Die Zeit der Gotik

© Peter Klink und Werner Robl

 

Fragment eines Altarretabels der Erfurter Schule, 13. oder 14. Jhd.

Das um 1350 in Erfurt entstandene Tafelbild von 98,5 x 90 cm Größe gehörte einst zum Augustineraltar im Erfurter Dom und befindet sich heute im Angermuseum Erfurt.

Peter Klink stellt hier den Bildaufbau anhand von Planungspentagrammen vor, welche oben in einem 8-strahligen Stern der Verheißung kulminieren!

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Gotisches Fresko des heiligen Christophorus in Glurns (um 1450)

In einem Laubengang der historischen Kleinstadt Glurns im südtiroler Vintschgau entdeckte Peter Klink nebenstehendes Fresko des heiligen Christophorus. Es stammt aus der Zeit um 1450 und wird in einem eigenen Kapitel "Südtirol" vorgestellt.

Zur näheren Information bitte auf das nebenstehende Bild klicken!

 

 

 

 

Das Maßwerk der gotischen Fenster in der Kathedrale von Chartres

Die berühmte Kathedrale von Chartres birgt im Maßwerk seiner Fenster das Symbol des Pentagramms als Ausdruck vollendeter, göttlicher Harmonie. Die unteren Pentagrammspitzen dienen als Zirkelpunkt für zwei Umkreise, die mit ihrem Krümmungsradius den Spitzbogen jedes Fensters definieren!


Einzeichnung von Werner Robl

 

 

Der frühgotische Giebel der Kathedrale Ste. Marie Madeleine in Vézelay

Harald Specht weist in seinen Büchern auf eine Pentagramm-Konstruktion im Giebelfeld der Kathedrale Sainte-Marie-Madeleine von Vézelay hin.

In der Tat ist der gesamte Spitzbogen dieses Giebelfelds über ein großes Pentagramm aufgespannt, das zusammen mit Unterpentagrammen auf seinen Spitzen nahezu alle notwendigen Konstruktionslinien dieses Giebelfeldes beschreibt, sowohl die vertikalen als auch die horizontalen, außerdem die Positionen der Fenster und der integrierten Heiligenfiguren.

Der Fünfzahl des Pentagramms entspricht auch die Fünfzahl an Figuren und die Fünfzahl der frühgotischen Fenster: Der thronende Jesus im Zentrum mit Maria und Maria Magdalena sowie 2 Engeln an den Seiten ziert das Giebelfeld selbst, darunter stehen zwischen den 5 Fenstern Johannes Baptista, die Apostel Andreas, Petrus und Paulus, der Evangelist Johannes sowie der heilige Benedikt von Nursia. Die gesamte Figurengruppe ist im Gegensatz zum darunter liegenden Tympanon des Hauptportals im Original erhalten, sie stammt aus der Zeit um 1150 n. Chr..

 

 

Die gotische Kathedrale von Bayeux und andere Kirchenbauten

Die von 1180 an bis ins 15. Jahrhundert hinein errichtete, gotische Kathedrale von Bayeux weist einen Grundriss auf, der vom Architekten anhand von Planungspentagrammen erstellt wurde. Davon leiten sich nahezu alle wichtigen Baulinien und Fluchten ab:


Einzeichnung von Werner Robl. Auch die Spitzbögen der äußeren Chorfenster sind über das Pentagramm konstruiert!


Einzeichnung von Werner Robl

Das kleine rote Pentagramm zur Linken umspannt den gesamten Raum vom Westwerk bis zum Beginn des Querschiffs; die aus den Knotenpunkten abgeleiteten Baulinien sind hier blau unterlegt. Ein entgegengesetzt ausgerichtetes, größeres Pentagramm (gelbe Linien) spannt den gesamten Volksraum der Kathedrale auf, vom Eingangsportal bis zum Ostabschluß des Querschiffs. Die von diesem Pentagramm abgeleiteten Fluchten sind grün hinterlegt. Auch der später hinzugekommene Chorraum wurde mit Hilfe von Planungspentagrammen (magenta) projektiert. Die davon abgeleiteten Baulinien weisen eine rosa Farbe auf. Davon leiten sich auch viele Details der Planung ab, z. B. die Dimension der Sakristeianbauten, die beiden Umkreise des Chorumgangs, der Querdurchmesser und die Länge der Hauptapsis, die inneren Fluchten der Aufgänge zum Obergeschoß sowie die Dimension der äußeren Seitenapsiden u. v. a. m.

Großpentagramme, die den gesamten Volks- oder Laienraum wie hier umfassen, hat der Architekt Wolfgang Kamke für eine Vielzahl romanischer und gotischer Kirchen in ganz Europa ermittelt und in seinem Werk "Pentagramm, Hexagramm und Achtort bei Kirchen der Zisterzienser und anderer Kirchen" (Berlin 2003) hinterlegt.  Da es zu weit führen würde, diese Kirchengrundrisse hier alle im Detail vorzustellen, verweisen wir auf die zugrundeliegende Arbeit   und beschränken uns an dieser Stelle auf eine kleine subjektive Auswahl. Zur besseren Erkennbarkeit haben wir die Pentagramme optisch hervorgehoben.

