harmonielehre oder den durchkonstruierten Kontrapunkt repräsentiert wurde. Fétis erklärte dies bei Martini durch einen Mangel an musikalischer Früherziehung, was durchaus der Fall gewesen sein kann. Auf den Förstersohn und musikalischen Autodidakten Gluck traf allerdings dieser Vorwurf eher zu als auf Martini, der ja schon als Kleinkund vom eigenen Vater an der Orgel gefördert worden war. Aber wie dem auch sei: Dass es auch ohne diese beiden Kunstformen ging, haben beide Komponisten gerade in Frankreich mit ihren großen Kompositionen zur Genüge bewiesen!

 

In napoleonischer Zeit betätigte sich Martini auch wieder als Komponist von Opern. Zunächst inszenierte er

Einige Jahre später folgte An seine früheren Erfolge konnte allerdings Jean-Paul-Égide Martini, der inzwischen auch alt geworden und als Komponist außer Mode gekommen war, nicht mehr anschließen. Dies lag auch daran, dass der Alleinherrscher Napoléon Bonaparte seinerseits gerne italienische Musiker favorisierte, wie z. B. Giovanni Paisiello (1740-1816), Gaspare Spontini (1774-1851) und Luigi Cherubini (1760-1842), wobei er aber französische Meister, wie etwa Étienne-Nicolas Méhul (1763-1817) oder François-Adrien Boieldieu (1775-1845) auch nicht ganz ausschloss. Nur der gebürtige Deutsche, Jean-Paul-Égide Martini, blieb bei ihm weitgehend unberücksichtigt. Als Martini im Jahr 1808 eigens eine "Messe solemnelle" zur Hochzeit Napoléons Bonaparte mit Marie-Luise von Österreich komponierte, wurde das Werk nicht aufgeführt.

In der Zeitschrift "Revue du Souvenir Napoléonien" (Br. 477, von Herbst 2008) berichtet der Autor Hervé Brouillet von einen Briefwechsel des Jahres 1809/10, der ein bezeichnetes Licht darauf wirft, wie Martini in dieser Zeit in Paris um seine Anerkennung als Komponist kämpfen musste. Dabei nahm es sogar mit einem Wolfgang Amadeus Mozart auf, wenn auch umsonst!

Hier die entsprechenden Auszüge:

"Am 22. Mai 1809 wurde Marschall Lannes, Herzog von Montebello, in der Schlacht bei Essling von einer Kanonenkugel getroffen, die ihm beide Knie zerschmetterte [...] Am Morgen des 31. Mai 1809 starb Lannes nach schrecklichen Qualen, an die Schulter seines Adjutanten Marbot gelehnt. [...] Der Kaiser war zweifellos aufrichtig berührt vom Tod seines Waffenkameraden und erwägte, welchen Vorteil er aus der öffentlichen Aufregung ziehen konnte. Er organisierte eine sorgfältig durchdachte Zeremonie für die Beerdigung des Herzogs von Montebello: Der Leichnam des Marschalls sollte am 22. Mai 1810, dem Jahrestag der Schlacht bei Essling, Straßburg verlassen und in Etappen nach Paris gelangen, um am 6. Juli, dem Jahrestag des Sieges bei Wagram, mit großem Pomp im Pantheon beigesetzt zu werden. Der Zeremonie im Pantheon musste ein Gottesdienst im Invalidendom vorausgehen, wo der Leichnam ab dem 2. Juli aufgebahrt werden sollte. [...] In der Invalidenkirche sollte dann - nach des Kaisers Willen - auch Mozarts "Requiem" zur Aufführung kommen, [...] Mozarts letzte (und tatsächlich unvollständige) Komposition vor seinem Tod am 5. Dezember 1791. [...] Gleichwohl sollte es zuvor einen Wettbewerb um das Requiem geben. Sobald das Programm der Zeremonien im Moniteur vom 10. Februar veröffentlicht worden war, stürzte sich Martini in den Wettbewerb und schrieb an den Kriegsminister, um sein eigenes Projekt zu erläutern. [...]

Links der verwundete Jean Lannes, Gemälde von Paul-Émile Boutigny, rechts Lannes' Ehrengrab im Pariser Pantheon.

'Mein Herr, gemäß dem Brief, den Eure Exzellenz mir im vergangenen September zu beantworten die Ehre erwiesen hat, möchte ich mich erneut an die Güte, den Schutz und die Gerechtigkeit wenden, die Sie bekannten französischen Künstlern zuteil werden lassen. Ich bitte Sie, mein Herr, das Angebot, Ihnen die Totenmesse, die ich für die Trauerfeier des verstorbenen Herzogs von Montebello komponiert habe, zu unterbreiten, nicht zu verschmähen. Das am 15. August in der Basilique [so] in Paris aufgeführte 'Te Deum' ist ein eindeutiger Beweis für meinen musikalischen Elan und mein in Frankreich und ganz Europa bekanntes Talent. Daher darf ich mir, Monseigneur, schmeicheln, dass Sie sich herablassen, für eine so interessante Feier, die zudem von der französischen Regierung in Auftrag gegeben wurde, die Komposition eines lebenden französischen Komponisten einem seit Jahren verstorbenen Ausländer vorzuziehen. Würden Ausländer sonst nicht annehmen, dass es in Frankreich keinen bedeutenden Komponisten gibt? Meine Messe hat den Vorteil, neuartiger, melodiöser und eher im religiösen Stil zu sein - und doppelt so lang wie die meines Kollegen Mozart. Correggio, der die Gemälde seines Meisters Raphael bewundert hatte, sagte mit jener edlen Zuversicht, die jedem Künstler gebührt: 'Ed anch’io sono pittore.' Wenn es mich auch schmerzt, Monseigneur, nach 38 Jahren wohlerworbenen Rufs meine Entschuldigung aussprechen zu müssen, so habe ich doch zugleich die Genugtuung, zu jenen Komponisten gezählt zu werden, die der französischen Nation mit ihrem Talent die größte Ehre erwiesen haben. Ich bin, mit allem Respekt, Monseigneur, Euer Exzellenz demütigster und gehorsamster Diener Martini, Regierungsrentner' [...]

