Wohl mehr als ein Zufall:

Gunthildis von Suffersheim, Radegundis von Wellenburg, Notburga von Rattenberg

drei fast identische Volksheilige des altbayerischen Raumes - mit einem Nachtrag zur heiligen Zita von Lucca

© Dr. Werner Robl, Berching 2012

Die heilige Gunthildis von Suffersheim

  Tafelgemälde St. Michael in Biberbach mit Szenen aus dem Leben der heiligen Gunthildis

Historisch Gesichertes ist über das Leben dieser heiligen Frau nicht überliefert, zugehörige zeitgenössische Dokumente sind nicht erhalten. Der Name Gunthildis kommt aus dem Althochdeutschen und bedeutet "kämpferische Kämpferin".

Gunthildis war eine fromme Dienstmagd unbekannter Herkunft, die sich durch besondere Mildtätigkeit und Fürsorge für die Armen auszeichnete. Noch vor dem Jahr 1060 ist sie bei Suffersheim in der Nähe von Treuchtlingen gestorben. Der Name Gunthildis hatte sich in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts in Deutschland verbreitet, nachdem mit Gunhild, der Tochter Knuts des Großen, (1019-1038) eine dänische Königstochter den deutschen Königsthron bestiegen hatte. Gunhild war die erste Ehefrau Kaiser Heinrichs III.

Der Bollandist Suysken hielt die heilige Gunthildis für identisch mit jener Gunthildis, von welcher im Pontificale Bischofs Gundekars II. von Eichstätt (amtierend 1057-1075) eine Abbildung mit einem Vers, in dem sie um ihre Fürbitte angerufen wird, enthalten ist. Hier wird der 28. September als Festtag bezeichnet und zugleich bestätigt, dass im Jahr 1060 in der Domkirche von Eichstätt ein Altar des hl. Ulrich und der hl. Jungfrau Gunthildis errichtet, und in demselben von ihr ein ganzer Arm und ein Schenkelbein als Reliquie eingelegt worden sei.

  Statue der hl. Gunthildis in Biber-
  bach, von 1470
Der Jesuit Gretzer und nach ihm Suttner hatten sich für die Verschiedenheit beider Gunthildis ausgesprochen: So sei die in Gundekar's Pontificale vorkommende helige Gunthildis mit der heiligen Cunthild von Ohrdruf identisch, mit jener vom heiligen Bonifazius aus England berufenen Äbtissin, die eine Tante des Bischofs Lullus von Mainz war und um 760 in Ohrdruf in Thüringen starb. Diese sei vor ihrem Eintritt ins Kloster vermählt und Mutter der heiligen Beratgita (Bergita, Brathgit) gewesen. Das Prädikat "virgo" bedeute in diesem Zusammenhang so viel wie "Nonne".

Es handelt sich hierbei um eine Version von wackeliger Beweislage, zumal sich im Pontificale die figürliche Abbildung der Gunthildis - eine Frau in äußerst schlichtem Gewand - deutlich vom aufwändigeren Äbtissinnenhabit der heiligen Walburga unterscheidet, das man auch bei der Thüringer Äbtisssin Cunthildis in ähnlicher Form annehmen sollte.

So verlässt man sich eher auf die mündliche Traditionen und alte Bilder, sowie auf eine Mitteilung des Benediktinerabtes Maurus Xaverius Herbst von Plankstetten (1701-1757), woraus die heutige Gunthildis-Legende geformt wurde:

Gunthildis dient viele Jahre als Viehmagd bei einem Gutsherrn in/bei Suffersheim und führte während ihrer ländlichen Beschäftigung ein so heiligmäßiges Leben, dass sie noch zu Lebzeiten den Mägden auf dem Lande ein bleibendes Vorbild wurde. Auch wenn sie den Werken christlicher Frömmigkeit in hohem Grad ergeben war, so blieben doch Mitleid und Barmherzigkeit ihre Lieblingstugenden.

Ihre größte Freude war es, den Armen Almosen zu geben. Durch ihr Gebet erwirkte sie von Gott, dass er zwei Quellen hervorbrechen ließ, die eine aus einem alten Weidenbaum, die andere aus karstigem Felsengestein. Bei dieser letzteren erlangte ein Aussätziger vollkommene Heilung. Zu diesen Quellen trieb Gunthildis auch das Vieh ihrer Herrschaft. Dasselbe gedieh dabei so vortrefflich, dass die Kühe außerordentlich viel Milch gaben. Von diesem reichlichen Segen gab Gunthildis auch reichlich den Armen.

Einmal soll sie armen Leprosen oder sonstigen armen Leuten in einem Geschirr Milch, die sie sich selbst vom Mund abgespart hatte, als barmherzige Gabe zugetragen haben. Als ihr geiziger Herr ihr begegnete und sie erzürnt fragte, was sie da wegtrage, antwortete sie "Lauge". Der misstrauische Dienstherr sah nach und sah in dem Gefäß tatsächlich nur Waschlauge. Später, als Gunthildis bei den Armen ankam, hatte sich die Lauge wieder zurück in Milch verwandelt.

In diesem Dienst am Nächsten verblieb die fromme Magd bis ans Ende ihres Lebens.

Gunthildis starb schließlich, reich an Gnaden und Tugenden, eines seligen Todes. Man lud die Leiche der bereits verehrten Magd auf einen Wagen und spannte zwei ungezähmte Ochsen, die noch kein Joch getragen hatten, an denselben. Diese zogen die Leiche durch das Tal des Schambaches bis in die Nähe von Suffersheim. An einem Abhang blieben sie stehen und weigerten sich, weiter zu gehen. Aufgrund dieses Gespann-Wunders wurde nun dieser Fleck Erde am Rande des Hangwaldes als der Ort ihres Begräbnisses anerkannt und ihr Leichnam dort zur Erde bestattet.

Bald darauf geschahen am Grab viele Wunder. In Folge dessen wurde über diesem Grab noch im 11. Jahrhundert eine erste Kapelle erbaut.

  Urkunde des Weihbischofs Seyfried von Hierapolis von 1398
Für das Jahr 1398 ist eine Altarweihe in der Gunthildis-Kapelle durch den Eichstätter Weihbischof Seyfried von Hierapolis dokumentiert; es wird von regen Wallfahrten in die parochia Suffersheim berichtet.