Wir beginnen zunächst mit einigen englischen und französischen Kathedralen. Immer findet sich für den Volksraum derselbe pentagonale Flächenentwurf.


Farbliche Markierung der Pentagramme durch Werner Robl

Der Zisterzienserorden ist für die Austerität seiner Klosterkirchen bekannt. Selbst in gotischer Zeit dominieren bei vielen Zisterzienserkirchen die Stilelemente der Romanik. Auch hier war die Arbeit mit Planungspentagrammen weit verbreitet; der von Kamke vorgestellte geographische Rahmen erstreckt sich von Polen bis nach Irland und Galizien an der Nordwestspitze Spaniens. Ein weiteres Mal dient das Hauptpentagramm der Kirche zur planimetrischen Erfassung der Längs- und Querschiffe, also des gesamten Laien- oder Volksraums. Wolfgang Kamke stellt in diesem Zusammehang neben alternativen Hexagrammen und Achtorten, die wir an dieser Stelle übergehen, da sie uns von untergeordneter Bedeutung erscheinen und in der Regel auch nur das Längsschiff betreffen, auch die Möglichkeit ineinander verschränkter Pentagramme vor - gerade so, wie wir es oben auch für die Kathedrale von Bayeux exemplarisch definiert haben. Die jeweiligen Pentagramm-Paare sind bei 5 der nachfolgenden 15 Zisterzienserkirchen optisch entsprechend hervorgehoben.


Farbliche Markierung der Pentagramme durch Werner Robl

Das Planungspentagramm beim Kirchen- und Kathedralbau war kein Spezifikum der Gotik, sondern es taucht, wie bereits in vorangehenden Kapiteln nachgewiesen wurde, bereits in der Spätantike und in der Karolingerzeit auf und selbstverständlich auch in der Zeit der Romanik. Aus der Zeit der deutschen Romanik hat Wolfgang Kamke ebenfalls einige Beispiele vorgelegt. Auch diese Kirchen wollen wir an dieser Stelle abschließend vorstellen, selbst wenn sie den Zeitrahmen des vorliegenden Kapitel überschreiten.


Farbliche Markierung der Pentagramme durch Werner Robl

Es kommt in Zusammenhang mit den Kirchengrundrissen auf die Quinessenz an:

Die Verwendung von Planungspentagrammen gehörte zu den Grundprinzipien des Kirchen- und Kathedralbaus - von der Spätantike über die Romanik bis zur Gotik!

 

 

Robert de Luzarches und die Kathedrale von Amiens (ab 1220 n Chr.)


Einzeichnung von Werner Robl. Die Bedeutung des Pentagramms am nördlichen Seitenschiff wird unten erklärt.

Die Kathedrale von Amiens hat gegenüber den anderen französischen Kathedralen ein Alleinstellungmerkmal: Sie stellt mit 133,5 m lichter Länge und 42,30 m lichter Höhe das größte französische Kirchengebäude des Mittelalters dar. Und: Sie ist eine der wenigen Kathedralen, von der die Namen der Architekten und Erbauer bekannt sind: Die gotische Kathedrale von Amiens wurde, nachdem ein romanischer Vorgängerbau im Jahr 1218 einem Brand zum Opfer gefallen war, von einem gewissen Robert von Luzarches im Auftrag Bischof Evrards von Amiens geplant und von 1220 an in 20-jähriger Bauzeit errichtet. Nach einer 18-jährigen Unterbrechung wegen Geldmangels konnten ab 1258 die Baumeister Thomas von Cormont und sein Sohn Renaut den Kathedralbau im Sinne Roberts von Luzarches vollenden.

Nur wenig ist von Robert bekannt, eines aber ist gewiss: Er kannte sich in allen geometrischen Figuren der antiken Baukunst bestens aus. Man erkennt dies z. B. am oktogonalen Labyrinth im Boden des Mittelschiffs der Kathedrale, das auf Robert de Luzarches persönlich zurückgeht und jüngst rekonstruiert wurde.

Nachdem schon einige Kathedralen mit Grundriss-Pentagrammen vorgestellt wurden, ist es fast eine Banalität darauf hinzuweisen, dass auch Robert von Luzarches das Pentagramm als Planungshilfe kannte und bei seinem Entwurf für Amiens verwendete. Wie in vielen anderen Kirchen seiner Zeit wurde der Grundriss der Kathedrale von Amiens über Pentagramme aufgerissen - und dabei wie üblich der Volksraum (Schiffe) vom Priester- oder Mönchsraum (Chor) getrennt. Folgende Graphik erklärt am besten die genauen Verhältnisse der Kathedrale von Amiens: So definierte z. B. die Breite der Querschiffe über das Pentagramm die Länge des Mittelschiffs bzw. umgekehrt. Und die Breite des Chors gab auf demselben Weg auch die Dimension der Chorrundungen vor.


