Der historische Viehtrieb in der Oberpfalz und im Bayerischen Wald

mit Anmerkungen zur Bedeutung der Juden für Viehtrieb und Viehhandel

© Dr. Werner Robl, Berching, Mai 2016.

 

Hinführung

Wenn der Mensch der Moderne vom überregionalen Viehhandel hört, assoziiert er damit große Viehtransporter auf Autobahnen, Eisenbahn-Waggons und meistens auch missliche Transportbedingungen, die die Tierschützer auf den Plan rufen. Er denkt wohl nicht darüber nach, dass diese "Errungenschaften" kaum alter als 150 Jahre sind. Zuvor - vor der Erfindung der Eisenbahn und des Lastkraftverkehr, war das Handelsobjekt "Rind" und der Motor, der es über weite Strecken vorwärtsbewegte, noch eine unauflösliche Einheit. Über viele Jahrhunderte transportierte sich das Rind sozusagen selbst, indem es sich, von Viehtreibern über weite Strecken getrieben, auf eigenen Hufen zu den Fleischtöpfen, die ihm den Garaus machen sollten, auf den Weg machte. Die gnädigere Alternative war da nur, als Nutz- und Arbeitstier bei einem Bauern zu landen.

Mit dem Anwachsen der Städte im 13. Jahrhundert nahm der Viehtrieb durch Europa seinen Anfang, und etwa seit der Mitte des 14. Jahrhunderts ist er dokumentarisch belegt. Je mehr sich die Bevölkerung vor allem in den großen Metropolen entwickelte, desto mehr stieg auch der Bedarf an dieser nahrhaften Biomasse, mit der nicht nur der Bedarf an tierischem Einweiß (Fleisch), sondern auch an Filz (Haare), Leder (Haut), Seife, Lichtern und agenschmiere (Talg), Wursthäuten und Bogensehnen (Gedärme), Leim (Knochen) und Kämmen (Hörner) gedeckt wurde. Es entstand allmählich ein Wegenetz, das es ermöglichte, das begehrte Handelsvieh über Hunderte von Kilometern möglichst unbeschadet von den Aufzuchtstätten in die jeweiligen Abnehmer-Regionen zu bringen.

Trotz seiner essentiellen Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents hat der historische Viehtrieb, der auf die besagte, heute geradezu archaisch anmutende Weise bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts fortbestand, nur verhältnismäßig wenig die Aufmerksamkeit der Forscher gefunden. Es liegen bislang zu diesem Thema nur ganz wenige Publikationen mit wissenschaftlichem Anspruch vor. Immerhin ist es inzwischen einigen Initiativgruppen aus Ungarn, Österreich, Deutschland, Rumänien und der Slowakei gelungen, die Triebwege der Grauochsen von der ungarischen Tiefebene und Transylvanien quer durch Österreich bis hinein ins bayerische Oberland länderübergreifend nachzuverfolgen. Bis zu 200 000 Tiere sollen es insgesamt gewesen sein, die sich alljährlich auf die lange und nicht ungefährliche Reise machten; die älfte davon war allein für die Deckung des Fleischbedarfes in den süddeutschen Großstädten vorgesehen. Inzwischen hat ein transnationales LEADER-Projekt den sogenannten "Europäischen Oxenwegen" zu Aufmerksamkeit und einer touristischen Vermarktung verholfen.

Die Grauochsen der ungarischen Pußta mit ihren langen Hörnern.

Wir haben an dieser Stelle nicht vor, diesen Viehtrieb in all seinen Determinanten zu durchleuchten und zu veranschaulichen, denn dazu liegt inzwischen eine 150-seitige, reich bebilderte Übersicht mit vielen Literaturhinweisen vor, die sogar kostenfrei aus dem Internet bezogen werden kann: "Der Europäische Oxenweg damals und heute". Wir empfehlen dem Leser zunächst das Studium dieser Schrift, eher er auf der vorliegenden Seite weiterliest.

Nachdem wir im Rahmen unserer Vorbereitungen zu einem Heimatbuch der Gemeinde Zandt bei Denkendorf (nördlich von Ingolstadt) anhand von lasergestützten Bodenprofilen eine alte Viehtrieb-Trasse durch den großen Köschinger Forst entdeckt hatten und dabei wahrnehmen mussten, dass auf dieser Trasse höchstwahrscheinlich jüdische Viehhändler zogen, begannen wir, uns für die Topographie des historischen Viehtriebs im ehemaligen Nordgau im Allgemeinen und für die Beteiligung der Landjuden im Besonderen zu interessieren.

Leider wird man bezüglich der nordgauischen Viehtrassen in der besagten Oxenweg-Literatur kaum fündig, und die Bedeutung der mit Vieh handelnden Landjuden ist dort gänzlich ununtersucht geblieben. Auch die umfangreicheren Grundlagenarbeiten der schwedischen Forscherin Christina Dalhede oder des deutschen Forsthistorikers Hans-Heinrich Vangerow schweigen sich darüber mehr oder weniger aus. Da die bislang vorliegenden Arbeiten ihre Erkenntnisse überwiegend aus dem Steuerlisten der ehemaligen Mautämter und den Handellisten der belieferten Städte beziehen, erlauben sie zwar, die einstigen Quantitäten und wirtschaftliche Bedeutung des internationalen Ochsenhandels zu vermitteln und auch einige spezielle Absatzsituationen zu untermauern, geben aber, selbst wenn die Triebrouten grob abgeschätzt werden, wenig über die genauen Wege und die Begleitumstände des Viehtriebs selbst preis und lassen obendrein den Fernhandel mit Milchkühen und Kälbern und die Existenz und Verteilung innerbayerischer Zuchtgebiete ununtersucht. Wir empfinden das als ein gewisses Manko.

Was die Beteiligung der jüdischen Bevölkerung am süddeutschen Viehhandel und die sogenannten "Judenwege" anbelangt, so liegt neben einigen lokalhistorischen Berichten aktuell überhaupt nur eine Forschungsarbeit vor, die sich um eine flächendeckende Erfassung und differenzierte Betrachtung bemüht. Es handelt sich um die 491-seitige Dissertationsschrift von Barbara Rösch, erschienen im Jahr 2009. Barbara Rösch beschäftigt sich in dieser Arbeit schwerpunktmäßig mit dem unterfränkischen "Waldsassengau", der Gegend um Ochsenfurt (Name!), zwischen Spessart und dem Maindreieck. Dies ist zwar eine Region, die eine besondere Dichte an Judenwegen unterschiedlicher Nutzung (z. B. auch sog. Schabbes- und Totenwege) aufweist, so dass sie für eine wissenschaftliche Analyse bestens geeignet ist, sie liegt aber unserem Interessensraum "ehemaliger Nordgau" so fern, dass sie für viele Fragestellungen keine erschöpfenden Antworten liefern kann. Zwar schrieb die Autorin in Vorbereitung ihrer Publikation nahezu alle bayerischen Gemeinden und Landratsämter an und befragte sie zu lokalen Flurnamen mit Bezug zu den Landjuden, so dass eine stattliche Liste der bayerischen Judenwege entstand;  erschöpfend ist sie allerdings nicht, da von rund 30 Prozent der angeschriebenen Behörden keine Rückkopplung kam, wie die Autorin selbst eingestand. Für unsere Thematik haben wir vor allem Angaben aus dem Landkreis Amberg schmerzlich vermisst.

Immerhin berichtet Barbara Rösch von der Dominanz des jüdischen Viehhandels in Süddeutschland, die nicht einmal die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung gleich brechen konnten, und in einem eigenen Kapitel auch über die jüdischen Viehwege zu früherer Zeit. Der bayerische Nordgau bzw. die Oberpfalz spielt allerdings bei Barbara Rösch nur eine Nebenrolle, wenngleich die Autorin von den Wegen der jüdischen Viehhänder in der Judengemeinde Sulzbürg erfahren hatte, über welcher der Lokalhistoriker Kurt Wappler als erster berichtet hatte. Von Wappler erfahren wir wiederum konkret, dass in den Jahren zwischen 1889 und 1892 von den 34 Sulzbürger Händlern 30 Juden waren, von denen allein 15 mit Vieh handelten. Damit hat es sich aber schon mit den Informationen; wir wissen weder, welche Geschäfte sie im Einzelnen machten, noch, wo deren Schwerpunkte lagen.

Da wir der Sache mit dem historischen Viehtrieb und den jüdischen Viehhändlern unserer Region weiter auf den Grund gehen wollten, uns aber eine Archiv-Recherche zum Thema a priori als nicht recht erfolgversprechend erschien und aus beruflichen Gründen auch nicht möglich war, entschlossen wir uns zu einem unorthodoxen Vorgehen.