Man kann über Martinis Argumente nur staunen: Nichts ist natürlicher, als dass er sich, auch wenn er es bestreitet, an seine Verdienste und seine Erfahrung erinnert sieht. Umso unerwarteter kommen Worte, mit denen er das Werk seines Konkurrenten kaltherzig herabwürdigt, um die Überlegenheit seines Schreibens gegenüber dem Requiem zu unterstreichen - teil mit objektiven Details (ein doppelt so langes Werk), teils mit weniger objektiven Details (eine melodischere Messe, eher im religiösen Stil). Doch ist es schwierig ihm zu folgen, wenn er sich für das Werk eines französischen Künstlers entschuldigt, der sich dem eines 'Ausländers' widersetzt, der zudem 'seit mehreren Jahren tot' ist, den er aber dennoch als seinen 'Landsmann' bezeichnet.[...] War der Minister von der Auseinandersetzung überrascht? War er davon schockiert? Wir wissen es nicht: Seine Antwort war vor allem zögerlich und bezog sich auf das Konservatorium, das für die Entscheidung zuständig war:

'Ich habe, sehr geehrter Herr, den Brief erhalten, den Sie mir am 15. dieses Monats geschrieben haben, in dem Sie mir mitteilen, dass Sie für die Trauerfeier zum Gedenken an den verstorbenen Herzog von Montebello eine Totenmesse komponiert haben, und in dem Sie darum bitten, dass Ihre Komposition angepasst und anstelle einer ausländischen Komposition aufgeführt wird. Ich muss Sie darauf hinweisen, dass gemäß Art. 5, Absatz 2 des für diese Feier angenommenen Programms das kaiserliche Konservatorium für die Auswahl der bei diesem Anlass aufgeführten Musikstücke zuständig ist. Ich lade Sie daher ein, sich zu diesem Zweck an das Konservatorium zu wenden.'

Ob es nun die Bosheit seiner Kollegen am Konservatorium war oder die strikte Befolgung der Wünsche des Kaisers - Tatsache ist, dass Mozarts
[und nicht Martinis] Requiem die im ganzen Land gefeierten Messen zum Abschied von Marschall Lannes, Herzog von Montebello, begleitete [...]"

Soweit Hervé Brouillets Bericht. Es besteht kein Zweifel: Jean-Paul-Égide Martini war nicht Napoléons Favorit!

 

So nimmt es kein Wunder, wenn sich Jean-Paul-Égide Martini wieder dem Instrument zuwandte, weswegen er eigentlich nach Frankreich gekommen war - der Kirchenorgel!

Den Auftakt machte ein theoretisches Werk über die Kirchenmusik. Im Jahr 1804 stellte Jean-Paul-Égide Martini in ungeheurer Fließarbeit sein gesamtes, überwiegend in Deutschland und Nancy erworbenes Wissen über die Kunst des Orgelspiels zusammen, im Jahr darauf erschien dieses dreibändige Werk mit über 350 Seiten unter dem Namen "École d'orgue, divisée en trois parties, résumée d'après les ouvrages des plus célèbres organiste de l'Allemagne" in Paris, zum Preis von 36 Franken je Exemplar. Gewidmet war die Orgelschule der Kaiserin Joséphine Beauharnais!

Titelblatt der "Orgelschule" Martinis.

Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis der "Orgelschule" Martinis.

Der Martini wenig gewogene Fétis äußerte sich darüber despektierlich: Der Titel sei insofern nicht korrekt, als das Werk Martinis lediglich die französische Übersetzung der "Vollständigen Orgelschule für Anfänger und Geübte" von Justin Heinrich Knecht (1752-1817) aus Biberach a. d. Riß darstelle.

Wir haben an dieser Behauptung unseren begründeten Zweifel: Mag sein, dass sich Martini das deutschsprachige Werk Knechts von 198 Seiten nach Paris hatte kommen lassen, mag auch sein, dass er es für sein eigene Publikation intensiv nutzte und damit quasi das Skelett seines eigenen Werkes herstellte. Dennoch glauben wir, was schon die unterschiedliche Seitenzahl beider Veröffentlichungen zeigt, nämlich dass Jean-Paul-Égide Martini unabhängig von Knecht auch reichlich sein eigenes Wissen, das seines Vaters in Freystadt und das seiner jesuitischen Lehrer in Neuburg a. d. Donau einfließen ließ, sowie den großen Schatz an Kentnissen und Fertigkeiten, der von seinem längst verstorbenen Mentor in Nancy, Nicolas Dupont, und der ganzen elsässischen Orgelschule herrührte.

Mit diesem Werk kehrte Jean-Paul-Égide Martini wieder zu seinen Wurzeln als Organist zurück. Wir haben darüber keine Information, aber wir gehen davon aus, dass er nun auch den Kontakt mit den Organisten von Notre-Dame pflegte. Dort hatte die barocke Thierry-Orgel von 1733, mit ihren 47 Registern, 5 Manualen und 1 Pedal, inzwischen durch François-Henri Clicquot (1732-1790) einen gründlichen Umbau erfahren. Um im Rückpositiv mehr Platz zu haben, hatte Clicquot 1783 ein neues Gehäuse von fast 16 Fuß Höhe errichtet. Ebenso hatte er fast das gesamte Pfeifenwerk des Rückpositivs erneuert und auch im Hauptwerk und im Pedal etliche Register ausgetauscht. Die Wirren der Französischen Revolution hatte diese erneuerte Orgel von Notre-Dame fast schadlos überstanden: Nur die Gehäuseskulpturen, die an das Ancien Régime erinnerten, waren der Axt zum Opfer gefallen, was aber die Spielfähigkeit in keiner Weise beeinträchtigte.

Dass Martini im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts Kontakte zu den Organisten von Notre-Dame pflegte, entnimmt man indirekt auch der Tatsache, dass einer der dortigen Meister, François Guichard (1745-1807), Abbé und vormals "Sous-maître de la musique" an der Kathedrale Notre-Dame in Paris, sich in einem Brief wärmstens für Martini verwendete.

Im Jahr 1795 war nämlich in Paris eine "Société philotechnique" als gemeinnützige Vereinigung gegründet worden, die sich zur Aufgabe stellte, gegen publizistischen "Vandalismus" und für die Verteidigung "vernünftiger literarischer und künstlerischer Traditionen" zu kämpfen. Abbé Guichard richtete nun an diese Gesellschaft die Bitte, Jean-Paul-Égide Martini in ihre Reihen aufzunehmen.

Dieses Schreiben ist sehr wichtig, weil es bereits auf Seite 1 mit knappen Worten Martinis musikalische Karriere treffend zusammenfasst, von Freystadt über Neuburg, Freiburg und Nancy bis nach Paris. Deshalb geben wir es hier im französischen Original und nachfolgend in vollständiger deutscher Übersetzung wieder. Der Zeitpunkt des Schreibens ist unbekannt, aber wir datieren es am ehesten in die Zeit nach Veröffentlichung der "Orgelschule" Martinis, also nach 1805:

Undatiertes Schreiben des M. Guichard an die Philotechnische Gesellschaft in Paris.