Einzeichnung von Werner Robl

Auch am berühmten Westportal der Kathedrale kommt die Pentagramm-Technik Roberts teilweise zum Tragen. Man beachte beim Betrachten des folgenden Bildes, dass die beiden unteren Klein-Pentagramme im Mittelbereich sich auf die Dorsal- oder Türebene des Hauptportals beziehen und nicht mit der Frontalebene desselben in einen Topf geworfen werden dürfen.

Es war vermutlich ebenfalls noch Robert von Luzarches, der das Pentagramm als von ihm besonders verehrte Struktur direkt in eine der großen Fensterrosetten der Kathedrale integrierte. In der Tat entdeckt das Auge an der großen Rosette des Nordflügels ein auf dem Kopf stehendes Pentagramm! Ob es bereits Robert oder erst seine Nachfolger aus Cormont waren, die das Fenster verwirklichten, müssen wir offen lassen.


Hervorhebung durch Werner Robl

Vom zentralen Pentagramm aus hat der Architekt in raffinierter Weise nach außen gearbeitet und eine 30-teilige Gesamtrosette aus 5 x 6 Einzelfeldern geschaffen. Die Mulitplikation der Strahlen geschah zunächst durch eine Vierteilung der Zwischenräume zwischen den Pentagrammspitzen, eine nochmalige Zweiteilung der beiden inneren Sektoren ergab am Ende die besagte Sechserteilung. Auch bei dieser komplizierten Radialkonstruktion kam u. a. der halbe Pentragrammspitzenwinkel von 18° zum Tragen. Diese und weitere Details der Konstruktion entnimmt man am besten optisch den Bilddarstellungen.

Beim Blick von Außen bleiben zwei Spitzen des Pentagramms von Amiens durch Strebepfeiler verdeckt, außerdem ist die genauere Betrachtung erschwert, da ein später vorgebautes Gebäude die nötige Distanz zum Querschiff verhindert.

Von innen dagegen präsentiert sich die Rosette ungestört in ihrer ganzen Schönheit - mit dem kompletten Zentralpentagramm und wunderbar getönten und gefärbten Glasfeldern.


Hervorhebung durch Werner Robl

Zusammenfassung:

Robert von Luzarches und seine Nachfolger waren wie fast alle großen Kathedralbaumeister ihrer Zeit in die Verwendung von Pentagrammen als Planungshilfe beim Kirchenbau eingearbeitet und darin beschlagen!

Mehr noch: Sie bekannten sich offen zum Pentagramm und verewigten es als zierendes Fensterelement in der Kathedrale von Amiens!

Es wäre sicherlich möglich, im Folgenden das Pentagramm-Prinzip auch an den anderen großen Kathedralen Frankreichs durchzuexerzieren, wir wollen es aber auf den wenigen, bis jetzt vorgestellten Beispielen bewenden lassen.

 

 

Das Pentagramm an der Marktkirche St. Georgii et Jacobi in Hannover

Wenden wir uns nach Norddeutschland: Die protestantische Marktkirche St. Georgii et Jacobi ist die älteste der drei Pfarrkirchen in der Altstadt von Hannover. Die gotische Saalkirche ist ganz aus Backsteinen erbaut und datiert aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.

An 3 der 4 Giebelfelder des 97 m hohen Turms sind wichtige Symbole der mittelalterlichen Geometrie weithin sichtbar angebracht: An der Nord- und Südseite umschließt ein Hexagramm mit Umkreis (als sog. Davidstern) die beiden Turmuhren, an der Ostseite findet sich ein großes, auf dem Kopf stehendes Pentagramm - nunmehr ohne Uhr, aber ebenfalls mit Umkreis. Im Volksmund werden Pentagramme im Spitzenstand auch gerne Drudenfuß genannt und ihnen eine heidnische Bedeutung im Volksaberglauben zugeschrieben. Im vorliegenden Fall hat der Baumeister, um Missverständnisssen vorzubeugen, über allen Figuren ein großes Kreuz angebracht, dass über die vorchristlichen Symbole triumphiert. In der nachfolgenden Abbildung sind die Figuren zur besseren Erkennbarkeit optisch hervorgehoben.

An einer weiteren Stelle der Marktkirche erkennt man die Nützlichkeit des Pentagramms, welches am Turmgiebel nur Zierat gewesen war: Die Spitzbogen der Glasfenster in der Kirche sind wie in den Kathedralen von Chartes und Bayeux mit Hilfe des Fünfsterns konstruiert!

Einzeichnung von Werner Robl.

 

 

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