 

Interaktive Karte zum Viehtrieb und den Judenwegen

Wir extrahierten aus dem Bayerischen Urkataster aus der Zeit zwischen 1808 und 1853 alle eingetragenen Flurnamen, die sowohl auf die Rinderzucht und den Viehtrieb als auch auf die Aktivitäten von Juden Bezug nahmen, und übertrugen sie in eine Google Maps Karte. Vom Köschinger Forst ausgehend, erfassten wir zunächst das Gebiet des ehemaligen Nordgaus, erweiteren dann aber nach und nach das Einzugsgebiet auf den Rest der Oberpfalz sowie auf einige benachbarte Übergangsregionen, und erfassten wegen seiner besonderen Bedeutung auch den gesamten Bayerischen Wald bis hinab nach Passau, also alle altbayerischen Gebiete nördlich der Donau.

Diese interaktive Karte zu den Viehtrieben und Judenwegen wollen wir im Folgenden vorstellen. Obwohl sie inzwischen mehr als 1000 Fundstellen aufweist, erhebt sie keinen Anspruch auf Vollständigkeit, zumal in einigen kleineren Gebieten die Eintragsdichte der Flurnamen im Urkataster generell zu wünschen lässt (z. B. im Gebiet des ehemaligen Rudmargaus, zwischen Thalmässing, Heideck und Eichstätt, aber auch in breitem Rahmen südlich der Donau). Neben Orten und Flurnamen enthält die interaktive Karte auch die entsprechenden Kastasterplan-Ausschnitte. Lediglich bei einigen Einträgen südlich der Donau haben wir auf den Bildnachweis verzichtet. Sollte der geneigte Leser der Karte weitere Flurnamen oder sonstige wichtige Regionalbezüge beisteuern können, so bitten wir um eine Mail-Nachricht unter werner@robl.de, damit wir die entsprechende Ergänzung vornehmen können. Auch konstruktive Kritik und sonstige Informationen sind uns willkommen.

Es war der Lohn relativ mühseliger Eintragsarbeit, am Ende auch ohne Hinzuziehung weiterer schriftlicher Quellen gewisse Rückschlüsse auf die Umstände des historischen Viehtriebs und die jüdische Beteiligung ziehen zu können. Die Karte versteht sich so aus Ausgangspunkt für weitere Forschung, die wir selbst allerdings nicht erledigen können.

 

Abschließend einige Erklärungen zur Kartenlegende:
Flurnamen, die auf den Viehtrieb oder die Rinderzucht im Allgemeinen hindeuten. Subsumiert sind hier alle Komposita mit dem Worten "Vieh", "Kuh", "Kühe", "Kalb", "Kälber", auch Begriffe des Viehtriebs wie "Trath", "Trift" oder "Tränke", mit ihren zahlreichen Varianten. Flurnamen mit den Worten "Hut" oder "Heide" wurden trotz ihres häufigen Vorkommens bis auf eine Ausnahme wegen der fehlenden Spezifität in Bezug auf die Rinder außer Acht gelassen.
Flurnamen, die spezifisch auf die Ochsen- und Stierzucht oder den Ochsentrieb Bezug nehmen (auch des ungarischen). Bei Koinzidenz mit Kuh- und Kälber-Flurnamen wurde dem Symbol des Ochsens/Stiers jeweils der Vorzug gegeben.
Hinweis auf Abdeckereien an den Viehtriebswegen.
Furten, welche beim Viehtrieb von den Rindern überwunden wurden.
Für den Viehtrieb relevante Mautstellen und Amtshäuser.
Flurnamen, die mit den Juden und/oder der mosaischen Religion im Allgemeinen in Zusammenhang stehen.
Lage von historischen Judengemeinden (ohne zeitliche Differenzierung).
Appoximative oder detaillierte Routen des ungarischen Ochsentriebs, wie sie z. B. auch von der Oxenweg-Literatur ausgegeben werden.
Approximative Viehtriebrouten, die sich durch Interpolation von durch Flurnamen gesicherten Fixpunkten zum Viehtrieb ergeben. Diese Linien sollen vor allem die Komplexität des Viehtriebs und die zahlreichen Variationsmöglichkeiten der Wege in Richtung der städtischen Absatzmärkte verdeutlichen. Die Verifikation der genauen Verläufe steht für die allermeisten Routen derzeit noch aus. Dass der konkrete Nachweis des genauen Wegverlaufs aber prinzipiell möglich ist, ist im vorliegenden Fall für den Viehtrieb zwischen Kösching und Kottingwörth untersucht und mit zusätzlichen Bildern des Bodenprofils untermauert (hierzu mehr weiter unten).
Trassen des Viehtriebs und Handels der Sulzbürger/Neumarkter Juden.
Judenwege, bei denen ein Zusammenhang mit dem Viehtrieb nicht sicher nachzuweisen ist.

 

Zur Bedienung der Karte:
Ein Klick auf das Rechteck-Symbol rechts oben ermöglicht die bildschirmfüllende Darstellung. Bei Klick auf die einzelnen Symbole erscheint in der Spalte links eine verkleinerte Abbildung der jeweiligen Flur als Ausschnitt aus dem Urkataster, dazu der jeweilige Name, wobei der größere Teil im Original wiedergegeben wird und der kleinere Teil der modernen Orthografie angepasst ist. Durch Klick auf das jeweilige Bild gelangt man zum größeren Originalausschnitt des Katasterplans. Mi dem Scrollrad der Maus lässt sich in die Karte hinein- und herauszoomen.

 

Unsere Rückschlüsse aus den erarbeiteten Kartendaten:

  • Spezifität der Flurnamen für den Viehtrieb

    Im Gebiet der heutigen Oberpfalz finden sich ca. 800 Mal in der Nähe von Städten, Dörfern und Weilern die für den Viehtrieb und die Viehhut spezifischen Flurnamen. Nach einer Liste des Bezirks Oberpfalz, die der Arbeitskreis für Flur- und Kleindenkmalforschung in der Oberpfalz e. V. veröffentlicht hat, liegt jedoch die Gesamtzahl dieser Orte bei ca. 5265, also fast um den Faktor 7 höher. Daraus resultiert, dass selbst unter Berücksichtigung der schwankenden Dichte der Flurnamen im Urkataster auf jeden Ort, der mit dem historischen Viehtrieb assoziiert ist, im Schnitt fünf bis sechs weitere kommen, in denen ebenfalls Rinder gehalten und im Sommer auf die Weide getrieben wurden, ohne dass dies Niederschlag in den Flurnamen fand. Die durch Flurnamen mit dem Viehtrieb assoziierten Orte reihen sich nicht selten in Richtung bestimmter Absatzmärkte perlenschnurartig aneinander, so dass sich in der Tat der Eindruck einer durchlaufenden Route ergibt. An anderen Stellen sind die Lücken zwsichen den einzelnen Fundstellen so groß, dass die exakte Festlegung einer Route nicht möglich ist. Mit der genannten Diskrepanz zwischen Gesamtzahl der Orte und Stellen des Viehtriebs wird allerdings klar, dass die allermeisten Flurnamen in der Tat den regionalen, überregionalen und sogar internationalen Viehtrieb betreffen, während der örtliche Viehtrieb, der von ersteren aus vielen Gründen klar zu trennen ist (siehe unten), offenkundig nicht namensgebend wirkte. Gelegentliche Ausnahmen bestätigen die Regel.

  • Schwerpunkte des Viehtriebs

    In der nördlichen und mittleren Oberpfalz östlich der Naab finden sich bis zur böhmischen Grenze zunehmend häufig die Begriffe wie "Trath" oder "Trift", mit all ihren altertümlichen Schreibvarianten (z. B. Draht-Äcker, Trieft-Weg etc.), Da diese und andere vieh-assoziierte Namen auch noch auf den Kammlagen des böhmisch-oberpfälzischen Grenzgebirges in unmittelbarer Grenznähe anzutreffen sind, erscheint uns der böhmisch-bayerische, also der internationale Viehtrieb in Ost-West-Richtung und auch umgekehrt bewiesen. Die vermuteten Ziel- und Ausgangsorte in Böhmen haben wir in der Karte mit Peillinien entsprechend verdeutlicht.