" Philotechnische Gesellschaft - Rgrt Martini

Der Bürger Martini hat sich in die Liste der Kandidaten eingeschrieben, die die Ehre anstreben, bei Euch aufgenommen zu werden. Sie haben mich nun beauftragt, Bürger Kollegen, über ihn Bericht zu erstatten:

Martini ist am 13. Fruct.
[31. August] 1741 in Freystadt, einer Kleinstadt in der Oberpfalz, geboren. Elementarunterricht in der Musik erhielt er vom zartesten Kindesalter an. Martini war dazu ausersehen, eines Tages ein berühmter Musiker zu werden, und dieses Mal stand der väterliche Wille keineswegs gegen die Verheißung der Natur - ein Sachverhalt, die nur höchst selten zu beobachten ist. Seine Fortschritte waren schnell, schon im Alter von 10 Jahren wurde er als Organist im Seminar der Stadt Neuburg a. d. Donau aufgenommen. Die Seminaristen dieses Hauses hatten speziell den Auftrag zur musikalischen Gestaltung des katholischen Gottesdienstes in der Hofkirche der Jesuiten. In diesem Zusammenhang wurde Martini nicht nur in seinem Talent zur Komposition gefördert, sondern bereits vervollkommnet. Mit 16 Jahren wechselte er zur Universität Freiburg im Breisgau, um seine Ausbildung abzuschließen. Mit 19 Jahren kam er nach Frankreich und schon 4 Jahre später, d. h. im Jahr 1764, begab er sich nach Paris. Hierauf erschienen dort seine ersten Werke von Renommée, Trios und Quartette für Geige und Klavier, Sonaten und Cembalokonzerte, die allgemeinen Anklang fanden. Aber in der Musik und in der Art der Kompositionen ging es ihm wie den Römern in der Literatur. Der Geschmack des aktuellen Tages bewahrt es, der von morgen lässt es bereits vergessen, und selbst ein Genie muss sich anstrengen, seinen Ruhm auf eine dauerhaftere Basis zu stellen. So kam es, dass Martini aus dem Zirkel der normalen Musiker alsbald ausschied, um eine Messe für großen Chor und großes Orchester zu komponieren, die für ihn nun in den Rang seiner besten Werke gehört. Damit hatte er sich schon in Deutschland eine solche Wertschätzung verschafft, dass dortige Musikkritiker die Messe auserwählt haben [Ende von Seite 1], sie jedes Jahr in Wien, in Österreich, am Patroziniumsfest des Stephansdomes aufzuführen.

Martini führte in Frankreich auch eine musikalische Form ein, die vor ihm unbekannt war. Dazu entwickelte er für die Musikwissenschaft ein Verfahren, das sie zuvor nicht gekannt hat. Lange Zeit bildeten Trommel und Pfeife die einzige Instrumente der Regimentsmusik. Die an die Pracht des Hofes und der Hauptstadt gewohnten Offiziere wollten in ihren Regimentern aber eine besondere Musik. Bis dahin wurden die Musiker eines Regiments eher nach der Ausstattung ihrer Uniformen als nach ihren musikalischen Talenten beurteilt.

Es sei mir gestattet, hier auf persönliche Erfahrung zu verweisen: Ich hatte die Ehre, drei Jahre lang mit Regimentsmusik betraut zu sein. Folglich hatte ich die Gelegenheit, die Kompositionen mehrerer Meister auszuprobieren, und ich habe beobachtet, dass die Märsche von Martini den Bewegungen des Soldaten mehr Geschlossenheit und mehr Energie einflößten, dass sie ihrer Haltung mehr Erhabenheit verliehen. So verbreiteten sie auf ihrer Stirn eine Art Frohsinn, die man bei anderen Märschen nicht finden konnte. Und wenn ich aus ein wenig Eitelkeit eine größere Zuschauermenge zur Parade anlocken wollte - welch schönere Musik hätte ich aus dem Ärmel ziehen sollen als einen Marsch von Martini? Und ich wurde von meinen Vorgesetzten gelobt, sowohl für die Wahl des Komponisten als auch für die Ausführung. Das muss ich wahrheitshalber anfügen
[...]

Martini hat seinen Melodieen das Ritornell [den Refrain] hinzugefügt und eine detaillierte Begleitung [...] Dieses Beispiel wird seitdem in allen Melodien verwandt, die der Unterhaltung dienen und der Ausbildung der Schüler [...] Der Refrain weist die Zuhörer auf das Stück hin [...], er gebietet Schweigen, er sucht nicht um das Zuhören nach, er verlangt einfach zuzuhören [...]

Die Aufnahme des Bürgers Martini in unsere Kommission kann deshalb nur dem Glanz und dem Vorteil der "Philotechnischen Gesellschaft" dienen.

[Unterschrift] Guichard"

Diese hochinteressante Beschreibung, die Martini selbst in die Feder Guichards diktiert haben dürfte, spricht für sich und bestätigt all das, was wir zuvor über Martini zusammengetragen hatten.

 

Bald nahm sich Jean-Paul-Égide Martini, der sich nun fast auschließlich der geistlichen Musik zugewandt hatte, weil die weltliche Musik ihm nicht mehr lohnenswert erschien, seine alte Messe für großen Chor und großes Orchester vor, eben jene Messe, die nach Guichards Worten bereits vor Jahrzehnten in das regelmäßige Programm des Stephansdoms in Wien aufgenommen worden war, und er machte sich an eine erneute Überarbeitung.

Karl Theodor von Dalberg (1744-1817), zuvor Erzbischof und Kurfürst von Mainz (1802/03) sowie als Reichserzkanzler Landesherr von Regensburg (1803-1810), war im Jahr 1806 zum Fürstprimas des Rheinbundes (von Napoléons Gnaden) gewählt geworden und waltete ab 1810 (bis 1814) als Großherzog im neu gebildeten Großherzogtum Frankfurt seines Amtes.

Diesem hohen Würdenträger widmete Jean-Paul-Égide Martini nun seine neue Messe. Da dies zu einer Zeit geschah, als Dalberg nicht nur neuer Fürstprimas des Rheinbundes, sondern auch Herr von Frankfurt, Regensburg, Aschaffenburg und Wetzlar war, lässt sich die Messe und ihr Widmungsschreiben am ehesten in das Jahr 1808 datieren, was auch das Widmungsschreiben mit Angabe des Datums 30. Januar 1808 so bestätigt. Dalberg war ein übrigens ein äußerst kunstsinniger Mann: Er war nicht nur den Dichterfürsten J. W. von Goethe und F. Schiller herzlich verbunden, sondern er verehrte auch J. G. Herder und A. von Humboldt.

Es folgt zum Vergleich erst das Titelblatt der "Messe solemnelle", dann das Widmungsschreiben an den Fürstprimas:

Titelblatt der "Messe solemnelle" von J. P. E. Martini.

Zugehöriges Widmungsschreiben an den Fürstprimas von Dalberg.

Hier die deutsche übersetzung des Widmungsschreibens:

Paris, den 30. Januar 1808.

An seine erlauchtigste Hoheit, den Herrn Fürstprimas etc. etc. etc.

Mein Herr:

Das höchste Glück der Künstler ist es, Zugang zu einem "Souverain éclairé", einem erleuchteten Herrscher zu haben, der ihre Werke mit Güte aufnimmt. Mir wird dieses Glück vollends zuteil durch die Gunst Ihrer durchlauchtgigsten Hoheit, indem sie meiner Ehrerbietung zustimmt, die ich Euch erweisen darf. Sie haben diese Komposition geprüft, mein Herr, und Sie haben sie für würdig erachtet, sie mit Eurem illustren Namen zu zieren.