Im 15. Jahrhundert hatte sich die Verehrung der Gunthildis bereits weit verbreitet. Im Jahr 1480 trifft man sie auch in weiter entfernten Orten, wie z. B. Monheim, an.

Nach 1520 wurde Suffersheim auf Betreiben der Pappenheimer Patronatsherren protestantisch und die Anhänger des neuen Glaubens kümmerten sich in ihrer Verachtung für die Heiligenverehrung und den Reliquienkult nicht mehr um eine heilige Dienstmagd. Vermutlich zur damaligen Zeit wurde die Verehrung der Heiligen durch den Bischof von Eichstätt schwerpunktmäßig ins Untere Hochstift Eichstätt, in das katholisch gebliebene Biberbach, verlagert. Biberbach liegt zwischen Berching und Beilngries in der unmittelbaren Nähe des Klosters Plankstetten.

Der Kult der Gunthildis bliebt bis in jüngste Zeit auf diesen Ort beschränkt, da Suffersheim mit seiner Kirche St. Michael protestantisch blieb. Daher ist die Suffersheimer Kirche nur sehr karg ausgestattet, vergebens sucht man ein Bild oder eine Statue der Gunthildis. Eine Verehrung der heiligen Gunthildis findet dort nach protestantischem Verständnis nicht mehr statt. Auch vom einstigen Hochgrab der Heiligen in dieser Kirche ist heute nichts mehr übrig geblieben.

Nachdem die Gunthildis-Kapelle draußen im Schambachtal durch die Unbilden der Reformation und des Dreißigjährigen Krieges sehr heruntergekommen war, blieb in der Suffersheimer Gegend die Legende allenfalls noch in der mündlichen Überlieferung der Landbevölkerung erhalten.

In Biberbach an der Sulz dagegen war Gunthildis wahrscheinlich schon vor der Reformation als Sekundär-Patronin gewählt worden, in Folge einer mächtigen Hilfe, die auf die Fürbitte dieser Patrona pecoraria anlässlich einer Viehseuche in den Jahren 1512-1514 den Bewohnern zuteil ward.

Die katholische Kirche gedenkt heute am 22. September der Heiligen. Dieser Termin geht auf die Bollandisten zurück und ist insofern willkürlich festgelegt, als in Biberbach das Patrozinium der heiligen Gunthildis traditionell am Kirchweihfest, nämlich am Sonntag vor dem Fest St. Michael gefeiert wurde, also zwischen dem 22. und 28. September.

Bei bildlichen Darstellungen der Heiligen werden ihr in der Regel folgende Attribute beigegeben: Milchkübel, Käselaib und Kuh. Gunthildis gilt als Patronin der Dienstboten, Mägde und Knechte, als Hüterin der Viehherden und als Fürbitterin gegen Aussatz und Viehseuchen.

Zurück zu den wichtigsten Kultstätten der Gunthildis:

  Kirche St. Michael in Suffersheim
 
Suffersheim ist eine sehr alte Ortschaft, es wurde bereits 867 als Schenkung König Ludwigs des Deutschen an das Kloster Metten urkundlich erwähnt. Die evangelisch-lutherische Filialkirche St. Michael in Suffersheim - zur Kirchengemeinde Neudorf-Suffersheim gehörend - wurde am Hang des Mühlbergs 1722/23 auf mittelalterlicher Grundlage erbaut; die romanische Vorgängersubstanz war schon im Dreißigjährigen Krieg so ruinös, dass sich Reste vermutlich nur noch in Teilen des Kirchenschiffs erhalten haben. Das Kirchenportal mit Bogenfeld, darin ein römisches Kreuz, stammt noch aus dem 11. Jahrhundert. In der St. Michaelskirche soll sich ein als "erhobenes Grab" bezeichneter Kenotaph der heiligen Gunthildis befunden haben, der bis ins 17.Jahrhundert belegt ist. Vermutlich waren schon im 12. Jahrhundert die Gebeine der heiligen Gunthildis dorthin verbracht worden, nachdem das Reliquiengrab in der Gunthildiskapelle im Schambachtal zu unsicher geworden war. Eine Niederschrift des Abtes Dominikus von Plankstetten aus dem Jahre 1651 beschreibt die Grablege der heiligen Gunthildis mit Ganzkörperskelett sehr authentisch; die Rede ist von ihren "integra ossa".

 

1,5 Kilometer südwestlich von Suffersheim stand im Mittelalter auf einer Hangterrasse des malerischen Schambachtales die oben erwähnte Wallfahrtskapelle zur hl. Gunthildis, die nach der Reformationszeit untergegangen ist.

  Stich aus J. H. von Falckenstein: "Nordgauische Alterthümer und
  Merckwürdigkeiten", Bd. 1, Schwabach, 1734.

Um die Kapelle herum ließen sich weitere Gebäude, darunter ein Bruderhaus, mehrere Wirtschaftsgebäude, eine Ringmauer sowie mehrere Grablegen nachweisen. Kurz vor der Reformation befand sich also hier ein stattlicher Gebäudekomplex. Eine historische Darstellung des Gespann-Wunders der Gunthildis aus dem Jahr 1734 - enthalten in J. H. von Falckenstein: "Nordgauische Alterthümer und Merckwürdigkeiten", Bd. 1, Schwabach 1734 - gibt im Hintergrund dazu passende Baulichkeiten wieder. Wurde diese Darstellung in früheren Zeiten als reine Fantasiedarstellung abgetan, so gewinnt sie jetzt nach Exploration der Fundamente der Gebäude durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die damalige Realität abzubilden.

  Fundamente der mittelalterlichen Gunthildis-Kapelle im Schambachtal
Archäologische Grabungen in den Jahren 1996 bis 1998 haben ergeben, dass bereits im 11. Jahrhundert dort ein kleiner Saalbau von 11 x 5 m Größe stand, mit hufeisenförmiger, gestelzter Rundapsis und einer Bedachung mit Hohlziegeln. Eine Chorschranke und ein im Boden befindliches Reliquiengrab von ca. 1 x 1 x 1 m Größe links vorn an der Apsis deuten auf eine bereits herausgehobene Funktion dieses ersten Kirchenbaus hin.

