Am 30. Oktober 1734 wurde im Eichstätter Dom von Domkapitular D. Hafner ein männliches Neugeborenes auf den Namen "Laurentius" getauft, nach dem Vornamen seines Taufpatens, des Kornhändlers Lorenz Margraf. Es war das zweite von insgesamt 8 Kindern des Ehepaares Hans Georg und Anna Maria Raab (zwischen 1731 und 1745), wobei 5 Kinder (darunter ein Zwillingspaar) gleich bei der Geburt oder wenig später verstarben.
Der Beruf des Kindvaters wird in den Kirchenbüchern von Eichstätt wechselnd mit "cæmentarius", "marmorator", "murarius", "Marmorierer", "Marblierer" angegeben, was heute im Deutschen etwas verallgemeinernd auf die Berufsbezeichnung "Maurer" hinausläuft, damals jedoch genau genommen die Spezialisierung eines solchen beinhaltete: Hans Georg Raab hatte sich auf die Herstellung und Verarbeitung eines besonderen, mit Farbpigmenten und fakultativ Marmormehl versetzten Gipsputzes spezialisiert, mit welchem im Barock die Altäre, Säulen und andere Schmuckmelemente der Kircheninnenräume "marmoriert", d. h. mit einer marmorartigen Putzschicht versehen wurden. Es ist demnach zweckmäßig, ihn als "Marmorierer" zu bezeichnen. Ein Meistertitel lag dabei nicht vor; Hans Georg Raab war die meiste Zeit seines Lebens, das er am 31. Juli 1773 beendete, ein Marmorierergeselle.
Von den überlebenden Kindern des Marmorierer-Ehepaares Raab war Lorenz Raab der einzige Knabe.
Was schon der Beruf des Vaters angedeutet hatte, verdichtete sich beim Sohn alsbald zur Gewissheit: Es gab in der Vaterlinie ein gewisses künstlerisches Talent! Deshalb wurde Lorenz mit ca. 12 Jahren dem Eichstätter Hofbildhauer Matthias Seybold (1696-1765) [Link] in die Lehre gegeben. Am 1. Juli 1752 sprach der Vater Hans Georg Raab beim Hofbauamt Eichstätt vor und bat, seinen Sohn, der beim Hofbildhauer "sothane Kunst" erlernt habe, freizusprechen, damit er "in die Fremde gehen könne". (KbB BA Eichstätt, 97 Fußnote). Dem Wunsch wurde von Amts wegen entsprochen.
In Eichstätt selbst gab es damals für den frisch gebackenen Bildhauergesellen Lorenz Raab keine Verwendung, was vielleicht auch daran lag, dass der hochbetagte Bischof Johann Anton II. von Freyberg (1674-1757) seinem Lehrmeister Seybold soeben die Gunst entzogen und diesen zum einfachen "Bauamts-Inspektor" degradiert hatte. (Sax, Bau-Directoren 6)
Möglicherweise ging Lorenz Raab zunächst zur weiteren Ausbildung ins Ausland (i. d. R. nach Italien), so wie es damals viele seiner künstlerischen Zeitgenossen - in Eichstätt z. B. der Kunstmaler Johann Michael Baader - taten. Wir erfahren jedenfalls von Lorenz Baader erst wieder, als er sich als fertiger Bildhauer in Berching niederließ und dort seine erste Ehe schloss, mit Maria Franziska, der Tochter des verstorbenen Berchinger Bildhauers Hans Georg Voraus und seiner Gattin Maria Eleonora Paulus. Die Vollwaisin war in Berching am 03. September 1730 als Nachzüglerin geboren worden (nach 5 ausgetragenen, aber nicht alt gewordenen Kindern zwischen 1712 und 1726, darunter zuletzt eine gleichnamige Schwester).
Der Bildhauer Hans Georg Voraus (nach alternativer Schreibweise "Johann Georg Vorauß") wird uns als Vorgänger Raabs im Folgenden immer wieder begegnen. Bereits er war ein Meister seines Fachs. Nur wenig ist über ihn bekannt; seine Geburts- und Sterbedaten liegen im Dunkeln, aber falls zwei Pettenkofer-Epitaphe aus dem Berchinger Pettenkoferhaus (ehemaliges Franziskanerkloster) von Voraus stammen, was wir annehmen (siehe unten), dann müsste der Bildhauer nach 1752 verstorben sein. Einen männlichen Nachfahren hatte das Bildhauer-Ehepaar Voraus wohl nicht.
Hans Georg Voraus hatte am 13. September 1709 in Berching seine Frau Eleonore, die Tochter des "pharmacopulus hic" (hiesigen Arzneimischers) Philipp Paulus geheiratet:
Gleichwohl kamen beide nicht aus alteingesessenen Berchinger Familien, sondern stammten von auswärts, wobei wir vom Berchinger Sterbeeintrag der Eleonore Voraus noch wissen, dass sie im 1786 geboren war.
Nun findet sich eine aufffallende Häufung der Familiennamen "Voraus" und "Paulus" in den Kirchenbüchern des Tangrintel, also in und um Hemau, mit gut definierbaren Außengrenzen, über die hinaus der Familienname "Voraus" nicht mehr vorkommt (z. B. in Parsberg oder Breitenbrunn).
Am 15. April 1682 wurde in Hemau dem Ehepaar "Ulrich und Barbara Vorauß" (so!) ein Sohn "Georg" geboren, bei dem wiederum ein "Leonhard Paulus" Taufpate war.
Wir können beim Stand der Dinge nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es sich bei diesem Knaben um den späteren Berchinger Bildhauer "Hans Georg Voraus" handelt, zumal im Hemauer Taufeintrag der 2. Vorname "Johann" fehlt. Aber falls dies doch der Fall ist, dann dürfte der junge Georg als ca. 15-jähriger beim Holzbildhauer Joseph Anton Machalky aus Stadtamhof bei Regensburg in die Lehre gegangen sein. Denn dieser skulptierte die Heiligenfiguren und den sonstigen Altarschmuck für den Hauptaltar und die Seitenaltäre der Wallfahrtskirche "St. Trinitas" auf dem Eichlberg nahe Hemau, die gerade von 1697 an erbaut wurde. Dies ist schon eine auffallende Koinzidenz!
Soweit unsere vorläufigen Erkenntnisse über die Provenienz des Hans Georg Voraus in Berching. Weitere Forschung ist vonnöten, um zu größerer Klarheit und Bestimmtheit zu gelangen.
Jedenfalls wird uns der Name des Raab'schen Schwiegervaters im Folgenden immer wieder begegnen, denn auch er hat in Berching einige Spuren seines Könnens hinterlassen!
Doch nun zurück zu Lorenz Raab:
Die Hochzeit Raabs mit der Voraus-Tochter fand in Berching genau in jenem Jahr 1760 statt, in dem dort soeben die vom neuen fürstlich-Eichstättischen Hofbaudirektor Maurizio Pedetti (1719-1799) [Link] entworfene und stark erweiterte Stadtpfarrkirche "Mariä Himmelfahrt" fertig gestellt worden war. Sie erfuhr in der Folge eine umfangreiche Innenausstattung im Stil des späten Eichstätter Rokoko, und da war die Präsenz eines Bildhauers vonnöten!
Im notwendigen Innenausbau der Kirche sah der junge Lorenz Raab offensichtlich eine berufliche Chance, zumal sein Meister Seybold ab sofort ebenfalls in Berching und im Unteren Hochstift Eichstätt bildhauerisch tätig war (z. B. bei der Einrichtung und Ausschmückung der Kanzel in der Stadtpfarrkirche). [Link]
Am 12. Februar 1760 schlossen Lorenz Raab und Maria Franziska Voraus bei dem Stadtpfarrer Dr. Johann Martin Zinsmeister (1752-1775), bzw. vor seinem Vertreter, dem Kooperator Franz Xaver Schneeberger, in der Kirche St. Lorenz in Berching den Bund fürs Leben. Es folgt der originale Eintrag des Trauungsbuches der Pfarrei Berching:
Wenige Tage vor dem Hochzeitstermin, genau am 25. Januar 1760, hatte nach dem Vater, der schon vor Jahren verstorben war (die Geburts- und Sterbedaten von H. G. Voraus sind leider unbekannt), auch die Mutter der Braut, Maria Eleonora Voraus, im Alter von 74 Jahren für immer die Augen geschlossen, sodass dieser Eheschluss gerade recht kam, um eine Betriebsunterbrechung zu vermeiden. Denn mit ihm fiel, wie der Stadtschreiber Gareis im ältesten Häuserbuch der Stadt Berching verriet, Haus und Werkstatt nun an das frisch verheiratete Bildhauer-Paar, nachdem es zuvor offensichtlich keinen männlichen Erben mehr gegeben hatte, der das elterliche Anwesen hätte übernehmen und die Bildhauerwerkstatt hätte weiterführen können.
Es handelte sich bei diesem Erbe, das den 26-jährigen Bildhauer Lorenz Raab 1760 nun auch zum Bürger Berchings - "statuarius ac civis hujatis" - machte, um das sogenannte "Bumsenanderlhaus" Nr. 206 in der Berchinger Vorstadt, in dem der Bildhauer Hans Georg Voraus mit seiner Familie seit 1728 gewohnt und über fast 30 Jahre gewirkt hatte.
Dieses Haus lag wiederum direkt neben dem "Bachhäusl" Nr. 208, am Rand des damals noch offen und mit gutem Gefälle dahinfließenden Baches, der aus einer kräftig schüttenden Quelle im Rachental herabfloss. In diesem Gebäude, das heute abgegangen ist, hatte wahrscheinlich Voraus, ehe er es 1730 in fremde Hände gab, mit Hilfe eines Wasserrades und entsprechender Transmission ein Schneid-, Schleif- und Polierwerk für Grabplatten aus Juramarmor betrieben. Zwar soll dieses Betriebsgebäude laut dem jüngeren Häuserbuch von Rebele ab 1730 nacheinander einem Wiest Wolfgang, Jung Nikolaus, Pöll Georg und Meyerhofer Georg gehört haben, doch wechselten diese Besitzer so schnell hintereinander, dass kaum anzunehmen ist, sie hätten selbst in diesem Haus gewohnt. Es ist deshalb gut möglich, dass Hans Georg Voraus und nach ihm Lorenz Raab dieses Haus am Bach weiterhin pachteten oder mieteten, um dort jene Epitaphien herzustellen, die wir für speziell bei Lorenz Raab reichlich bis zum Jahr 1801 nachweisen (siehe unten).
Leider stand die erste Ehe des Lorenz Raab unter keinem guten Stern. Schon im Folgejahr des Eheschlusses verstarb die 1730 geborene und damit fast 31-jährige Maria Franziska Raab, geb. Voraus, unter nicht näher bekannten, aber sicher tragischen Umständen im Wochenbett; sie wurde am 7. Februar 1761 im Friedhof von St. Lorenz zur letzten Ruhe gebettet. Von einem lebensfähigen Kind der beiden ist nicht die Rede; es wird spätestens bei der Entbindung ebenfalls verstorben sein.
Damit endete nicht nur Lorenz Raab's erste Ehe unfassbar schnell, sondern ihm war damit auch die weitere Existenzgrundlage als Bildhauer zum Teil entzogen. Denn in einer Zeit überwiegender Handarbeit war es üblich, dass bei mehreren gleichzeitigen Aufträgen auch die Ehefrau und ggf. auch die Kinder eines Bildhauers in der Werkstatt mitarbeiten mussten, um der Familie ein ausreichendes Einkommen zu verschaffen. Die verstorbene Maria Franziska wird deshalb im Todeseintrag korrekt als "statuaria" bezeichnet, was eben nicht frei mit "Bildhauersgattin", sondern wörtlich mit "Bildhauerin" zu übersetzen ist.
Noch im Herbst desselben Jahres 1761 ging Lorenz Raab notgedrungen eine neue Ehe ein:
Als Brautwerber war vermutlich der "pistor dulcinarius" (Zuckerbäcker) Konrad Vibrich aus Berching eingesprungen, ein naher Verwandter des gleichnamigen "tonsor" (Friseurs) Johann Michael Vibrich in Denkendorf. Beide hatten wiederum gute Beziehungen zum Weiler Bettbrunn, mit seiner großen, damals noch gotischen, 1329-39 erbauten Wallfahrtskirche "St. Salvator", die bereits in der Diözese Regensburg lag. Der Erstgenannte hatte wohl berufsbedingt geschäftliche Beziehungen zum dortigen "farinarius" (Melber, Mehlhändler) Matthias Mayr und seiner Gattin Barbara, die wiederum ein zu Lorenz Raab passendes, im Heiratsalter befindliches Töchterchen namens Regina hatten.
Am 7. Oktober 1761 nahmen beide Vibrichs auf Seiten des Bräutigams als Zeugen an der kirchlichen Verlobung des Paares Regina Mayr und Lorenz Raab in der Salvatorkirche von Bettbrunn teil.