  • Regularien des Viehtriebs - Städtische Verbotszonen

    Vom böhmischen Viehtrieb wissen wir durch entsprechende Literatur, dass er, aus Richtung Polen, Mähren und Schlesien kommend, im 18. und 19. Jahrhundert wegen der Einschleppung von Viehseuchen wie Rinderpest und Maul-und-Klauen-Seuche streng reglementiert werden musste. Dazu gehörten u. v. a. genaue Vorschriften zur Quarantäne des Rindes vor Verkauf oder Schlachtung, das Verbot des Durchzugs durch größere Ansiedlungen (schon seit 1770 bestehend), die Notschlachtung von kranken und die Entsorgung verendeter Tiere. Es ist anzunehmen, dass die Gefährdungen des Viehtriebs für den autochthonen Viehbestand bereits seit Jahrhunderten bekannt waren, denn immerhin ist die Rinderpest schon seit der Völkerwanderungszeit um 380 n. Chr. als bekannt belegt. Aus diesen Grund erfolgte der regionale und überregionale Viehtrieb nie gleichzeitig mit dem lokalen, und er machte in der Regel um die Dörfer einen Bogen und vor den großen Städten in gehörigem Abstand Halt. Selbst die Viehmärkte, die in der Regel nur sauberes Quarantäne-Tier, also sichtlich gesunde Rinder zum Weiterverkauf vorsahen, wurden meistens vor den Toren der Städte abgehalten, egal ob klein oder groß (wie z. B. in Berching vor dem Krapfentor oder der Ochsengries in Wien vor dem Stubentor), oder allenfalls in deren Randzonen, jedoch nie im Zentrum einer Stadt. In den Verbotszonen unseres Untersuchungsgebiets, insbesondere der Städte, fanden wir in keinem einzigen Fall einen Flurnamen, der auf die Anwesenheit von Rindern oder den Viehtrieb hinwies.

    Großer Viehmarkt in offenem Gelände, Fotografie aus dem Jahr 1923, Ort unbekannt.
  • Die Eigenschaften der Trath-Felder - Wasser geht vor Futter

    Auf dem weiten Land suchten die Viehtriebe meistens Feucht- und Sauerwiesen mit Tümpeln auf. Diese spielten bei den ortsansässigen Bauern für die Gewinnung des Winterfutters wegen der ungeeigneten Vegetation keine große Rolle, boten aber dem getriebenen Rind die Gelegenheit zur Rast, zur Wasseraufnahme und zum Durstlöschen. Mit diesen Wasserstellen korreliert der Begriff "Trath" im spezifischeren Sinn. Er beschreibt wohl die ausgetretenen Schlammstrecken, die auch der Klauengesundheit zu gute kamen. Daneben finden sich bei den wasser-assoziierten Flurnamen häufig die Begriffe "Tränke", "Tränkacker" oder "Tränkfeld".

    Wasser war beim Abtrieb allemal wichtiger als Futter; Gewichtsverluste der Tiere durch Mangelernährung nahm man in Kauf, Verdurstung musste im jeden Preis verhindert werden. Es ist z. B. nachgewiesen, dass das Ausgangsgewicht ungarischer Ochsen von durchschnittlich ca. 400 kg bis zum Ziel Augsburg um bis zu 160 Kilogramm abnehmen konnte.

  • Die Zeit und das Ausmaß des überörtlichen Viehtriebs

    Der überörtliche Viehtrieb fand grundsätzlich nur zwischen den Monaten Mai und Oktober statt, also dann, wenn sich das ortständige Vieh nicht auf den dorfnahen Wiesen, deren Mahd ausschließlich für die winterliche Stallfütterung der Tiere vorbehalten war, sondern auf der sommerlichen Waldweide aufhielt, d. h. an entlegenen Plätzen, die der Viehtrieb vorsorglich nicht tangierte. Die Tagesmarschleistungen der Tiere schwankten je nach Terrain zwischen 10 und 25 Kilometern.

    Vielleicht sollte man an dieser Stelle anmerken, dass ein Viehtrieb über mehrere hundert Kilometer und in Form großer Herden selbstredend nur die Ochsen betraf, da Stiere in der Minderzahl gehalten wurden und viel zu unberechenbar für lange Wegstrecken waren, Milchkühe und Kälber aber viel zu viel Schonung brauchten, als dass sie die sehr weite Strecken hätten gehen können. Am regionalen Viehtrieb nahmen jedoch auch diese teil, allerdings im Hinblick auf die Absatzsituation über kürzere Distanzen und auf viel verzweigteren Routen.

  • Stellen der Zwischen- und Endmast

    Wenn es das Durchtriebs-Terrain und der zur Verfügung stehende Zeitrahmen hergab, wurden Rinder unterwegs zwischengemästet, also in einer Erholungs- und Futterphase wieder auf ein höheres Gesamtgewicht gebracht. Deshalb findet man an den Viehtriebs-Strecken immer wieder bewaldete "Kühberge" und "Ochsenberge" sowie weiter Weideareale, die der Zwischenmast des Treibviehs dienten. In unmittelbarer Nähe der Triebziele dienten solche Stellen auch der Endmast zum Erreichen der Schlachtreife, hier sollten die triebbedingten Gewichtsverluste der Tiere vor Abverkauf und Schlachtung wenigstens zum Teil wieder rückgängig gemacht werden. Besonders fiel uns dieses Phänomen im Osten der Großstadt Nürnberg und im Süden von Ingolstadt auf; es dürfte aber gleichermaßen auch für andere Großstädte gegolten haben.

  • Tierverluste - Abdeckereien

    Der Arbeitsplatz eines Schinders in Frankreich.
    Kein längerer Viehtrieb ohne Tierverluste. Kein Wunder, wenn sich die Abdecker und Wasenmeister mit Vorliebe direkt an den Viehtriebstrecken niederließen. Nicht selten fanden wir an erwarteter Stelle eine Abdeckerei oder Wasenmeisterei als Hinweis auf den genauen Routenverlauf. Wir haben deshalb diese Tierkörperverwertungsbetriebe gleichrangig zu den Triften und Tränkstellen als viehtrieb-spezifisch anerkannt und in der Karte entsprechend mit einem Beil-Symbol vermerkt.

    Die Abdeckereien des Urkatasters sind allerdings ein Phänomen der Neuzeit. Im Mittelalter wurden verendete Tiere, auch Schindluder genannt, nicht selten in eigens dafür vorgesehenen Gruben vergraben oder auch verbrannt. So fanden wir diverse Male die Komposita mit "Schind" oder "Luder": "Schindacker", "Schindgrube", "Luderbühel" etc. Auch diese kennzeichnen den historischen Viehtrieb. Sie finden sich gehäuft an Orten, an denen der Tierverlust groß und ein professioneller Abdecker nicht vorhanden war (z. B. bei steilen Auf- und Abstiegen mit der Gefahr des Beinbruchs).

  • Einige regionale Besonderheiten - Mängel der Katasterpläne

    Das nördliche Stiftland um Waldsassen herum gehört zwar zur Oberpfalz, weist aber vergleichsweise weitaus weniger Flurnamen auf, die auf die historische Rinderzucht und den Viehtrieb hindeuten. Hier dominierte unter der Ägide des Zisterzienserstiftes Waldsassen neben der Zeidlerei (Waldimkerei)  die extensive Fischzucht, vor allem in der Teichlandschaft um Tirschenreuth herum, welche früher noch viel umfangreicher war als heute.

    Auch im Bereich des ehemaligen Rudmarsgaues, also in etwa auf der Jura-Hochebene zwischen Heideck, Thalmässing und Eichstätt, sind verhältnismäßig wenig vieh-spezifische Flurnamen in Urkataster nachzuweisen. Selbst wenn hier die Schafweide und Schafzucht dominierten, hat die Lückenhaftigkeit, wie bereits erwähnt, weniger sachliche Gründe, sondern sie ist ganz einfach dem Umstand geschuldet, dass hier der Katasterplan generell mit auffallend wenigen Flurnamen ausgestattet wurde.

    Wegen derselben Nachlässigkeit der Katasterzeichner in Bezug auf die Flurnamen ist übrigens auch zwischen der Donau und dem Voralpenland kaum ein repräsentativer Querschnitt des Viehtrieb-Geschehens zu erstellen. Außerdem wurden hier über weitere Strecken auch öffentliche Straßen für den Viehtrieb genutzt. Die veröffentlichten "Oxenwege" sind also in gewissen Gegenden mehr oder weniger moderne Spekulation.