 
Im 14. Jahrhundert wurde diese Kapelle durch eine etwas größere und achsengedrehte Kirche von 15 x 8 m Kantenlänge überbaut und im 15. Jahrhundert durch ein linkes Seitenschiff und eine Sakristei zusätzlich erweitert. Diese Kirche besaß eine Biberschwanzdeckung. Aufgefundene farbige Putzstücke lassen an eine Fresko-Bemalung denken.

Darstellungen aus dem 15. Jahrhundert zeigen die heilige Gunthildis mit einem Milchkrug, einem Käselaib und einer Kuh. Aus derselben Zeit stammt der Grabungsfund einer kleinen Terrakotta-Kuh, die als Votivgabe für die Verehrung von Sankt Gunthildis als Viehpatronin zeugt.

Mit Einführung der Reformation durch die Pappenheimer Patronatsherren erloschen Verehrung und Wallfahrt. Die Gebäude im Schambachtal verfielen, der Dreißigjährige Krieg richtete wohl weitere Schäden an, Sankt Gunthildis geriet über Jahrhunderte in Vergessenheit. Im 18. Jahrhundert wurden die letzten ruinösen Reste der Kapelle im Schambachtal ganz abgetragen.

  "Schneckenhaus Gottes" - moderne Gunthildis-Kapelle im Schambachtal

Heute steht wenige Meter nordöstlich der 1957 freigelegten Fundamente eine 1993 bis 1995 erbaute ökumenische Gunthildis-Kapelle in Form eines Ammoniten. Dieses Kirchlein wird auch "Schneckenhaus Gottes" genannt. Ammoniten werden im bayerischen Jura recht häfig als Versteinerung gefunden, deshalb wählte der Architekt Johannes Geisenhof deren Form für den kleinen Zentralbau. Im Übrigen verwendete er zur Errichtung traditionelle regionale Baustoffe wie Bruchstein und Legschiefer und setzte so ein Konzept um, das sich weder auf rechte Winkel noch auf waagerechte und senkrechte Linien stützt. Die Kapelle entstand auf Initiative katholischer und evangelischer Christen und wird von einem Förderverein auf ökumenischer Basis getragen.

Durch den Schneckeneingang gelangt man in das Innere der Kapelle -einem Ort der Abgeschlossenheit und Ruhe, der sein Licht nur aus drei kleinen Fenstern und dem Zugang bezieht. Der leicht ansteigende Schneckengang windet sich in das Innere und findet seinen Abschluss in einem Ambo aus Kalkstein. Der Ambo symbolisiert mit den zwölf Säulen die zwölf Stämme Israels, das Judentum; sie sind der Ursprung des Volkes Gottes.

  Gunthildis-Brünnlein
Auf dem Ambo liegt die Heilige Schrift - das Wort Gottes. Das Kreuz des Christentums hängt im Mittelpunkt, genau über dem Ambo. Der Körper Christi ist nicht mehr Materie - er zeigt sich im Licht der Auferstehung. Kreuz und Ambo verkörpern auch die friedliche Begegnung des Christentums mit dem Judentum. Geborgen unter einem Zeltdach stützen zwölf Dachbalken das schwere Steindach - wie die zwölf Apostel die Kirche Christi. In einer Nische steht die Juramarmor-Figur der heiligen Gunthildis. Sie weist mit der einen Hand auf das Kreuz, mit der anderen auf die Heilige Schrift. Wie zu ihrer Lebenszeit vor tausend Jahren lenkte sie die Suchenden auch heute auf Christus hin. Ambo, Kreuz und Figur schuf der Künstler Heinz-Leo Weiß aus Nürnberg. Das Gitter fertigten die Metallgestalter Weber und Hermann.

Etwa 200 Meter westlich des Schneckenhauses Gottes ist 2005 am Flurweg der Flemm-Mühle eine historische Quelle, die erst Gunthildsbrunnen, dann Gündelsbrünnlein, schließlich Goldenes Brünnlein hieß und der man eine Heilwirkung zusprach, als Gunthildis-Brünnlein neu gefasst worden. In früheren Zeiten trieben hierher die Bauern der Umgebung ihr krankes Vieh. Bis ins 19. Jahrhundert hinein kamen nachweislich die Bewohner von Trommetsheim, um hier Wasser zu holen. Früher hinterließen sie wohl beim nahen Bruderhaus mit Kapelle auch Votivgaben und Geldspenden. Der steinerne Bildstock über der Quelle zeigt eine Reliefdarstellung der Heiligen, ein Werk des Bildhauers Reinhard Fuchs.

 


  Wehrkirche St. Michael in Biberbach
In der Nähe der im Sulztal gelegenen Abtei Plankstetten liegt der Pfarrort Biberbach, dessen schriftliche Überlieferung bis in das 11. Jahrhundert zurückgeht (Ersterwähnung 1080 anlässlich der Wildbannverleihung Kaiser Heinrichs IV. an Bischof Udalrich von Eichstätt). Spätestens während der Reformation ging, wie bereits erwähnt, der Gunthildis-Kult von Suffersheim auf diese Kirche im katholisch gebliebenen Unteren Hochstift Eichstätt über. Nähere Dokumente hierzu haben sich nicht erhalten.

Die Biberbacher Kirche ist auffallenderweise wie diejenige in Suffersheim dem heiligen Erzengel Michael geweiht, Nebenpatrone sind die heilige Gunthildis und der heilige Sigismund von Burgund.

Der Biberbacher Kirchplatz erscheint sehr alt, man darf von einer romanischen Vorgängerkirche ausgehen, von der sich jedoch keine Reste erhalten haben. Möglicherweise geht ein gewisser Gunthildis-Kult schon auf diesen Vorgängerbau zurück, denn schon um die Mitte des 11. Jahrhunderts soll Bischof Gundekar, der im Jahre 1075 starb, einen Altar in Biberbach eingeweiht haben (siehe oben).

Der jetzige Bau, der von einer hohen Wehrmauer umgeben ist, ist eher als gotischer Bau dem 15./16. Jahrhundert zuzuordnen, wobei das Schiff später barockisiert wurde. Auf der einen Seite des Hochaltars steht eine Statue der Gunthildis aus der Zeit um 1500, wobei die Heilige mit beiden Händen einen Milchkübel umfasst.