Schon knapp 3 Wochen später, am 26. Oktober 1761, schlossen beide in der Annenkapelle der Berchinger Pfarrkirche, vor einer Statue der heiligen Eulalia, den heiligen Bund der Ehe. Der Priester, der die Hochzeitsmesse nach dem tridentinischen Ritus hielt, war der hochwürdige Herr Caplanei-Verweser Michael Marggraf, der vermutlich mit Lorenz Raab's Taufpaten Lorenz Margraf (so!) verwandt war.
Zu beachten ist, dass schon damals Lorenz Raab in der Bettbrunner Notiz ehrenvoll als "artificiosus dominus" bezeichnet wurde, als "kunstfertiger Herr", d. h. als Künstler von Rang! Die Bezeichnung "artificiosus" (kunstreicher, kunstfertiger Mann, Künstler) wird sich bei Lorenz Raab erst bei seiner Todesanzeige 41 Jahre später wiederholen, ansonsten ist bei den Taufen der Kinder jeweils nur kurz von "statuarius" oder "sculptor" (Bildhauer) die Rede.
Einige spärliche Einblicke in das Leben der Familie Raab in Berching bekommt man durch die Auswertung der Tauf- und Sterbebücher der Pfarrei:
Zwischen 1762 und 2775 schenkte Regina Raab, geb. Mayr, insgesamt 5 Kindern das Leben:
Wenden wir uns zunächst dem jüngeren der beiden Franz-Xaver zu:
Am 9. Januar 1797, verheirateten die Eltern diesen ihren jüngeren Sohn namens Franz-Xaver (Jahrgang 1775) mit einer gewissen Anna Maria Bauer, einer Bauerstochter aus Burggriesbach.
Es handelte sich hierbei um eine ganz ungewöhnliche Heirat:
Während im Eintrag des Trauungsbuches bei Franz-Xaver Raab der Zusatz "honestus juvenis", d. h. "ehrbarer Jüngling" steht, was gut zu seinem Heiratsalter von 22 Jahren (Geburtsjahr 1775) passt, war die Braut Anna Maria Bauer (bei einem Geburtsjahr 1730) sage und schreibe 45 Jahre älter als ihr Bräutigam! Das Alter der Braut verrät uns ihr Sterbeeintrag vom 5. Dezember 1802, der bei Anna Maria Bauer von einem Sterbealter von 72 Jahren spricht, wozu wiederum auch die Todesursache "Apoplexie" passt!
Anna Maria Bauer war also zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits eine alte Jungfer von 57 Jahren und damit deutlich außerhalb des gebärfähigen Alters. Genau dies, die Gebärunfähigkeit, stellte jedoch nach kirchlichem Recht ein klares Ehehindernis dar, von dem nur in triftigen Fällen per Dispens abgerückt wurde. Dennoch wurde diese Ehe zwischen Jung und Alt geschlossen! Kinder waren aus dieser Ehe nicht zu erwarten und es kamen auch keine zur Welt. Die Ehe selbst hatte nur 5 Jahre Bestand.
An dieser Stelle der Überlegungen angekommen, scheidet Franz-Xaver Raab der Ältere endgültig als Ehepartner der Anna Maria Bauer aus: Er war weder ein "juvenis", noch hätte er als gesunder Geschäftsmann zu dieser Schein-Ehe je die kirchliche Erlaubnis bekommen! Er wird später zwei andere, gut dokumentierte Ehen eingehen (siehe unten).
Die plausibelste Erklärung für die äußerst ungewöhnliche Kombination Jung-Alt liegt darin, dass das alt gewordene Ehepaar Lorenz und Regina Raab mit dieser Verheiratung die weitere Versorgung eines körpertich oder - wahrscheinlicher - geistig behinderten Sohnes sicherstellen wollten:
Deshalb werden beide zuständigen Pfarrer schließlich ihr Plazet zur Eheschließung erteilt haben!
Während man also mit einer größeren Zuwendung dem jüngsten Sohn das weitere Überleben in weiblicher Betreuung sicherte, erhielt der andere, zwar ältere, dafür aber gesunde und voll arbeitsfähige Sohn Franz-Xaver die Raab'sche Werkstatt und dazu ein passendes Gebäude als Eigenbesitz zur lebenslangen Verfügung.
Es handelt sich also damals um eine vorgezogene Verteilung des Erbes der Familie Raab!
In diesem Zusammenhang hatte Lorenz Raab schon eine Woche vor der genannten Heirat, genau am 2. Januar 1797, sein Geschäft und den Erbteil dem Älteren der beiden gleichnamigen Söhne, an den Bildhauer und Steinmetz Franz Xaver Raab (Jahrgang 1765), übergeben. Wohl zeitgleich übernahm dieser nach dem Häuserbuch von Rebele direkt im Süden der Stadtpfarrkirche das sogenannte "Bildhauerhäusl" mit der alten Nr. 19 (heute Friseursalon Riedel, Dr.-Grabmann-Platz 16).
Es ist anzunehmen, dass schon sein Vater Lorenz Raab, der ja ab 1760 schwerpunktmäßig für die Berchinger Stadtpfarrkirche als Bildhauer tätig war - und zwar primär als Holzbildhauer und weniger als Steinmetz -, hier eine zusätzliche Werkstatt betrieben hatte.
In grauer Vorzeit hatte hier ein jüdisches Anwesen gestanden, dass zusammen mit der Synagoge nebenan (Nr. 17, heute Dr.-Grabmann-Platz 16) bei einem der beiden Judenpogrome von Berching (entweder 1298 oder Mitte 14. Jahrhundert) einer Brandstiftung zum Opfer gefallen war, sodass es hinterher über lange Zeit nicht wieder aufgebaut wurde. Erst 1745 errichtete auf dieser alten, verruchten Brandstätte ein gewisser Jakob Barth aus kryptojüdischer Sippe (vgl. unsere Arbeit über die Kryptojuden von Berching: [Link])
Dass es sich dabei nicht um eines der üblichen Berchinger Ackerbürger-Häuser, also um ein gewöhnliches Wohnstallgebäude mit rechteckigem Stall-/Scheunen-Anbau handelte, sondern tatsächlich um das Anwesen eines Handwerkers, mit Wohntrakt vorn, aber auch mit Durchfahrt und mehreren Werkstattgebäuden hinten, zeigt die Disposition im Urkataster (siehe Bild).
Dieses Haus soll laut Rebele's Häuserbuch von 1760 bis 1797 nacheinander einem Willibald Einmüller, einem Paul Hallmeier und zuletzt einer Rosina Silbernagel gehört haben, ehe es am 2. Januar 1797 als Besitz an Lorenz Raab's Sohn fiel. Da bei diesen Eintrag im Häuserbuch von Rebele sowohl der Name als auch das Sterbedatum des Raab-Sohnes falsch geschrieben und die Vorbesitzer Einmüller, Hallmeier und Silbernagel ohne nähere Angaben in rascher Aufeinanderfolge vermerkt sind, halten wir diesen Auszug für verderbt und möglicherweise unvollständig, oder er spiegelt ähnliche Verhältnisse wie im "Bachhäusl" in der Vorstadt wieder (z. B. Anmietung oder Pachtung - in diesem Fall durch die Pfarrgemeinde Berching). Leider liegt uns hier zum Abgleich der Auszug des älteren Häuserbuches von Gareis nicht vor.
Dafür, dass in diesem Anwesen nicht nur sein Sohn und Nachfolger, sondern auch Lorenz Raab selbst wirkte, sprechen die unbestreitbaren Vorteile dieses "Bildhauerhäusls": Da es direkt neben der Kirche lag, war dem Bildhauer vielleicht schon ab 1760 der Transport von großen Werkstücken ungemein erleichtert! Als Lorenz Raabs Sohn 1797 dieses Haus übernahm, kam jedenfalls dieser Vorteil nicht mehr zum Tragen, denn die Kirche war nun bereits komplett ausgestattet und bedurfte keiner weiteren Großarbeiten mehr!
Dennoch ging dieses Haus laut Häuserbuch am 2. Januar 1797 an den Sohn - und woher kam es? Doch am ehesten vom Vater!
Der Zeitpunkt der Geschäftsübergabe war übrigens gut gewählt. Denn genau im selben Jahr 1797, allerdings am Jahresende, verstarb Lorenz Raab's letzter großer Auftraggeber in Berching, der Stadtpfarrer Franz Melchior Bößl. Zu ihm kommen wir später!
Lorenz Raab blieb auch nach der Geschäftsübergabe noch für einige Jahre beruflich tätig, allerdings vor allem für eine gute Bekannte der Familie, Maria Anna Vögele, der Stifterin der Berchinger Wallfahrtskirche "Mariahilf". Ihr griff er bis 1801 mehrfach hilfreich unter die Arme! Auch dazu mehr später.
Lorenz Raab und seine Frau Regina wurden vergleichsweise alt:
Am 17. September 1810 verstarb eine Schwiegertochter der Raabs, die "bürgerliche Steinhauerin" Anna Maria Raab an "Wassersucht" und wurde tags darauf begraben - nicht im Alter von 48 Jahren, wie im Totenbuch steht, sondern im Alter von 43 Jahren. Diese Frau war entweder die Witwe des ebenfalls bereits 9 Jahre zuvor verstorbenen erstgeborenen Sohnes Joseph Martin Raab oder des zweitgeboren Hans Georg Raab, der vielleicht auch schon tot war.
Zwei Jahre später, genau am 30. Juni 1812, verheiratete sich der Steinmetz Franz-Xaver Raab der Ältere zum zweiten Mal, nachdem seine erste Frau, eine gewisse Katharina Dirnhofer, am 4. April 1812 im Alter von 32 Jahren an "Lungenbrand" verstorben war.
Es folgt zunächst der Sterbeeintrag der ersten Gattin:
Hier der Hochzeitsvermerk vom 30. Juni 1812; zweite Ehefrau des älteren Franz-Xaver wurde Katharina Vögele, Tochter des Maurers Joseph Vögele.
Zwei Jahre später war auch der Bräutigam selbst nicht mehr am Leben: Franz Xaver Raab der Ältere, Jahrgang 1765, verstarb am 12. Juni 1814 im Alter von 49 Jahren; er wurde zwei Tage später bei St. Lorenz begraben. Die Todesursache lautete ähnlich wie beim Vater "Brustwassersucht".
Mit dem Jahr 1814 war die Bildhauer-Familie Raab in der männlichen Linie in Berching ausgestorben.
Nun gingen das Haus und die Werkstatt bei der Stadtpfarrkirche "Mariä Himmelfahrt" auf den am 10. April 1771 in Batzhausen geborenen Tagelöhner Michael Götz über, der nach dem vorgeschriebenen Trauerjahr, am 10. April 1815, die Witwe Katharina Raab, geb. Vögele, geehelicht hatte. So steht es im Häuserbuch der Stadt Berching, so bestätigt es auch das Trauungsbuch:
Was aus dem jüngeren und behinderten Franz-Xaver Raab wurde, entzieht sich unserer Kenntnis; in den Totenbüchern von Burggriesbach und Berching ist sein Ableben nicht vermerkt.
Beide Söhne des Lorenz Raab waren gelernte Steinmetzen wie ihr Vater, doch beide hinterließen im Gegensatz zu diesem in Berching keine nennenswerten bildhauerischen Spuren.
Da sich die im Totenbuch angegebenen Todesursachen der Familie Raab auffallend oft auf das Organ "Lunge" beziehen, gehen wir von einer durch die Steinmetzarbeit erworbenen Silikose und eventuell Silikotuberkulose mit konsekutiver kardiopulmonaler Insuffizienz als Grunderkrankung aus, was sich auch in der oftmals verkürzten Lebenserwartung niederschlug.
Soweit die Lebensgeschichte des Bildhauers Lorenz Raab und seiner Familie, wie sie sich auch den Pfarrmatrikeln der Diözese Eichstätt ermitteln ließ.
Kommen wir nun zum weithin unbekannten Werk des Kunsthandwerkers Lorenz Raab. Unbekannt ist es vor allem deshalb, weil es der Künstler mit einer bekannten Ausnahme (vgl. Eingangsbild) versäumt hat, eine Signatur auf seinen Kunstwerken zu hinterlassen.
Wir begeben uns als erstes in die Kirche St. Gangolf in Burggriesbach. Diese Kirche wurde in den Jahren zwischen 1770 und 1780 auf den Resten einer mittelalterlichen Bischof-Otto-Kirche (mit Westturm) gänzlich neu errichtet und ausgestattet. Schon dieser erste Kirchenbau, entstanden zwischen 1182 und 1195, direkt neben der abgegangenen "Burg am Griesbach", war von Bischof Otto von Eichstätt auf den Burgunder-Heiligen Gangolf geweiht worden - in unseren Gegenden ein eher seltenes Patrozinium.