Ich wage es jedoch, Ihre durchlauchtigste Hoheit noch inständigst zu bitten, dieses Werk sowie auch die Psalmen und die Orgelschule, die ich die Ehre hatte, Euch vorzustellen, nach der Rückkehr in Eurer Staatsgebiet zu schützen. Dieser neue Beweis Eurer Güte macht mich hoffen, dass diese drei der Gottesverehrung geweihten Werke mir auch in meiner ersten Heimat ein Überleben gewähren.


Ich verbleibe mit dem Ausdruck tiefsten Respekts, mein Herr, Eurer durchlauchtigsten Hoheit der demütigste und willfährigste Diener - Martini."

Man spürt aus den Worten dieses Schreibens von 1808: Jean-Paul-Égide Martini, der nun mit 67 Lebensjahren für die damalige Zeit bereits ein Greis war, spürte nun stark die Endlichkeit des Seins. So wandte er sich wieder mehr der Verehrung Gottes in seinen Werken zu und er hatte obendrein Sorge, dass all sein musikalisches Bemühen nach seinem Tod seiner alten Heimat verborgen bleiben würde, wenn seine Werke nur in Paris und nicht in deutschen Landen lägen.

Mit anderen Worten:

Jetzt, erst jetzt, nach so vielen Jahren in der Fremde, empfand Jean-Paul-Égide Martini so etwas wie Heimweh!

 

Zwei Jahre später schrieb Jean-Paul-Égide Martini, so François-Joseph Fétis, eine große Kantate für 4 Stimmen und Orchester, anlässlich der Verheiratung Napoléons mit Marie-Louise von Österreich. Diese Kantate wird in einigen Publikationen mit der "Messe solemnelle", die dem Fürsten Dalberg gewidmet war, verwechselt (so z. B. im Ausstellungskatalog von 2002).

Die Verheiratung des 41-jährigen Kaisers Napoléon Bonaparte mit der 18-jährigen Erzherzogin Marie-Louise von Österreich, am 2. April 1810 in der Kapelle des Louvre, Gemälde von Georges Rouget.

Zu diesem Werk konnten wir kein Anschaungsmaterial beibringen, desgleichen bleibt offen, ob diese Kantate je gespielt wurde oder nicht. Manche Autoren behaupten, damals habe der neue Konkurrent Luigi Cherubini mit einer Komposition den Vorzug erhalten.

Den bekannten Gemälden dieser Eheschließung entsprechend befand sich aber in dem zur "Kapelle" umgebauten Salon Carré des Louvre kein Orchester, auch nicht auf den Logen oder in den Zugangswegen!

 

Brief Martinis an einen Redakteur des "Moniteur", 8. Januar 1813.

Martini war in der napoleonischen Ära ein reifer und nunmehr wieder mehr geistlichen Kompositionen zugewandter Mann. Er blieb aber auch das, was er immer gewesen war, nämlich ein erfolgreicher Promotor der eigenen Werke. Ein treffendes Beispiel dafür gibt ein Schreiben, das wir in der Internetpräsenz eines renommierten Auktionators fanden, freigegeben zur Versteigerung.

Es ist datiert vom 8. Januar 1813 und richtet sich an einen Redakteur der Zeitschrift "Le moniteur", auf dessen Besuch Martini zuvor vergeblich gewartet hatte:

"Vous m'avez fait espérer, mon cher ami, que vous viendrez me voir, et je vous atttendais tous les jours. Pour me dédommager de cette privation je vous prie de venir entendre une répétition de ma Messe des morts qui aura lieu lundi prochain, 11 de ce mois, à midi, dans le grand foyer de l'Opéra [...] Venez, mon cher ami, qui me témoignez de lèstime pour mon talent, je serais charmé que vous entendissiez cet ouvrage que j'ai le plus soigné. Soyez assuré du plaisir que vous me feriez et de toute le véritable estime qui j'ai pour vous, votre bien affectionné Martini [...]

"Sie haben mich hoffen lassen, teurer Freund, dass Sie mich besuchen, und ich habe Sie all diese Tage erwartet. Um mich für diese Entbehrung zu entschädigen, bitte ich Sie zu kommen und eine Probe meiner Totenmesse zu hören, die am kommenden Montag, dem 11. dieses Monats, um 12 Uhr mittags im großen Foyer der Oper aufgeführt wird [...] Kommen Sie, mein lieber Freund, der Sie mein Talent so sehr schätzen; ich wäre entzückt, wenn Sie dieses Werk hören würden, das ich am meisten gepflegt habe. Seien Sie der Freude versichert, die Sie mir machen, und der ehrlichen Hochschätzung, die ich für Sie hege, in liebevoller Zuneigung, Ihr Martini [...]"

 

In der Ära "Napoléon" hatte Jean-Paul-Égide Martini wieder Geld ansparen und sich finanziell so weit erholen können, dass er sich eines Tages entschloss, sich sozusagen als Krönung seines Lebens und als Altersruhesitz ein Luxus-Appartement in der teuersten Wohngegend von Paris anzuschaffen.

Der Kaiser hatte per Dekret vom 19. Februar 1806 ein Kapuzinerkloster (Couvent des Capucines) in der Nähe der "Place Vendôme" abreissen lassen, um Platz zu schaffen, um die von ihm geplante, allerdings nicht mehr verwirklichte Oper von Paris - die spätere "Opéra Garnier" (erbaut 1860-1875) - direkt mit der "Place Vendôme" und darüber hinaus mit den "Tuilerien" in einer Prachtstraße zu verbinden. Die nach den Vorstellungen Napoléons und seiner Architekten geplante Chaussée sollte die schönste Straße des neuen Paris werden und direkt den Namen des Kaiser tragen: "Rue Napoléon"!

Nun - das Schicksal wollte es anders, Napoléon Bonaparte musste schon 8 Jahre später abdanken. Die Straße war allerdings zuvor noch verwirklicht worden. Sie wurde nun nur in "Rue de la Paix" umgetauft, in Erinnerung an den am 30. Mai 1814 geschlossenen ersten Pariser Frieden. [Link]

Die Lage der "Rue de la Paix" in der Panoramaaufnahme von Paris. Das Haus mit der Wohnetage von Jean-Paul-Égide Martini ist mit einem rotem Pfeil gekennzeichnet.

Jean-Paul-Égide Martini bezog hier um 1810 eine Wohnetage im Haus mit der Nr. 2, ganz nahe an der "Place Vendôme" liegend. Dieses Haus beherbergt heute in seinem Untergeschoss ein Verkaufsgeschäft der Schweizer Luxus-Uhrenmarke "Vacheron Constantin" aus Genf, das allerding derzeit zugunsten einer Niederlassung desselben Uhrenherstellers an der "Place Vendôme" geschlossen ist. [Link]

"Rue de la Paix" heißt diese Straße noch heute - und "Vacheron Constantin" ist nur eine ihrer vielen Luxus-Adressen, die sich hier befinden: Edelboutiquen und Luxushotels, letztere aber überwiegend an der "Place Vendôme".