Rechts hinter im Kirchenschiff findet man auf einer Konsole die bereits oben erwähnte und abgebildete, älteste figürliche Darstellung der heiligen Gunthildis von 1470, mit Käselaib und Milchtopf.

  Tafelbilder des heiligen Sigismund von Burgund
An der linken Schiffswand findet sich das ebenfalls oben abgebildete, aus 9 Abteilungen bestehende Tafelgemälde, welches unmittelbar präreformatorisch, im Jahr 1517, entstand und die entscheidenden Ereignisse in der Lebensgeschichte der heiligen Gunthildis darstellt.

Gegenüber zeigen gleichartig aufgebaute Tafelbilder Episoden aus dem Leben des heiligen Sigismund, eines Burgunderheiligen aus dem 6. Jahrhundert (+ 524).

Beide Tafelgemälde wurden 1630 im Rahmen einer Restaurierung übermalt. Die antithetische Gegenüberstellung der beiden Heiligen geschah sicher nicht ohne Grund. Während die heilige Gunthildis aus dem untersten Stand der Feudalgesellschaft - dem der Dienstboten und Unfreien - entstammte, repräsentiert der Burgunder Sigismund einen Heiligen aus königlichem Stamm, somit den höchsten Stand der mittelalterlichen Gesellschaft.

Die Gläubigen der Nachbargemeinden wallfahren heute noch nach Biberbach, sowohl einzeln, als auch in Gruppen. Das Hauptfest der Heiligen, an dem die meisten Wallfahrer sich einfinden, ist am Sonntag vor dem Fest des heiligen Erzengels Michael (siehe oben).

  "Scheunenkirche" von Dettenheim
In Dettenheim bei Weißenburg ist Gunthildis in neuerer Zeit zur Patronin der sogenannten Scheunenkirche erkoren worden. Es handelt sich um einen Not-Kirchenbau aus dem Jahr 1956, der für eine kleine katholische Diaspora-Gemeinde in einer Jura-Scheune des Dettenheimer Schlosses aus dem Jahr 1814 behelfsmäßig eingerichtet wurde.

Das Altarbild besteht aus einem Webteppich, dessen Schriftzug dem mittelalterlichen Prachtband Bischof Gundekars von Eichstätt, dem Pontificale Gundecarianum entnommen ist: "Tu prece condigna Gunthildis adesto benigna!"

Von links nach rechts: Gunthildis-Statue aus Beilngries, Gemälde der heiligen Gunthildis aus Böhmfeld, Gunthildis-Statue aus Schambach (hist. Darstellung aus den Kunstdenkmälern von Bayern)
 

 
Im linken hinteren Seitenschiff der Pfarrkirche von Beilngries befindet sich eine Statue der Heiligen Gunthildis, mit einem Milchkrug in der Rechten und einem Käselaib in der Linken. In der Kirche von Böhmfeld bei Eichstätt befindet sich ein Ölgemälde der Heiligen. Dargestellt ist die Heilige als Hüterin der Herden. In der Kirche von Schambach bei Gungolding findet sich eine altertümliche Figur der Heiligen mit Schmalzkübel und Butterfass.
 

  Tafelbild aus der Kirche von Wallesau
 
Im Örtchen Wallesau einige Kilometer westlich von Hilpoltstein soll als erste Kirche schon um das Jahr 1000 eine Gunthildis-Kapelle gestanden haben. Zumindest berichtet dies die örtliche Tradition [Link]. Was die Datierung anbelangt, so dürfte das Jahr 1000 doch deutlich zu früh gegriffen sein; dass es sich bei der in Wallesau verehrten Heiligen um Gunthildis von Suffersheim gehandelt hat, ist indessen gewiss. Wir erlauben uns an dieser Stelle ein altes Tafelbild dieser Kirche vorzustellen, welches das Gespannwunder der Gunthildis zur Darstellung bringt.

In der Kirche von Wörmersdorf bei Pollenfeld, wenige Kilometer nördlich von Eichstätt, hängt rechts von Altar ein barockes Tafelbild mit Darstellung der Heiligen Adelheid, Kunigunde und Gunthildis, wobei Gunthildis auch hier durch den Melkeimer eindeutig als die Magd von Suffersheim ausgewiesen ist. [Link]

 


Die heilige Notburga von Rattenberg

  Geburtshaus der heiligen Notburga in Rattenberg - Die Rottenburg bei Jenbach am Inn (heute Ruine)

 

Notburga, die beliebteste Tiroler Volksheilige, soll um 1265 in Rattenberg geboren und am 13. September 1313 auf der Rottenburg bei Rotholz, Gemeinde Jenbach in Tirol, gestorben sein. Urkundlich ist Notburga wie Gunthildis nicht fassbar.

Die heilige Notburga wird als Patronin der Dienstmägde und der Landwirtschaft verehrt. Der Notburga geweihte Kirchen und Altäre finden sich nicht nur in Tirol, sondern auch in der Ost-Steiermark und in Slowenien.

Der Legende entstammte Notburga einer Hutmacher-Familie in Rattenberg am Inn. Der Ort gehörte damals zum Herzogtum Bayern.

  Verwandlungswunder der heiligen Notburga - Deckengemälde der Kirche
  in Eben am Achensee

Notburga verdingte sich 1283 als Dienstmagd bei Heinrich I. von Rottenburg. Der Stammsitz der Familie war, wie der Name sagt, die Rottenburg oberhalb von Rotholz bei Jenbach am Inn. Die Herren von Rottenburg waren zu dieser Zeit die Hofmeister der Grafen von Tirol.

Notburga kümmerte sich nach Dienstantritt mit Vorliebe um Arme, Behinderte und Kranke. So verteilte sie mit Duldung ihres Dienstherrn die Reste der Speisen von der Burg an die Bedürftigen.

Als Heinrich I. verstarb und sein Sohn Heinrich II. von Rottenburg der neue Herr der Burg wurde, verbot dessen Frau Ottilia, dass Notburga weiterhin die Speisereste an das Volk verteilte. Notburga gehorchte und legte von da an für sich selbst regelmäßig Fastentage ein. Das Essen, das sie an diesen Tagen nicht aß, verteilte sie weiterhin an die Bedürftigen. Auch dieses Verhalten missfiel Ottilia, so dass sie ihren Mann gegen Notburga aufbrachte.