Die Leistung des damaligen Pfarrers Johann Baptist Carl († 1777) wurde vom Eichstätter Bischof Raimund Anton Graf von Strasoldo (1757-1781) mit einer großen Gedenktafel gewürdigt, denn dieser hatte, nachdem er schon an Kirchenneubauten in Forchheim und Sondersfeld entscheidend Anteil gehabt hatte, noch im hohen Alter große Teile seines Privatvermögens aufgewandt, um auch an seinem letzten Dienstort Burggriesbach den Gläubigen eine ganz neue, moderne, im heiteren Stil des Rokoko errichtete Kultstätte zu schenken. Diese Tafel ist heute links vorn im Chorraum der Kirche eingemauert.
Nach der Ortstradition soll Pfarrer Karl das Mariengemälde des linken Seitenaltars selbst angefertigt haben, was nun sicher nicht stimmt (siehe unten). Doch das auf demselben Gemälde rechts unten zu erkennende Konterfei eines Geistlichen könnte dem rührigen Pfarrer von Burggriesbach durchaus entsprechen!
Errichtet und schon im Jahr 1771 fertiggestellt wurde der schlichte Kirchenbau von Schmellnrichter Maurermeister Georg Kerl und seinen Gesellen. Die Ausstattung des Altarraums mit Hauptaltar und zwei Nebenaltären sowie das Orgelgehäuse und Kirchengestühl wurde vom Burggriesbacher Schreiner Johann Ludter alias "Luther" ausgeführt.
"Gefasst", d. h. mit Poliment überzogen und Blattgold, Blattsilber und farbigen Malschichten versehen wurden die Statuen, Rocailleschilder und Kompositsäulen vom weithin unbekannten Freystädter Kirchenmaler Johann Nepomuk Anton Stadlmaier (alias "Stadlmeier" oder "Stadlmejr"), der nach Anordnung druch Pfarrer Karl im Kirchenschiff auch die imposanten Deckenfesken mit Darstellungen aus dem Leben und Wirken des heiligen Gangolf schuf. [Link]
Für das Retabel des linken Seitenaltars (Maria mit dem Kind) zeichnete der Maler Johann Chrysostomus Winck (1725-1795) [Link] verantwortlich, der Bruder des berühmten kurfürstlich-bayerischen Hofmalers Christian Winck (1738-1797). [Link]
Das heutige Zentralgemälde des Hauptaltars im Nazarener-Stil wurde erst 1870 vom taubstummen Maler und Freskanten Sebastian Holz(n)er (die Quellen weichen in der Schreibweise ab; richtig ist vermutlich "Holzer") aus Amberg ausgeführt. Es zeigt als Zentralfigur, beidseits flankiert von Engelsköpfen, die sternenumkränzte "Maria Immaculata", d. h. die unbefleckte, von Erbsünde freie Jungfrau und Gottesmutter Maria, die im Himmel den Ritter und Kirchenpatron Gangolf mit einem Lorbeerkranz krönt. Über dieser Szenerie thront, von der Ebene des Gemäldes aus gesehen, die heilige Trinität: Gottvater mit dem Szepter zur Linken, Gottes Sohn mit dem Kreuz zur Rechten, darüber der Heilige Geist, symbolisiert durch die Taube!
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Den gesamten Figurenschmuck der Altäre, inklusive des Putten-/Engel-Gesims und wahrscheinlich der zahlreichen Rocaille-Schilde sowie das große Kruzifix der Kirche mit der schmerzhaften Mutter Gottes darunter (it. "Pietà", dt. "Vesperbild" oder "Marienklage") skulptierte jedoch der Berchinger Bildhauer Lorenz Raab!
Dass Lorenz Raab die wohl größte künstlerische Leistung in dieser Kirche erbracht hat, obwohl er im Vergleich zum Freskanten und Fassmaler, ja selbst zum Schreiner weitaus schlechter bezahlt wurde, erfahren wir aus einer einzigen Quelle: OA Eichstätt I, 2. Der aus Obernricht stammende, außen am Chor der Burggriesbacher Kirche bestattete Kunsthistoriker Dr. Felix Mader (1867-1941) [Link] hat diese Quelle in seiner "Geschichte der Segelau" von 1938, S. 69f., festgehalten. Wir zitieren wörtlich:
"Im September 1771 war die Kirche im Wesentlichen vollendet. Im gleichen Jahr akkordierte der Pfarrer (freilich Karl) mit dem Burggriesbacher Schreiner Johann Ludter und dem 'Berchinger Bildhauer' um 78 bzw. 24 fl. (Gulden) ..."
Ein ähnlicher Vertrag wurde für den seitlichen Marienaltar geschlossen. Und:
"1774 wurde der Akkord über den Hochaltar mit den gleichen Meistern geschlossen ..."
Der in der Quelle namenlos gebliebene "Berchinger Bildhauer" - das war kein anderer als Lorenz Raab, denn zu seiner Zeit gab es in Berching keinen anderen Bildhauer als ihn!
Die teure Fassung der Altäre durch Stadlmaier erfolgte erst in den Jahren 1777 und 1779.
In den Genuss des von ihm finanzierten Gesamtkunstwerkes kam der Burggriesbacher Pfarrer tragischerweise nicht:
"Die Vollendung seines Werkes erlebte Pfarrer Karl nicht. Er ist 1777 in hohem Alter von 86 Jahren gestorben und seiner Verdienste wegen in der Kirche bestattet worden. (Schon) 1775 hatte er wegen Erblindung die Pfarrei niedergelegt ..."
Wenden wir uns nun Raab's Figurenschmuck in der Burggriesbacher Kirche zu. Mader schrieb dazu:
"Das Können des Berchinger Bildhauers geht über die dekorative Funktion nicht hinaus, erfüllt jedoch diese mit Anstand ..."
Dem von Mader eher willkürlich beschriebenen Mittelmaß Raabs als Künstler stimmen wir in keiner Weise zu, selbst wenn Raab nicht zu den allergrößten Koryphäen des Rokoko gezählt haben mag. Ganz im Gegenteil - und Mader zum Trotz:
Ihn aus der dokumentarischen Versenkung hervorzuholen halten wir wegen der Qualität seiner Arbeit für unsere ausgesprochene Pflicht!
Lorenz Raabs Altarfiguren in Burggriesbach zeigen, wie der Leser dieser Seite sogleich an den Abbildungen erkennen wird, nicht nur ein großes handwerkliches Können, erworben in einer veritablen "Bildhauer-Schule" (vermutlich in der des Matthias Seyboldt), sondern auch eine hohe künstlerische Originalität und Eigenständigkeit!
Wir beginnen mit den oberen Kränzen der Altaraufbauten, zunächst am Hochaltar:
Der für das Rokoko typische Kranz von Engelchen an den Altargesimsen, aber auch die vielen Rocaille-Schilde und Rocaille-Girlanden sowie die Skulptur des Pestheiligen St. Sebastian stammen von Lorenz Raab.
An der Ausführung des pfeildurchbohrten Märtyrers erkennt man bereits den hohen Ausbildungsgrad des Berchinger Bildhauers; man beachte dazu am besten die beiden kontur- und detailreich ausgeführten Knie-Partien. Auch die Originalität Raabs blitzt bei dieser Holzstatue bereits auf: Raab verlieh der Passionsfigur überlange, "ausgezogene" Arme und Gelenkverrenkungen, als Zeichen schweren körperlichen Leidens!
Aber auch alle hier zu sehenden Gesichter und Posen der flankierenden Engel sind gefällig ausgeführt.
Es folgt das obere Gesims des linken Seitenaltars. Auf der folgenden Abbildung sticht vor allem die gekonnt-dynamische Ausführung der Engel unterschiedlicher Größenordnung ins Auge! Der linke, schon fast erwachsene Engel schwingt nach Art eines himmlischen Ministranten ein silbernes Weihrauchfass!
Analoge Ausführung auf der rechten Seite des Chores: Hier trägt der zweite Ministranten-Engel die in der himmlischen Liturgie verwendete Hostienschale in der Linken, seine rechte Hand liegt auf dem Herzen!
Zusammen mit der Himmelsbalustrade und den marmorierten Säulen des Schreiners Ludter ist ein wunderbar lockeres, durch die unverglasten Fenster besonders mit Licht durchflutetes und dennoch sehr feierliches Gepränge entstanden! Ob die bunten Blumengirlanden von Raab, von Ludter oder einem noch späteren Künstler stammen, bleibt offen.
Es folgt die Darstellung des Hochaltars in seiner harmonischen Gesamtheit, in der Fassung von Stadlmaier, mit dem Altarbild von Holz(n)er und den Schreinerarbeiten von Ludter. Raab war in der oberen Altarhälfte überwiegend ausschmückend tätig!
Die großen Kunstwerke Lorenz Raabs im Altarraum sind die vier geschnitzten und mit Poliment und Blattgold/-silber überzogenen Heiligenfiguren, je zwei zu beiden Seiten das Hauptaltars.
Beginnen wir mit der linken Seite:
Ganz außen steht auf der erweiterten Säulenbasis die Statue des Diözesanheiligen Willibald mit Mitra und Bischofsstab, über dem Durchgangsbogen der heilige Josef (weniger Joachim, wie Dehio will), mit der dreifach blühenden Lilie der Familientreue.
Bei der Gestaltung all dieser Statuen hatte Lorenz Raab ein schwieriges Problem zu lösen:
Entweder war dem Bildhauer für diese Arbeit ein Lindenstamm, zwar von ausreichender Dicke, aber nicht von genügender Länge zugeteilt worden, aus dem er 4 Figuren zaubern sollte, oder es lag eine Vorschrift des Eichstätter Hofbauamtes vor, die den Bildhauer dazu anhielt, die seitlichen Fensterflächen mit den Statuen nicht zu verdecken. Dies aber hätte bei normalen Körperproportionen der Skulpturen zur Folge gehabt, dass die Figuren zu schlank und unscheinbar ausgefallen wären, und der Kirchenbesucher die besonders wichtigen Gesichtszüge der Heiligen von den hinteren Kirchenbänken aus nicht mehr wirkungsvoll hätte sehen können. So wurde das, was man an einer Einzelfigur als künstlerisches Unvermögen bezeichnen könnte - wobei wir an nachfolgenden Beispielen verdeutlichen, dass Raab durchaus die Ausgewogenheit der Körperproportionen beherrschte -, für die gesamte Figurengruppe zu einem originellen, ja geradezu zu einem genialen Programm:
Lorenz Raab gab seinen Heiligenstatuen einen normalen bis gedrungenen Rumpf, aber in Vergleich dazu deutlich vergrößerte Häupter!
Alles andere an diesen großen großen Figuren ist sowieso sehr gekonnt ausgeführt, die Körperhaltungen sind jeweils unterschiedlich und voller lebensechter Dynamik, und die Antlitze und die Art der Kleidung sowie die Heiligenattribute zeigen die Handschrift des versierten Künstlers!
Alle Statuen sind - mit Ausnahme der Häupter - mit Poliment überzogen und mit Blattgold- und Blattsilberauflagen gefasst. Da diese bikolore Ausführung in Gold und Silber auch andere Figuren Raabs an anderer Stelle tragen, z. B. in der Kirche von Enkering, ist es gut möglich, dass Raab selbst, und nicht der Freystädter Maler Stadlmaier, diese spezifischen Fassung besorgt hat.
Die von Raab intendierte Abweichung der Proportionalität gilt auch für die Figuren zu Rechten des Hauptaltars: Innen findet man den heiligen Johann Nepomuk mit Strahlenkranz, Kreuz und Birett, rechts außen - als Pendant zu Willibald links - die Diözesanheilige Walburga mit den Insignien der Äbtissin (Habit und Stab), sowie mit Krone, Buch und Ölfläschchen!
Interessanterweise fallen die verschobenen Proportionen der Statuen nur aus der Distanz auf. Beim Betreten des Altarraums verschiebt sich die Blickachse des Betrachters nach oben, und Haupt und Glieder der Figuren gleichen sich umso mehr an, je näher man kommt! Die folgenden Aufnahmen (links aus Distanz, rechts aus der Nähe) deuten diesen Effekt an.
An der folgenden Detailaufnahme, die vornehmlich der Blumengirlande gilt, welche vielleicht auch von Lorenz Raab persönlich stammt, erkennt man, dass selbst das Kruzifix in der Hand des Johann Nepomuk, obwohl vom Schiff aus kaum zu sehen, detailreich ausgeführt ist. Und wieder erkennt man am leidenden Christus die Raabschen Spezifika, in die Länge gezogene Arme und ausgerenkte Schultern! Wie gekonnt Raab im Detail geschnitzt hat, zeigt auch der Haar- und Bartschmuck des Prager Märtyrers.