  • Die Viehzucht im Bayerischen Wald

    Waldweide im bayerischen Wald.
    Ein Glücksfall ist es, dass die Katasterpläne der Oberpfalz und des Bayerischen Waldes in Bezug auf die Flurnamen zum allergrößten Teil viel sorgfältiger ausgearbeitet wurden. Ein grandioser Fund waren für uns die in ihrer Ausdehnung und Zahl so nicht erwarteten Ochsen- und Rinderzucht-Zentren des Hinteren Bayerischen Waldes, in den Waldbergen um Bodenmais, Drachselsried, Zwiesel und Bischofsmais. Hier reiht sich "Ochsenberg" an "Ochsenberg", "Kuhberg" an "Kuhberg" und Ochsen- und Kuhberge liegen häufig paarweise beisammen. Daneben findet man auch "Kälberweiden" und "Stierwiesen" o. ä. Im Bayerischen Wald wurden also extensiv Kühe und Ochsen, mitunter auch Stiere und Kälber gezüchtet. Nach Geschlechtern, Alter und Verwendungszweck getrennt, wurden sie in Form der Waldweide aufgezogen und im Wald auch zum Schlachtgewicht gemästet. Selbst die vegetationsarmen Schachten auf den allerhöchsten Kammlagen zwischen dem Großen Falkenstein (1312 m) und der Großen Rachel (1452) wurden den Flurnamen nach als Almweiden und Triftwege von und nach Böhmen in dieses weitläufige System einbezogen, wohingegen wir den durch Quellen referierten Almbetrieb auf den Arber-Schachten in über 1000 Meter Höhe flurnamenmäßig nicht nachweisen konnten und deshalb auf eine Erfassung in der Karte verzichteten.

    Die Waldweide der Rinder war im Bayerischen Wald wie andernorts in Deutschland streng reguliert. Hier zum Vergleich der Entwurf eines Forstgesetzes für den Schwarzwald, aus der Zeit um 1830:

    Anlage zu J. P. Bronner: Der Verbesserung des Weinbaus..., Heidelberg 1830, (Umbruch geändert)

  • Voraussetzungen zur Waldweide im Bayerischen Wald

    Es bedurfte auf jeden Fall weitläufiger Waldbestände und einer hohen Regenerationsfähigkeit des Waldes, um die erwerbsmäßige Waldweide überhaupt im größeren Umfang durchführen zu können, denn der prinzipielle Schaden, den das Vieh durch Abfressen des natürlichen Auf- und Unterwuchses im Wald anrichtete, war an sich nicht unerheblich.
    Waldstall und Stallhäusl auf einem Ochsenberg bei Grafling.
    Deshalb wurden dem Vieh auch immer nur bestimmte Abschnitte der bewaldeten Zuchtberge zur Weide freigegeben, während sich andere, hinter Gattern und Zäunen geschützt, erst wieder vegetativ erholen mussten. Während der Waldbeweidung, die auch durch ausgedehnte Laubwald- und Wildobstbaumbestände mit ihren Früchten (Eicheln, Bucheckern etc.) begünstigt wurden, waren in jedem Fall ständig Viehhirten bei den Tieren, die diese beaufsichtigten, durch den Wald leiteten und bedarfsweise auch in eigenen Waldställen unterbrachten. Nicht selten wurde ein solcher Stall namensgebend für den ganzen Berg oder sogar für einen später entstandenen Ort (z. B. Stallwang). Als konkrete Struktur haben wir allerdings im Urkataster nur an ganz wenigen Stellen ein "Stierhäusl" oder einen Waldstall gefunden - ein Indiz dafür, dass die allermeisten von ihnen den Zeichnern des Urkatasters lagemäßig unbekannt waren.

  • Waldweide im Oberpfälzer Wald

    Neben dem Bayerischen Wald fanden sich auch für den Oberpfälzer Wald viele Hinweise auf ein örtliche Ochsen- und Kuhzucht im Wald - wenngleich in weitaus geringerem Umfang. Es scheint so, als habe hier der Durch- und Weitertrieb von Vieh von und nach Böhmen das Geschäft dominiert. Daher hier die vielen Trath- und Trift-Stellen, z. T. in hoher Dichte.

  • Die Viehtrieb-Achsen im Bayerischen Wald

    Anhand der erarbeiteten Karte ist unschwer zu erkennen, dass die Viehtriebsachsen des Bayerischen Waldes entlang den Tälern und Höhenzügen, also grob in Ost-West-Richtung zu den Städten Regensburg und Nürnberg verliefen, und weitaus weniger in Nord-Süd-Richtung von den Höhen des Waldgebirges hinab ins Donautal verliefen (mit gewissen Ausnahmen vor Straubing und Deggendorf - Orten, von denen wir wissen, dass dort auch mit Großvieh gehandelt wurde). Wenn man den Flurnamen folgt, so blieb z. B. die Bischofsstadt Passau, deren Bedarf an Rindfleisch sicherlich nicht gering war, ganz außen vor. Dies hatte seinen triftigen Grund: Die Donau stellte auf der Höhe von Passau für lebendes Schlachtvieh in größerer Menge offensichtlich ein unüberwindliches Hindernis dar, und ein Transport per Schiff oder Floß unter vielfacher Aufteilung der Herden war vermutlich nicht rentabel genug. Passau muss also vornehmlich von Süden her versorgt worden sein.

    Es bleibt zu ergänzen, dass vom österreichischen Waldviertel und dem Klafferwald her auch Ungarn-Ochsen in erheblichem Umgang durch den Bayerischen Wald getrieben wurden, wie Mautlisten belegen. Vielleicht kauften sich die dortigen Ochsenbayern auch gezielt in Ungarn zugunsten der eigenen Zucht ein. Diese Aktivitäten haben sich auch im alten Flurnamen "Ungarsteig" niedergeschlagen, der sich hart an der österreichischen Grenze bei Breitenberg erhalten hat.

  • Die Überquerung von Flüssen

    H.-H. Vangerow suggeriert in einem größeren Artikel zum Trieb von Ungarnochsen über die Mautstelle Niederpöring an der Isar, die ungarischen Ochsenherden hätten große Flüsse wie im vorliegenden Fall die Isar mittels Brücken überwunden. Dies war sicherlich nur in Ausnahmefällen und gegen Ende der Viehtriebzeit der Fall. In der Regel wird man die empfindlichen Holzbauwerke nach Kräften geschont haben, "nach deme die Oxen [sie] ser zerdreten" (Zitat aus Vangerow, a. a. O., S. 120). Zu Beginn des überregionalen Viehtriebs im 13./14. Jahrhundert gab es viele Brücken noch gar nicht, und es ist auch die nächsten Jahrhunderte kaum denkbar, dass Aberttausende Rinderhufe pro Jahr die Gelegenheit bekommen hätten, die Planken der existierenden Brücken zu demolieren, wenn es sich vermeiden ließ!

    Vielmehr galt für lange Zeit die Grundregel: Wenn größere Kontingente von Herden an einen Fluss anlangten und die Wasserverhältnisse es erlaubten, dann überwanden die Rinder den Fluss schwimmend und watend! Den Tieren fiel dies grundsätzlich nicht schwer, da sie nach langem, anstrengendem Marsch als erstes die Uferzonen zum Saufen anstrebten und von Natur aus sehr gute Schwimmer waren. Voraussetzung zum Übersetzen war allerdings ein breites und flaches Flussbett mit vielen Zwischeninseln zum Rasten. Sämtliche Flüsse, die wir überprüften, von der Altmühl und Naab über die Isar bis zur Donau und den Inn, wiesen an den Übertrittstellen diese besagten Eigenschaften auf, nicht jedoch die Donau bei Regensburg oder Passau, wo sie bei entsprechender Tiefe schnell vorüberfließt.

  • Der Inn-Übergang

    Churbayerisches Regierungs=Blatt 1824, S. 225f.
    Das größte Flusshindernis der ungarischen Grauochsen auf ihrem langen Zug nach Westen war der Inn. Südlich von Schärding floss der Gebirgsstrom in gehöriger Breite dahin, im Gegensatz zu heute mit vielen Zwischeninseln. Im Sommer, wenn das Schmelzwasser der Alpen längst abgeflossen war, erreichte der Inn einen solchen Niedrigstand, das er von den Ochsen schwimmend und watend überwunden werden konnte. Prompt haben wir - als Nebenprodukt unserer interaktiven Karte - auf beiden Seiten des Flusses südlich von Schärding Flurnamen nachweisen können, die auf den ehemaligen Viehtrieb durch den Inn hinweisen.

