Das Pentagramm in der Renaissance

© Werner Robl

 

Giotto di Bondone: Die Stigmatisation des Heiligen Franz von Assisi (1295)

Der Freskenmaler Giotto de Bondone (1266-1337) gilt als Wegbereiter der italienischen Renaissance und speziell der Fresco-Malerei. Weltberühmt ist sein Freskenzyklus in der Basilika San Francesco in Assisi, darunter auch jene Szene, in der der Heilige Franz von Assisi auf dem Berg La Verna von einem Seraph die Wundmale Christi empfängt.

nach dem Entwurf von Peter Klink

Besonders eindrucksvoll ist bei diesem Motiv der Proto-Renaissance die Tatsache, dass Giotto 3 der 4 Strahlen des Seraph auf den Bezugslinien eines versteckten Pentagramms platziert. Auch der Seraph selbst ist über einem Pentagramm aufgerissen. Von diesen beiden geometischen Grundfiguren und einem Umkreis lassen sich in der Darstellung zahlreiche weitere Bezugspunkte und Fluchten nach den Pentagramm-Regeln ableiten. Der geheimnisumwitterte 72°-Winkel ist auch hier an diversen Stellen nachzuweisen.

 

 

Masaccio (1401-1428): Fresco La Trinitá in Florenz

Das Fresko in der Kirche Santa Maria Novella in Florenz wurde zwischen 1425 und 1428 von Masaccio angefertigt und gilt als das früheste Werk, welches korrekt die von Brunelleschi entdeckte Zentralperspektive angewandt hat. Dass der Meister bei seinem Entwurf nichtsdestotrotz an der Jahrtausende alten Technik des zweidimensionalen Plaunungspentagramms festhielt und auch diese perfekt umsetzte, ist den Kunstgeschichtlern bisher entgangen!

Über dem leidenden Christus am Kreuz ist ein Zentralpentagramm aufgespannt, das sich mit einigen Unterpentagrammen ergänzt. Definiert werden mit deren Achsen nicht nur die Position des Querholzes am Kreuz, sondern auch maßgebliche Teile des Gebäudearchitektur sowie die Gesichter der beistehenden Personen, unabhängig von ihrer räumlichen Staffelung.

Was die Zentralperspektive anbelangt, so erscheint die Mitte des Kreuzessockels mit seiner Blutspur als zentraler Fluchtpunkt, obwohl dieser aus der Froschperspektive heraus weit in den Hintergrund hinein gedacht werden muss. Hinabprojiziert auf dem Sarkophag unten, ergibt sich bei einer Teilkontur zur Linken eine Fehlperspektive, vielleicht einem Gesellen des Meisters geschuldet, der an dieser weniger wichtigen Partie mitarbeitete und noch nicht das nötige Verständnis für die neue, revolutionäre Maltechnik aufbrachte (siehe falsch-parallele Doppelkontur links unten).

 

 

Fra Filippo Lippi (1406-1469): Die Verkündigung Mariae

Der Florentiner Maler Filippo Lippi wurde 1421 als Mönch in den Karmeliterorden aufgenommen und verblieb dort zunächst für 11 Jahre, ehe er, u. a. beeinflusst von Masaccio, eine Karriere als Freskenmaler begann. Sein Altarbild für die Klosterkirche der Suore Murate, um 1450 in beträchtlicher Größe (203 x 186 cm) auf Pappelholz gemalt, trägt den Titel "Die Verkündigung Mariae". Das Gemälde befindet sich heute in der Alten Pinakothek München.

Das Geschehen der Verkündigung vollzieht sich in einer Kulisse der Renaissance-Architektur. Durch die Betonung der doppelten Mauer, die den Garten umschließt, gibt Fra Filippo vermutlich einen Hinweis auf den Klostergarten der Suore Murate, für die er arbeitete, verweist aber zugleich auf den "hortus conclusus" (verschlossenen Garten) des Hohen Liedes, der wie die Lilie Marias die Jungfräulichkeit symbolisiert.

Wie sein Vorbild Masaccio beherrscht Fra Filippo bereits perfekt die Technik der Zentralperspektive, was in den gestaffelten Räumen des Bildes besonders zum Audruck kommt. Nichtsdestotrotz verwendet der Künstler bei der Proportionierung des Bildes wie im Beispiel zuvor die ältere, zweidimensionale Technik des Planungspentagramms, das in diesem Fall mit seinen Linien und Punkten nicht nur die Körperhaltung des Engels zur Linken definiert, sondern auch die Lage einiger Architektur-Teile in der Tiefe des Raums.

 

 

Die Schmiede Hans und Ulrich im Mendel'schen Hausbuch, um 1423 und 1426

Der Handelsmann Konrad Mendel stiftete 1388 in Nürnberg ein kleines Spital für jeweils 12 betagte Nürnberger Handwerker. Seit 1425/26 wurde jeder dieser "Mendelbrüder" mit einem ganzseitigen Portrait in einem Hausbuch dokumentiert, von insgesamt 26 Malern unbekannten Namens. Gegen Ende der reichsstädtischen Zeit Nürnbergs erreichte diese Sammlung der 12-Brüder-Stiftung immerhin den beträchtlichen Umfang von 857 Bildseiten. Darunter befinden 765 ganzseitige Darstellungen verstorbener Insassen - in der Regel dargestellt als vitale Gestalten in Ausübung ihres früheren Handwerks.

Peter Klink hat für uns das Bild eines ehemaligen Berufskollegen analysiert: Hans, der Schmied, war am 3. Juni 1426 in Nürnberg verstorben (vgl. Mendel I, Amb. 317.2°, Folio 47 recto).

Das Bild ist die verbesserte und um einige Details ergänzte Darstellung eines anderen Handwerkerbildes, das ca. 3 Jahre zuvor aus derselben Hand entstanden war: Ulrich, der Schmied, war bereits 1423 oder sogar noch etwas früher verstorben (vgl. Mendel I, Amb. 317.2°, Folio 35a recto).

Es zeigt sich bei der zeitversetzten Darstellung der beiden verstorbenen Schmiedemeister, dass der Anonymus, der mit der bildlichen Darstellung der Lebensbilder betraut war und vielleicht selbst zu den pflegenden Brüdern gehörte, in der Pentagrammtechnik bewandert war, obwohl er sicherlich nicht zu den ganz großen Meistern zählte.

Dieser Umstand belegt besonders originell die Ubiquität der Pentagrammkonstruktion in früheren Zeiten, während heute so gut wie niemand davon weiß.

Es folgt an dieser Stelle die Klink'sche Analyse des Bildes von Hans, dem Schmied, - mit den markanten Konstruktionspunkten. Zur besseren Detailerkennung bitte auf das Bild klicken!

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Die Madonna im Rosenhag von Martin Schongauer (1473)

Der in Colmar im Elsass geborene Martin Schongauer (ca. 1445-1491) war ein Kupferstecher und Maler der deutschen Renaissance. Nur wenig ist über sein Leben bekannt; seine Wanderjahre führten ihn wohl nach Franken und Burgund sowie in die Niederlande.

Das malerisches Hauptwerk Schongauers ist die "Madonna im Rosenhag", ein spätgotisches Altarbild von ca. 250 cm Höhe, das sich heute in der Dominikanerkirche Colmar befindet.

Peter Klink hat das berühmte Gemälde analysiert und anhand einiger konstruktiver Bogensegmente, aber auch aufgrund der Bilddisposition an sich festgestellt, dass der Entwurf zu diesem Gemälde über einem zentralen Planungspentagramm aufgerissen wurde. Die folgenden Zeichnungen zeigen die wesentlichen Komponenten dieser Konstruktion auf.

Da das Bild mit den Pentagrammspitzen nahezu exakt den heutigen Bildausschnitt beschreibt, ist in Frage gestellt, ob größere Seitenpartien je existiert haben, wie kunstgeschichtlich behauptet wird, bzw. ob sie so ausladend ausgefallen sind, wie heute in einer Kopie suggeriert wird, die sich im Gardner Museum in Boston befindet.

Wegen des biographischen Nebels bleibt leider auch unklar, woher Martin Schongauer seine Kenntnis über die antike Konstruktionstechnik bezogen hatte.

 

Skizzen von Peter Klink

Einzeichnung von Peter Klink

 

 

Piero della Francesca (1420-1492) und seine Darstellungen der Mutter Gottes

Piero della Francesca war ein italienischer Maler der Frührenaissance, zugleich auch Kunsttheoretiker und Mathematiker. Sein weltberühmtes Fresco "Madonna del Parto", d. h. "Madonna der Geburt", befindet sich heute in einem kleinen Museum im malerischen Dorf Monterchi, in dessen Friedhofskapelle sich die Darstellung einst fand.

Auch bei Piero della Francesca ist unschwer zu erkennen, dass er sich bei der Disposition seiner hochschwangeren Madonna der pentagonalen Geometrie bedient hat: Die wichtigsten Bezugspunkte des Bildes sind über ein großes Pentagramm definiert, vor allem das Herz Mariens, das in dessen Schwerpunkt liegt, sowie der aufgespannte Vorhang, dessen Ränder mit 3 der 5 Pentagrammspitzen fluchten.

Ähnliches gilt für Pieros berühmtes "Polyptychon mit der Schutzmantelmadonna". Diese Tempera-Malerei auf Holz entstand zwischen 1445 und 1462 und befindet sich heute im Museo Civico des Ortes Sansepolcro in Umbrie, Pieros Geburtsort.

Die Konturen der Zentralfiguren, Christus am Kreuz und darunter in Lebensgröße die Madonna mit ihrem Schutzmantel, sind über eine ganze Reihe von Pentagrammen definiert, von denen aus sich unter Einhaltung der Achsensymmetrie zahlreiche Fluchten und Bezugspunkte bei den Heiligenfiguren auf beiden Seiten ergeben.

Weitere Bildmotive von Piero della Fransca, z. B. sein berühmtes Fresco "Die Auferstehung", weisen ebenfalls die eindeutigen Züge der pentagonalen Geometrie auf.

 

 

Leonardo da Vinci: Der vitruvianische Mensch (1492)

Auch der berühmte Leonardo da Vinci (1452-1519) hat sich der Planungspentagramme bedient.

Gut erkennbar ist das an seiner berühmten Proportionsstudie aus dem Jahr 1492, bei der die Idealfigur eines männlichen Körpers nach den Erkenntnissen des römischen Architekten Vitruv (1. Jhd. n. Chr.) je nach Bein- und Armhaltung in einen Umkreis oder ein Quadrat als Rahmen eingepasst ist.

Über diesen Idealplan ist bereits viel Gelehrtentinte verflossen. Kaum einer der Experten wurde jedoch gewahr, dass sich Leonardo da Vinci (und vielleicht vor ihm auch Vitruv) zusätzlich eines Pentagramms bedient hat, um die Achse der horizontal ausgebreiteten Arme, die Proportionen des behaarten Kopfes und die Position der Achseln festzulegen. Schwerpunkt dieses Pentagramms ist klar der Nabel des Mannes.

Der deutsche Universalgelehrte, Therologe, Jurist, Arzt und Philosoph Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim (1486-1535) griff wenige Jahre nach Leonardo de Vinci das Vitruv'sche Motiv des Idealmenschen in seinem Werk "De occulta philosophia" (von 1510) ebenfalls auf; in seinem Hang zu Magie und Astrologie ging er jedoch keine Umwege und richtete den Menschen in seinem Umkreis, wie das nebenstehende Bild zeigt, direkt nach den Pentagramm-Achsen und den damit assoziierten Gestirnen aus - eine Fundgrube für die Esoteriker späterer Zeit.

Originell war Agrippa von Nettesheim dabei allerdings nicht, den schon im frühen 13. Jahrhundert hatte ein Skriptor unbekannten Namens Hildegard von Bingens Werk "Liber divinorum operum", in dem sie ihre Vision vom Menschen schilderte, in einem Umkreis nach dem Pentagrammprinzip verpackt. Dieses Werk, der sogenannte "Lucca-Codex" entstand um 1220/30 und befindet sich heute in der "Biblioteca Statale de Lucca" - daher der Name.

Bilder aus dem Lucca-Codex.

Nicht nur hier fällt auf, wie weit verbreitet das Planungspentagramm in früheren Zeiten war. Als solches genannt oder gar in der Funktion beschrieben wird es jedoch so gut wie nie!

 

 

Die Geburt der Venus von Sandro Botticelli (ca. 1485)

Der Florentiner Maler Sandro Botticelli (1445-1510) , ein Schüler Fra Filippo Lippis, war bereits 35 Jahre alt, als er seine eigene Künstlerwerkstatt in der Arno-Stadt eröffnete. Nichtsdestotrotz gelang ihm noch eine große Karriere; er tat sich als Portraitmaler der Medici hervor und schuf im Alter auch mehrere großformatige Allegorien, darunter "Die Geburt der Venus". Es handelt sich um eine Tempera-Malerei, die wohlgemerkt nicht die eigentliche Geburt der Liebesgöttin beschreibt, sondern eine nachfolgende Szene, als sie, aus dem Meerschaum geboren und bereits zu voller Schönheit erstrahlt, in einer Muschel an die Gestade treibt. Dies war der erste, lebensgroß gemalte Frauenakt seit der Antike!

Für sein um 1485 entstandenes Gemälde wählte Botticelli eine 172,5 x 278,5 cm große Leinwand im Querformat. Da der geplante Westwind Zephyr mit der Göttin Aura im Arm wegen der Flugposition mehr Platz benötigte als die aufrecht stehende Hore auf der Gegenseite, rückte der Künstler von vornherein die Zentralposition der Venus etwas aus der Bildmitte nach rechts. Ansonsten aber bemühte er sich um strenge Beachtung der Symmetrie und riss dazu ein großes Zentralpentagramm auf, in das er anschließend die Liebesgöttin Venus in ihrer Muschel mit sanfter Schwingung des Körpers hineinkomponierte. Die Hore zu Linken und der Windgott zur Rechten erhielten ihre Position in Nebenpentagrammen, sie sorgten für die Dynamik der Darstellung.

Das folgende Bild zeigt, optisch hervorgehoben, die Lage des zentralen Planungspentagramms. Die Nebenpentagramme erschließen sich bei näherer Betrachtung. Wir haben darauf verzichtet, alle Bezugslinien in den Figuren und im Bildhintergrund, die sich aus den Pentagrammen ergeben, eigens zu kennzeichnen - mit einer Ausnahme, die unter einigen anderen das Konstruktionsprinzip beweist: Der vom Zephir geblasene Luftstrahl erklärt sich mit seiner Achse ausschließlich durch den gegenüberliegenden Innenwinkel des Pentagramms! Alle anderen Bezüge kann sich der Betrachter selbst erschließen.

 

Einige Anmerkungen zur Variabilität der Pentagramme:

Pentagramme sind mächtige Planungshilfen. Nicht vorenthalten wollen wir dem Leser, dass wie bei anderen Künstlern seiner Zeit auch bei Botticelli grundsätzlich verschiedene Positionen des zentralen Pentagramms zum Ansatz kommen können. Es folgen zwei Abbildungen im verkleinerten Maßstab, die dies verdeutlichen. Dargestellt ist hier jeweils nur das Hauptpentagramm, nunmehr mit einem Umkreis. Die gelben Punkte markieren Schnittstellen der Hilfskonstruktion mit markanten Punkten des Gemäldes:

Im Bildbeispiel links definiert der Nabel des Zephir, der rechte Ellenbogen der Venus, der Brustansatz und die Armbinde der Hore den horizontalen Pentagrammschenkel (vier gelbe Punkte in Linie). Die Größe des Pentagramms ergibt sich aus der Kontur der (anatomisch) rechten Schulter und linken Wange der Venus. An den anderen gelben Punkten ergeben sich in der Tat weiter Schnittstellen mit Figuren und Landschaftsmarken, die vom Künstler durchaus intendiert gewesen sein können.

Im Bildbeispiel rechts orientiert sich das Planungspentagramm primär an der Gesichtsachse der Venus und als Schnittpunkt an der Kontur ihres rechten Knies. Wieder ergeben sich zusammen mit dem Umkreis weitere, z. T. sogar sehr interessante Schnittpunkte, z. B. 2 Kontaktstellen von Zephir und Aura, 2 Kanten der Muschel, 3 Körpermarken der Hore und 2 Stellen des Bildhintergrundes.

Wenn wir bei dieser Auswahl dem zuerst abgebildeten Planungspentagramm letztlich den Vorzug gegeben haben, dann vornehmlich aus zwei Gründen:

Aus diesem Grund nehmen wir dieses Pentagrammmuster, so aufwändig und vielgliedrig es mit all seinen Konstruktionslininien und Unterpentagrammen auch erscheinen mag, als den initialen Planungsgrundriss des Gemäldes, sozusagen als die erste Strichzeichnbung, an. Es ist allerdings nicht auszuschließen, ja sogar - auf der Zeitachse gesehen - sehr wahrscheinlich, dass im Lauf des Fortschritts ihrer Malerei die alten Meister das Ausgangspentagramm bezüglich seiner Position verrückt, geschrumpft, gedehnt bzw. sich zusätzlicher Pentagrammschablonen bedient haben, um das Gemälde auch in seinen malerischen Details zu komplettieren und perfekt zu harmonisieren. Dies geschah vermutlich erst zu einem Zeitpunkt, als der ursprüngliche Aufriss längst unter der Farbe verschwunden war!

Verschiedene Pentagramm-Varianten in ein- und demselbem Gemälde sind also kein Widerspruch - und erst recht kein Ausschlussgrund!

Resümee:

Botticelli war wie fast alle Künstler der italienischen Renaissance in die Vorzüge des Pentagramm-Technik eingeweiht und er beherrschte sie par excellence. Mit Hilfe der Pentagramme erzeugte er bei seiner "Geburt des Venus" einen äußerst harmonischem Gesamteindruck und damit ein Gemälde, das in der Online-Enzyklopädie Wikipedia mit Recht "eines der brillantesten Werke der europäischen Malerei" genannt wird. Nur schade, dass der Autor dieses Artikels zwar das Richtige geahnt, die Methodik des Bildes aber nicht begriffen hat. Andersfalls hätte er sich jenen Satz erspart, der reichlich Ahnungslosigkeit verrät: "Entgegen Theorien, Botticelli habe in diesem Bild den Goldenen Schnitt eingesetzt (z. B. in den Proportionen der Venus), ist der Faktor Φ nicht exakt im Bild zu messen."

Notabene: Der Faktor Φ des Goldenen Schnitts ist zu messen, an unzähligen Stellen des Bildes. Siehe oben!

 

 

Sandro Botticelli: Die Verkündigung (1489/90)

Ein weiteres Werk von Sandro Botticelli zeigt, wie perfekt es der Meister im Einzelfall verstand, mit der Zentralperspektive und dem Planungspentagramm gleichzeitig umzugehen. Im Gemälde "Die Verkündigung", ein Gemälde von 150 x 156 cm, Tempera auf Holz, das heute zu den Prunkstücken der Offizien in Florenz gehört, geht das eine aus dem anderen hervor und erfüllt seine jeweilige Funktion. So ergeben sich z. B. aus dem Planungspentagramm nicht weniger als 3 nahe beieinander liegende Zirkelpunkte für Kreisbögen, die Botticelli an der gebauschten Kleidung und dem Flügelwerk des Engels einsetzte.

Folgende Planzeichnung von Peter Klink verdeutlicht das Konstruktions-Prinzip:

 

 

Israhel van Meckenem d. J. (um 1440-1503): Der Apostel Thomas

Etwa zur selben Zeit wie Sandro Botticelli lebte und wirkte im westfälischen Bocholt der Kupferstecher Israhel van Meckenem der Jüngere, Sohn des gleichnamigen Kupferstechers und Malers Israhel des Älteren (ca. 1430-1466). Mit 550 Kupferstichen hinterließ van Meckenem der Jüngere das umfassendste Werk aller Kupferstecher des 15. Jahrhunderts.

Folgende Darstellung des "Heiligen Thomas mit dem Winkeleisen", die Peter Klink analysiert hat, gehört zu einem Apostel-Zyklus mit 12 gleichartigen Darstellungen und befindet sich heute in der graphischen Sammlung der Albertina in Wien. In Naglers Künstler-Lexikon von 1839, Bd. 8, trägt dieses Bild die Nr. 64n. Die Disposition entspricht motivisch einer Vorlage des Vaters, Israhel van Meckenem des Älteren.

Die Einzeichnungen Peter Klinks in den folgenden Abbildungen demonstrieren, dass sich Israhel van Meckenem der Jüngere perfekt der Pentagrammkonstruktion bediente, was für einen Kupferstecher, der auf der künftigen Druckplatte spiegelbildlich arbeiten musste, von besonderer Bedeutung gewesen sein dürfte. Da ein Kupferstecker obendrein seine Entwürfe mit dem Winkeleisen fein auf der Kupferplatte aufriss, ehe er diese profilierte, zeichnet die Darstellung des heiligen Thomas ein besondere Originalität aus: Im Attribut "Winkeleisen", dessen langer Schenkel in der Darstellung ganz auffallend dem "heiligen" Pentagrammwinkel 72° folgt, bildet sich eine berufliche Affinität des Künstlers Israhel zum Apostel Thomas ab! Der "ungläubige Thomas", der nach dem Evangelium an sich ein Fischer wie Simon Petrus war, hatte sich nach einer apokryphen syrischen Tradition in seinem späteren Leben als Palast-Architekt in Indien betätigt, weshalb er bis heute als Patron aller Architekten, Geometer, Feldvermesser und Handwerker gilt - und damit auch als Tutor der Pentagrammkonstruktion!

 

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Leonardo da Vinci: Mona Lisa (um 1503)

Die "Mona Lisa" von Leonardo da Vinci, auch "La Gioconda" genannt, ist das berühmteste Gemälde der Welt. Um 1503 vom Meister auf dünnes Pappelholz gemalt und nur 77 cm × 53 cm groß, hängt das Gemälde heute im Louvre in Paris, hinter Panzerglas, allzeit umringt von Scharen von Besuchern aus aller Welt. Allein die Werkgeschichte füllt inzwischen Bände; auch wenn Einiges aufgeklärt werden konnte, so umranken weiterhin viele Geheimnisse das Bild. Es ist aber sicher, dass Leonardo da Vinci dieses Gemälde über lange Zeit bei sich führte und immer wieder in hauchdünnen Schichten übermalte.

Interessanterweise entstand das Bild-Design wiederum mit Hilfe von Pentagrammen und dem Goldenen Schnitt:

Schwerpunkt des Hautpentagramms und zeitloser Blickfang ist das Unterlid des linken Auges der Mona Lisa. Das Innen-Pentagon umspannt mit 4 seiner 5 Ecken exakt die Kopfkontur der Mona Lisa, die fünfte Ecke liegt über den Halsgrübchen, unter dem Kinn. Die beiden unteren Pentagrammspitzen beschreiben die beiden Schulterpunkte.

Wenn man über diese Spitzen 2 weitere Unterpentagramme legt und durch den Oberrand der seitlichen Pentagrammspitzen eine horizontale Linie zieht, definiert man damit wichtige Konturen des landschaftlichen Bildhintergrundes. Eine Horizontale durch die unteren Spitzen der beiden Unterpentagramme (identisch mit den Spitzen des Hauptpentagramms) begrenzt exakt den Unterrand des Dekolletés. Das zwischen den Unterpentagrammen liegende Pentagon und die rechte untere Spitze des linken Unterpentagramms beschreiben das Dekolleté in seiner Gesamtheit.

Die weitere Flächenerfassung mit Pentagrammen in der unteren Bildhälfte bietet gewisse Variationsmöglichkeiten. Wir haben uns dazu entschieden, unter der Basis des Hauptpentagramms 2 weitere, achsensymmetrisch angeordnete Unterpentagramme anzulegen, mit deren Bezugslinien und -punkten man wichtige Teile der Handpartie besonders gut erfasst. So führt z. B. der rechte Schenkel des linken unteren Pentagramms exakt durch die Grundgelenke (Knöchel) der linken Hand und zusätzlich durch die Randkontur des darunter liegenden Buches. Solche Korrelationen sind kein Zufall! Die rechte Spitze desselben Pentagramms umfasst das Handgelenk der rechten Hand, seine rechts unten liegende Spitze die Fingerpartie der linken Hand - mit Pentagramm-Schnittpunkt am Zeigefingergrundgelenk. Die gegenüberliegenden oberen Innenwinkel der unteren Pentagramme bezeichnen die Innenkontur beider Ellenbogen. Verbindet man die unteren Innenwinkel der unteren Pentagramme mit einer Horizontalen, dann erfasst man exakt die Ablageebene beider Hände auf dem Buchdeckel. Verlängerungslinien der unteren Pentagramme fluchten zum Teil exakt mit Elementen des landschaftlichen Hintergrundes (z. B. mit der Klippe links im Bild), andere kreuzen sich exakt an der Position, wo das Herz der Dame liegt, überdeckt vom Schleierwulst über der linken Schulter.

Insgesamt erscheint die gesamte Körperdarstellung der Mona Lisa in eine überdimensionale, nach unten offene Pentagrammspitze hineindressiert, an der die Außenkonturen aller beschriebenen Einzelpentagramme teilhaben.

Planungspentagramme erlauben nicht selten gewisse Varianten ihrer Platzierung. Mag sein, dass mit anderen Positionen als den hier vorgestellten die Proportionen der Mona Liasa in Teilaspekten ebenfalls gut erfasst werden. Gerade diese Variabilität belegt die Mächtigkeit des pentagonalen Konstruktionsprinzips, dessen sich die alten Meister mit Vorliebe bedienten, weil darin vielfach der Goldene Schnitt als Ausdruck höchster Harmonie zum Ausdruck kommt. Leonado da Vinci wird es auf die beschriebene Weise angewandt haben, als er auf dem Pappelholz die wichtigsten Projektionslinien und Bezugspunkte seines Modells einzeichnete, eher er seine bezaubernde Malerei begann.

 

 

 

Die Kreuzigung von Raffael (1503)

Raffael (1483-1520), eigentlich Raffaelo Sanzio da Urbino, war italienischer Maler und Architekt der Hochrenaissance und ein Meister der ausgewogenen und harmonischen Disposition seine Malobjekte, vor allem seiner lieblichen Madonnen.

Dass Raffael mit dem Planungspentagramm gearbeitet hat, zeigt zunächst exemplarisch ein Gemälde, das 1503 entstand und heute in der National Gallery in London hängt: "Die Kreuzigung". Den Schwerpunkt des Pentagramms bildet hier das linke Knie des Gekreuzigten, seine Spitze das obere Ende des Kreuzbaumes. Die Engel zu beiden Seiten scheinen auf den unteren Pentagrammschenkeln förmlich zu laufen!

 

Auch die berühmte "Sixtinische Madonna" Raffaels von 1512 ist über einem Pentagramm aufgezogen. Wir beschränken uns hier auf die Grundfigur; alle abgeleiteten Figuren und Bezüge mag sich der versierte Betrachter selbst erschließen. Das Knie stellt bei Raffael einen bevorzugten Referenzpunkt dar.

Das Geheimnis von Raffaels Meisterschaft der ausgewogenen Komposition erscheit damit hinlänglich entschlüsselt!

 

 

Hans Holbein der J.: Entwurf eines Bleiglasfensters für Chr. v. Eberstein (1522)

Einzeichnung von Peter Klink

Hans Holbein der Jüngere (1497/98-1543) ist wie sein Vater Hans Holbein der Ältere ein bekannter Maler der deutschen Renaissance. Aus seiner Hand stammen zahlreiche Portraits illustrer Zeitgenossen. Neben vielen Gemälden finden sich auch einige Zeichnungen und Holzschnitte.

Scheibler'sches Wappenbuch,BSB
Cod.icon. 312c.

Zu diesen Werken gehört auch der folgende Entwurf für ein bemaltes Bleiglasfenster. Auftraggeber war Christoph von Eberstein, ein weniger bekanntes Mitglied eines schwäbischen Adelsgeschlechts, das 1660 im Mannesstamm erlosch. Seine Stammburg befand sich bei Baden-Baden und ist heute Ruine.

Seit alter Zeit trugen die Grafen von Eberstein ein Wappen mit einer fünfblättrigen roten Rose und blauem Zentrum auf silbernem Schild. Der Sage nach soll ein Papst einem Ahnherrn der Familie als Anerkennung für seine Dienste eine goldene Rose verliehen haben, die er auch auf seiner Mitra (als Bischof von Rom) trug. Der historische Hintergrund zu dieser Geschichte lässt heute nicht mehr erhellen, aber das Papstsymbol ist in viele Wappenzeichnungen eingegangen. Dem Siegel-Abdruck nach ist das Rosensymbol bei den Grafen von Eberstein bereits für das Jahr 1207 belegt.

Im Holbein'schen Entwurf ist die Pentagramm-Pentagon-Symbolik ganz offenkundig. Sie spiegelt sich nicht nur in der Wappenrose, sondern auch im Wams des Ebersteiners, der sich aus einem Netz an fünfgliedrigen Elementen zusammensetzt. Zur Überraschung hat aber der Künstler die Pentagrammtechnik auch auf den eigenen Entwurf übertragen. Vor allem die abgebildeten Lanzen, aber auch viele kleinere Details entsprechen komplett der Logik eines Planungspentagramms, das Peter Klink in folgender Einzeichnung verdeutlicht.

 

 

Der Meister von Messkirch (um 1500-1543): Der Heilige Christophorus

Einzeichnung von Peter Klink

Bezüglich des Künstlers verweisen wir auf die Beschreibung in der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Viel ist von ihm nicht bekannt, vor allem nicht sein Name, sondern lediglich einige seiner Tätigkeitsfelder. Das von ihm gemalte Tafelbild "Der Heilige Christophorus" befindet sich heute im Kunstmuseum Basel.

Auch dieser anonyme Meister wusste um die Mächtigkeit der Pentagramm-Konstruktion, wie folgende Einzeichnung von Peter Klink beweist.

Einzeichnung von Peter Klink

 

 

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