Es folgen Aufnahmen der Burggriesbacher Seitenaltäre in ihrer Gesamtheit:
Oben zu beiden Seiten der Raabsche Putten- und Rocaille-Schmuck, dazu zwei kleine Tafelgemälde mit Aloysius von Gonzaga links und Anton von Padua rechts (Künstler unbekannt). Darunter befinden sich die großen Altarbilder, links von Chrysostomus Winck, rechts von Sebastian Holz(n)er:
Auf der linken Seite ist in einem Medaillon die Muttergottes mit Kind dargestellt, daneben ein Weihrauchfass schwingender Engel. Darunter erkennt man links unten einen Türken vor einer Seeschlacht, wohl eine Reminiszenz an die jüngste Seeschlacht von Çesme 1770 oder an die viel frühere Schlacht von Lepanto 1571. Rechts unten findet sich in einer Gruppe dunkel bekleideter Herren das schon oben abgebildete Konterfei eines Pfarrers (vermutlich Johann Baptist Karl).
Die gefällige neobarocke Statue der Mutter Gottes über dem Tabernakel wirkt neuzeitlich, der ausführende Künstler ist uns nicht bekannt. Diese Statue stammt jedoch mit Sicherheit nicht von Lorenz Raab.
Auf dem Retabel des rechten Seitenaltars hat Chrysostomus Winck groß den Bauernheiligen Wendelin inmitten von Rindern, Schafen und Pferden abgebildet. Der Wendelin-Kult in Burggriesbach geht auf alte Zeiten zurück: Schon in der Vorgängerkirche befand sich ein entsprechender Altar, und der heilige Wendelin wurde sogar mit einer eigenen Burggriesbacher Bruderschaft geehrt. Davon zeugt auch die frühbarocke Wendelin-Kapelle mit ihren stämmigen Balusteräulen, an der vorbeiziehenden Staatsstraße am Ostrand des Dorfes gelegen!
Rechts vorn im Chorraum steht am Seitengestühl einer großer Kruzifixus, ein sogenannter Drei-Nadel-Typus barocker Art. Es handelt sich um ein Tragekreuz, das bei Prozessionen verwendet wurde.
Auch dieses Kreuz trägt keine Signatur, dafür zeigt sich in der Ausführung die starke Handschrift Raabs, gut erkennbar an den ausgezogenen Armen und den luxierten Schultergelenken des leidenden Christus. Auch der Blutverlauf an der Leidensfigur ist, wie an einem weiteren Beispiel zu sehen sein wird, für Raab relativ spezifisch!
An den Unterarmen verläuft das Blut entlang der anatomischen Strukturen (d. h. an vortretenden Sehnen und Muskeln), die Wunden sind also bei der Annagelung ans Kreuz am Boden entstanden. Diese blutigen Rinnsale waren bei der Aufstellung des Kreuzes bereits vertrocknet, sonst wären sie der Schwerkraft in der Vertikalen gefolgt. Anders beim Blut der Dornenkrone und der Seitenwunde: Hier läuft an Jesu Haupt das Blut herab, der Schwerkraft folgend. Dieses Wunden bluteten also erst dann, als Jesus bereits am aufgestellten Kreuz hing. Diese Disposition entspricht genau der Situation der Passion in der Bibel, und man erkennt, mit welcher Detailgenauigkeit der Künstler Raab hier vorgegangen ist, zumal er auch in allen anderen Attributen den leidenden und ausgemergelten Christus perfekt traf.
Auch hier darf man mit einiger Wahrscheinlichkeit die Kreuzesfassung dem skulptierenden Künstler selbst zuschreiben!
An der rechten Seitenwand des Kirchenschiffes befindet sich noch ein schönes Vesperbild zu Füßen des leeren Kreuzes. Auch hier ist vor allem an den Armen des toten Christus, sogar mit gebrochenem linken Unterarm, die künstlerische Handschrift Raabs unverkennbar!
Soweit die Leistungen des in dieser Kirche anonym gebliebenen "Berchinger Bildhauers". So bescheiden dieser Mann auch gewesen sein mag, seine Arbeiten in der Kirche St. Gangolf in Burggriesbach zeigen: Lorenz Raab war ein ganz Großer seines Fachs!
Ca. 14 km südwestlich von Berching liegt an der Einmündung des Flüsschens Anlauter in die größere Altmühl das Juradorf Enkering, mit seiner Pfarrkirche St. Ottmar. Die Chorturm-Anlage geht im Prinzip auf das Hochmittelalter zurück; aus dem 12./13. Jahrhundert stammen Portal und Anteile der umgebenden Schutzmauer. Die Kirche St. Ottmar wurde vermutlich schon zur Zeit der Gotik ein erstes Mal erneuert. Im Jahr 1617, kurz vor Beginn des 30-jährigen Krieges, wurde sie unter dem Eichstätter Bischof Johann Christoph von Westerstetten (1612-1637) ganz neu errichtet.
Um das Jahr 1700 herum wurde die Kirche mit frühbarocken Ältären ausgestattet.
Den viersäuligen Hochaltar säumen Figuren des heiligen Nikolaus (rechts) und des heiligen Wolfgang (links). Zentral steht erhaben der Kirchenpatron St. Ottmar mit dem Fass.
Die beiden zweisäuligen Seitenaltäre entstanden 1717; von den einstigen Tafelbildern (so sie überhaupt ausgeführt worden waren), sind nur die geschnitzten Bildrahmen erhalten. Beide Altäre schmücken heute Schnitzfiguren des heiligen Josef und der Gottesmutter, jeweils mit Kind. Die Mondsichel-Madonna mit Jesuskind im Arm, mit Szepter, Krone und Strahlenkranz, sticht als hochqualitative Arbeit hervor; sie stammt vermutlich schon aus der Zeit der Spätgotik, um 1490.
Im Jahr 1738 versah der Stuckadeur Franz Horneis die Flachdecke des Langhauses mit dekorativem Bandwerkstuck, der Eichstätter Maler Joseph Dietrich malte die Deckenfresken, mit Szenen aus dem Leben des heiligen Kirchenpatrons, Abt St. Ottmar von Sankt Gallen.
Da die beiden Seitenaltäre zunächst relativ schlicht ausgeführt waren und Tafelbilder fehlten, ließ der Pfarrherr und Chronist Georg Franz Xaver Sutor (1744-1825, Pfarrer von Enkering 1790-1825) die beiden Seitenaltäre mit ca. 40 cm großen, auf beschrifteten Sockeln stehende Büsten der vier Evangelisten ausstatten. Dies war sinnvoll, denn die Distanz zwischen den leeren Bildrahmen und den Altartischen der Seitenaltäre war ungewöhnlich groß und der Altaraufbau hier relativ schmucklos. Im Übrigen fehlte an der Kanzel (gekrönt von einer gotischen Schnitzfigur des heiligen Augustinus aus der Zeit um 1520), die dort übliche Darstellung der Evangelisten.
Den Auftrag zu den Halbkörper-Büsten erhielt, wie das erhaltene, uns leider nicht im Wortlaut vorliegende Pfarrbuch Sutors ausweist, der Berchinger Bildhauer Lorenz Raab (KdB BA Eichstätt 97). Vermutlich war es der Pfarrherr selbst gewesen, der Raab hierzu den Auftrag erteilt hatte.
Leider ist uns das genaue Herstellungsdatum der Büsten nicht bekannt. Das bei Dehio (Bayern IV Mü + OB 251) angegebene Datum 1740 ist viel zu früh: Immerhin wurde Lorenz Raab erst 1734 geboren, 1760 ließ er sich in Berching nieder und eröffnete dort seine Bildhauerwerkstatt. Am wahrscheinlichsten entstanden die Büsten um 1790, also schon zur Zeit des Übergangs vom Spätbarock zur Klassik. Dies war jedenfalls das Jahr, in dem Georg F. X. Sutor die Pfarrei Enkering übernahm und zur Verschönerung der Kirche auch die frühklassizistischen, hier nicht abgebildeten Rahmen des Kreuzwegs anfertigen ließ.
Es folgen Einzelabbildungen der Kopfpartien, zunächst die Köpfe des rechten Seitenaltars (links Lukas, rechts Johannes), dann die des linken Seitenaltars (links Matthäus, rechts Markus). Man erkennt bei genauer Hinsicht eine gewisse Alterung und Restaurierungsbedürftigkeit.
Alles in allem zeigen die Bilder in Nahaufnahme, wie gekonnt der Bildhauer Lorenz Raab die Heiligen selbst im kleinsten Detail dargestellt hat. Keine Figur, keine Physiognomie und Kopftracht, keine Darstellung von Schreibwerkzeug, Evangelienbuch und Emblem gleicht der anderen!
Die gesamte Disposition, aber auch die für Lorenz Raab typische und so schon in Burggriesbach gesehene Fassung in Blattgold und Blattsilber (auf Poliment) stammt vermutlich von Raab selbst und strahlt außerordentliche Qualität und Originalität, Harmonie und Würde aus!
Leider sind diese schönen Schnitzfiguren heute in Wirkung und Bedeutung unterschätzt:
Man sieht an der folgenden Abbildung: Die Evangelisten wurden von Lorenz Raab für die Betrachtung aus verschiedenen Blickweinmkeln geschaffen, d. h. sollten frei und rundum sichtbar stehen!
Stattdessen sind die Kunstwerke heute unschön in die Ecken des Aufbaus geschoben und obendrein unnötig mit Blumenschmuck, modernem Bildwerk und Kindertafeln etc. verstellt! Doch dies ist ein Phänomen, das wir heute in vielen Kirchen finden. Das kunstgeschichtliche Wissen fehlt dem modernen Menschen meist, und der Sinn für Harmonie und Schönheit ist ihm verloren gegangen.
Soweit zum Raabschen Gesamtkunstwerk in St. Ottmar in Enkering.
Zur Geschichte und zum spätbarocken Umbau der Berchinger Stadtpfarrkirche "Mariä Himmelfahrt" mit ihren Kunstschätzen haben wir uns bereits andernorts ausführlich geäußert. [Link]
Hier noch einmal die Baugeschichte in Stichworten:
Wie unschwer zu erkennen ist, ist sowohl der leidende Christus (vom barocken Drei-Nagel-Typus) als auch die Mutter Gottes meisterhaft ausgeführt, mit harmonischen Proportionen, eindrucksvoll herausgearbeiteten Gesichts- und Körperpartien und wunderbarem Faltenwurf der Gewänder.
Die Blutspuren am Kruzifixus sind die für Raab typischen (vgl. Burggriesbach); erneut zeigen sich als besonderer Leidensausdruck die Arme des bereits verstorbenen Erlösers (erkennbar an der Seitenwunde) in die Länge gezogen und die linke Schulter, vielleicht auch die rechte, luxiert.
Dass Lorenz Raab diese Großplastik geschaffen hat, ist sicher. Doch ist dies vermutlich in der Berchinger Kirche bei weitem nicht alles.
Lorenz Raab hat mit einer Ausnahme, die schon eingangs zur Darstellung kam und im Folgenden noch weiter ausgeführt wird, auf seinen Plastiken, soweit wir sie kennen und vorgestellt haben, keine Signaturen hinterlassen. Insofern ist es grundsätzlich schwer, diesem begabten Bildhauer weitere Werke eindeutig zuzuschreiben. Dennoch wäre es unsinnig anzunehmen, dass Raab erst nach 25 Jahren des Schaffens in Berching die Kirche "Mariä Himmelfahrt" erstmals mit der Kreuzesgruppe begabt hätte. Nein - es ist vielmehr anzunehmen, dass er schon kurz nach seiner Niederlassung in Berching in der Stadtpfarrkirche ausschmückend wirkte und dabei vor allem seinem ehemaligen Meister, Matthias Seyboldt, zur Hand ging.
Im Folgenden stellen wir einige Kunstwerke vor, die vor allem aufgrund stilistischer Vergleiche mit dem Namen "Lorenz Raab" assoziert werden können.
Dagegen ist sich Dehio's "Handbuch der dt. Kunstdenkmäler" sicher, dass die gesamte Kanzel-Gruppe aus Stuckmarmor von Raabs vormaligem Meister Matthias Seyboldt stammt und bereits 1760 entstand. Es ist gut möglich, wegen der Bekanntschaft und der engen beruflichen Beziehung sogar sehr wahrscheinlich, dass Lorenz Raab Seyboldt nach Berching gefolgt ist, um ab 1760 am Figurenschmuck der Kanzel mitzuwirken. Demnach könnte auch der Friedensengel auf dem Kanzeldach, aber auch die Symbole der vier Evangelisten, die den gesamten Kanzelaufbau tragen, von Raab stammen.
Dasselbe gilt für den reichen Figurenschmuck des Hauptaltars, mit dem heiligen Willibald zur Linken, und seiner Schwester, der heiligen Walburga, zur Rechten, dazu das Engel-/Putten-Gesims an den Dächern von Hauptaltar und Seitenaltären sowie das fahrbare Engelspaar, das heute die Eingänge zum Altarraum mit ihren Samtvorhängen dekoriert.