    Nicht weit entfernt davon wurde auf bayerischer Seite in dem kleinen Dörflein Riedenburg ein Passauisches, später kurbayerisches Mautamt zum Einkassieren der Viehzölle errichtet. Das Buch "Der Europäische Oxenweg damals und heute" verlegt dieses Mautamt nach Riedenburg an der Altmühl. Wir halten dies für äußerst unwahrscheinlich - zum einem deshalb, weil diese These im zitierten Übersichtsaufsatz von Wilhelm Lienhart gar nicht zu finden ist, sondern in einer Arbeit von H.-H. Vangerow aus dem Jahr 1986, zum anderen aus der Tatsache heraus, dass über das Altmühltal keine ungarischen Ochsenherden getrieben wurden, da schon die Donau bei Regensburg, erst recht aber bei Kelheim ein unüberwindliches Hindernis für den Herdentrieb darstellte, und in Riedenburg an der Altmühl über Jahrhunderte zwar ein wittelsbachisches Pflegamt und Pfleggericht, aber keine Grenzsituation und erst recht kein Mautamt bestand.

  • Die einzig gangbaren Donaufurten in Bayern

    Was die Donau betrifft, so war auch ein Durchtrieb der Herden durch Regensburg und eine Überquerung der Donau via "Steinerne Brücke" keine Option, da man hierbei mit den Tieren die Innenstadt hätte direkt passieren müssen, was aus seuchenhygienischen Gründen ausgeschlossen ist. Die nördliche Viehsammelstätte vor den Toren der Stadt lag übrigens auf den Winzerer Höhen; welcher Viehtrieb sie erreichte, werden wir noch besprechen.

    An dieser Stelle ist uns der Hinweis wichtig, dass die einzigen bayerischen Donaufurten, die von den Tieren schwimmend und watend überwunden werden konnten, zwischen Ingolstadt und Pförring lagen.
    Hermann Sattler: Ochsen am Wasser, Öl auf Leinwand, um 1910.
    Der Sage nach hat hier schon das Heer der Nibelungen auf nämliche Weise den Fluss überwunden, zu Pferd und per pedes - exakt an der Stelle, wo unzählige Flussarme und dazwischenliegende Treibsandinseln, hier "Schütt" genannt, den direkten Übergang eben ermöglichten. Schon bei Pförring war die Strömung wieder so schnell, dass nur noch der Schiffstransport in Frage kam. Auch dies gibt die Nibelungensage wieder. Ihr namentlich unbekannter Autor, der auch die Ettinger Quelle beschrieb, muss exzellente Ortskenntnisse besessen haben.

    Die Furten bei Großmehring und Meiling waren also für die Rinderherden flussabwärts die letzte und flussaufwärts die erste Möglichkeit, ohne weitere Hilfsmittel über die Donau zu gelangen. Prompt fanden wir an entsprechender Stelle ehemalige Inseln, die nach der Donauregulierung verlandet sind, aber noch heute bezeichnende Namen wie "Ochsenschütt" oder "Kälberschütt" tragen. Wenn ein Großteil der Ochsen des bayerischen Oberlandes aus Ungarn kam, so hat hier ein Teil die Donau überquert, um den Weg in die Absatzmärkte von Ingolstadt und Nürnberg sowie einige Main- und Rheinstädte (z. B. Aschaffenburg, Bingen) zu suchen. Wir legen besonderen Wert auf diese Feststellung, da die Oxenweg-Literatur diese Option nicht nennt.

  • Der Viehtrieb und Viehhandel der Juden

    Der jüdische Viehhändler David Schönfärber mit Kuh beim Bauern Johann Betz in Aub, 1926, aus www.rothenburg-unterm-hakenkreuz.de
    An dieser Stelle kommt nun der jüdisch organisierte Viehtrieb zum Tragen. Man muss vorausschicken, dass die Landjuden aufgrund ihrer häufigen Vertreibungsituation, ihres unsteten Lebens, ihrer Tätigkeit als wandernde Händler und ihrer vielfältigen und engen Kontakte zu anderen Judengemeinden grundsätzlich dazu prädestiniert waren, nicht nur einen regionalen, sondern auch einen überregionalen Viehtrieb zu organisieren und ihn ggf. auch zu finanzieren. Zu einem größeren Viehtrieb gehörte im Rahmen der logistischen Vorbereitung sicherlich auch eine ausdehnte Reisetätigkeit, die dieser Volksgruppe entgegen kam.

    Die Zahl der in Frage kommenden Juden in den einzelnen Orten Altbayerns war allerdings über lange Zeiträume zu gering, als dass sie den Viehtrieb selbst durchführten. Dazu wurden in der Regel kundige "Ochsenkapitäne" bestellt und Treibermannschaften angemietet, die ggf.  unterwegs auch mehrfach wechselten, meist an den Ländergrenzen. Das Wort "Weitertrieb" beschreibt diese etappenweise Organisation des Viehtriebs; es ist noch im 19. Jahrhundert ein feststehender Begriff. Was die ungarischen Ochsen anbelangt, so ist z. B. überliefert, das sich sogar ungarische Viehhirten, die Haiducken, welche die Tiere aufgezogen hatten, daran beteiligten. Selbst der eine oder andere ungarische Zigeuner wird mit seiner Familie in dem unsteten und eher niederen Beruf tätig gewesen sein; wir stießen bei den Flurnamen vereinzelt auf entsprechende Hinweise, haben dies aber nicht in der Karte vermerkt.

    Dass der lokale und regionale Viehhandel in Deutschland bis zur Zeit des Dritten Reichs zum größten Teil in jüdischer Hand war, ist aufgrund der Quellenlage unbestritten. Nach Arthur Prinz (Juden im Deutschen Wirtschaftsleben, Soziale und wirtschaftliche Struktur im Wandel, Tübingen 1984) wurden noch im Jahr 1917 in Deutschland 25000 jüdische Viehhändler in Deutschland gezählt; das waren über 60 Prozent aller im Viehhandel Tätigen; dabei war nahezu jeder dritte Handelsjude ein Viehhändler. Für Süddeutschland ist sogar von fast 80 Prozent die Rede. Arbeiten aus Franken, das aus historischen Gründen einst eine ungleich höhere Dichte an Judengemeinden aufwies als Altbayern, geben sehr anschaulich wieder, wie man sich die örtliche Organisation des Viehhandels durch die Juden, aber auch ihre Verdrängung durch die Nationalsozialisten, vorzustellen hat. Spätestens nach den Untersuchungen von Barbara Rösch, die sich ebenfalls dazu ausführlich äußerte, ergibt sich also nicht mehr die Frage, ob die Juden wirklich am Viehtrieb und Viehhandel beteiligt waren, sondern nur noch, in welcher regionalen Verteilung. Regensburg war z. B., selbst wenn es nach H.-H. Vangerow am Handel mit Ungarnochsen beteiligt war, nie eine Metropole des jüdischen Viehhandels, zumal schon 1519 sämtliche Juden aus der Stadt vertrieben, ihr Viertel und ihre Synagoge zerstört worden waren. An der Wende zum 20. Jahrhundert gab es in der dortigen, zu Anfang des 19. Jahrhunderts neu gegründeten Gemeinde nach M. Brenner (Die Juden in der Oberpfalz, Oldenbourg 2008) unter den 64 jüdischen Geschäftsleuten nur 3 Viehhändler.

  • Die Juden und der Ochsenweg südlich der Donau

    Weder C. Dalhede, die den Viehhandel von Augsburg untersuchte, noch H. H. Vangerow, der den österreichisch-niederbayerischen Viehtrieb über das Mautamt Linz unter die Lupe nahm, haben sich mit der religiös-ethnischen Zugehörigkeit der Viehhändler und der Abnehmer an den Zielorten beschäftigt. Wir konnten allerdings den Eigennamen der von ihnen veröffentlichten Handelslisten, Mautrechungen und Schlachtprotokolle entnehmen, das unter den österreichischen und ungarischen Viehhändlern und auch unter den Metzgern etliche mosaischen Glaubens waren. Man liest hier u. a. Vornamen wie Isaak, Abraham, Jakob, Missaruch u. v. a.. Die jüdischen Schächtmetzger waren aufgrund ihrer besonderen Hygienevorschriften auch bei christlichen Kunden sehr beliebt und erfreuten sich guter Umsätze.

    Ochsenmarkt um 1750.

    Der Schluss, dass der gesamte Ochsentrieb nach Ungarn südlich der Donau in jüdischer Hand war, erscheint uns indes als Trugschluss. Zum einen war seit der Vertreibung der Juden aus Altbayern im Rahmen der antisemitischen Politik Herzog Albrechts V. (1528-1579) deren Zahl südlich der Donau über lange Zeit dezimiert und die Kontakte untereinander erschwert, so dass allein deshalb eine Übernahme des Fernhandels im Kernland des Kurfürstentums als nahezu ausgeschlossen erscheint.