Eines Tages, als Notburga in ihrer Schürze Essen für die Armen und in der Hand einen Krug mit Wein trug, hielt sie ihr Dienstherr auf dem Burghof an. Er wollte von ihr wissen, was sie bei sich trage. Der Legende nach soll Notburga geantwortet haben: "Holzspäne und Lauge."

    Bilderzyklus zum Leben der heiligen Notburga an ihrem Geburtshaus in Rattenberg
Als Heinrich II. von Rottenburg, der ihr keinen Glauben schenkte, nachsah, trug sie in ihrer Schürze tatsächlich Holzspäne, und im Krug war nichts anderes als Waschlauge.

Der misstrauische Dienstherr beendete das Dienstverhältnis jedoch bald, und Notburga musste die Rottenburg verlassen. Notburga ging auf Wanderschaft, auf der Suche nach einer neuen Anstellung.

In der nahen Gemeinde Eben am Achensee fand Notburga eine Anstellung als Bauernmagd auf dem Spießen-Hof. Sie versorgte das Vieh und half bei der Feldarbeit. Notburga hatte sich bei ihrem Bauern das Recht erbeten, beim ersten Glockengeläut am Abend die Arbeit niederzulegen, um zu beten.

  Von links nach rechts: Notburga-Statue in der Kirche von Scheffau am Wilden Kaiser - Sogen. "Versöhnungsbild"
  in der (neuzeitlichen) Burgkapelle der Rottenburg - Notburga als Spenderin, Gemälde im Pfarrhof von Eben
Eines Nachmittags, als das Wetter umzuschlagen drohte, verlangte der Bauer von seinem Gesinde, nicht eher die Arbeit niederzulegen, als alles Getreide eingeholt sei. Dennoch legte Notburga beim ersten Glockengeläut wie immer die Arbeit nieder. Der Bauer wurde zornig und wollte sie nicht gehen lassen. Der Legende nach warf Notburga ihre Sichel in den Himmel, wobei diese an einem Sonnenstrahl hängen blieb. Der Bauer erschrak und ließ Notburga zur Verrichtung ihrer Gebete ziehen.

Nach dem Tod Ottilias von Rottenburg fand diese, so berichtet die Legende, keine Ruhe im Grab; sie geisterte nachts als grunzendes Schwein im Schweinestall der Burg herum. Außerdem war auf der Rottenburg ein blutiger Bruderkrieg zwischen Heinrich II. von Rottenburg und seinem Bruder Siegfried ausgebrochen. Im Verlauf der Auseinandersetzung brannte es sogar auf der Rottenburg. In dieser Situation erinnerte sich Heinrich II. an seine vormalige Magd Notburga. Er bat sie, auf die Burg zurückzukehren. Für seine Frau stiftete Heinrich eine jährliche Speisung von 500 Armen. Notburga gelang es schnell, zwischen den Brüdern Heinrich und Siegfried Frieden zu stiften.

  Gespannwunder der Notburga - Deckengemälde aus der Kirche von Eben
  am Achensee
Bis an ihr Lebensende im Jahre 1313 blieb Notburga auf der Rottenburg. Heinrich II. und seine zweite Frau erlaubten ihr das Versorgen und Pflegen der Armen und Kranken auf der Burg. Aufgrund ihrer selbstlosen Hingabe stand Notburga schon zu Lebzeiten immer mehr im Ruf der Heiligkeit. Aber die Zeit ging auch an der Magd nicht spurlos vorüber. Eines Tages fiel sie in schwere Krankheit und wurde von Tag zu Tag schwächer.

Kurz vor ihrem Tod äußerte Notburga den Wunsch, dass man ihren Leichnam auf einen Karren mit zwei Ochsen legen und dort begraben solle, wo der Karren stehen blieb. Der Legende nach sollen die Ochsen den Karren von der Rottenburg hinab durch den Inn und dann wieder hinauf bis nach Eben am Achensee gezogen haben. Die Ochsen, so die Legende, hätten sie also "durch den Ynstramb und yber ainen hochen Berg" gezogen und erst vor der Kirche in Eben angehalten.

Nach ihrem Tod wurde Notburga vor dem Altar der Kirche St. Rupertus von Eben am Achensee beigesetzt. Im Jahr 1434 wurde dort eine Notburga-Kapelle eingeweiht. Anlässlich dieses Ereignisses kam es zur dokumentarischen Ersterwähnung der Heiligen. Das Patrozinium der Kirche selbst lautete auf den "Apostel der Baiern" Rupert; dies hatte wohl mit der Lage von Eben an einer ehemaligen Salzstraße zu tun. Die heilige Notburga selbst konnte rechtlich nicht als Kirchenpatronin fungieren, weil sie nicht kanonisiert war. Auf Grund einer sehr bald einsetzenden Wallfahrt zum Grab Notburgas wurde die Kirche in Eben um 1508 erweitert.

  Kirche St. Rupertus in Eben am Achensee
Im Jahr 1718 bestätigte bei Grabungen in der Kirche von Eben ein Fund die Notburga-Legende. Man fand ein Frauenskelett aus dem 14. Jahrhundert sowie Fragmente von Frauenkleidern und einen Koriander-Gürtel, die man Notburga zuschrieb. Am 22. August 1718 wurden diese sterblichen Überreste exhumiert und nicht, wie üblich, liegend in einer Seitenkapelle aufgebahrt, sondern als aufrecht stehende Reliquie in die Retabel des Hochaltars der Kirche integriert, wofür ein besonderes Privileg erforderlich war. Man wollte so den "heiligen Leib" für alle Pilger, Wallfahrer und Gläubigen sichtbar aufstellen. Das entsprach dem theatralischen Schaubedürfnis des Barock und sollte einen neuen Akzent in der Wallfahrt setzen. Erlaubte die christliche Ethik die Präsentation eines stehenden Skelettes am Hochaltar? Theologen und Juristen prüften den ungewöhnlichen Fall. 1735 bewilligte der Bischof von Brixen die Aufstellung der Ganzkörperreliquie dieser nach wie vor nicht kanonisierten Volksheiligen. Die Rechtmäßigkeit des Kultes wurde 1862 von Papst Pius IX. bestätigt.
  Plakat des Notburga-Museums in Eben am Achensee
Es überrascht, dass wir in der Kirche von Eben genauso wie in Biberbach im Sulzgau den heiligen Burgunderkönig Sigismund als dritten Kirchenpatron vorfinden. Es ist gut denkbar, dass König Sigismund als Nebenpatron wie in Biberbach gleichzeitig mit Notburga etabliert wurde, sozusagen in einem ikonographisches Kontrastprogramm: Menschen aus der Basis und von der Spitze der Feudalpyramide als Heilige vereint - als Beweis dessen, dass vor Gott alle Menschen ohne Rücksicht auf ihren Stand gleich sind!