Die Liebe zum Detail entnimmt man exemplarisch folgenden Aufnahmen:
Sowohl die "Kunstdenkmäler von Bayern" als auch der große "Dehio" weisen für die Holzbildhauerei der gesamten Altargruppe von "Mariä Himmelfahrt" - immerhin 5 Altäre! - keinen Künstlernamen aus, was sich u. E. nur dadurch erklärt, dass mit Bildhauern eben keine Einzelverträge geschlossen worden waren, die noch heute den jeweiligen Künstlernamen wiedergeben könnten.
Es wird gerade der "Berchinger Bildhauer" Lorenz Raab gewesen sein, der Einzelverträge dieser Art in der Anfangszeit auch nicht schloss. Denn dies wäre für ihn viel zu unsicher gewesen!
Stattdessen wird man ihm von Seiten der Pfarrgemeinde unter dem Pfarrern Dr. Johann Martin Zinsmeister (1752-1775) und Marquard Ludwig Joseph Ferdinand de Ursini (1775-1782) eine Festanstellung angeboten und dazu möglicherweise eine Werkstatt im Haus Nr. 19 angemietet haben (was nun auch zwischen 1760 und 1797 die wechselnden Besitzernamen Einmüller, Hallmeier, Silbernagel erklärt, die in dem Anwesen sicherlich nicht selbst gewohnt haben) - inklusive aller Naturalien und Artikel des täglichen Bedarfs. Unter solchen Bedingungen konnte Lorenz Raab über mehr als 2 Jahrzehnte kontinuierlich an der Verschönerung der Kirche arbeiten und seine Familie ernähren, ohne dass dazu Einzelverträge nötig waren oder Gelder nur schubweise flossen. Der Steinbildhauer und Architekt Matthias Seyboldt, zu dem die Berchinger Bürger "ein besonderes Vertrauen hegten" (Gernhardt 126), dürfte die entsprechende Empfehlung für seinen ehemaligen Lehrling und Gesellen abgegeben haben, der inzwischen zum Meister seiner Zunft aufgestiegen war.
Nur die späte Kreuzigungsgruppe von 1785, die unter dem neuen Pfarrer Dr. Franz Melchior Bößl (1782-1797) entstand, fiel nicht mehr unter diesen Langzeitvertrag seiner Vorgänger, sodass der Künstlername "Lorenz Raab" nun erstmals einzelvertraglich auftauchte!
Vom "späten" Lorenz Raab dürfte auch die Restauration und Neugestaltung der wunderschönen, mehr als lebensgroßen Statue der "himmelfahrenden Maria Immaculata" an der Außenwand des südlichen Seitenschiffs stammen. Dies ist genau genommen ein Skulpturen-Ensemble, denn zu ihm gehört auch die "Taube des Heiligen Geistes" im Strahlenkranz der Trinität.
Ein alteingesessener Berchinger Bürger erzählte uns, dass diese schöne Marienfigur aus der großen Wallfahrtsbasilika "Maria-Hilf" in Freystadt stamme, von wo sie in Zeiten des Niedergangs (wohl anlässlich der Säkularisierung 1802/03) auf obskuren Wegen nach Berching gelangt sei.
In der Tat hatte in Freystadt der Bildhauer Johann Peter Geißlehner aus Amberg den ursprünglichen Hauptaltar in 2 Etagen nach dem Entwurf von Pietro Francesco Appiani gestaltet; der obere Altar war von ihm im Jahr 1726 in Freystadt aufgestellt worden. Dieser Altar enthielt tatsächlich vor dem großen Fenster eine "hölzerne Skulptur der himmelfahrenden Maria" - gerade in der Dispostion, wie sie auch für die Berchinger Skulptur zutrifft. Lesen wir dazu die Beschreibung aus dem Sulzbacher Kalender von 1849:
"Der obere Altar bewahrt in einem tabernakelähnlichen Behältnis das Gnadenbild Maria-Hilf, hoch ober welchem, gleichsam schwebend und mit himmlischer Glorie umgeben in mehr als Lebensgröße das aus Holz gearbeitete Bild der Mutter Gottes sich befindet, ihre Aufnahme in den Himmel vorstellend. Erhabenheit, himmlische Klarheit und Milde zugleich hat der Meister in diesem Bilde ausgedrückt. Engelsstatuen mit Musikinstrumenten umgeben rings die Gottesmutter. Ein Fenster mit farbigen Gläsern im Hintergrunde des Altares lässt ein magisches Licht durch diese Bildergruppe dringen und erhöht den wunderbaren Eindruck, den die Betrachtung des Ganzen hervorruft." (Sulzb. Kal. 1849, 102)
In den Jahren zuvor, zwischen 1700 und 1720, hatten hochrangige auswärtige Künstler - der Baumeister Giovanni Antonio Viscardi (1645-1713), der Stuckateur Pietro Francesco Appiani (1670-1724) und der Freskant Hans Georg Asam (1649-1711) mit seinen Söhnen Cosmas Damian und Egid Quirin - diese grandiose Kirche erbaut und ausgeschmückt, und dabei ganze Arbeit geleistet: Es war ein vor Monumentalität strotzender, mit reichlich Zierstuck und Stuckskulpturen und sowie Fresken ausgestalteter Zentralbau entstanden!
Auch ein Berchinger Künstler war damals dabei, der den Auftrag für das Schnitzen der Wangen des Kirchengestühls und des Laubwerk-Gesimses auf den Beichtstühlen erhalten hatte, nämlich der Bildhauer Hans Georg Voraus, Lorenz Raabs Schwiegervater aus erster Ehe! (Zellner-Steiner 63) Diesen schönen Akanthus-Schmuck zeigen folgende Aufnahmen:
Meister Johann-Georg Asam war allerdings, ehe er 1709 seine Fresko-Arbeiten in Freystadt begann, über das Fenster hinter dem künftigen Hauptaltar nicht begeistert gewesen, er hatte sogar die Vermauerung desselben verlangt, da der Lichteinfall je nach Sonnenstand den Betrachter blende und nur die Umrisse eines Altarbildes oder einer Altarfigur erkennen lasse, während das Kunstwerk selbst im Dunkeln bliebe. Doch das Fenster blieb, es wurde nur farbig verglast, und 1726 stand endlich davor der komplette Hauptaltar - und gefiel.
Summa summarum ist es also gut möglich, ja sogar sehr wahrscheinlioch, dass die Zentralfigur dieses Freystädter Altares nach Berching gelangte. Es stellt sich nur die Frage: wann und unter welchen Umständen?
Im Jahr 1802 war der Freystädter "Petersdom" geschlossen worden und hinterher vorübergehend sogar dem Abbruch preisgegeben gewesen. Bis 1835, als das Kloster neu eröffnet wurde, hatte es auch nur selten Gottesdienste in der Kirche gegeben. Ein Abbruch geschah glücklicherweise nicht; aber wiederholte Schäden am Dach durchnässten die Kirche derart, dass 1858 ein Gutachter "den Hochaltar für völlig wertlos und defekt erklärte; er sei durch die vielen Überladungen verschnitten und dem Stile der Kirche nicht angemessen; die Figuren seinen nicht anatomisch richtig und so schlecht erhalten, dass sie nicht einmal verkauft werden könnten..." Er empfahl einen ganz neuen Altar, der dann 1865 mit einem großen Zentralgemälde Mariens auch verwirklicht wurde. (Zellner-Steiner 79)
Die Himmelfahrts-Madonna kann zum Zeitpunkt der Begutachtung schon nicht mehr in der Kirche gewesen sein, denn über dieses Meisterstück wäre kaum ein so vernichtendes Urteil gefällt worden.
Wann also hat sie Freystadt verlassen? Ein Protokoll darüber ist nicht erhalten, aber eines scheint sicher: Es muss wesentlich früher gewesen sein!
In Berching sehen wir die wehenden Gewänder dieser Figur nun ganz nach der Art Lorenz Raabs mit Poliment überzogen und ausschließlich in Gold und Silber gefasst. Das Haupt Mariens umgibt der Sternenkranz der "Immaculata". Eine umgebende Engelsgruppe wie zuvor in Freystadt existiert dort nicht mehr, stattdessen befindet sich über der Figur ein Strahlenkranz mit dem Dreieck der Trinität Gottes und einer Friedenstaube (diese sogar mit ihren Beinchen).
Dies alles trägt sehr die Handschrift Lorenz Raabs, zumal auch der Sockel der Statue dem des heiligen Josephs gegenüber nachempfunden ist.
Der zugrundeliegende Transfer und das Wirken Raabs ist jedoch nur unter einer Vorstellung unter die Haube zu bringen:
Es ist sehr wahrscheinlich, dass kurz vor der Säkularisation, die mit einer Kabinettsorder Kürfürsts Max' IV. Josef am 25. Januar 1802 endgültig besiegelt wurde, das bischöfliche Ordinariat in Eichstätt beschloss, die einzige transportale und zugleich wertvollste Statue der Freystädter Basilika in einer Nacht- und Nebel-Aktion in die Stadtpfarrkirche nach Berching zu bringen, denn diese war im Gegensatz zu Freystadt in der Tat eine Kirche "Mariä Himmelfahrt" und sie war als Gemeindekirche auch nicht von der Säkularisation betroffen!
Wenn dies der Ablauf der Dinge war, dann ist die Überarbeitung und weitere Ausstattung dieser herrlichen Marienskulptur Johann Peter Geißlehners das letzte Werk Lorenz Raab, vollzogen ca. 2 Jahre vor seinem Tod!
Über den eigentlichen Urheber dieses Kunstwerks mit Marias weit wehenden Gewändern, konnten wir so gut wie nichts in Erfahrung bringen, außer dass er um 1677 in Hohenburg an der Lauterach geboren war und dass er in Amberg oder Sulzbach eine Bildhauerwerkstatt betrieb. Das im Register der Pfarrei St. Martin in Amberg angegebene Sterbedatum 20. Oktober 1721 ist sicherlich verschrieben, denn das Totenbuch selbst enthält keinen entsprechenden Eintrag. Der große Dehio kennt den Namen des Künstlers nicht, das Werk KdB Stadt Amberg erwähnt ihn nur beiläufig, als Aushilfe in der dortigen Wallfahrtskirche "Mariahilf"!
Last not least kommen wir nun zu den hübschen Zunftstangen am Kirchengestühl. Auch sie dürften mangels Alternativen Produkte der Raabschen Werkstatt sein! An diesen Kleinkunstwerken könnten aber auch schon zuvor der Schwiegervater Hans Georg Voraus und zur Zeit Lorenz Raabs dessen Sohn Franz-Xaver der Ältere und der Rest der Familie mitgearbeitet haben.
In diesem Zusammenhang könnte man meinen, dass die an den Schiffswänden rundum angebrachten Konsol-Figuren der 12 Apostel, welche in ihrer farbenfrohen Lebendigkeit ebenfalls kleine Meisterwerke darstellen, ebenfalls aus der Hand von Lorenz Raab stammen. Doch diese sind eine Schöpfung des Berchinger Bildhauers Hans Georg Voraus. So jedenfalls berichten es die Experten des "Dehio" und datieren diese kleineren Statuen auf den Anfang des 18. Jahrhunderts (Bayern V: Regensburg und Oberpfalz, 74-75).
Nur zwei Möglichkeiten sind denkbar:
Es folgen Abbildungen von 6 der 12 Apostel, jeweils erkennbar an ihren Attributen, aus den westlichen Ecken des Kirchenschiffs:
Die folgenden beiden Apostel sind neben der Kanzel angebracht, am Übergang zur südlichen Chorwand. Sie zeigen besonders deutlich, wie meisterhaft bereits Hans Georg Voraus für den Vorgängerbau der Stadtpfarrkirche skulptiert hatte.
Obwohl Lorenz Raab seinen Schwiegervater aus erster Ehe nicht mehr persönlich kennengelernt hatte, konnte er anhand solcher Figuren doch noch eine Menge von ihm lernen! Dennoch entwickelte seine eigene Handschrift: Während Hans Georg Voraus die Gewänder seiner Figuren in der Regel vielfarbig ausgestaltete, also neben Blattgold und Blattsilber auch Rot-, Blau- und Grüntöne zur Geltung kommen ließ, beschränkte sich dabei Lorenz Raab allein auf Silber und Gold!
Wegen der relativ "bunten" Ausgestaltung schreiben wir deshalb Hans Georg Voraus auch die Statue des heiligen Joseph mit Baldachin an der Nordwand der linken Seitenkapelle zu, zwischen den großen Seitenfenstern. Der Heilige trägt das Christuskind im rechten Arm und den Stab und die Lilie der ehelichen Treue in der linken Hand. Für dieses in Grün, Weinrot und Gold gehaltene Ensemble findet sich im Rest der Kirche kein eindeutiges Pendant!
