Die orthodoxe Ikonenmalerei

 

Mittelalterliche Ikonen der Ostkirche vom 10. bis 14. Jahrhundert

 

Die Kunst der Ikonenmalerei in der Ostkirche hat vom Ursprung Byzanz aus verschiedene Wege genommen, relativ wenig von der westlichen Kunst beeinfusst.

Im Folgenden wird in einer Übersicht eine ganze Reihe von sehr alten Ikonen des 10. bis 14. Jahrhunderts vorgestellt, z. T. aus dem Katharinenkloster auf der Halbinsel Sinai, z. T. aus Venedig und aus Russland. Ihnen allen ist gemein, dass bereits das Bildformat über ein Planungspentagramm ermittelt wurde: Wenn die unteren Spitzen eines orthogonalen Pentagramms die Basis einer Ikone (meist ohne Rahmen) komplett aufspannen, dann begrenzt die obere Pentagrammspitze das Ikonenbild oben. Das Pentagramm steht dabei immer mittig und beeinflusst in der Regel die weitere Bilddisposition mit unzähligen, aus seiner Struktur abgeleiteteten Achsen. Eingezeichnet haben wir davon nur die allerwenigstens, als dünne blaue Linien erkennbar. Zum Teil wird mit den seitlichen Pentagrammspitzen sogar die Breite des Bildrahmens definiert.

Wann und unter welchen Umständen sich dieses nazu für alle alten Ikonen gültige Schema entwickelte, wissen wir nicht. Seinen Anfang muss es frühestens ab dem 7. Jahrhundert n. Chr. genommen haben, denn noch im 6. Jahrhundert gab es auf dem Sinai sehr schöne Langikonen, bei denen dieses Schema nur zum Teil aufging. Man vergleiche hierzu das rechte und mittlere Bild in der letzten Reihe. Zwar herrschte schon damals die Bildmittigkeit und Achsensymmetrie um die zentrale Mittelsenkrechte des aufgespannten Pentagramms vor, aber die oberen Spitzen endeten nicht zwingend am oberen Bildrand, sondern an markanten Stellen darunter, z. B. am Oberrand des Heiligenscheines oder am Scheitel der Zentralperson.

Aber immerhin scheint danach das zuerst vorgestellte Schema über fast ein Jahrtausend seine Gültigkeit bewahrt zu haben. In größeren Umfang wurde es erst wieder ab dem 15. Jahrhundert variiert, wie beispielhaft die Ikone im Bild unten links belegt: Beim Kreter Andreas Pavias spannt das ungekehrte Pentagramm das Gestühl des Christus Pantokrator auf, nicht das Gesamtbild! Interessanterweise kann man bei dieser Ikone an zwei Stellen sogar noch die Hilfslinien des Bildentwurfs erkennen - so, wie sie sich für den Maler aus dem Pentagramm ergaben (blaue Pfeile)!

Weitere Beispiele für die Eleganz der Variation finden sich auch bei den berühmten Ikonenmalern Theophanes, der Grieche, und Andrei Rubljow, die anschließend vorgestellt werden.

 

 

Russische Ikonen bei Theophanes und Andrei Rubljow (um 1400)

 

Andrei Rubljow (um 1360-1430) war ein russischer Künstler, der um 1405 das Mönchsgelübde ablegte und als Ikonenmaler unter dem Namen Andrei in das Erlöser-Andronnikow-Kloster bei Moskau eintrat und in einer Gemeinschaft geistlicher Maler wirkte.

Weltberühmt ist seine um 1411 entstandene "Troiza", dt. Dreifaltigkeits-Ikone. Verarbeitet wurde hier vermutlich die biblische Geschichte, in der 3 Engel Sarah und Abraham besuchen, wobei sich nun Rubljow bei seiner Malerei ganz auf die 3 Engel konzentrierte, denen er sanfte und weibliche Gesichtszüge gab. Rubljow stellte so die Dreifaltigkeit als Einheit dar, die zu erwartende Differenzierung zwischen Gottvater, Sohn und Heiligem Geist fehlt. Alle drei Gestalten beziehen sich auf die Eucharistie, symbolisiert als Kelch in der Mitte. Wegen seiner ungewöhnlichen Disposition hat das Werk vielfältige Interpretionsversuche erfahren.