Zwei Gemälde aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert geben die Situation von einst wieder:

Franz Alt (1821-1914): Blick von der verlängerten "Place de l'Opéra" in die "Rue de la paix" im Jahr 1886. Martinis Wohn-Adresse ist mit einem schwarzen Pfeil gekennzeichnet.

Jean Béraud (1849-1935): Rue de la Paix im Jahr 1907. Im abgeschnittenen Haus Nr. 2 zu Linken - von uns optisch aufgehellt - wohnte einst Jean-Paul-Égide Martini.

Die Situation heute: Unten das Uhrengeschäft "Vacheron Constantin". Welche Wohnetage Jean-Paul-Égide Martini einst besaß, bleibt unklar.

 


Paris - Restauration (1814-1816)
 

Ludwig XVIII. im Königsornat, Gemälde von François P. S. Gérard.

Am 12. April 1814 dankte Napoléon Bonaparte, jener Mann, der noch kurz zuvor den Westen Europas beherrscht hatte, bedingungslos ab, und die Rückeroberung der Hauptstadt durch die Siegermächte wurde mit der Wiedereinsetzung der Bourbonen besiegelt. Nur 12 Tage später landete der seit 1791 im Exil lebende Bruder Ludwigs XVI., Louis Stanislas Xavier Comte du Provence (1755-1824), in Calais und zog wenig später mit einer Schar emigrierter Anhänger in Paris ein. Als Nachfolger seines toten Neffen Ludwig XVII. erklärte sich der Bourbone nun zum neuen König Ludwig XVIII. und leitete die Restauration der Monarchie ein. Diese war nun nicht mehr eine absolute, sondern eine konstitutionelle.

Als Politiker war König Ludwig XVIII. eher gemäßigt: Er setzte zunächst auf vergleichsweise liberale Minister und gab Frankreich mit der "Charte constitutionnelle" eine liberale Verfassung nach britischem Vorbild, was ihm aber später noch viel Verdruss seitens der Bonapartisten wie der Ultraroyalisten einbringen sollte.

Jean-Paul-Égide Martini war bereits 73 Jahre alt, als er die Restauration und die Rückkehr des Bourbonen auf den Königsthron noch erlebte.

Sofort wurde er tätig und beantragte, unverzüglich in die bereits 1788 zugesagte und von ihn reichlich bezahlte Stellung als "Surintendant de la Musique du Roi" wieder eingesetzt zu werden, als er erfuhr, dass dafür bereits ein anderer, noch unerfahrener Komponist vorgesehen war.

Diesem Antrag wurde am 10. Mai 1814 seitens des neuen Königs entsprochen: Jean-Paul-Égide Martini hatte damit nach 26 Jahren doch noch in letztzer Minute die oberste Sprosse der Karriereleiter in Paris erklommen; 6000 Franken pro Jahr zusätzlich würde er künftig dafür bekommen!

Folgender Schriftsatz an den Innenminister des Königs und Generaldirektors der Polizei, Jacques Claude Comte de Beugnot, vom 20. April 1814, dürfte bei dieser späten Rehabilitation den Ausschlag gegeben haben.

"An seine Excellenz, Herrn Graf von Beugniot, [der Name ist hier verschrieben] Minister des Inneren:

Mein Herr!

Ich habe im Jahr 1788 das Amt des 'Surintendant de la Musique du Roi'
[des Superintendenten der Musik des Königs] erworben. Ich habe für dieses Amt bezahlt. [Notabene: 16000 Livres!] Ich habe keine Rückzahlung erhalten und auch nicht verlangt. Ich habe einen Schwur geleistet und ich habe meine Arbeit unter König Ludwig XVI. ausgeübt. Dieses Amt ist also mein Eigentum!

Seit Lully, dem ersten 'Surintendant de la Musique du Roi Louis XIV.', durften sich alle Nachfolger des beständigen Rechts erfreuen, ihre eigenen Werke aufzuführen und zu dirigieren, wenn der König einer besonderen kirchlichen Zeremonie beiwohnte, wie bei den Einzügen in Paris, den Krönungen, den Hochzeiten und Trauerfeierlichkeiten: Sie hatten eben dieses Vorrecht, selbst vor den 'Maîtres de Musique de la Chapelle du Roi'
[den Leitern der königlichen Kapelle].

Ich habe erfahren, mein Herr, dass Monsieur Choron, ein Unbekannter unter den Komponisten, um eine Stellung gebeten und bereits umfangreiche Vollmachten von Ihrer Exzellenz erhalten habe, und dass ich mich unter seinen Befehlen befände, wenn sich entsprechende Umstände ergäben.

Ich kann nicht diese Privilegien eines Amtes am Hof des Königs unter meinen Händen zerrinnen lassen! Die geringste Gunst, die vom Thron kommt, wird zur heiligen Pflicht für einen eifrigen und treuen Diener!

Ich wage es daher, Eure Exzellenz zu bitten, die Monsieur Choron zugestandenen, viel zu großen Aufgaben zu widerrufen, und mich durch Euren Befehl mit der Aufführung meines 'Te Deums' unter meiner Leitung zu betrauen - an dem Tag, an dem sich seine Majestät König Ludwig XVIII. in die Hauptstadt Paris begeben wird.

Ich bin mit Respekt Euer Exzellenz ein sehr ergebener und sehr gehorsamer Diener

MARTINI
Surintendant de la Musique du Roi
Musikdirektor de S.a.R. Monsieur"
[Bruder des Königs]

 

Jean-Paul-Égide Martini blieb nicht mehr viel Zeit zum Komponieren. Wenn er es dennoch tat, dann waren es ausschließlich geistliche Werke - etliche Motetten zu einzelnen Psalmen und 8 komplette Messen.

 

Am 21. Januar 1815, dem Tag der vorherigen Ermordnung, wurden die sterblichen Überreste des früheren Königs Ludwigs VI. und seiner Gattin Marie Antoinette gehoben und in der Basilika von St. Denis bestattet. Für den nächsten Jahrtag plante man nun die Aufführung einer Totenmesse "à grand orchestre", und Jean-Paul-Égide Martini wurde mit der Komposition beauftragt.

Die Grabdenkmäler - nicht Gräber - Ludwigs XVI. und Marie-Antoinettes, von Edme Gaulle und Pierre Petitot, von 1830, Basilika Saint-Denis.