Leider schweigen sich sowohl die alten (KvB) als auch die neuen Repertorien (Dehio) über den Schöpfer dieser Doppelfigur aus. Man beachte an dieser Figur auch das kunstvoll gelockte Haar des Heiligen, eine Haartracht nach Art der großen gotischen Meister. Hier findet sich ein Pendant in einer anderen Berchinger Kirche, das noch zur Sprache kommen wird und ebenfalls von Voraus stammen könnte.
Nach diesem Exkurs zu Hans Georg Voraus zurück zu Lorenz Raab:
Wir fassen zusammen:
Wenn unsere Annahme stimmt, dass Lorenz Raab im Grunde genommen den Großteil des Figurenschmucks der Berchinger Stadtpfarrkirche erarbeitete, dann erhebt ihn dies nicht nur in den Rang eines ganz großen Künstlers im Bistum Eichstätt, sondern es wird daraus auch verständlich, warum er vis-à-vis der Kirche seine Bildhauerwerkstatt etabliert hatte und von 1760 bis ca. 1790 nur wenige andere Aufträge - wie z. B. in Burggriesbach oder Enkering - übernehmen konnte. Um 1785 schuf Raab dann die große Kreuzigungsgruppe in Berching und ganz zuletzt, um 1802, überarbeitete er die Freystädter "Maria Immaculata".
Lorenz Raab arbeitete unter den Stadtpfarrern Dr. Johann Martin Zinsmeister (1752-1775) und Marquard Ludwig Joseph Ferdinand de Ursini (1775-1782) in einem festen, wohl durch Spenden finanzierten Anstellungsverhältnis der Pfarrgemeinde Berching resp. im Auftrag des jeweiligen Stadtpfarrers, der vielleicht auch auf Zuschüsse der fürstbischöflichen Kammer in Eichstätt zurückgreifen konnte, die allerdings summa summarum nur spärlich flossen.
Danach endete dieses feste Dienstverhältnis, und es begann für Raab die Phase als frei schaffender Künstler, mit jeweiligen Einzelverträgen, welche, soweit sie heute noch erhalten sind, bei bestimmten Kunstwerken den Namen des Künstlers verraten. Bestes Beispiel in der Berchinger Stadtpfarrkirche ist die schon vorgestellte Kreuzigungsgruppe am Übergang zur linken Seitenkapelle, zu der Hochwürdige Herr Dr. Franz Melchior Bößl den Auftrag erteilte.
Offensichtlich war trotz des geänderten Status Raabs Verhältnis auch zu diesem freigebigen und kunstsinnigen Pfarrer ungetrübt, so dass er ihm nach seinem Tod am 3. Dezember 1797 mit einem schönen Epitaph ehrte, der sich heute im rechten Seitenschiff der Berchinger Stadtpfarrkirche befindet.
Zur selben Zeit, als diese Gedenktafel von 105 cm Höhe und 76 cm Breite entstand, beendete Lorenz Raab seine aktive Berufslaufbahn - seine Zeit schien vorüber. Er übergab das Geschäft ganz seinem Sohn Franz Xaver (vgl. weiter oben), der vermutlich lange nicht so begabt war wie sein Vater und in Berching keine großen Kunstwerke mehr hinterließ.
In dieser kritischen Lebensphase, nach fast 4 Jahrzehnten segensreichen Wirkens für die neue Berchinger Stadtpfarrkirche, ging dem alten Herrn Raab wohl ein Licht darüber auf, dass er selbst, seine Kunst und sein Name in späteren Zeiten völlig vergessen sein würden, wenn er nicht wenigstens einmal an exponierter Stelle in der Kirche seine Meisterinschrift hinterließ.
Dies tat er dann in ungewöhnlicher Größe und Art auf dem Epitaph des Pfarrers Bößl, nachdem dieser am 3. Dezember 1797 im 86. Lebensjahr verstorben war. Lorenz Raabs Namenszug auf diesem Epitaph war schon zu Beginn dieser Arbeit zu sehen; es folgt hier ein etwas größerer Ausschnitt aus der Platte, der den Namenszug und die Berufsbezeichnung in der rechten unteren Ecke erkennen lässt.
Dieser Stein ist jedoch beileibe nicht der einzige Epitaph, den Lorenz Raab in Berching und Umgebung hinterließ. Prof. Dr. Felix Mader vertrat in den Kunstdenkmälern von Bayern, XII Bezirksamt Beilngries, München 1908, S. 31, mit Recht die Ansicht:
"Diesem Bildhauer, der wohl in Berching ansässig war, dürften die meisten der gleichzeitigen Grabsteine in Berching und und Beilngries zuzuteilen sein."
Die aus der Werkstatt Raab stammenden Epitaphe waren bei weitem nicht so kunstfertig ausgeführt wie zum Beispiel die älteren Epitaphe aus dem Atelier des Eichstätter Hofbildhauers Loy Hering (1484-1554), von denen in Berching auch einige Exemplare zu finden sind. Ansonsten war der Ausführungsgrad - wohl je nach Bezahlung - sehr unterschiedlich:
Es gibt sehr fein skulptierte, aber auch einfacher ausgeführte Grabplatten Raabs. Bei vielen dieser Exemplare ist es sehr wahrscheinlich, dass auch Raabs Frau und Kinder Hand angelegt hatten.
Etliche Grabplatten zeichnen sich durch eine relativ plane, wenig skulpturierte Machart aus, Das Ausgangsmaterial, meist flache Jurasteine, wurde vermutlich in dem mit Wasserkraft betriebenen Säge- und Polierwerk im "Bachhäusl" mit der Nr. 208 (am kräftig fließenden Bach aus dem Rachtental) zugerichtet, ehe die bildhauerischen Details herausgemeißelt wurden.
Die Ornamentik, die z. B. den Epitaph des Stadtpfarrers Bößl ziert, ist auch für andere Grabplatten Raabs relativ typisch: Das Zentralfeld enthielt eine mitunter lange Inschrift für den Verstorbenen, oft auch mit Gebet, mitunter auf der stilisierten Front eines Schein-Kenotaphs. Umgeben wurde das Ganze mit flach skulptierten Ranken aus Akanthus und Blüten (Tulpenkelche, Margeriten-Rosetten), dazu oft eine eindeutige "Memento mori"- oder "Vanitas mundi"-Symbolik: Stundenglas, gebrochene Stabkerzen, auch Leichentuch, Knochen und Totenschädel.
Bei hochgestellten Persönlichkeiten wurden natürlich auch Adelsembleme wie Wappen, Helmzier und Fahnen ausgeführt, mitunter sogar sehr aufwändig.
Er folgt zur Veranschaulichung eine Grabplatte des Hirschberger Oberamtmanns, hochstiftisch-Eichstättischen Geheimrats und Freiherrn Johann Franz von Ulm, Herr von Erbach, Marbach und Mittelbiberach, welcher 1795 verstarb. Diese relativ aufwändig skulptierte Platte ist heute an der nordwestlichen Außenfront der Beilngrieser Friedhofskirche und "Bühlkirche" St. Lucia angebracht ist, neben dem Haupteingang.
Die Gedächtnistafel des Eichstätter Kirchenrates und Beilngrieser Pfarrers Franz-Xaver Steberle an der Südwestseite der Bühlkirche, aus dem Jahr 1801, ist dagegen wesentlich kleiner und schlichter ausgefallen, mit schlichtem Oval und einfacher Palmen-Ornamentik!
Auf diesen beiden Beilngrieser Grabplatten wollen wir es aktuell bewenden lassen. Zu gegebenem Zeitpunkt werden noch Abbildungen der Pettenkofer-Epitaphe und weitere Abbildungen aus Berching und Beilngries folgen!
Die Technik des Steinschneidens und der Epitaph-Herstellung übernahm Lorenz Raab übrigens auch von seinem Schwiegervater Hans Georg Voraus, zumal er dessen Anwesen in der Berchinger Vorstadt besaß, inklusive Schneid-, Schleif- und Polierwerk für Juramarmor-Platten (siehe oben).
Zum Vergleich folgen zwei schöne, heute leider zum Teil verdeckte Epitaphien aus der Hand des Bildhauers Voraus. Sie befinden sich heute im linken Seitentrakt des Altarraumes (hinter den Seitenaltären), innerhalb der Berchinger Stadtpfarrkirche.
Mit dem ersten Epitaph wurde der Weinhändler und Bürgermeister a. D. Hans Georg Rumpf der Jüngere geeehrt, der am 5. September 1736 das Zeitliche gesegnet hatte. Dies war wohl der Sohn jenes Rumpf gleichen Vornamens, der 1688 die Kirche St. Lorenz in Berching mit dem Einbau einer barocken Empore reich dotiert hatte und dort bestattet und mit einem Epitaph geehrt ist.
Der zweite Gedenkstein betrifft den Stadtpfarrer und Geistlichen Rat Johann Martin Bengel, der ab 1734 die Pfarrgemeinde Berching geleitet hatte, ehe er am 8. November 1740 verstarb:
Auch zwei der drei besonders schön skulptierten Epitaphe der Weinhändler-Familie Pettenkofer in der profanierten Franziskanerklosterkirche St. Trinitas (heute Pettenkoferhaus) dürften aus der Hand von Hans Georg Voraus stammen - Franz von Pettenkofer † 1745 und Johann Georg von Pettenkofer † 1752 betreffend -, wohingegen der täuschend ähnlich ausgeführte Epitaph für Joseph Pettenkofer † 1770 bereits ein Werk Lorenz Raabs sein muss. Es ist aus diesen Beispielen unschwer zu erkennen:
Lorenz Raab hatte bei den Epitaphien an der Herstellungstechnik und künstlerischen Ausgestaltung seines Vorgängers Hans Georg Voraus so gut wie nichts geändert!
Es ist übrigens gut möglich, dass Lorenz Raab auch in der Berchinger Kirche seines Namenspatrons, St. Lorenz, Spuren seines Könnens hinterlassen hat. Denn inzwischen halten wir (wenngleich ohne Beweislage) die beiden Statuen des heiligen Sebastian und des heiligen Lorenz, die in die neugotischen Seitenaltäre mit den berühmten Tafelbildern des heiligen Lorenz eingepasst sind, für gotisierend ausgeführte Arbeiten des begabten Bildhauers. Vor allen der heilige Sebastian weist jene Armhaltung auf, die Raab auch beim heiligen Sebastian in der Kirche von Burggriesbach verwirklicht hat, und das Gewand des heiligen Lorenz zeigt jene bikolore Ausführung (mit Blattgold und Blattsilber), die auch für andere Heiligenfiguren Raabs kennzeichnend sind. Relativ Raab-typisch sind auch die reifartigen, versilberten Heiligenscheine der Figuren, ähnlich den Evangelisten von Enkering. Beide Statuen waren wohl einst in St. Lorenz an anderer Stelle untergebracht!
Letztlich könnte sogar der "gotisch" wirkende Hauptaltar von St. Lorenz von Raab stammen, wenn er eben nicht "neugotisch" oder "gotisch" ist, wie manche "Experten" meinen, sondern bewusst "gotisierend" von Lorenz Raab geschaffen wurde - in einer historisierenden Technik, die dieser ohne Zweifel beherrschte. Dazu zu gegebenem Zeitpunkt mehr!
Und auch der große Kruzifixus von St. Lorenz bedarf bezüglich des Künstlers, der ihn schuf, noch einer eingehenden Untersuchung!
Doch nun noch einmal zurück zu den Epitaphien Raabs. Eine besonders schöne Gedenktafel, die, wenngleich ebenfalls ohne Bildhauer-Signatur, dennoch sicher aus der Hand des alten Lorenz Raab stammt, befindet sich in der Berchinger Wallfahrtskirche "Mariahilf". Mit dieser Kirche hat es in Zusammenhang mit Raab seine besondere Bewandtnis, und mit ihr wollen wir diese Arbeit beschließen.
Die Berchinger Wallfahrtskirche "Mariahilf" ist mit nur 22 Metern Länge und 9 Metern Breite ein relativ kleiner und schlichter, aber sehr schön im Stil zwischen Barock und Klassizismus ausgestatteter Kirchenbau, der ca. 1 km südlich des Beilngrieser Tores liegt.
Der halbrund begrenzte Chor ist leicht eingezogen, sein Ziegeldach doppelt gewalmt, gekrönt von einem Dachreiter mit Zwiebelhaube. Das Kirchenschiff zeigt außen flache Lisenen und schlichte Fenster mit barocker Überwölbung. Der Eingangsbereich ist mit je 2 wuchtigen Dreiviertelsäulen gesäumt und bogig überdacht. Der darüberliegende Blendgiebel mit geschweiftem Dach und Kreuz war wohl ursprünglich für ein Außenfresko vorgesehen. Dieser Entwurf stammt, so schlicht er auch ist, möglicherweise von Eichstätter Hofbaudirektor Maurizio Pedetti persönlich, dem wir auch den Bau der Berchinger Stadtpfarrkirche zu verdanken haben.