    Für diese Sicht der Dinge fanden sich aber auch bei der topographischen Analyse der nördlichsten Ochsenroute über Abensberg und Langquaid im Urkataster triftige Argumente: Hier verlief einst ganz offensichtlich der Ochsentrieb über weite Strecken auf der offiziellen, von West nach Ost bis nach Straubing (Mautamt) verlaufenden Ortsverbindungstraße, die keineswegs dem Viehtrieb allein reserviert war, sondern auch dem sonstigen Überlandverkehr diente. Im Urkataster trägt diese viel begangene Route an diversen Abschnitten den eindeutigen Namen "Ochsenstraße", so dass an ihrer Verwendung für den Viehtrieb kein Zweifel besteht. Auch für das Fürstentum Pfalz-Sulzbach ist laut einer Urkunde im Staatsarchiv Amberg (Fürstentum Pfalz-Sulzbach, Jüngere Hofkammer, Akten 2867) für die Zeit zwischen 1784 und 1787 dokumentiert, dass der Viehtrieb nach Nürnberg unter entsprechender Reglementierung öffentliche Land- und Handelsstraßen einbeziehen konnte.

    Wenn Juden den Trieb über solch öffentliche Straßen organisiert hätten, so wäre dies ganz entgegen ihren bei Barbara Rösch so trefflich beschriebenen Gewohnheiten gewesen. Die Kommerzial- und Ortsverbindungsstraßen bargen nämlich für die Juden nicht nur Anlass zu Konflikten mit Obrigkeit und Bevölkerung, sondern es wäre in den Ortschaften für die Juden neben dem Wegzoll, der Vieh- und der Wassersteuer auch noch eine Kopfsteuer, je nach Land und Region auch Leibzoll oder Personalmaut genannt, fällig gewesen! Im 18. Jahrhundert waren derart diskriminierende Zusatz-Steuern für die Juden in Zentraleuropa weit verbreitet, wie folgender Erlass belegt!  Dass die Juden dem etwas entgegenzusetzen versuchten, ist gut verständlich.

    Auszug aus: General-Anordnung, wie es in dem Königreich Böheimb mit denen privat-Mauthe gehalten werden solle, vom 1736.

    Notabene: Wegen der Steuerlast und sonstigen Anfeindungen mieden die Juden über viele Jahrhunderte gerade in Altbayern den Tiertrieb durch Ortschaften und gingen - von den Bauern geduldet - ihre verschwiegenen, meist abseits der Ansiedlungen gelegenen Wege.

  • Der Viehtrieb der Sulzbürger Juden von der Donau in Richtung Neumarkt

    Der Sulzbürger Viehhändler Siegfried Neustädter (?) vor dem Bahnhof in Freystadt. Der Name bliebt unklar, da wir für die betreffende Zeit in Sulzbürg den männlichen Vornamen "Siegfried" nur in den jüdischen Familien Regensburger und Feuchtwanger gefunden haben. Undatierte Aufnahme aus J. Sigl, L. Dengel, A. Galler: Mühlhausen, 2000.
    Uns interessierte nun besonders das Engagement der Sulzbürger/Neumarkter Juden. Ihre Gemeinde hatte sich nach dem 30-jährigen Krieg gut entwickelt, wenngleich die Mitglieder nicht weniger als anderswo diskriminiert waren, weithin gut sichtbare "Judenzeichen" tragen mussten und zur Zahlung von Schutzgeldpauschalen und selbstredend auch zum Leibzoll verpflichtet waren.

    Dass die Juden von Sulzbürg noch im 19. Jahrhundert zum großen Teil Viehhändler waren, wurde bereits eingangs berichtet. Besonders erwähnenswert sind hier die Familien Regensburger und Neustädter. Interessanterweise findet sich in den Geburts- matrikeln der Sulzbürger Judengemeinde von 1824 bis 1930, die H.-G. Hirn 2012 veröffentlicht hat, in den ersten Jahren die väterliche Berufsbezeichnung "Viehhändler" noch in hoher Zahl, ab ca. 1830 aber nur noch sporadisch und ab 1832 gar nicht mehr - von da an ersetzt durch den viel unverbindlicheren Titel "Handelsmann". Die Gründe für dieses Versteckspiel in einem amtlichen Geburtsregister sind vorderhand unklar, wahrscheinlich hat dies aber mit dem wieder erstarkenden Antisemitismus im Königreich Bayern (wie auch im Rest von Deutschland) zu tun. So wurde z. B. 1845 im nahen Thalmässing die Ritualmord-Legende erneut aus der Mottenkiste geholt und damit nach Kräften Ressentiments gegen die Juden geschürt.

    Bis dato liegt uns auch keine Schriftinformationen darüber vor, ob sich die Sulzbürger Viehhändler am überregionalen oder gar internationalen Viehtrieb beteiligten, und - wenn ja - auf welchen Etappen.

    Bezüglich der topographischen Schwerpunkte des Sulzbürger Viehhandels erlaubt nun unsere zusätzliche Auswertung von Flurnamen, die auf das Judentum verweisen, interessante Rückschlüsse:

    Nördlich der Donau finden sich nicht die für die Juden typischen, eher abseitigen Handelswege, sondern im speziellen Fall der Sulzbürger/Neumarkter Juden auch die Identität von Judenwegen und Viehtriebstrassen, in einem Fall direkt von der Donau her!

    Die Spuren der Juden im Köschinger Forst. Zu einer stark vergrößerten Gesamtdarstellung des Judenwegs im Köschinger Forst bitte auf das Bild klicken (ca. 11 MB, längerer Download!)
    Wenn man von den Donaufurten bei Großmehring eine direkte Linie nach Norden zieht, trifft man im Bereich des Köschinger Forstes sowie nördlich davon auf eine Trasse, die parallel der Verbindungsstraße Ingolstadt-Denkendorf und in einiger Distanz zu dieser verläuft und juden- und viehtrieb-spezifische Flurnamen gleichzeitig aufweist. Nördlich des Köschinger Forstes ist für diese Trasse ist neben dem Kühtrieb durch den Flurnamen "Ochsenstraße" weitgehend gesichert, dass hier auch ungarische Grauochsen, nachdem sie die Donau überwunden hatten, nach Norden getrieben wurden. Da diese Route zunächst in Richtung Sulzbürg und Neumarkt zieht,  bleibt nur der Schluss, dass die Sulzbürger Juden  mit hoher Wahrscheinlichkeit den ungarischen Ochsentrieb nördlich der Donau unter ihre Fittiche genommen hatten!

    Da der Durchtrieb der Rinder durch den Köschinger Forst wegen dessen Weitläufigkeit kaum an einem Tag zu bewältigen war, prompt findet man dort an entsprechenden Stelle auch ausgewiesene Ruheplätze für das Vieh, konkret eine sogenannte "Judenwiese" und einen "Judenschlag" zum Lagern und Weiden der Tiere.

    Für den Ochsentrieb gibt es einen Quellenbeweis:

    Zur Zeit des Österreichischen Erbfolgekriegs (1740-1748), genau am 9. Januar 1745, wurde ein Herde von 200 ungarischen Ochsen, die für die nördliche Oberpfalz bestimmt waren, auf dieser Route durchgetrieben, aber von Hohenzollerischen Dragonern aufgebracht und zusammen mit 18000 Gulden und zwei Wägen voll Schweinespeck beschlagnahmt und entführt. Diese Nachricht aus Kelheim belegt also konkret den Durchtrieb von ungarischen Ochsen auf der Strecke von Ingolstadt nach Neumarkt.

    Etwas weiter östlich dieser Route verlief im Köschinger Forst eine weitere Waldtrasse, die auf der Höhe von Bettbrunn einen sog. "Kälberstall" passierte - für die gesonderte Hut von Kälbern mitten im Wald. Diese Waldweide lag in etwa an der Stelle, wo heute mitten im Köschinger Forst der Wittelsbacher Ausgleichfond das "Köschinger Waldhaus" betreibt, ein beliebtes Speiselokal für Wildspezialitäten. Mit dem Juden und deren Ungarngeschäft kann die Aufzucht von Kälbern allerdings nun bedingt zu tun gehabt haben. Uns ist nicht bekannt, dass auch Kälber die lange Reise von Ungarn nach Bayern angetreten hätten, außerdem lag die von den Juden benutzte Haupttrasse im Köschinger Forst etwas weiter westlich. Im Nordosten des Waldes befand sich ein Berg für die Zwischenmast von Ochsen, der sogenannte "Öchselberg". Nördlich des Köschinger Forstes haben sich die am Dörflein Zandt vorbeiziehenden Juden und Viehtreiber wohl mit dem Notwendigsten versehen, so dass sich entlang eines Hohlweges nach und nach eine auffallend lineare Straßensiedlung entwickelte, die auf entsprechende Handelsaktivitäten hindeutet. Diese Ansiedlung "Am Graben" hat bislang der Heimatforschung einige Rätsel bezüglich ihrer Entstehung aufgegeben, da sie sich neben dem eigentlichen Dorf entwickelte. Durch den Viehtrieb der Juden, dem das Meiden des Ortskerns zwingend auferlegt war, ist sie plausibel erklärt. Nicht weit davon ließ sich übrigens auch ein Abdecker nieder (siehe Bild oben, in Vergrößerung).