Schon im Vorfeld der Vorbereitung dieser Feierlichkeiten hatte Jean-Paul-Égide Martini am 13. Juli 1814 einen Brief an seinen jugendlichen Freund, den Komponisten Henri Montan Berton (1767-1844), gerichtet, in dem er das geplante Requiem ansprach. Dieser Brief ist das letzte ausführliche Schreiben aus der Hand Martinis, eines bereits von Krankheit gezeichneten Mannes, wie man an den schwerfällig-holprigen Schriftzügen erkennt:

Mein lieber Kamerad und Meister,

was mich betrifft, würde ich Eure Empfehlung für Herrn Puzzi gern berücksichtigen, und aufgrund Ihres Berichts zweifle ich keinesfalls an seinem großen Talent. Es muß aber auf die letzten Anweisungen des Königs gewartet werden, die dem Herzog von Fleury nach dessen Rückkehr aus London gegeben werden.

Indessen können Sie Ihrem Verwalter versichern, dass ich bis jetzt die Liste von Herrn Lebuer noch nicht gesehen habe. Ich hatte sie verlangt, aber umsonst. Ich habe daher weder jemanden angestellt noch abgesetzt.

A propos, mein lieber Freund, wie weit sind wir mit meiner Totenmesse? Wenn Sie sie inszenieren wollen, ist es unbedingt notwendig, dies einige Tage vor der Krönung des Königs zu tun. Ich bitte Sie, sich dieser Angelegenheit ernsthaft anzunehmen, die mich sogar veranlaßt,
[Hier ist die erste Seite des Briefes zu Ende.] direkt mit Ihnen in Kontakt zu treten und die  Arbeit aufzunehmen, und die mir gleichzeitig die Möglichkeit gibt, Ihnen meine alte Freundschaft und Verbundenheit mehrfach zu versichern.

Ich habe Ihnen, teurer Kamerad, immer mit Freude diese bezeugt und werde ein ganzes Leben daran festhalten.

Ihr Ihnen sehr verbundener Martini, den 13. Juli 1814."

 

Das Jahr 1814 verging und ein neues Jahr begann. Schon kurz nach Jahresbeginn 1815, genau am 30. Januar, lud Jean-Paul-Égide Martini, der Generalmusikdirektor des Königs, einen Sänger mit dem deutschen Namen Vogt zur Probe ins "Théâtre Feydeau".

Theaterzettel von 30. Januar 1815.

Es handelte sich dabei nur um einen ausgefüllten Vordruck, doch dies ist das letzte Schriftzeugnis mit eigenhändiger Unterschrift, das wir von Martini besitzen.

 

In dieser Zeit hatten die Bourbonen und ihr König bereits eine Reihe hochsymbolischer kultureller Akte als öffentliche Repräsentation der bourbonischen Dynastie eingeführt, so die schon erwähnte Translation der Gebeine Ludwigs XVI. und seiner Frau Marie Antoinette vom "Cimetière de la Madeleine" nach Saint-Denis.

Von diesen Zeitpunkt war klar, dass dieser Umbettung ein Staatsakt zum nächsten Jahrtag folgen müsse, wozu nun der "Surintendant de la musique du roi" den Kompostionsauftrag bekommen hatte.

Es war reichlich Zeit zur Komposition, denn dieses große Fest ließ noch eine ganze Weile auf sich warten. Jean-Paul-Égide Martini brauchte allerdings auch krankheitshalber viel Zeit - zunächst um die Trauermusik für das ermordete Königspaar zu komponieren - und schließlich noch viel mehr Zeit, um diese auch vor Ort einzustudieren. Von einer Inszenierung Bertons war nun nicht mehr die Rede.

Ansonsten betete Jean-Paul-Égide Martini in diesem Jahr 1815 viel - nicht ohne Grund, denn erfühlte offenkundig immer mehr das Ende nahen. Ober er dies mündlich tat, wissen wir nicht genau. Dagegen ist sicher, dass er kompositorisch betete - indem er wunderbare Weisen für die ältesten Gebete der Menschheit erfand, für die Psalmen des Alten Testamentes. Allein 7 Motetten zu einzelnen Psalmen entstanden in diesem späten Jahr 1815 aus seiner Feder, dagegen kaum noch andere Werke!

 

Im neuen Jahr 1816 war es dann endlich soweit: Am 21. Januar 1816, dem 3. Jahrestag der Hinrichtung des alten Königspaares, wurde in der Kathedrale von Saint-Denis Martinis Trauermusik uraufgeführt - mit großem Erfolg. Der alte Meister dirigierte dabei selbst!

Jean-Paul-Égide Martini wurde am selben Tag von König Ludwig XVIII. mit dem Martinsorden ausgezeichnet, aus Dank für die geleisteten Dienste. Mit diesem hohen Orden war das Privileg verbunden, künftig den Titel "Chevalier" tragen zu dürfen. Mit anderen Worten:

Der Träger des Brustkreuzes war durch den Orden nobilitiert!

"Jean-Paul-Égide Chevalier Martini" oder deutsch "Johann Paul Egid Ritter von Martini" hätte sich der Lehrersohn aus Freystadt ab sofort nennen können - analog zu seinem Landsmann Gluck, der sich nach päpstlicher Auszeichnung mit dem Orden "Vom goldenen Sporn" im Jahr 1756 bis zu seinem Tod im Jahr 1787 "Christoph W. Ritter von Gluck!" nannte.

Doch eine Gelegenheit, seinen Orden in diesem Sinn zu benutzen, bot sich Martini kaum mehr. Schon unmittelbar nach der Aufführung der "Messe des morts à grand orchestre" soll der schwerkranke und bereits vom nahen Tod gezeichnete Martini zu seinen Musikern gesagt haben:

"Mes amis, je sens que je ne vivrai plus longtemps; je vous prie d'exécuter cette messe aussi pour moi, après ma mort, aussi bien que vous venez le faire ..."

"Meine Freunde, ich fühle, dass ich nicht länger am Leben bleibe, und ich bitte euch, diese Messe auch für mich nach meinem Tod zu singen - so gut, wie ihr es soeben getan habt ..."

Mit welch übermenschlicher Anstrengung Jean-Paul-Égide Martini dieses sein letztes Werk zur Aufführung brachte und am Ende - bei schwindenden Kräften - auch noch höchstpersönlich dirigierte, welche Spitzenleistung dabei nicht nur vom Orchester und den Sänger/-innen, sondern auch vom Dirigenten selbst nötig war, erfasst man am besten, wenn man in die Wucht und starken Kontraste dieses dramatischen Requiems hineinhört. Der französische Dirigent Hervé Niquet hat das einstündige Werk in der "Chapelle Royale de Versailles" im Jahr 2020 zusammen mit seinem Orchester-Ensemble "Le concert spirituel" eingespielt. Diese hörenswerte Fassung findet sich auf CD und bei Youtube, zum Aufruf genügt ein Klick auf das folgende Bild:

 

Ende Januar 1816 brachte dann in Paris die Zeitung "le Moniteur" die Hiobs-Botschaft:

"M. Martini, Surintendant de la Musique du Roi et Maître de Musique de la Chapelle, auteur de la Bataille d'Ivry, du Droit du Seigneur, de Sapho, d'excellentes composition d'église et de divers ouvrages théoretiques sur son art très-estimés, vient de mourir."