Einst wies die Kirche "Mariahilf" eine Alleinlage an der alten Straße zwischen Beilngries und Berching auf, lediglich gesäumt von 2 mächtigen Linden, sodass sich sowohl von Süden als auch von Norden her schöne Wallfahrtswege ergaben.
Im Inneren ist der Eingangsbereich unter der Empore durch ein schmiedeeisernes Gitter vom eigentlichen Sakralraum abgetrennt - wohl wegen der bestehenden Diebstahlgefahr. Im Pilgerraum mit seiner schlichten Bestuhlung findet man eine Wandgliederung mit flachen toskanischen Doppelpilastern, der Raum ist gut durch die großen Glasfenster belichtet, dazu kommt eine schöne Kanzel aus unbekannter Hand. Im Chorraum besteht eine harmonische spätbarocke Gestaltung mit beiderseitigem Chorgestühl, einem gefällig gegliederten, dreistöckigen Hauptaltar und zwei schräg gestellten Seitenaltären, alle gehalten in warmen Beige- und Grautönen.
Wir wenden aber zuerst unseren Blick auf die südliche Schiffswand:
Unter deren östlichem Fenster befindet sich eine große Gedenktafel, welche auf die Gründerin und Erbauerin dieser Kirche hinweist. Wie allein an den Schriftzügen zu erkennen ist, stammt auch diese große Tafel vom Berchinger Bildhauer Lorenz Raab, wie bereits eingangs erwähnt. Der Text der Tafel braucht hier keine weitere Erklärung; er spricht für sich selbst.
Über der Inschrift hat Lorenz Raab ein koloriertes Bild der frommen Kirchenstifterin "Maria Anna Margaretha Vögele"eingraviert, welche vor der Muttergottes kniet, die ihr die Heilige Schrift zum Lesen vorhält. Über dieser frommen Frau schwebt der Heilige Geist, der ihr die geniale Idee eingibt, einen kompletten Kirchenbau zu stiften! Der Kirchenführer von Josef Kraus spricht in diesem Zusammenhang von Mutter Anna und Tochter Maria, was wir für weniger wahrscheinlich halten.
Maria Anna Margaretha Vögele wurde am 3. November 1741 als Tochter des Müllers Hans Georg Pettenkofer und seiner Frau Maria Eva in der reichen Berchinger Stampfermühle geboren worden, die bereits in dritter Generation im Besitz der Familie Pettenkofer stand.
Maria Anna (oder Anna Maria, wie im Taufbuch steht) wuchs dort zu einem blühenden Mädchen, aber auch zu einer tüchtigen Geschäftsfrau heran, die ihrem Vater, dem Stampfermüller, zur Hand ging.
Hier der originale Eintrag ihrer Geburt im Taufbuch der Pfarrei Berching:
Am 5. August 1760 heiratete Maria Anna Pettenkofer den Sebastian Vögele, einen Sohn des Schmiedes Martin Vögele aus der Berchinger Vorstadt, der sich als "tinctor" (Färber) auf die Blaufärberei von Stoffen spezialisiert hatte.
Das junge Paar bezog noch imselben Jahr das "Torfärberhaus" mit der alten Nr. 1 (heute Pettenkoferplatz 11, neben dem Berchinger Rathaus).
Maria Anna Vögele leitete zunächst das dortige Ladengeschäft, und nach dem Tod des Ehemannes am 21. Juni 1782 sogar den gesamten Färbereibetrieb, in den Gebäuden dahinter.
Dabei kam Frau Vögele am Ende zu großem Reichtum, denn der blaue Leinendruck war in der Zeit des aufstrebenden Bürgertums eine wahre Goldgrube.
Leider war die rührige Witwe in Ehezeiten kinderlos geblieben, sodass sie schließlich ihre am 1. Januar 1780 geborene Base Maria Crescentia Schreiner, die Tochter des Schullehrers und Chorregenten Simon Schreiner, als künftige Alleinerbin an sich zog und ihr das gesamte Färber-Anwesen am Marktplatz vermachte. Crescentia Schreiner heiratete am 26. Januar 1802 den Lehrersohn Caspar Schweiger aus Bettbrunn, der nun die einträgliche Färberei erlernte.
Das junge Paar führte Färberei und Ladengeschäft zunächst weiter, so dass der Betrieb nicht unterbrochen war. Doch schon kurze Zeit später war Crescentia schwanger. Diese Schwangerschaft sollte sich zur familiären Katastrophe auswachsen: Am 18. Dezember 1802 verstarb die 22-jährige Maria Crescentia Schweiger anlässlich einer Totgeburt, vermutlich durch Amnioninfektion; 2 Tage später wurde sie bereits im Friedhof von St. Lorenz begraben.
Not macht erfinderisch: Schon am 18. April 1803 heiratete Caspar Schweiger ein zweites Mal, nunmehr Katharina Pickl aus der nahen Krausmühle. Mit ihr betrieb er die Blau-Färberei bis 1829 weiter. Soweit zum Berchinger Erbe der Maria Anna Vögele, geb. Pettenkofer.
Wenigstens musste die Witwe Vögele nicht mehr miterleben, wie Ihre Färberei in fremde Hände geriet, denn sie selbst hatte nach einer schweren Lungenentzündung am 24. September 1801 im Alter von 59 Jahren das Zeitliche gesegnet. Der vorherige Besitzübergang auf Crescentia Schreiner war also sozusagen in letzter Minute erfolgt.
Der damalige Stadtpfarrer Johann Willibald Steiger von Absberg hinterließ nicht ohne Grund im Totenbuch einen längeren ehrenden Eintrag auf Lateinisch, denn Maria Anna Vögele war eine besonders fromme Frau, die zuvor schon bei allen Schicksalschlägen auf die besondere Heilfe der Mutter Gottes vertraut und der Kirche viel gespendet hatte.
Maria Anna Vögele wurde schließlich in einer Gruft im Mittelgang ihrer Kirche "Mariahilf", in Nähe der Kanzel und der besagten Tafel, zur letzten Ruhe gebettet. Dort ruht ihr Leichnam noch heute; die Stelle der Gruft ist am Boden nicht eigens gekennzeichnet.
Schon in dieser frühen Zeit dürfte die Witwe Vögele ihren guten Bekannten Lorenz Raab, der ihm selben Jahr wie sie selbst einst in Berching geheiratet hatte, gebeten haben, als Bildhauer von Rang für die künftige Innenausstattung dieser Kirche zu sorgen.
Der Bau selbst wurde vermutlich im Jahr 1795 begonnen und im darauffolgenden Jahr 1796 fertig gestellt (steinerner Corpus der Kirche im ersten Jahr, alle Holzeinbauten, Decke, Dachstuhl etc. im Folgejahr, Holzeinschlag im Winter dazwischen). Das Jahr der Fertigstellung meldet eine kleine Tafel über dem Kircheneingang, mit einem originellen Zahlen-Anagramm:
Man liest hier die lateinische Inschrift: "MarIa Anna VögeLIn TInCtorIs VIDVa BerChIngae EXtrVXit", d. h. übersetzt "Maria Anna Vögele, Färberswitwe aus Berching, hat (dieses Gotteshaus) erbaut".Alle Buchstaben, die lateinische Zahlen symbolisieren, sind hier als Anagramm durch Großschrift zusätzlich herausgehoben: "M + I + V + L + I + I + C + I + V + I + D + V + C + I + X + V + X". Der Größe nach geordnet heißt die Reihe: "M + D + C + C + L + X + X + V + V + V + V + I + I + I + I + I + I", oder in arabischen Zahlen ausgedrückt: "1000 + 500 + 100 + 100 + 50 + 10 + 10 + 5 + 5 + 5 + 5 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1", zusammengezählt "1796"!
Diese geheimnisvolle Inschrift hat offensichtlich bei den Pilgern für Verwirrung gesorgt, sodass man später im Türsturz darunter die Jahreszahl nachträglich eingravierte: "1796".
Wir gehen davon aus, dass sich die obere Inschrift mit dem raffinierten Anagramm der Bildhauer Lorenz Raab (oder allenfalls der Pfarrer Bößl) ausgedacht hat. Da Raab in Berching damals der einzige war, der dazu über das notwendige Werkzeug verfügte, muss er der Hersteller dieser Tafel sein.
Mit dieser Inschrift am Kircheneingang ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Errettung Berchings vor den französischen Invasionstruppen den Ausschlag für diesen Kirchenbau gab, wie einst von Ludwig Gernhardt vermutet. Die österreichische Armee hatte bereits unter Feldmarschall-Lutnant Friedrich Freiherr von Hotze am 20. August 1796 Berching durchforscht, hier aber keinen Schaden angerichtet. Wenig später kam ein Reiter-Détachement der Franzosen, deren Oberst Guichard von Berching ein Schutzgeld von 3000 Gulden verlangte.
Eine Votivtafel im Inneren der Kirche zeigt diesen "Besuch", beziehungsweise den Anzug der Franzosen nach Norden. Grundlage der Tafel ist der Stich von Johann Franck, die älteste Stadtansicht Berchings von 1790, in den nun auch die Kirche "Mariahilf" und der Abzug der Franzosen eingezeichnet wurde (siehe Vergrößerungen).
Schlimmeres scheint damals wirklich nicht passiert zu sein; die Bürger von Berching hatten also Grund genug, der Gottesmutter einen Dank abzustatten. Umso gravierender war der Schaden der Schlacht bei Deining am darauffolgenden 21./22. August, als die Franzosen unter General Bernadotte gegen die Österreicher unter General Nauendorf und Erzherzog Karl um dem Übergang über die Weiße Laber kämpften und dabei fast ganz Deining sowie das Dorf Siegenhofen zerstörten.
Doch dieses Ereignis liegt für den Beginn des Kirchenbaus in Berching viel zu spät, um als Anlass des Kirchenbaus durchzugehen. Gleichwohl wird man in jenem Sommer 1796 in der neuen und vielleicht noch unvollendeten Kirche "Mariahilf" die Gottesmutter Maria um Rettung gebeten oder für die Rettung gedankt haben!
Noch vieles wäre zu dieser einmaligen Stiftung aus privater Hand zu sagen, doch wir müssen es an dieser Stelle darauf bewenden lassen. Dass aber diese relativ reiche, aber kinderlos gebliebene Färbermeisters-Witwe, die selbst schon betagt war, mithilfe eines ebenfalls betagten Stadtpfarrers eine religöse Großtat vollbracht hat, das ist unbenommen!
Es war nämlich damals unter der Knute Frankreichs, nach dem Desaster der Französischen Revolution - und erst recht später unter Napoleon Bonaparte eine schwere Zeit im katholischen Bayern, eine anhaltende Phase voller Belastungen und Entbehrungen, nicht nur durch die sogenannten Koalitionskriege und Naturkatastrophen, sondern auch durch einen unguten Zeitgeist, der aus der sogenannten "Aufklärung" resultierte und sich mit rasender Geschwindigkeit auch in Bayern breit gemacht hatte: Wir meinen den politisch verordneten Anti-Theismus, Anti-Katholizismus und Anti-Klerikalismus, der das Wort "Aufklärung" geradezu pervertierte und 1802/3 schließlich in die schreckliche Phase der "Säkularisation in Bayern" führte, mit der räuberischen Auflösung des Jesuitenordens, aller katholischen Fürstbistümer und Klöster! Selbst kirchliche Behörden verweigerten damals oft eingeschüchtert eine Baugenehmigung für einen Kirchenneubau!
Vor diesem Hintergrund kann das Projekt der Kirche "Mariahilf" in Berching gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Genau dies ist in der obigen Inschrift Lorenz Raabs auf der Gedenktafel für die Gründerin mit wenigen Worten treffend ausgedrückt!
Die Kirche wurde von der Stifterin auch noch mit einer Orgel versehen, deren Spielwerk im Jahr 1895 von der Orgelbaufirma Bittner in Eichstätt mit 8 Registern, erneuert wurde, weiterhin untergebracht im barocken Prospekt.
Im Jahr 1798 spendete Maria Anna Vögele auch noch einen schönen Meßkelch, signiert mit "MAV", dazu eine Monstranz und eine wertvolle Kreuz-Reliquie in hölzerner Schatulle, ebenfalls signiert "MAV". Monstranz und Reliquie tragen obendrein den vollen Schriftzug eingepunzt: "Maria Anna Vögelin 1798".
Frau Vögele sorgte schlussendlich auch für den Unterhalt der Kirche und spendete dazu kurz vor ihrem Tod im Jahr 1801 2 Wiesen und 3 Äcker; die Einnahmen daraus reichten für die Bezahlung eines Meßners, nicht jedoch für die Anstellung eines eigenen Wallfahrtspriesters aus.
Dass Lorenz Raab den Epitaph für die Kirchengründerin geschaffen hat, wurde bereits festgestellt und begründet.