In Eben am Achensee findet noch heute an jedem 13. September die feierliche Notburga-Prozession statt. Im Jahr 2004 wurde dort auch ein Notburga-Museum mit zahlreichen Darstellungen und Zeugnissen zum Leben der Heiligen eröffnet.

Notburga wird aber auch an vielen anderen Orten Tirols verehrt. In der ehemaligen Schalserkapelle in Jenbach sah man bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts noch häufig Mineralien vor dem Bild der Notburga liegen. Die Bergknappen opferten ihr, wenn sie Erzadern gefunden hatten, besonders schöne Steine, sog. "Kristalle".

Als Heilmittel gegen Tierkrankheiten diente die Erde in der Nähe von Notburgas Grab.

Katholischer Gedenktag Notburgas ist der 13. September. Er ist ein gebotener Feiertag in den Bistümern Innsbruck, Salzburg und Passau, ein nicht gebotener in den Bistümern Feldkirch, Graz-Seckau, Bozen-Brixen und München-Freising.

 


Die heilige Radegundis von Wellenburg

Die Jungfrau Radegundis, auch Radiana genannt, wird seit Jahrhunderten in der Nähe von Augsburg, in dem nach ihr genannten Weiler Radegundis bei der Wellenburg, und seit ca. 200 Jahren auch in der Gemeinde Waldberg, wo ihr Leichnam ruht, als Heilige verehrt. Obwohl nicht kanonisiert, ist auch sie eine "Volksheilige" im besten Sinne des Wortes.

  Die Wellenburg um 1530

Radegundis wurde der Überlieferung nach in Wulfertshausen bei Friedberg um 1290 (alternativ 1270) geboren und diente während der Regierungszeit Bischof Wolfharts von Roth (1290 - 1302) als Viehmagd auf der Wellenburg. Sie soll nur etwa 30 Jahre alt geworden sein. Wiederum finden sich keine zeitgenössischen Zeugnisse.

Das heutige Schloss Wellenburg, ein im Stil der Neugotik umgestaltetes "Fuggerschloss", liegt auf einem bewaldeten Geländesporn mit Namen "Sandberg" hoch über dem Tal der Wertach, im Stadtteil Augsburg-Bergheim. Es wird seit 1595 durchgehend von der Familie Fugger-Babenhausen bewohnt und ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich.

Etwa seit der Mitte des 13. Jahrhunderts war die Wellenburg in Besitz von hohen Ministerialen der Augsburger Domkirche, welche das Amt des bischöflichen "Kämmerers" bekleideten und den Titel camerarius über mehrere Generationen in ihrem Namen trugen. Seit 1285 amtierte auf der Wellenburg als Kastellan ein gewisser Hermann von Pfersee, der Schwiegervater Ulrichs des Kämmerers von der Wellenburg. Dieser muss ein Mann von empörender Willkür und Raubsucht gewesen sein, denn immerhin erließen die Reichsvögte von Augsburg 1309 und 1312 gegen ihn Achtbriefe. Im Jahr 1312 wurde Hermann von Pfersee schließlich vom Landsturm besiegt, erst 1327 verstarb er. Wenn nicht alles täuscht, war dieser Mann Radegundis' Dienstherr auf der Wellenburg.

  Radegundis und die Wölfe - rechts Deckengemälde in der Kirche St. Martin in Zusamaltheim,
  links Stich von Hans Burgkmair dem Älteren

Ab 1329 gehörte die Wellenburg dem Augsburger Patrizier Heinrich Portner, nachdem ihm Gottfried und Ritter Arnolf, der Kämmerer von der Wellenburg, die Burg für 1092 Pfund Augsburger Pfennige verkauft hatten. Ob die Magd Radegundis im Jahr 1329 den Besitzübergang der Burg auf die Familie Portner noch erlebte, muss dahingestellt bleiben. Der Legende nach soll sie um 1290 geboren worden und nur etwa dreißig Jahre alt geworden sein.

Radegundis muss schon als Kind eine fromme Erziehung genossen haben, denn nach allen Berichten, die über sie vorliegen, verkehrte sie beständig mit Gott und zeigte schon zu Lebzeiten die Wesensmerkmale einer künftigen Heiligen.

Die Legende berichtet, dass sie einen frommen und tugendsamen Lebenswandel führte und sich mit besonderer Liebe der Aussätzigen im "Siechenkobel", d. h. im Leprosenhaus am Fuße des Burgberges, annahm. Dieses Leprosenhaus soll damals nicht zur Wellenburg selbst gehört haben, sondern bereits im Besitz der Familie Portner gestanden haben.

  Radegundis in Kontrolle, mittig die Wellenburg, rechts das Siechenhaus, hinten
  Augsburg, Kupferstich aus "Annus Dierum", Augsburg, um 1760.

Radegundis wusch und kämmte dort tagtäglich die Kranken und versorgte sie heimlich mit übrig gebliebenen Speisen und Getränken der Burg.

Auf ihrem Liebesgang zu den Kranken von ihrem gestrengen Dienstherrn eines Tages befragt, was sie in ihrer Tasche trage, antwortete sie verängstigt, sie gehe, um den Aussätzigen nach Gewohnheit die Köpfe zu waschen, und trage dazu Waschlauge und Kämme bei sich. Als der misstrauische und gewalttätige Herr ihre Tasche und ihren Krug untersuchte, "ward die Milch in eine resse Laug und der Butter zu einem Kamb oder Streel verkehret. Da nun der Herr seinen Weg fortgezogen, haben gemelte Sachen ihre vorige alte gestallt wider bekommen".

Eines Tages wurde Radegundis ein Opfer ihrer karikativen Tätigkeit. Als sie von der Wellenburg durch den Wald zum Leprosenhaus hinunterging, wurde sie von hungrigen Wölfen angefallen und lebensgefährlich verletzt. Zwei Diener fanden sie später und brachten sie zur Burg, wo sie drei Tage danach an ihren Wunden starb.

  Radegundis-Statue in der Kirche von Waldberg
Der Familie Portner muss Radegundis schon zu Lebzeiten so lieb geworden sein, dass sie diese nach ihrem Tod trotz ihres niedrigen Standes in der Familiengruft in Augsburg beisetzen lassen wollte. Aber die Pferde, die den Leichnam dorthin bringen sollten, blieben mit dem Totenwagen in der heutigen oberen Maximiliansstraße stehen und waren nicht mehr zum Weitergehen zu bewegen. Darin - und nach inbrünstigem Gebet des Volkes in der nahen St. Ulrich- und Afra-Kirche - erkannte man den Willen Gottes, dass Radegundis an anderer Stelle begraben werden wollte. So berichtet die Legende.

Man brachte den Leichnam zur Wellenburg zurück und bespannte den Leichenwagen mit zwei ungezähmten Ochsen, die man führerlos des Weges ziehen ließ. Durch himmlische Leitung liefen sie den Burgberg hinab und blieben beim Siechenhaus, in dem Radegundis zuvor so viel Gutes getan hatte, stehen. Dies galt als Zeichen dafür, dass Radegundis an der Stätte ihrer frommen Wirksamkeit auch ihre letzte Ruhe finden wollte. Man begrub sie einer Kapelle, die dort seit längerem stand, als Symbol der Demut wählte man einen Begräbnisplatz bei der Kirchenpforte.

Einer anderen Version nach soll über ihrem Grab die Kapelle erst nachträglich errichtet worden sein, was aber den Begräbnisort am Eingang nicht recht erklärt. Jedenfalls wurde diese erste Radegundis-Kapelle an der Stelle des heutigen Weilers Radegundis um 1450 von Bischöfen und Kardinälen erneuert, mit Privilegien bedacht und auf Anordnung des Bischofs von Augsburg, Friedrich von Zollern, im Jahr 1492 eine Umbettung der Radegundis-Gebeine vom Platz bei der Kapellentüre in den Chorraum am Hochaltar vorgenommen.

Als die Burg, auf der Radegundis gedient hatte, nach und nach zerfallen war, wurde noch vor 1452 auf dem Terrain des vormaligen Burgstalls von einer weiteren Besitzerfamilie namens Ohnsorg eine neue Burg errichtet, die sie einige Jahrzehnte behielt.

  Matthäus Lang, Stich von Albrecht Dürer
Im Jahr 1507 erwarb die Wellenburg mit ihren Besitzungen der Augsburger Dompropst Matthäus Lang, der von Kaiser Maximilian I. mit dem Ehrentitel "Edler von Wellenburg" versehen wurde und später als Fürstbischof von Salzburg (1519 - 1540) zu hohen Ehren kam und sogar mit der Kardinalswürde versehen wurde.

Matthäus Lang bemühte sich sehr um den Kult der heiligen Radegundis und ließ im Jahr 1521, also zur selben Zeit, als die Reformation in Deutschland einzog und allen Heiligen- und Reliquienkult verbot, an Stelle der bisherigen Kapelle zur Verehrung der heiligen Dienstmagd eine größere gotische Kirche mit achteckigem Spitzturm bauen.

Im Jahr 1530 wurde diese vergrößerte Radegundis-Kapelle zum Ort eines bedeutsamen politischen Ereignisses: Am 5. September erteilte Kaiser Karl V. seinen Bruder Ferdinand hier die Reichsbelehnung über die Österreichischen Erblande.

Wenig später entstanden aus der Hand des berühmten Augsburger Malers Hans Burgkmair drei Holzschnitte, die von Matthäus Lang in Auftrag gegeben wurden und deren Originale sich in den Holzschnittsammlungen in Wien und Basel befinden. Das Wolfsmotiv findet sich weiter oben. Auf einer anderen Darstellung kniet der Erzbischof und Barockfürst demütig vor der heiligen Dienstmagd.

  Doppelter Guldiner von Matthäus Lang,
  Rückseite
Schon anlässlich ihrer Weihe im Jahr 1521 hatte man im Auftrag des Matthäus Lang eine Gedenkmünze geprägt, die die von Wölfen angefallene Patronin zeigt, mit der Umschrift: "Ora pro nobis deum sancta virgo Radiana!" Die andere Seite der Münze ziert das Portrait des Kirchenfürsten mit seinem Wappen.

Diese Radegundis-Taler aus Gold und Silber wurden 1538, als Weihbischof Johann von Salzburg die Einweihung vollzog, in einer zweiten Prägung nochmals neu aufgelegt. Einzelne Exemplare befinden sich heute in den Museen von Salzburg und Augsburg sowie in Fürst Fugger'schem Besitz.

Im Jahr 1595 ging die Wellenburg mit der Radegundis-Kirche und einer 110 Quadratkilometer umfassenden Herrschaft für 70 000 Gulden an Jakob Fugger III. und dessen Nachkommen über, die die Burg zum Schloss ausbauten und den Kult und die Wallfahrt der heiligen Radegundis weiter förderten.
 

  Die Wellenburg heute
Im Jahre 1691 ließ Graf Anton Joseph Fugger die unter einer großen Steinplatte ruhenden Gebeine der Heiligen heben und sie in der prachtvollen Fürstentracht seiner Zeit fassen und bekleiden. Seine Gemahlin, die Freifrau von Neuhaus, spendete hierzu außer edlem Schmuck ihr kostbares, ganz gewobenes Brautkleid, verziert mit Goldfäden und phrygischer Nadelmalerei.

In einer feierlichen Prozession wurden am vierten Sonntag nach Pfingsten die Überreste der heiligen Radegundis von der Pfarrkirche zu Bergheim in einem Glassarkophag wieder auf den Hochaltar gebracht. Anwesend waren Domdekan Leonhard Frei und Generalvikar Franz Ziegler, der bischöfliche Notar Johann Augustin und noch vier Geistliche der Domkirche.