Die Ikone befindet sich heute in der Tretjakow-Galerie in Moskau. Dass sie, wie vor allem an den 3 Stäben zu sehen ist, perfekt über einem Zentralpentagramm mit Spitzenpentagrammen komponiert wurde, ist den Kunstexperten bisher entgangen.

Es folgt zunächst eine moderne Interpretation des Motivs, aus der Hand der Ikonenmalerin Janina Zang. Die Einzeichnung zielt auf die Darstellung der Stabachsen ab.


Peter Klink hat beim Original von 1411 vor allem auf die Exzentrik der Köpfe und den Bezug zum Kelch, aber auch auf die im Bild enthaltenen Kreissegmente Wert gelegt und dazu die Pentagramme variiert. Ein Widerspruch zu obiger Einzeichnung entsteht dadurch nicht. Ganz im Gegenteil, es wird die Flexibilität und Mächtigkeit der Pentagrammkontruktion verdeutlicht.

Dass bis 1400 bei den allermeisten Ikonen die Bildsymmetrie über das Pentagramm allein den Ton angab, haben wir im Eingangskapitel an einigen Beispielen bereits demonstriert. Rubljow beschritt also mit seiner dualen Darstellungsweise Neuland!

Einzeichnung von Peter Klink

Die "Dreifaltigkeit" war nicht die einzige Ikone Rubljows, die über das Pentagramm konstruiert wurde. Andere zeichneten sich hier ebenso aus, z. B. die "Auferstehung", die Rubljow 1408 anfertigte und sich heute ebenfalls in der Tretjakow-Galerie befindet, oder die "Verkündigung des Engels" aus der Verkündigungskathedrale in Moskau. In ersterem Bild erklärt sich der Umkreis, in dem oben Christus Pantokrator sitzt, bezüglich seines Zirkelpunktes nur durch das aufgespannte Pentagramm, im zweiten Bild verrät vor allem der mythische 72°-Winkel des Engelsstabes die Pentagramm-Konstruktion. Wir haben ihn dazu optisch hervorgehoben!

Andere Ikonenmaler taten es Rubljow nach. So ist z. B. folgender Christus mit Kreuz und Heiligenschein (aus unbekannter Hand) komplett über ein Pentagramm mit Umkreis aufgerissen. Eine umgekehrte Pentagrammspitze bildet den Spitzbart ab. Interessanterweise hat der Künstler bewusst den Kopf aus der Symmetrieachse ein wenig nach rechts gedreht und damit die Pentagramm-Optik aufgelöst - ein Effekt, den man ähnlich weiter unten bei Leonardo da Vincis Mona Lisa beobachten kann!

Der Grieche Theophanes (1330-1410) war der Lehrer Rubljows und diesen stilistisch sogar voraus. Theophanes stammte aus Konstantinopel und hatte möglicherweise mit dem spätbyzantinischen Stil auch das Pentagramm mit nach Russland gebracht. In seiner "Verklärung des Herrn" (um 1380) versuchte er bereits, dieses meisterhaft zu variieren:

Diese Art der variierenden Pentagramm-Technik des Theophanes darf man getrost als revolutionär für die damalige Zeit ansehen!

 

Selbstredend ist mit diesen Einzelbeispielen die orthodoxe Ikonenmalerei nicht annähern vollständig beschrieben. Bei aller Begrenztheit des Sujets sind aber in der russischen Schule unter Theophanes, Rubljow u. a. schon vor 1400 große Umwälzungen angekündigt: Die Starrheit des Spätmittelalters wird überwunden und den abgebildeten Figuren sind neue, individuelle Züge verliehen, ohne dass Können der Antike und der religiose Gehalt dabei außer Acht gelassen worden wäre! Die russischen Ikonenmaler um 1400 bereiteten so auf ihre Weise einer neuen Weltsicht den Weg und nahmen damit auf äußerst originelle Weise an der europäischen Renaissance teil!

 

 

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