    In der weiteren Verlängerung steuerte dieser alte Handels- und Viehtriebweg, der auch einige Abzweigungen aufweist, die Altmühlfurten bei Kottingwörth und den Zwischenposten Töging an, wo bereits lange vor dem 30-jährigen Krieg eine Judengemeinde mit Synagoge bestand, die sich im 17. Jahrhundert nochmals wiederbelebte. Ihre Platzierung an dieser Schlüsselstelle, wo der Viehtrieb eine wichtige Heer- und Handelsstraße kreuzte, könnte u. E. ebenfalls mit dem Viehtrieb zu tun haben! Der hinter Töging liegende Tafelberg, auf den das Vieh zur Zwischenweide hinaufgetrieben wurde, trägt nicht ohne Grund den Namen "Arzberg". In ihm steckt das alte Wort "atzen", ein Synonym für "füttern, nähren, weiden".

    Von Töging zog der Weg unter Meidung von Dietfurt hinauf auf die Jurahöhe bei Mallerstetten, wo er ebenfalls als "Judenweg" gesichert ist, von dort weiter in nordwestlicher Richtung bis nach Ernersdorf und Rappersdorf knapp an der alten Landesgrenze, ehe er die jüdische Gemeinde in der Grafschaft Sulzbürg erreichte, sozusagen das Viehhandelszentrum, von dem bereits die Rede war. Auffallenderweise mied diese Viehtriebs- und Handelsroute der Juden alle urbanen Ansiedlungen in den Tälern, hielt sich gern an bewaldete Abschnitte und verlief im Übrigen hart an der Grenze zwischen dem Hochstift Eichstätt und Kurbayern, wobei der Weg einmal auf der einen, dann wieder auf der anderen Seite der Grenze nachzuweisen ist. Diese Streckenführung ist kein Zufall, sondern erklärt sich wiederum durch die Tatsache, dass sich die Juden in der dünn besiedelten Grenzzone sicherer fühlten als im jeweiligen Binnenland; nebenbei ist damit nachgewiesen, dass sich hier der jüdische Viehtrieb schon vor Gründung des Königreichs Bayern, das 1806 die Grenze aufhob, entwickelt haben musste, was aber auch aus historischen Gründen anzunehmen ist.

  • Sulzbürger Juden am Viehmarkt in Berching?

    Dennoch muss der jüdische Viehtrieb auch in das hochstiftische Berching hinuntergeführt haben, selbst wenn uns darüber aktuell keine schriftlichen Nachweise vorliegen.

    Neben dem weithin bekannten "Berchinger Rossmarkt", der 1678 indirekt und 1722 direkt schriftlich ersterwähnt ist, hat in Berching auch der alle 2 Wochen abgehaltene "Viehmarkt" eine Jahrhunderte alte Tradition. Er wurde früher, wie nicht anders üblich, vor den Toren der Stadt abgehalten, wie das folgende Gemälde von Karl Stuhlmüller zeigt. Erst ab 1786 scheint er auf Beschluss des Berchinger Magistrats auf den heutigen Reichenau-Platz verlagert worden zu sein, der damals den Namen "Viehmarkt" erhielt. Aus dem Jahr 1885 liegt uns darüber eine ausführliche Verordnung der Stadt Berching vor, die dafür sorgte, dass jedes Stück Großvieh erst einmal amtstierärztlich untersucht wurde, ehe es zum Handel ind er Stadt aufgetrieben werden durfte.

    Karl Stuhlmüller (1851-1930), Öl auf Leinwand, Viehmarkt - noch vor den Toren Berchings.

    Unser eigenes Anwesen in Berching, ein barockes Bürgerhaus mit dem alten Hausnamen "Reitermetzger-Haus", verbindet damit eine Haustradition: Bis ins 20. Jahrhundert hinein sollen in diesem Gasthaus die berittenen Viehhändler der Umgebung genächtigt und gespeist haben.

  • Weitere Sulzbürger Viehtriebe

    Nach und nach konnten wir vom Ausgangs- und Zielort Sulzbürg drei weitere Viehtriebwege identifizieren. Der eine verlief in Richtung Südosten an Hemau und dem Pfalz-Neunburgischen Territorium vorbei bis zu den Winzerer Höhen vor den Toren Regensburgs, wo das Treibvieh auf einem eigens dafür vorgesehenen "Kühbuckel" versammelt wurde, der andere über Kinding in Richtung Eichstätt, der dritte über Freystadt auf mehreren Bahnen in Richtung Nürnberg. Der Eichstätter Weg nutzte zum Aufstieg auf die Jurahöhe zunächst die sog. "Viehtrift" bei Erasbach, eine Waldschneise, deren relativer Minderwuchs noch heute auf die Bodenverdichtung von einst hinweist, verursacht durch die große Menge an hochgetriebenen Rindern. Der bescheidene dörfliche Viehtrieb von Erasbach gibt hierfür jedenfalls keine plausible Erklärung ab. Kurz vor Kinding, in der Nähe des Dorfes Haunstetten, befand sich eine für die Zwischenmästung und Sammlung der Rinder geeignete große Waldflur, die noch heute den Namen "Judenhut" trägt. Dies hat nicht mit der jüdischen Kopfbedeckung zu tun, sondern mit dem Hüten von Tieren! Mit dieser Bezeichnung ist unzweideutig die Verbindung der Sulzbürger Juden mit dem Viehhandel und Viehtrieb belegt!

  • Der Weitertrieb von Neumarkt nach Nürnberg und Amberg

    Sulzbürg und sein Judenfriedhof.
    Wenn man den Umstand einbezieht, dass die Sulzbürger und Neumarkter Juden seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bis in die Neuzeit hinein eine gemeinsame Geschichte und ein geteiltes Schicksal aufwiesen, und dabei ihre allzeit engen Kontakte bedenkt, dann ist es auch erlaubt, beide in kommerzieller Hinsicht als agierende Einheit anzusehen. Dies schlägt sich nun auch in dem "Judenweg" zwischen den beiden Orten nieder, der allerdings weniger als Triebweg für Rinder diente, sondern den Juden, die sich im 14. Jahrhundert von Neumarkt in den Schutz der freien Reichsgrafschaft Sulzbürg zurückgezogen hatten, es ermöglichte, zu einer Zeit, als sie tagsüber zu den Märkten nach Neumarkt wieder zugelassen waren, in einer Tagestour zwischen beiden Orten hin und her zu wechseln. Dieser Weg ist zwar heute mit der von uns präferierten Methode kaum exakt zu definieren, weil die Flurnamen hier eigenartigerweise versagen, der Weg ist aber durch die mündliche Tradition der angenzenden Ortschaften so verbürgt, dass er noch heute ganz bewusst als beliebter historischer Wanderweg in Ehren und Erinnerung gehalten wird.

    Unter der Prämisse der Einheit kann man zwanglos zwei weitere Viehtriebsrouten, die bei Neumarkt oder Pölling ihren Ausgangspunkt nahmen, in den Zusammenhang mit den Sulzbürger Viehhändlern stellen. Die eine davon verlief in doppelter Trasse zum großen Absatzzentrum Nürnberg mit seinem enormen Fleischbedarf, die andere nach Amberg zur nördlichen Regierungshauptstadt Kurbayerns, in der allerdings die Juden wegen entsprechender Ressentiments über Jahrhunderte auf eine größere Gemeinde verzichten mussten. Jedenfalls findet man auf beiden Routen in gleicher Weise wie zuvor Flurnamen, die Judenweg und Viehweg sozusagen auf ein- und dieselbe Bahn verlegen.

  • Die Multifunktionalität der Sulzbürger Judenwege

    Selbstredend wurden über alle Sulzbürger Judenwege, die in obiger Karte orange markiert sind, nicht nur Vieh transportiert, sondern auch andere Handelswaren, wobei zumindest beim Schwerlastverkehr wiederum Ochsen als Zugtiere der Karren und Fuhrwerke gedient haben könnten. Am speziellen Beispiel des Köschinger Forstes haben wir die Handelaktivitäten der Juden per Fuhrwerk mit Hilfe des lasergestützen Bodenprofils durch sogenannte "Gleisharfen" konkret nachweisen können; die Räder gruben sich an Auf- und Abstiegen besonders tief in den Waldboden ein, die Rillen blieben dadurch als Bodenmerkmale erhalten.

    Die Sulzbürger Judenwege waren also keineswegs exklusiv dem Viehtrieb reserviert, sondern eben auch allgemeine Handelswege, welche obendrein auch von Nicht-Juden fakultativ benutzt wurden.

  • Judenwege ohne Viehtrieb-Funktion

    Fahrender Händler um 1900.
    Nach diesen neu gewonnenen Einsichten zum Sulzbürger/Neumarkter Viehtrieb interessierte uns in besonderem Maße, ob sich die Juden der relativ großen Gemeinden im ostfränkischen Übergangsland, z. B. in Thalmässing (seit dem 17. Jahrhundert bestehend) und in Georgensgmünd (seit dem 16. Jahrhundert bestehend), gleichermaßen wie die Sulzbürger Juden als Viehhändler und Organisatoren des Viehtriebs betätigten. Dafür fanden sich nun im Urkataster keine Indizien: Zwar ließen sich auch um Thalmässing und Georgensgmünd aufgrund von Flurnamen einige weitläufige Judenwege identifizieren, eine eindeutige Koinzidenz mit einem Viehtriebweg liegt allerdings in keinem Fall vor. Es müssen also schwerpunktmäßig andere Handelsgüter gewesen sein, die auf diesen jüdischen Wegen hin- und herwechselten. Für Georgensgmünd hat der Heimatforscher Gerd Berghofer eine große Liste mit fast 1400 Judennamen aus diversen Quellen und Zeitabschnitten im Internet veröffentlicht, die mit dieser Erkenntnis korreliert: Es finden sich dort gerade 13 Namen von Viehhändlern, also nicht einmal ein Anteil von 1 Prozent!

    Dieselbe Einschränkung gilt auch für Schnaittach mit seiner großen Judengemeinde (etwa ab dem 16. Jahrhundert bestehend), deren Rabbinat die weit entfernt gelegene Gemeinde Sulzbürg über lange Zeit unterstellt war, ehe sie sich 1823 löste, sowie in der nördlichen Oberpfalz für die Judengemeinde in Floss (etwa ab dem 17. Jahrhundert bestehend), desgleichen auch für Einzelorte im Bayerischen Wald und in der Oberpfalz, wo wir "Judenhöfe" (z. B. bei Grafenau und Thyrnau) ausfindig machen konnten. Hier ist wegen der Singularität der Namen weder  eine Beziehung zur Rinderzucht noch zu den Triebrouten herzustellen (wenngleich auch nicht ausgeschlossen).

    Es resultiert am Ende der vorsichtige Rückschluss, dass in den altbayerischen, sozusagen urkatholischen Gebieten, welche von vornherein kaum mit dem Judentum kontaminiert waren, der Fernhandel mit Vieh entgegen anderslautenden Berichten nicht in jüdischer Hand gelegen haben kann, zumindest nicht schwerpunktmäßig. Speziell im Fall von Augsburg wird ein gehöriger Anteil auch auf die Fugger entfallen sein. Dieses Statement bleibt allerdings ein vorläufiges, da zu einer genaueren Einschätzung ein viel größeres Gebiet untersucht werden müsste und auch schriftliches Quellenmaterial einzubeziehen wäre, das uns aktuell nicht zur Verfügung steht.

    Die große Ausnahme auf jeden Fall scheinen die Juden von Sulzbürg/Neumarkt dargestellt haben. Sie hatten sich u. a. auch auf den Handel mit ungarischen Ochsen spezialisiert, beschränkten sich allerdings dabei auf eine Teilroute nördlich der Donau. Ihr sonstiger Viehhandel beschränkte sich wohl auf die süd-westliche Oberpfalz und das ostfränkische Übergangsland. Ein Teil der über die Donau getriebenen Ochsen wird auch direkt nach Ingolstadt gegangen sein. Dort ist schon für das Jahr 1588 ein jüdischer Ochsenhändler (Isaak Diendorfer) dokumentiert.

    Erst nach Veröffentlichung dieses Artikels erreicht uns aus der Gemeinde Sulzbürg selbst die Bestätigung unserer Befunde. Ein älteres Gemeindemitglied bestätigte, dass sein leiblicher Großvater noch persönlich den Viehtrieb der Sulzbürger Juden nach Ingolstadt begleitet habe (geschätzt um 1870)!

    Mit diesen Hinweisen hoffen wir, der Geschichte und Bedeutung der Sulzbürger und Neumarkter Juden, die inzwischen zwar gut erforscht,aber dennoch nur in Fragmenten bekannt ist, einen wichtigen Aspekt, der zuvor so nicht bekannt war, hinzugefügt zu haben.

 

Ausblick

Die Auswertung von alten Flurnamen zur Erforschung des altbayerischen Viehtriebs hat zugegebenermaßen ihre Mängel. So ist z. B. mit ihnen über die zeitlichen Bezüge des Viehtriebs, seine Entstehung und Weiterentwicklung, auch seine Einschränkungen und Behinderungen und seine Abhängigkeit von der jeweiligen politischen Situation keine Aussage möglich. Wir haben in Bezug auf das Netz des Viehtriebs sozusagen nur das topographische Endresultat registrieren können - so, wie es sich zur Mitte des 19. Jahrhunderts darstellte. Zu dieser Zeit befand sich der Viehtrieb in Bayern sicherlich auf seinem quantitativen Höhepunkt, aber schon schickte sich die neu entwickelte Eisenbahn daran, ihm alsbald den endgütigen Garaus zu machen.

Mit Hilfe des königlich-bayerischen Urkatasters war es nun erstmalig möglich, eine zuvor nicht erwartete, geradzu unglaubliche Vielgestaltigkeit des Viehtriebsystems in der Oberpfalz und im Bayerischen Wald aufzuzeigen. Dieses ebenso weitläufige wie engmaschige Netz mit seinen vielen Fäden wurde den natürlichen Gegebenheiten des Geländes zufolge über viele Jahrhunderte von unzähligen Rinderhufen ausgetreten!

Carl R. Huber: Der Ochsentrieb, Öl auf Holz, 1888.
Selbst wenn sich im Lauf der Zeit gewisse Vorzugsrouten herausschälten, an die sich die Viehtreiber nicht zuletzt auch wegen behördlicher Auflagen halten mussten, so war es wegen der Vielzahl an Versorgungsstellen im Land den Viehtreibern prinzipiell möglich, jede beliebige Route in jedweder Himmelrichtung zu gehen und bei Bedarf auch kurzfristig Ausweichrouten zu suchen. Insofern erscheint der Versuch, einen "Europäischen Ochsenweg" an wenigen fixen Routen festzumachen, ein wenig als Kunstgriff, der der historischen Wirklichkeit nicht gerecht wird. Der Weg ist u. E. auch zu monothematisch definiert, da sich dem internationalen Viehtrieb ja vielerorts auch der regionale und überregionale überlagerte, und auf den ausgetretenen Triften auch keineswegs nur Ochsen, sondern bedarfsweise auch Kühe und Kälber, ja selbst Zuchtstiere, trabten.

Angesichts der gefundenen Komplexität des einstigen Viehtrieb- und Viehhandelsnetzes bleibt uns am Ende nur die Pflicht, den Hut zu ziehen vor der Leistung unserer Altvorderen - bei ihrem Versuch, das menschliche Wohlbefinden durch ausreichendes Vorhalten von tierischem Eiweiß selbst in Krisen- und Kriegszeiten zu erhalten. Am Anfang gab den Landleuten hier keine EU-Norm, kein Regierungsbeschuss o. ä. den Weg vor, sondern ganz einfach die Notwendigkeiten des täglichen Lebens und das Gewohnheitsrecht, das sie für sich in Anspruch nahmen. Dass sich später die Landesherren am Viehtrieb bereicherten, steht auf einem anderen Blatt. Wer weiß, wieviele Viehtriebe an widrigen äußeren Umständen scheiterten, wieviele Kriegshandlungen und Naturkatastrophen die Herden dezimierten.

Den unzähligen namenlosen Rindern auf den langen Märschen zur eigenen Schlachtbank, mit dene sie die bayerische Landschaft formten und prägten, aber auch den einfachen, ebenso namenlosen Menschen, die sie dabei unter vielen Gefährdungen über weite Strecken begleiteten, ist diese Arbeit gewidmet! Ihre ungeschriebene Geschichte interessiert mehr als Geburts- und Krönungstage irgendwelcher Monarchen.

 

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