Beide - Maria Anna Vögele und der 7 Jahre ältere Lorenz Raab - erlebten damals ihre letzten Lebenszeit. Frau Vögele starb, wie gesagt, am 24. September 1801 im 60. Lebensjahr und wurde in ihrer Kirche "Mariahilf" begraben, worauf der besagte Epitaph aus der Hand Lorenz Raabs entstand. Lorenz Raab folgte ihr 3 Jahre später ins Grab, am 19. Juli 1804, im Alter von fast 70 Jahren, was für die damalige Zeit bereits ein sehr hohes Alter war.
Die Kirchenstifterin, eine verheiratete "Vögele", muss mit der Familie Raab eng befreundet gewesen sein, denn immerhin hatte bei allen Taufen der Raabschen Kinder ein Ehepaar "Vögele" als Taufpaten zur Verfügung gestanden - bei den 4 männlichen Kindern der "faber ferrarius" (Schmied) Joseph Vögele, ein Onkel ihres 1782 verstorbenen Mannes Sebastian, und beim einzigen Mädchen dessen Gattin Margaretha Vögele. Deren Vorname war wiederum der 3. Vorname der Kirchenstifterin - eigens hinzugefügt, obwohl ihre Taufpatin nicht Margharetha, sondern Walburga (Zimmermann) hieß. Wahrscheinlich gab es aber eine gemeinsame weibliche Vorfahrin namens Margaretha! Wohnhaft war dieses Schmiedemeister-Ehepaar, das die Taufen der Raab-Kinder begleitete, im sogenannten "Schmiednatzihaus" mit der alten Nr. 213 in der Berchinger Vorstadt (Ignaz Vögele war der Sohn und Nachfolger des Joseph Voegele, Hausbesitzer 1786-1816), und es blieb in Schmiedehand fast bis in unsere Zeit (heutige Adresse Bahnhofstr. 4).
Nicht zuletzt vor diesem familiären Hintergrund ist für uns die Frage, wer die Kirche "Mariahilf" figural im späten Rokokostil ausgestattet hat, bereits beantwortet:
Es kann nur Lorenz Raab gewesen sein, der hier umfassend und vor allem preisgünstig Hand anlegte!
Mehr noch: Ohne Lorenz Raab - so vermuten wir - wäre diese Kirche nie zustande gekommen, denn mit einem Bau allein war es ja nicht getan, und auswärtige Kunstbildhauer wären in der damaligen Zeit viel zu rar und teuer, als dass Maria Anna Vögele solche nach Berching hätten bestellen können! Warum sollte sie auch? Ein Künstler von Rang war ja vor Ort - und sie kannte und schätzte ihn bestens!
Dazu passt nun auch, die Inventarien für "Mariahilf" keine Künstlernamen preisgeben, wenn wir von Deskenfresken "Mariä Krönung" und "Mariä Verkündigung" und den kleinen Altarbildern absehen, die erst im Jahr 1946 entstanden und die zum einem der renommierte Oberpfälzer Kirchenmaler Josef Wittmann (1880-1968) und zum anderen ein gewisser Fritz Wildner zu verantworten haben.
"Typisch Raab" in der Kirche sind jedoch der gesamte Skulpturenschmuck des Hauptaltars, mit dem heiligen Willibald zur Linken und der heiligen Walburga zur Rechten, sowie der Engelschmuck zu beiden Seiten des Allerheiligsten und auf dem Altargesims (davon 2 Engel mit Posaune), dazu der "Seelenwäger" Erzengel Michael auf der Kanzel. Hinzu kommen noch die Rokoko-Putten auf den Gesimsen der Seitenaltäre. All diese unsignierten Figuren gelten allein deshalb als "raab-typisch", weil ihre Gewändern bikolor, d. h. mit Blattgold und Blattsilber, ausgeführt sind, worauf sich Raab spezialisierte hatte (siehe oben). Auch der eher zurückhaltende Rocaille- Schmuck und die Säulenbasen und -kapitelle dürften von Raab und keinem anderen vergoldet worden sein.
Aber auch die Mondsichel-Madonna im Strahlenkranz auf dem linken Seitenaltar ordnen wir Lorenz Raab zu, auch wenn die Inventarien KdB und Dehio - wohl von einander abschreibend - hier wie bei der Schmerzensmann-Gruppe gegenüber vom späten 15. Jahrhundert sprechen, also von der Zeit der Hochgotik.
Wenn man die Figurengruppe im linken Seitenaltar vergleicht, so wirkt diese Gruppe schon eher "gotisch" als die Madonna zur Linken - in Körperhaltung, Haarschmuck und Faltenwurf der Gewänder. Selbst wenn es sich um die künstlerische Hand eines auswärtigen Meisters aus dem 15. Jahrhundert handeln sollte, die hier tätig war (was wir für unwahrscheinlich halten, da in den Akten von einer entsprechenden Dotation nicht die Rede ist), so ist zumindest möglich, dass Lorenz Raab diese Gruppe restauratorisch überarbeitet hat.
Ansonsten könnte die "bunte" und "gotisierende" Machart dieser Gruppe, die dann vielleicht aus der alten Stadtpfarrkirche oder der Lorenzkirche Berching stammt, auch auf seinen Schwiegervater und Vorgänger in Berching, Hans Georg Voraus, hinweisen!
Aber sicherlich bleibt diese Einschätzung solange subjektiv, als eine Bestätigung durch eine eingehende Untersuchung fehlt.
Auch beim einfacher gehaltenen Kirchenschmuck, bei wenigstens einem der drei Kruzifixe und einigen kleineren Figuren und zwei Flachreliefs (der heiligen Cäcilia und Ottilia) könnten Lorenz Raab oder sein Sohn und Nachfolger zumindest restauratorisch Hand angelegt haben:
Das zurückhaltend verzierte Gitter aus Schmiedeeisen, das in "Mariahilf" den Kirchenraum vom Eingangsbereich unter der Empore trennt, könnte dagegen vom Schmied Ignaz Vögele, dem Sohn und Nachfolger des oben erwähnten Joseph Vögele, stammen, oder von Augustin Barthlme, dem Neffen des in Berching geborenen Kunstschmiedes und Eichstätter Hofschlossers Sebastian Barthlme, der in Eichstätt eine ganze Reihe von wertvollsten Ziergittern hinterlassen hat. Genaueres wissen wir allerdings nicht.
Eigenartig wirkt das Stiftungsbild auf der rechten Schiffswand. Wenn auch dieses Bild von Lorenz Raab stammt, wovon wir ausgehen, dann ist von ihm der vergoldete Rahmen im Gegensatz zu den Altarbildern rein "klassizistisch" und damit für die damalige Zeit nahezu futuristisch ausgeführt worden, allerdings durchaus im Einklang mit dem Randschmuck so manchen Epitaphs aus seiner Werkstatt.
Das Bild selbst zeigt über der Kirche "Mariahilf" in einer von Engeln durchsetzten Wolke die Muttergottes mit dem Kind. Darunter befindet der Kirchenbau, zu beiden Seiten gesäumt mit vielen weiblichen und wenigen männlichen Verwandten der Stifterin in zeitgenössischem Habit (dabei manche mit Kreuz, also schon verstorben), vor einer klassizistischen Scheinarchitektur im Sulztal.
Von daher könnte man denken, diese Darstellung sei erst einige Zeit nach dem Kirchenbau entstanden. Doch dies scheint nicht der Fall zu sein: Da der Dachreiter der Kirche und auch weitere Details der Kirche deutlich anders aussieheen als 1796 tatsächlich verwirklicht, ist das Entstehungsdatum dieses Bildes deutlich vor das Jahr 1796 und nicht danach anzusetzen. Vielleicht wurde es in Eichstätt und an anderen Orten der Diözese zur Einwerbung von Spenden vorgeführt, eher es später in den Kreuzbaum jenes Kruzifixes eingepasst wurde, in dem es sich noch heute befindet.
Lediglich das etwas mystisch angehauchte Altarbild mit der Mutter Gottes und dem Kind, das der berühmten Darstellung Lucas' Cranachs des Älteren (1472-1553) von ca. 1525 folgt, hat eine von Lorenz Raab völlig unabhängige Geschichte:
Dieses Ölgemälde von 1758 ist eine Spende der Kirchengründerin. Es wurde schon in jungen Jahren für Sie vom Eichstätter Hofmaler Johann Michael Baader (1729-1792) angefertigt. So steht auf der Rückseite: "EX DONO, M. Baader, Pinxit, de Eychstadt, 1758, 25. Juli - Geschenk von Michael Baader aus Eichstätt, der es gemalt hat, 25. Juli 1758."
Das Geschenk war also am Vorabend des katholischen Gedenktages der heiligen Mutter Mariens namens "Anna" (26. Juli) in Berching übergeben worden!
Johann Michael Baader hatte sich zuvor, beim Erstellen des grandiosen Deckenfreskos in der Berchinger Stadtpfarrkirche, in seine junge Stuck-Assistentin Anna Maria Mauerer aus Plankstetten verliebt und mit dieser ein Kind gezeugt, jedoch wenig später erfahren, dass aus dieser Verbindung nichts werden konnte (was er übrigens ein ganzes Leben, auch während seiner großen Karriere in Rom und Paris, bedauert haben dürfte, da er sich nie verheiratete).
Michael Baader war also in wehmütiger Stimmung, als er für Maria Anna Pettenkofer, die im Grunde genommen denselben Vornamen trug wie Baaders verlorene Liebe - bei ihr stand ja im Taufbuch ebenfalls "Anna Maria" statt "Maria Anna" -, dieses schöne, zu Herzen gehende Bild malte. Und so trägt diese Muttergottes zwar sehr sanfte, aber deutlich wehmütige Züge!
Wer nun mehr zu Johann Michael Baader und seinem Werk wissen will, sei auf folgende Seite verwiesen: [Link]
Noch ein paar kurze Anmerkungen zum weiteren Schicksal der Kirche "Mariahilf":
Es entwickelte sich im 19. Jahrhundert eine vitale Wallfahrt, die selbst heute noch nicht ganz erloschen ist, wie zahlreiche Votivgaben in der Kirche zeigen.
Folgende Abbildung einer Wallfahrt stammt aus dem "Sulzbacher Kalender" von 1850:
Die folgende Fotografie stammt aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhundert. Sie zeigt, dass ein Sakralbau wie die Mariahilfkirche eine Alleinlage verdient, zur Wirkung sogar dringend benötigt, und wie falsch es ist, einen solchen einfach zuzubauen (wie es z. B. aktuell bei der Kirche von Großberghausen geschieht).
In früheren Zeiten wurde in der Kirche inbrünstig um Hilfe in misslichen Lebenslagen gebetet, und es erschien dazu im Jahr 1854 ein eigenes Gebetbuch, das heute kaum mehr zu erhalten ist und deshalb an dieser Stelle zum Download bereitsteht (1,78 MB). Dazu bitte Klick auf das Bild!
Zum Ende des Zweiten Weltkrieges nahm die Kirche Schaden, als die Waffen-SS beim Rückzug von Berching nach Paulushofen die beiden großen Linden vor der Kirche mutwillig sprengten. Ein Votivbild in der Kirche gibt über dieses schlimme Ereignis beredt Auskunft:
Es steht außer Zweifel, dass Lorenz Raab maßgeblich an der Ausstattung der Kirche "Mariahilf" mitwirkte. Dabei stellt sich natürlich abschließend die Frage, inwieweit der gealterte Künstler überhaupt noch zu einer derart vollständigen und komplexen Ausschmückung der Berchinger Kirche "Mariahilf" imstande war.
Wir denken, er war es - wenngleich er vielleicht die Arbeit langsamer anging als früher, wenngleich er vielleicht seinem Sohn Franz-Xaver bei vielen Stücken die Vorarbeiten überließ und selbst nur letzte Hand anlegte. Immerhin hängte er erst im Jahr nach Fertigstellung der Kirche seinen Beruf endgültig an den Nagel, und selbst dann vergingen noch 7 weitere Jahre, bis er verstarb.
Soweit zum erfüllten Leben und künstlerischen Schaffen des Berchinger Bildhauers Lorenz Raab, wobei uns letzteres bis dato stark unterbewertet und im Grunde genommen noch gar nicht erkannt erscheint.
Wer weiß, was Lorenz Raab an anderer Stelle noch hinterlassen hat?
Angesichts der persönlichen Bescheidenheit und christlichen Demut, die dieser fähige und unermüdlich tätige Meister an den Tag legte, wenn er es versäumte, auf seinen Kunstwerken eine Signatur zu hinterlassen, erachteten wir es als dringend notwendig, diesen letzten Bildhauermeister von Rang, am Übergang von Spätbarock zur Klassik, auf jenen Sockel zu heben, den er eigentlich verdient hat. Ein Gedenken auch für seinen Schwiegervater Hans Georg Voraus!
Beiden hat nicht nur die Stadt Berching, sondern letztlich die ganze Menschheit viel Wertvolles und Schönes zu verdanken!
Häufig verwendete Literatur: