Der indische Kulturkreis (seit 2800 v. Chr.)

© Werner Robl

 

Um die Anwendung der Pentagramm-Geometrie in frühen Hochkulturen nachzuweisen, bedarf es einiger Voraussetzungen. Da Schriftzeugnisse so gut wie immer fehlen, benötigt man dazu wenigstens, wie der Leser längst erkannt hat, einige Bilddarstellungen, Skulpturen, Gebäude oder Stadtgrundrisse. Die diesbezügliche Entwicklung im Bereich Indiens und seiner Nachbar-Nationen setzte im Vergleich zu den Gebieten der heutigen Staaten Iran, Irak und Ägypten um mehr als 1000 Jahre zeitversetzt ein.

 

Die Indus-Kultur (2800 bis 1800 v. Chr.)

Die erste indische Hochkultur wird auch Indus-Kultur genannt. Sie ist vornehmlich im heutigen Pakistan und nur zum kleineren Teil in Nordindien nachweisbar und betrifft überwiegend die fruchtbaren Schwemmland-Ebenen des Flusses Indus, damit allerdings eine Landfläche so groß wie Ägypten und Mesopotamien zusammen. Trotz des Zeitversatzes handelt es sich bei der Indus-Kultur zusammen mit den zuletzt genannten Hochkulturen um eine der 3 frühesten Zivilisationen der Welt.

Nach 2800 v. Chr. entstanden demnach im Stromgebiet des Indus erste größere Städte aus Lehmziegeln, mit gepflasterten Straßen und eigener Kanalisation. Inzwischen sind über 1000 Fundstellen und über 140 größere Ansiedlungen bekannt geworden. Die wichtigsten Zentren der sogenannten "Harappa-Kultur" waren wohl die Stadt Harappa selbst, daneben auch Mohenjo-Daro und Kalibangan. Mit den beiden letzten wollen wir uns im Folgenden ein wenig beschäftigen. Leider ist die Fundausbeute der frühen nordindischen Zivilisationskerne vergleichsweise gering und der Erhaltungszustand der Ruinen relativ schlecht. Beides ist wohl dem feuchten Flussklima, vielen Überschwemmungen und massiven Zerstörungen der jüngeren Zeit geschuldet. Die Aussichten, in der Indus-Kultur Planungspentagramme zu finden, erschienen uns deshalb zunächst gering.

Eine der besterhaltensten, bronzezeitlichen Stätten am Unterlauf des Indus findet sich bei Mohanjo-Daro im heutigen Pakistan, 40 km südlich der Stadt Larkana. Der Ruinenhügel von Mohenjo-Daro ist schon von Weitem zu erkennen. Zentrum des frühantiken Ortes war ungewöhnlicherweise ein großes Bad. Auf der später entstandenen Zitadelle steht die Ruine eines alt-indischen Stupa aus dem 2. Jahrhundert nach Christus. Zu den Stupa mehr weiter unten.

Mohenjo-Daro aus den All.

 

Obwohl die archaischen Erbauer dieser Badestadt den rechten Winkel durchaus beherrschten, nahmen sie es beim Bau des Bades nicht genau und legten die Achsen desselben zum Paralellogramm verschoben an, wie obige Google-Satellitenaufnahme und nachfolgende Detailaufnahme zeigen.

Dennoch folgt das Bad der Pentagramm-Geometrie:

Diese Phänomene sind in ihrer Dichte überzufällig!

 


Das Hallenbad von Mohenjo-Daro ist das älteste der Welt!

 

Interessanterweise ist die Zitadelle von Mohanjo-Daro mit dem buddhistischen Stupa, der ca. 2000 Jahre nach dem Bad entstand, ebenfalls über ein Planungspentagramm aufgespannt. Zur Abwechslung weist dieses mit der Spitze nach Westen. Ein Unterpentagramm über der Westspitze definiert zusätzlich wichtige Fluchten der vorbeiführenden Straße.

 

Die Ausbeute am Kleinfunden ist in Mohenjo-Daro gering. Sie besteht im Wesentlichen aus Tafeln und Rollsiegeln mit einer Indus-Bilderschrift, welche durchaus Zeichen mit geometrischen Formen aufweist, aber keine stilisierten Pentagramme. Diese Schrift ist obendrein bis heute nicht schlüssig entziffert.

Den Abdruck eines in Mohenjo-Daro gefundenen Rollsiegels wollen wir dennoch dem Leser nicht vorenthalten:

Man erkennt auf dem nebenstehendem Wachsabdruck einen Schriftzug, wobei ein Zeichen zur Linken wie ein hochgestelltes Andreaskreuz aussieht und damit den Pentagrammwinkel 36° aufweist. Darunter findet man einen Siegelabdruck mit einer stilisierten Sitzfigur, welche eine hohe Helmzier trägt, die in die Schrift hineinragt, und auf einem Hocker mit hochgenommenen und verschränkten Beinen sitzt. Dieses figurale Siegel wird, da es den Sitzstil indischer Götterskulpturen um Jahrhunderte vorweg nimmt, auch Yogi- oder Proto-Shiva-Siegel genannt und in die Zeit zwischen 2600 und 1900 v. Chr. datiert.  Wie gut zu erkennen ist, sind die wesentlichen Elemente der Sitzhaltung dieser Figur von den Kennlinien eines Pentagramms abgeleitet!

Soweit zu den Befunden von Mohenjo-Daro!

Wir wechseln an den Oberlauf des Indus bzw. an einen seiner versiegten Seitenläufe, den Fluss Ghaggar. Im nördlichen Rajasthan, in der Nähe der Ortschaft Kalibangan, ist eine Siedlung der Harappa-Kultur, Periode 2 (ab 2600 v. Chr.) teilweise ausgegraben. Diese Stadt bestand einst aus zwei getrennten Einheiten: aus einer Zitadelle mit eigenen Umfassungsmauern, dem Herrschaftskomplex, und einem davon getrennten, ebenfalls mauerngesäumten Wohn-Komplex der Normalbevölkerung. Wie beim Bad von Mohenjo-Daro sind beide Stadtteile in ihrer geometrischen Form parallelverschoben, obwohl man auch hier an Gebäudekomplexen die Beherrschung des rechten Winkels nachweisen kann. Paralellogramme scheinen bei dieser Kultur beliebt gewesen zu sein, Planungspentagramme lassen sich, wie schon am Bad von Mohenjo-Daro zu sehen war, auch bei solch achsverschobenen Strukturen uneingeschränkt sinnvoll platzieren.



Auf diesen recht eindeutigen Befunden der Harappa-Kultur (innerhalb der Indus-Kultur) wollen wir es vorläufig bewenden lassen.

So unwahrscheinlich es am Anfang erschien, am Ende sind wir uns dessen sicher:

Das Planungspentagramm ist in Nordindien schon um 2800 v. Chr. und ev. sogar noch früher präsent - lange vor der Entstehung des Hinduismus und Buddhismus - und dies obendrein in einer frühen Zivilisation, die zu äußerst unkonventionellen Grundrissen ihrer Siedlungen und Gebäude neigte!

 

Indien in vedischer und klassischer Zeit (ca. 1500 v. bis 600 n. Chr.)

Die Induskultur erlosch nach 1800 v. Chr. unter nicht näher geklärten Umständen. Die Aryas oder die "Edlen" (Arier), halbnomadische Stämme aus dem Nordwesten, sollen nach Indien geströmt sein und mit sich die Sprache und Traditionen der Veden mitgebracht haben. Diese Hypothese einer arischen, d. h.  indogermanischen Invasion Indiens ist allerdings politisch motiviert entstanden und deshalb nicht unumstritten - nicht nur in Indien, sondern aus historischen Gründen auch in Deutschland. Aus der vedischen Religion ergaben sich nach und nach der Hinduismus mit den Brahmanen an Spitze, im Weiteren das indische Kastensystem und am Ende eine komplette politische Neuordnung Indiens. Um 500 v. Chr. predigte Siddhartha Gautama (563-483 v. Chr.) als Buddha 40 Jahre lang den "Weg der Mitte" und wurde so zum Gründer einer weiteren Religion, des Buddhismus. Am Ende entstanden auf dem Subkontinent mehrere kulturell verwandte, jedoch politisch getrennte Großreiche, deren Geschichte in klassicher Zeit etwa bis ins 6. Jahrhundert n. Chr. reicht.

Innerhalb dieser großen Zeitspanne sind erst ab ca. 500 v. Chr. in Indien wieder größere Bauwerke und Städte nachzuweisen, die nun nicht mehr aus Lehmziegeln, sondern erstmals aus Naturstein errichtet wurden. Es war allerdings noch nicht die Zeit der großen, freistehenden Tempelbauten, die Indien erst deutlich später prägten.

Im Folgenden werden aus dieser langen Periode zuerst imperiale Löwenplastiken aus dem 3. Jahrhundert v. Chr.  vorgestellt, dann die Stupa, jene kuppelförmigen Monumentalbauten, die ursprünglich Grabhügel waren, aber nach und nach zu Verehrungszentren des Buddhismus wurden, und schließlich einige späte Felsentempel der Buddhisten.


Wir beginnen mit zwei Löwenkapitellen, Herrschaftssymbolen aus der Zeit der indischen Kaisers Ashoka (304-232 v. Chr.).  Ashoka  war ein Herrscher der indischen Dynastie der Maurya und herrschte in Nordostindien im größten Reich der indischen Antike.

Auf folgender Abbildung findet sich links das berühmte Löwenkapitell der Ashoka-Säule in Sarnath, das 1950 mit seinen 4 Löwen zum offiziellen Symbol des modernen Staates Indien wurde, rechts der Einzel-Löwe der Ashoka-Säule in Vaishali in Bihar. Beide Embleme der Macht ließ Kaiser Ashoka um 250 v. Chr. errichten. Die Säulen stehen noch heute an ihren Standorten, die besonders wertvolle Skultur der 4 Löwen ist allerdings heute ins Museum verbracht.

Es scheint, dass sich beide Löwen-Skulpturen aus Entwürfen mit verschiedenen Betrachtungsebenen entstanden, bei welchen vermutlich jeweils Planungspentagramme zum Einsatz kamen!


Links die Löwen von Sarnath, rechts der Löwe von Vaishali.


Der Löwe von Vaishali in situ und im Seitenprofil.

Als religiöse Bauwerke des Buddhismus verbreiteten sich die Stupa nicht nur in Indien, sondern auch weit über die Grenzen des Subkontinents hinaus, z. B. nach Java und Ceylon, nach Pakistan und Nepal. Als Bauwerk symbolisiert der Stupa Buddha persönlich und seine Lehre, den "Dharma". Im frühen Buddhismus wurden in einem Stupa Reliquien des Buddha und später von herausragenden Mönchen, den sog. "Arhats", aufbewahrt; auf diese Weise wurde der Stupa zum rituellen Zentrum der Buddha- und Arhatverehrung. Der Stupa wurde von den Gläubigen bei einem Besuch traditionell im Uhrzeigersinn umkreist.

Bislang unbekannt gebleiben ist die Tatsache, dass die meisten Stupa mit Planungspentagrammen entworfen wurden. Es folgenden einige Beispiele, die dieser außergewöhnliche Phänomen belegen. Zum Teil verlassen wir dabei bewusst den indischen Subkontinent.

Beginnen wir mit dem alten Stupa von Kesharya in Bihar, in der Nähe des Garnak-Flusses in Nordindien. Die 5 Terrassen, auf denen er steht, waren einst mit zahlreichen Buddha-Figuren bestückt. Ursprünglich soll dieser Stupa eine Höhe von 15 m und einen Umfang von 425 m besessen haben. Errichtet wurde er entweder 463 v. Chr. von Ajath Satru, dem Sohn des Königs Bimbisara und Schülers Buddhas, oder ca. 200 Jahrhunderte später vom großen Kaiser Ashoka, der soeben schon genannt wurde. Selbst wenn die Aufnahme eine leichte Verzerrung nach oben aufweist, so belegt sie doch, dass der Aufriss dieses Stupa ganz der Pentagramm-Geometrie entspricht!


Stupa von Kesharya.

 

Ähnliche Bedingungen finden sich beim wesentlich jüngeren Stupa Dhamek in Sarnath und dem größten Stupa der Welt, in Bodnath in Nepal. Beide Bauwerke stammen aus der Zeit um 500 n. Chr.. Bei den Aufnahmen gilt es allerdings wie bei der vorherigen zu beachten, dass sich aufgrund des Aufnahmewinkels leichte Verschiebungen und damit ein Abweichen der Projektionslinien ergeben können, ohne dass dies den Wahrheitsgehalt der Aussage schmälern würde:

 Es ist ganz eindeutig, dass trotz gänzlich unterschiedlicher Bauweise die harmonische Proportionalität der Stupa-Bauwerke durch Planungspentagramme gewährleistet wurde!

Dhamek-Stupa in Sarnath.


Stupa in Bodnath/Nepal.

 

Mit diesen Beispielen erschließen sich nahezu 1000 Jahre Planungskontinuität beim Stupa-Bau per Pentagramm - und das bei höchst unterschiedlichen Bauweisen in unterschiedlichen Ländern und Regionen!

 

Es folgen ein paar Aufrisse über die historische Entwicklung des großen Stupa von Butkara in Nordpakistan, womit das soeben eröffnete Zeitfenster von fast 1000 Jahren mittig gefüllt wird: Die Umbauten des Stupa stammen aus der Zeit zwischen dem 3. Jahrhundert vor und dem 2. Jahrhundert nach Christus!

Mit diesen exakten Aufrissen wird die Pentagramm-Konstruktion des Stupa noch genauer belegt als zuvor mit fotografischen Aufnahmen:


Großer Stupa in Butkara/Pakistan.

 

Die größte Stupa-Anlage der Welt befindet sich allerdings nicht in Nordindien, sondern in 5000 km Entfernung (!) auf der Insel Java in Indonesien. Die zum UNESCO-Welterbe zählende, neunstöckige Anlage von Borobodur wurde zwischen 750 und 850 n. Chr. unter der Sailendra-Dynastie errichtet und umfasst nicht weniger als 76 Neben-Stupas, welche den Haupt-Stupa von 11 m Durchmesser, verteilt über ein stilisiertes Viereck auf verscheidenen Geschoßebenen, umrahmen:

Die Anlage von Borobodur in Java.

Auch wenn es unmöglich ist, an dieser Stelle alle Planungspentagramme des Borobodur wiederzugeben, so zeigt doch dessen Grund- und Aufriss, dass auch auf Java Planungspentagramme dazu dienten, unzählige Bezugspunkte in den vielstufigen Profilen der Tempelanlage abzubilden. Die eingezeichneten Pentagramme, die sich z. T. auch auf verschiedene Sphären beziehen, sind hier nur der kleinste Ausschnitt derer, die insgesamt von den Baumeistern verwendet wurden. Es müssen geniale Geometer gewesen sein!


Die Profile der Tempelanlage von Borobodur in Java.

 

Wir beschließen diesen Abschnitt über die Stupa-Bauten mit zwei Klein-Stupa in Tibet. Links im Bild eine sogenannte Kadampa-Stupa mit ihrer charakteristischen Glockenform, rechts die kleinen Stupas von Chorten, zwischen Ganden und Lhasa. Auch diese beiden Stupas im tibetanischen Stil beziehen jeweils ihre Harmonie aus den harmonischen Proportionen eines Pentagramms!

Tibetanische Stupa: Kadampa-Stupa links, Stupa von Chorten rechts.

 

Kurze Zwischenbilanz:

Der Buddhimus mit  all seinen regionalen und historischen Spielarten hat sich beim Bau seiner Heiligtümer konsequent einer Planungstrategie  bedient, die in ihren Anfängen vermutlich schon aus der Indus-Kultur stammte und das Pentagramm zur Grundlage nahm!

Aus der Reihe der frühen Höhlentempel Indiens stellen wir zunächst 2 Beispiele vor, die die einzigartig schöne Anlage von Ajanta in Mittelindien aus dem 5. bis 6. Jahrhundert n. Chr. betreffen. Das buddhistische Heiligtum besteht aus insgesamt 29 Höhlentempeln von bis zu 30 m Breite, 15 m Tiefe und 4 m Höhe und zählt inzwischen wegen seines Wertes zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Wenn man folgende Abbildung bedenkt, dann wurde die Höhle Nr. 1 von Ajanta von unterschiedlichen Baumeistern unterschiedlicher Fähigkeit ausgeführt, wobei sich in der linken Hälfte eine sorgfältigere Ausführung findet als in der rechten, wohl später entstandenen. Es ist unschwer zu erkennen, dass der innere Grundriss dieser Tempelhöhle mit ihren Zellen über einem Zentralpentagramm aufgespannt wurde, das zusammen mit Nebenpentagrammen die wichtigsten Fluchten und Eckpunkte der Anlage festlegten. Dass es hinterher in der rechten Hälfte zu gewissen Abweichungen kam, ist der Ungenauigkeit spätere Handwerker geschuldet.

Höhle 26 zur Rechten ist kunstvoll als Säulenhalle mit einer stilisiertem Stupa und einer davor sitzenden Buddha-Figur ausgeführt. Auch hier zeigt sich der Pentagramm-Aufriss aufgrund vieler Details, vor allem an der Buddha-Skulptur selbst.


Zwei Höhlen der Tempelanlage von Ajanta.

Es folgt zum Vergleich eine wunderschöne Sitzfigur des jungen Buddha aus Sarnath in Nordindien, aus der Zeit des sogenannten Gupta-Reichs, das zwischen 320 und 55 n. Chr. bestand und als "Goldenes Zeitalter" der indischen Geschichte bezeichnet wird. Die 1,6 m hohe Skulptur aus poliertem Sandstein befindet sich heute im Archäologischen Museum von Sarnath und stammt aus dem 4. nachchristlichen Jahrhundert.

Alle Proportionen des Buddha inklusive seiner Kopfkreise sind hier perfekt durch ein Planungspentagramm mit Spitzenpentagramm festgelegt worden.

In dieser Vollendung wurde das Sitzbild von Sarnath zum Vorbild unzähliger Buddha-Figuren zu allen Zeiten und in aller Welt: Ihr Geheimnis der Ruhe und Harmonie wird wohl wesentlich durch die Pentagramm-Geometrie bestimmt!


Der Buddha von Sarnath.

Es folgt ein sehr frühes Beipiel aus der zu Tage liegenden, überirdischen Tempelarchitektur Indiens, bei dem zwar immer noch eine Tempelhöhle geziert wird, aber dennoch schon eine Fassade aus dem Fels mit Portikus herausgeschlagen und damit ein frei stehender Tempelbau vorweg genommen ist. In dieser Disposition erinnert die Fassade aus der Höhlenstadt Ellora in Westindien an die Fassaden der Tempelstadt Petra in Jordanien (siehe oben). Auch der Kunstschatz von Ellora zählt inzwischen zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Die fast "hellenistisch" anmutende Fassade mit ihrem Freibalkon und dem hufeisenförmigen Fenster stammt aus dem 5./6. Jahrhundert n. Chr. und schmückt die einzige Chaitya-Halle der Höhlenstadt mit ihren 34 Höhlentempeln (Höhle 10). Nicht nur hier in Ellora, sondern auch andernorts in Indien stellen die Chaitya-Hallen den sakralen Mittelpunkt einer buddhistischen Klosteranlage dar, wohin gegen die Wohnhöhlen der Mönche Vihara-Hallen genannt werden. Das Innere der Chaitya-Halle von Ellora zeigt ähnlich wie die Höhle von Ajanta (Bild oben) eine große Buddha-Sitzfigur am Ende einer beiderseitigen Säulengalerie.

An dieser Stelle ist vor allem die Information wichtig, dass sich der Fassaden-Aufriss der Chaitya-Halle von Ellora ebenfalls der Pentagramm-Geometrie bedient. Nahezu alle konstruktiven Linien, die Gesimse, aber auch die gesamte Höhe und Breite der Fassade leiten sich davon ab.


 

Indisches Mittelalter (ab ca. 850 bis ca. 1300 n. Chr.)

Damit kommen wir zu den mittelalterlichen Tempelanlagen Indiens, die nunmehr ausschließlich überirdisch errichtet sind, Verehrungszentren des Hinduismus darstellen und in der Vielgliedrigkeit ihrer Ausführung und mit ihrem überbordenden Skulpturenschmuck heute attraktive Ziele jeder Studienreise darstellen.


Der Parvati-Tempel bei Vishvanatha.

Erstes Beispiel ist die Standfigur der Göttin Parvati im Tempel von Vishvanatha, der um 1000 n. Chr. vollendet wurde. Wir haben dieses Modell gewählt, um auch bei der Götterverehrung des Hinduismus - nicht nur des Buddhismus! - das Planungsprinzip mit Pentagrammen deutlich zu machen. Allein die Dachneigung der Figurenwand, vor der die Göttin Parvati steht, lässt daran nicht den geringsten Zweifel!


Der Parvati-Tempel bei Vishvanatha.

Es folgt das schönste Beispiel eines Hindu-Tempels, bei welchen neben dem pentagrammtischen Aufbau obendrein die Lichtachsen beeindrucken. Es handelt sich um den Sonnentempel von Konark in der Nähe der Nordostküste Indiens. Das Heiligtum stammt aus dem 13. nachchristlichen Jahrhundert und ist dem Sonnengott Surya geweiht. Streng genommen verkörpert dieser Gott die Mittags- und Abendsonne, während Savitri in vedischer Zeit mit der ersten Morgensonne assoziiert wurde, beim Bau des Tempels von Konark aber längst im Gott Surya aufgegangen war. 

Die mythologische Deutung des Gottes Surya findet sich bereits im Grundriss des Sonnenheiligtums von Konark in Perfektion verwirklicht:

Ansonsten ist der Grundriss des Tempels, wie bereits gewohnt, über ein Pentagramm definiert, dessen Linien und Ecken viele markante Stellen der Anlage tangieren.


Der Grund des Surya-Tempels von Konark - mit dem Lichtschauspiel am 21. März.

 

Aber auch im Aufriss wurde dieser Tempel perfekt über ein Pentagramm festgelegt, wie die nachfolgende Planzeichnung zeigt. Erneut leiten sich die wichtigsten Bezugspunkte und Geschoßebenen davon ab (rote Linien und blaue Punkte). Auch der Tempelturm Sikhara, der entweder nie vollständig aufgeführt wurde oder komplett zerstört ist, zeigt im Entwurf, der sich von anderen Sikharas dieser Art ableitet, eine perfekte Pentagramm-Geometrie (blaue Linien und rote Punkte)!


Der Aufriss des Surya-Tempels von Konark

 

Und diesen Anblick bietet der Tempel des Sunya den Besucherscharen, die von Osten her in die Anlage strömen. Wieder ist die Pentagramm-Disposition erkennbar!


Surya-Tempel von Konark - Blick von Westen.

 

So richtig berühmt hat den Tempel aber der reiche Skulpturenschmuck seiner Außenfassaden. Den Gebäudekomplex umgeben an der Basis nicht weniger als 24 aus dem Sandstein gemeißelte, relativ große Sonnenräder, die hier nicht gezeigt werden, da sie nicht 5, sondern jeweils 8 Speichen und weitere 8 Zwischenstrahlen tragen und somit mit der Pentagramm-Geometrie nichts zu tun haben. Ansonsten sind die Wände überzogen mit unzähligen erotischen Szenen nackter Figuren oder Gottheiten, darunter finden sich nicht selten äußerst freizügige - um nicht zusagen obszöne oder pornographische - Darstellungen.

Mitunter sind diese Skulpturen praller, wilder Lebenslust über das Pentagramm entworfen, wie folgenden Detailaufnahmen zeigen:


Skulpturen mit dem Pentagramm als Grundfigur.

 

Allerdings geht es in Konark mitunter auch etwas nüchterner zu: Folgende Torwand am Vaishnava-Nebentempel beweist, dass nicht nur die Künstler, sondern auch die normalen Bauhandwerker das Pentagramm zu Hilfe zogen, wenn es z. B. darum ging, die Dimensionen eine Torwand mit Außenrändern und Innenöffnung sinnvoll festzulegen.


Torwand des Vaishnava Tempels von Konark.

 

Die Mogulzeit (1526-1857 n. Chr.)

Damit kommen wir zum indischen Monumentalbau der beginnenden Neuzeit. Das Gebäude, um das es im Folgenden geht, stammt aus der Zeit der Moguln, die der Zeit der britischen Okkupation vorausging. In Europa kennt dieses Bauwerk praktisch jeder und er verbindet es wegen seiner Schönheit in der Regel mit Fernweh und der Vorstellung einer Reise nach Indien. Es handelt sich um das Taj Mahal, dt. Tadsch Mahal. Dieses Wunderwerk aus Marmor auf seiner 100 x 100 m großen Plattform wurde von Großmogul Shah Jahan als Mausoleum für seine verstorbene Lieblingsfrau Mumtaz Mahal im Jahr 1631 in Agra erbaut und stellt heute die größte Touristenattraktion Indiens dar.

Die nachfolgenden Abbildungen bedürfen keiner näheren Erklärung. Wie der Leser unschwer errät, wurde auch dieses grandiose  Grabmal und der mit dem Gebäude verbundene Park am Fluss Yamuna mit Hilfe der Pentagramm-Technik konstruiert!


Das Mausoleum Taj Mahal von Süden.


Der Park des Taj Mahal aus dem All.
 

Mit der Schönheit des Taj Mahal in Agra kontrastiert folgende nüchterne und obendrein verwitterte Wand mit ihren beiden Kreissegmenten und Treppenaufgängen. Es ist die Front eines astronomischen Gerätes, das im weiteren Sinn zu einem von insgesamt 5 Jantar Mantar (sanskrit. "magische Geräte") gehört. Das sind jene historischen Sternwarten, die der Maharadscha Jai Singh II. (1688-1743 n. Chr.) zwischen 1724 und 1734 in Delhi, Ujjain, Mathura, Varanasi und Jaipur errichten ließ. Die Vorliebe der Inder für Astronomie und Astrologie wird auf die Zeit der vedischen Einwanderung zurückgeführt.

Das Yantra ist Teil der größeren Anlage von Jaipur in Rajasthan und trägt den Namen Dakshinodak Bhitti Yantra. Wer sich näher mit der Funktion dieser exakt in Nord-Süd-Richtung stehenden Sonnenuhr geschäftigen will, sei auf folgende deutschsprachige Erklärung von Bernhard Peter verwiesen: "Jantar Mantar - astronomische Geräte Indiens, Teil 14: Das Dakshino Bhitti Yantra in Jaipur" Da die Schattenzeiger dieser Wand nur sehr kurz sind, ist das Instrument nur richtig zur Mittagszeit zu verwenden, wenn der Schlagschatten der Zeiger am längsten ist. Dann zeigt ihr Schatten die Höhe der Sonne zur Mittagszeit auf der Skala an. Man kann mit diesem Instrument die Sommer- und Wintersonnenwenden, die Tag- und Nachtgleichen und damit auch den Verlauf der Jahreszeiten ermitteln.

Interessanter in unserem Zusammenmhang ist jedoch, wie der Baumeister das Modell der Sonnenuhr entworfen hat. Es handelt sich hier um eine doppelte Pentagramm-Konstruktion mit ihren Umkreisen, wobei damit neben den Kreissegmenten auch die Steilheit der Aufgangstreppen von 54° definiert wird. Die Zirkelpunkte liegen knapp neben den implantierten Lichtstäben der Sonnenuhr!


Das Dakshinodak Bhitti Yantra in Jaipur.

 

Wir beenden diesen Zyklus zum indischen Planungspentagramm mit einem in Indien allgegenwärtigen Sprechritual, dass aus vedischer Zeit stammt und sowohl im Hinduismus als auch im Buddhismus und im Yoga seine Rolle spielt - das Mantra - besser gesagt mit seiner Bildsymbolik. Beim Mantra handelt sich um ein Mittel der Meditation, das den Geist vor unrechtem Denken schützen soll. Geometrisches Symbol des Mantra ist im Hindu-Tantrismus das Yantra, ein riturelles Kreissymbol, in welches geometrische Figuren unterschiedlicher Form hineinprojiziert sind. Die konkrete Ausführung dieser Kreise nennt sich Mandala.

Beim Mandala besteht eine ungeheure Formenvielfalt geometrischer Figuren im Inneren des magischen Kreises, und auch bei den historischen Varianten springt ein Pentagramm nicht ins Auge. Dass ein solches zum Entwurf eines Mandala dennoch sinnvoll benutzt werden konnte, zeigt originell folgendes Mandala aus Vajradhatu in Tibet. Es handelt sich dabei um die Thangka-Malerei eines buddhistischen Mönchs aus dem 19. Jahrhundert. Nicht nur die stilisierten Stupa an den 4 Seiten des inneren Vierecks, sondern fast alle seiner Parallellinien lassen sich aus Pentagrammen ableiten!


Thangka-Malerei bei einem Mandala aus Tibet.

 

Zusammenfassung:

Das Planungspentagramm hat uns bei diesem Streifzug durch mehr als 4000 Jahre indischer Kunst- und Kulturgeschichte auf Schritt und Tritt begleitet. Dargestellt wurde nur der allergeringste Teil dessen, was in Indien an Pentagramm-Konstruktionen nachweisbar ist. Auch in Indien und seinen Nachbar-Nationen scheint es so zu sein wie überall in Europa, Asien und Nordafrika: Das Pentagramm ist als immanentes Planungsprinzip allgegenwärtig, direkt dargestellt oer als solches erwähnt wird es in der Regel nicht!

Und noch etwas:

Man könnte darüber spekulieren, dass das Planungspentagramm ein vedische, somit indogermanische bzw. arische Wurzel besitzt und über Indien seinen Siegeszug nach Vorderasien, Ägypten und Europa angetreten hat. Da der Urstamm der Arya aus den Gebieten Zentralasiens östlich des Kaspischen Meeres gekommen sein soll, mit hin aus dem Gebiet der heutigen StaatenTurkmenistan, Tadschikistan oder Usbekistan, haben wir auch bei den dortigen Frühkulturen nach der Pentragramm-Symbolik gesucht, z. B. in der proto-urbanen Siedlung von Sarasm 3500 v. Chr. und in der Oasen-Kultur Turkmenistans, sind aber nicht fündig geworden. Dies ist zwar bei der generellen Fundarmut dieser Länder kein sicherer Ausschlussgrund, unterstützt aber zumindest indirekt eine schon weiter oben vertretene Hypothese:

Es scheint, als habe die Wiege des Planungspentagramms ca. 5000 v. Chr. in Nordmesopotamien gestanden, von wo aus es später nach Südmesopotamien, Ägypten, Persien und Europa und eben auch nach Indien ausstrahlte.

Nachtrag:

In islamischer Zeit finden wir das Planungspentagramm in den genannten zentralasiatischen Staaten sehr wohl, vor allem in den Karawanenstädten Taschkent und Samarkand. Als Beispiele fügen wir die Fassaden berühmter Medresen (Koranschulen) dieser Städte an. Die eine entstand im 16., die andere im 17. Jahrhundert - und beide haben mit den Entstehung des Planungspentagramms nicht zu tun. Ihr Bau wurde vielmehr von der islamischen Sakralarchitektur Persiens beeinflusst.

Die Kukeldash Madrasa in Taschkent, von 1570 n. Chr.

 

Die Tilya-Kori Madrasa in Samarkand, errechtet zwischen 1646 und 1660 n. Chr.

 

 

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