"Herr Martini, Superintendant der Musik des Königs und Musikmeister der Hofkapelle, Autor der Schlacht von Ivry, des Herrenrechts, der Sapho, hervorragender Kirchenkompositionen und diverser theoretischer Werke seiner hochgeschätzten Kunst, liegt im Sterben."

Drei Wochen später schloss sich der Lebenskreis des gebürtigen Freystädters für immer:

Jean-Paul-Égide Martini starb am 14. Februar 1816 in seiner Wohnung in der "Rue de la Paix" N° 2, "Quartier Place Vendôme", 1er Arrondissement in Paris, im Alter von 75 Jahren, wohl an den Folgen einer konsumierenden Erkrankung. Die näheren Umstände seines Todes sind nicht bekannt, auch wissen wir nichts von einer priesterlichen Sterbebegleitung, mit Erteilung der Sterbesakramente.

Auszug aus dem Totenregister Jean-Paul-Égide Martinis, vom 4. Mai 1816.

 

Der Begräbnischein Martinis.

Wenige Tage nach seinem Tod wurde der Leichnam Jean-Paul-Égide Martinis im alt-ehrwürdigen Friedhof Père-Lachaise beigesetzt. Ob vorher oder nachher dem letzten Wunsch Martinis entsprechend das Requiem für Louis XVI. erneut gespielt wurde, wissen wir leider nicht.

Martini erhielt ein Staatsbegräbnis: Den Sarg schmückte ein Lorbeerkranz König Ludwigs XVIII. sowie der Michaelsorden. Künstler, darunter Luigi Cherubini, sollen sein Bartuch getragen haben. Ob dabei, wie gewünscht, sein Requiem gespielt wurde?

Martinis Ehrengrab ist heute leider nicht mehr erhalten, selbst die Grabstelle ist unbekannt. Dies liegt daran, dass die Konzession nicht lange gezahlt, und das Grab danach bald aufgelöst wurde.

Auf der Bescheinigung des Friedhofs ist der Name und das Sterbedatum Martinis einigermaßen korrekt eingetragen. Aber statt die richtige Friedhofs-Division und die Grabnummer festzuhalten, hat der Friedhofswärter, der diesen Zettel ausfüllte, nur das Arrondissement, in dem Martini erwohnte, und sein Sterbealter verzeichnet.

 

Alter Belegungsplan des Friedhofs "Père Lachaise".

Kein Denkmal Jean-Paul-Égide Martinis hat sich in Paris erhalten, nicht einmal eine Tafel an seinem Sterbehaus. Selbst eine Straße ist nicht nach ihm benannt worden, lediglich eine unscheinbare kleine Sackgasse im 10. Arrondissement, die "Impasse Martini". [Link]

Die "Impasse Martini" im Panorama von Paris.

Sic transit gloria mundi - So vergeht der Ruhm der Welt!


Zusammenfassung und Würdigung
 

Das einzige von Jean-Paul-Égide Martini erhaltene Portrait, Stich in der BNF von 1813.

Jean-Paul-Égide Martini (1741–1816), geboren als "Joannes Paulus Ägidius Martin" in Freystadt, Oberpfalz, war ein deutsch-französischer Komponist, dessen Leben und Werk eine faszinierende Brücke zwischen deutscher Herkunft und französischer Musikkultur schlagen. Obwohl sein Name heute vor allem mit dem unsterblichen Liebeslied "Plaisir d'amour" verbunden ist, verdient Martini eine umfassendere Würdigung -  für seine vielseitigen Beiträge zur Musik des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts.

Martini wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf; sein Vater Andreas war Schullehrer und Organist, seine Mutter Barbara starb, als er sechs Jahre alt war. Früh zeigte sich seine musikalische Begabung: Bereits mit elf Jahren wirkte er als Organist am Jesuiten-Seminar in Neuburg an der Donau. Ein Philosophiestudium in Freiburg im Breisgau brach er ab, da die Musik ihn mehr anzog. Seine Wanderschaft führte ihn über den Decknamen "Schwarzendorf" schließlich nach Nancy, wo er 1760 den italienisierten Namen "Martin-i" annahm und Marguerite Camelot heiratete, die aus einer Organistenfamilie stammte.

Sein Leben war geprägt von Anpassungsfähigkeit und Widerstandskraft. In Paris erlangte er raschen Ruhm als Komponist, doch die Französische Revolution brachte Rückschläge: Er verlor Ämter, geriet in finanzielle Not und floh nach Lyon. Dennoch kehrte er zurück, unterrichtete am Pariser "Conservatoire" und wurde 1814 unter König Ludwig XVIII. endlich "Surintendant de la musique du roi" – ein Amt, das ihm 1788 verwehrt geblieben war. Martini starb 1816 in Paris, kurz nach der Aufführung seines Requiems für den ermordeten König Ludwig XVI.

Martinis Schaffen war beeindruckend vielfältig: Er komponierte Militärmärsche und Opern, aber auch Romanzen und Kirchenmusik und er schrieb pädagogische Werke. Das internationale Musikquellenverzeichnis RISM listet 329 Kompositionen auf, darunter Opern wie "L’amoureux de quinze ans" (1771), mit der er großen Erfolg feierte, und "Le droit du Seigneur" (1783), das 25 Jahre auf den Spielplänen blieb. Seine geistlichen Werke, etwa die "Messe Solemnelle" oder das "Requiem pour Louis XVI." verbinden traditionelle Formen mit moderner Theatralik. Besonders einflussreich waren seine Romanzen, allen voran das Lied "Plaisir d’amour" (1784), das mit seiner melancholischen Melodie und dem Text von Jean-Pierre Claris de Florian die Vorstufe des französischen Kunstlieds markiert - und dennoch seinen Siegeszug in der ganzen Welt antrat. Dieses Lied inspirierte später auch Bearbeitungen, etwa durch Hector Berlioz, und es diente z. B. als Grundlage für Elvis Presleys Evergreen "Can’t Help Falling in Love".

Martinis Fähigkeit, sich viermal an den Wechsel des politischen Regimes anzupassen – von der Monarchie über die Französische Revolution bis zu Napoléon Bonaparte und der Restauration – zeigt seine Flexibilität. Er schrieb für Marie Antoinette, die Republik, für Napoléon und die Bourbonen, was seine Musik zu einem Spiegel der turbulenten Zeit macht. Seine Arrangements für Klavier, Gesang, Gitarre oder Harfe zeugen von einem pragmatischen Gespür für die Bedürfnisse des Publikums.

 

Jean-Paul-Égide Martini, einst auch "Il Tedesco - der Deutsche" genannt, um ihn vom italienischen Maister Giovanni Battista Martini zu unterscheiden, war ein Künstler von europäischem Format. Sein Leben – geprägt von Aufstieg, Fall und Wiederaufstieg – spiegelt den Mut eines Künstlers wider, der trotz aller Widrigkeiten seiner Leidenschaft für die Musik treu blieb.

Martinis Werk verband deutsche Gründlichkeit und oberpfälzer Hartnäckigkeit mit französischer Eleganz und italienischem Flair. Er verband die deutsche Schule mit dem galanten Stil des 18. Jahrhunderts, der sich schließlich in seinem Werk durchsetzte, und er war der erste, der in Frankreich Romanzen und distanzierte Melodien mit Klavierbegleitung veröffentlichte - und das in einer Zeit, in der allerorten der Generalbass noch vorherrschte. In religiösen Angelegenheiten lehnte er den traditionellen kontrapunktischen Satzbau der Kirchenmusik und ihren belehrenden Stil ab und bevorzugte eher galant-theatralische Effekte.

Wenn Martini heute weitgehend vergessen ist, dann liegt das an der Dominanz von Zeitgenossen wie W. A. Mozart oder J. Haydn, doch sein Einfluss, insbesondere auf die Entwicklung des französischen Liedes, ist unbestreitbar: Das "Plaisir d’amour" bleibt ein zeitloses Zeugnis seiner Gabe, Emotionen in schlichter, aber tief berührender Weise auszudrücken.

Es ist nun an der Zeit, Martinis Œuvre wiederzuentdecken, sei es durch Aufführungen seiner Opern, durch die Wiederveröffentlichung seiner Kirchenmusik oder die Würdigung seiner Romanzen. Martini verdient einen festen Platz in der Musikgeschichte – nicht nur als Schöpfer eines Welthits, sondern als vielseitiger Komponist, der die Musik seiner Zeit bereicherte.

Zu diesem hehren Ziel sollte die vorliegende Lebensbeschreibung ihren Beitrag leisten!

 

Berching, den 18. Mai 2025                                                                                                                                                                Dr. Werner Robl

Auszug aus dem "Chansonnier historique" von 1884: Martini steht hier zwischen den berühmten Komponisten André-Ernest-Modeste Grétry und Niccolò Piccinni, mit den Versen:

"Als Martini voller Genialität in der Karriere fortschritt, ließ er die Poesie das aussprechen, was sie zuvor nicht einmal denken konnte!"

 


Werkverzeichnis
 

OPERN
Titel Datum Ort
La convalescence de Thémire - divertissement en 1 acte 20. Februar 1765 Fléville
L'amoureux de quinze ans, ou La double fête 18. April 1771
Le nouveau né 1772 Chantilly
Le fermier cru sourd, ou Les méfiances - comédie mêlée d'ariettes en 3 actes 1772 Paris
Le rendez-vous bien employé (nocturne) 10. Februar 1774 Paris
Henri IV ou la Bataille d'Ivry 14. November 1774
Le droit du seigneur 1783
L'amant sylphe, ou La frairie de l'amour 24. Oktober 1783 Fontainebleau
Annette et Lubin, Einakter 6. Februar 1789
Sapho 12. Dezember 1794 Paris
Sophie de Pierrefeu, ou Le Tremblement de terre de Messine 1797/98 nicht aufgeführt
Le poète supposé 1782 nicht aufgeführt
La Partie de campagne nicht aufgeführt
Ziméo 16. Oktober 1800 Paris - Théâtre Feydeau
La maison louée, ou La maison à deux maîtres 30. August 1806 Paris - Théâtre Feydeau
L' histoire universelle 1790 ?
Le couvent, ou Le bienfait de la loi 1791 ?
 
KIRCHENMUSIK
Titel Datum Ort
GRande cantate à quatre voix et orchestre, pour le mariage de Napoléon et de Marie-Louise 1810 nichts aufgeführt
Messe solemnelle à grand choeur er à grand orchestre 1808 Paris
Messe des morts à grand orchestre 1816 Paris
8 weitere Messen. No. 1 - 8 alle 1815
 
PSALMEN
Titel Datum Ort
Te Deum Concert spirituel 1790 verloren
Te Deum 1809
Domine salvum fac regem - Imperatore Napoleonem, 4 Stimmen und Orgel 1809
6 Psaumes 1805 Paris
O salutaris hostia, 5 Stimmen und Orgel 1809 Paris
6 salutaris hostia 1815
Deus Deus meus 1815
Domine in virtute tua 1815
Domine salvum fac regem 1815
Ecce sacerdos magnus 1815
Laudate Dominum 1815
Laudate pueri Dominum 1815
 
POLITISCHE LIEDER UND HYMNEN
Titel Datum Ort
Prière pour le roi 1793 London
Chant funèbre 1794
Hymne à l'agriculture 1796
Hymne pour la Republique - Anniversaire de la fondation 1798 Paris
Chant triomphal 1798
Chant d' allégresse 1801
 
MILITÄRMUSIK
Anciennes pièces pour l'usage des régiments français Paris
100 Märsche verschollen
 
LIEDER UND ROMANZEN
Titel Datum Ort
Airs du Droit du seigneur, 3 romances nouvelles - darunter Plaisir d'amour 1784 Paris
7 Pieces from Le droit du seigneur, 1785 Paris
3 romances
Petites airs de chant 1785 Paris
Rondes, ariettes & romances 1792 London
4e recueil de petits airs de chant 1794 Paris
Arcabone magicienne 1805 Paris
Scene heroique, ou Cantate sur le mariage de S. A. Majesté l'Empereur Napoleon avec S.A. Imperiale et Royale Marie-Louise 1810
Hymne à Apollon 1811
Cantata 1815
Italian rondo and airs 1783-84
Plaintes de maria Stuart    
 
KAMMERMUSIK
Titel Datum Ort
6 Quartette Op. 1, für Flöte, Violine, Alt und Bass 1766 Paris
6 Trios Op. 2, für Cembalo obligato, Violine und Violoncello 1766
4 Divertimenti Op. 3, für Cembalo, Violinen und Bass 1767
6 Notturni Op. 4, für Cembalo, Violinen und Bass 1768
6 Quartette Op. 5, für 2 Violinen, Alt und Bass    
& Trios Op. 6, für 2 Violinen und Bass 1769  
 
ORCHESTERMUSIK
Titel Datum Ort
Sinfonia D-Dur - 2 Ob 2 Hr Str 1768 Paris
6 Symphonies (für Streicher) 1768 Paris
6 Trios à grand orchestre 1770
Suite d'airs 1773
Symphonie, perf. 1775
100 marches and other wind music, entr'actes 1770-1789 verloren
Allegretto in Héro et Leandre (Ballet von F. C. Lefebvre) 1799 Paris
Danse militaire et villageois 1807
 
PÄDAGOGISCHE WERKE
Titel Datum Ort
Mélopée moderne, ou L'art du chant réduit en principes 1792 Lyon et Paris
Partition pour accorder le piano et l'orgue 1794 Paris
Plan d'institution d'une musique et éducation nationale 1794
École d' orgue, divisee en trois parties 1805 Paris
Traité élémentaire d' harmonie et de composition

 


Häufig verwendete Literatur

 

 

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