Diese Zurschaustellung der Gebeine begleitete eine Bilderschau mit 15 Radegundis-Ölbildern, die Graf Fugger gestiftet hatte. Mehrere von ihnen tragen die Jahreszahl 1682 und das Fugger-Wappen. Diese Bilder illustrieren besonders anschaulich die volkstümliche Legende der heiligen Radegundis und zieren heute das Kirchenschiff der Waldberger Kirche.

Im Jahr 1703 überführte man die Schaureliquie der Radegundis wegen Kriegsgefahr zu den Dominikanern nach Augsburg, zwei Jahre später brachte man sie jedoch, wiederum am vierten Sonntag nach Pfingsten, zurück an die ihr geweihte heilige Stätte.

Um für die Feier des Gottesdienstes mehr Raum zu gewinnen, wurde im Jahr 1772 auf Befehl Fürstbischofs Clemens August von Augsburg ein neuer Seitenaltar hergestellt und die heiligen Gebeine auf demselben beigesetzt, nachdem die Grafen Anselm und Christoph Fugger die Fassung derselben hatten erneuern lassen. Die bei dieser Gelegenheit abgehaltenen Feierlichkeiten dauerten acht Tage, vom 6. bis 13. Juli 1772.

Im Jahre 1792 erschien zu Augsburg erstmalig eine Lebensbeschreibung der heiligen Radegundis im Druck. Im Jahr 1796 wurden die Reliquien wegen Kriegsgefahr erneut in Sicherheit gebracht, nunmehr im Fuggerhaus zu Augsburg; nach den Kriegsunruhen kamen sie wieder zurück.

    Siechenhaus und Kapelle St. Radegundis vor 1800

In diesem 18. Jahrhundert erreichte die Wellenburg-Wallfahrt zur heiligen Radegundis eine letzte Hochblüte. Hauptwallfahrtstage waren der Dreifaltigkeitssonntag und der 4. Sonntag nach Pfingsten. Das Fest der Übertragung der heiligen Gebeine wurde auch "Hoher Ablass" genannt, wegen der von den Päpsten verliehenen Ablässe. Durch die Anstellung eines eigenen Wallfahrtspriesters durch Graf Joseph Maria Fugger wurde die Wallfahrt überaus gefördert und die Verehrung der heiligen Dienstmagd, die nie heiliggesprochen worden war, bei der Landbevölkerung immer beliebter.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts nahm diese blühende Wallfahrt ein jähes Ende. Dafür zeichnet nicht nur das Unwetter vom 18. Juli 1810 verantwortlich, bei dem durch den Einsturz des Turmes die Radegundis-Kirche schweren Schaden litt, sondern vor allem der Umstand, dass die Drosselung des Wallfahrtswesens und die böswillige Zerschlagung von Kunst- und Kulturschätzen von Seiten des Königreiches Bayern nur mehr die Pfarrkirchen als Kultstätten unbeschadet ließ. Der damalige Kirchenhass, der das ganze Land überzog, ließ es zu keiner Reparatur kommen, obwohl dieselbe mit geringen Kosten hätte geschehen können.

  Heutige Gedenk-Kapelle im Weiler Radegundis

Die Kirche wurde schließlich an einen Privatmann verkauft, der sie abbrechen ließ. Der heilige Leib der Radegundis wurde -so groß war damals die Gleichgültigkeit der Geistlichkeit -in einem nahe gelegenen Wirtshaus untergebracht, dann kam er in das Pfarrhaus und von da endlich in die Pfarrkirche zu Bergheim, wohin Schloss Wellenburg und der Weiler Radegundis heute noch eingepfarrt sind.

Erst 1885, d. h. 75 Jahre nachdem der Radegundis-Kult erloschen war, entschloss man sich im Weiler Radegundis zur Errichtung einer neuen Gedenk-Kapelle im Stil der Neogothik (siehe Bild nebenan).

Schon im Jahr 1810 hatte sich jedoch die Gemeinde Waldberg bei Bobingen, Pfarrei Reinhartshausen, um die Reliquien beworben. Fürst Anselm Fugger von Babenhausen, der die vorherigen Entehrungen und selbst den Verkauf und den Abbruch der Kirche ohne Widerspruch hatte geschehen lassen, machte jetzt zugunsten der Waldberger der Gemeinde Bergheim gegenüber Eigentumsansprüche geltend (Urkunde vom 30. September 1810). Am 5. August 1812 morgens um 6 Uhr schritten im Auftrag des Landgerichts Göggingen der Schreiber Gindorfer und der Gerichtsdiener Sedelmayr in Begleitung eines Schreinergesellen zum Pfarrhaus zu Bergheim, um den heiligen Leib in Empfang zu nehmen. Nachdem sie nur auf Androhung von Zwangsmaßnahmen hin die Kirchenschlüssel erhalten hatten, nahmen sie den Glassarkophag mit den heiligen Reliquien vom Altar, banden ihn mit Stricken auf eine Tragbahre und stellten ihn unbedeckt auf die Gasse. Niemand half ihnen dabei, auch die vier hierzu eigens bestellten Männer blieben zunächst aus. Schließlich gelang es doch noch, den Transport zu organisieren.

  Kirche St. Radegundis in Waldberg innen
In dem Dörfchen Burgwalden wurde der heilige Leib mit Glockengeläute empfangen, und in der Kapelle zu Ehren der Heiligen der Rosenkranz gebetet. Das Gleiche geschah in der Pfarrkirche zu Reinhardshausen, wo die Reliquien eine Stunde lang ausgesetzt blieben. Beim Einzug in die alte Vitus-Kirche zu Waldberg läuteten die Glocken und es erschallen Trompeten und Pauken.

Bald danach wurde die baufällige Kirche von Waldberg abgebrochen und die Körperreliquie der heiligen Radegundis am 12. Oktober 1818 auf dem rechten Seitenaltar der Nachfolgerkirche beigesetzt.

Das Fest zu Ehren der Heiligen wurde seit 1819 wie früher zu Wellenburg jedes Mal am 4. Sonntag nach Pfingsten unter großem Volkszulauf begangen. Bei guter Witterung zählte man bis zu 5000 bis 6000 Gläubige. Bei der Prozession wurde die Statue der heiligen Radegundis von acht Jungfrauen getragen. Die Feierlichkeiten dauerten insgesamt drei Tage. Die Gemeinde Rommelsried kam jährlich im Monat Mai oder Juni hierher und opferte zu Ehren der heiligen Radegundis eine zweipfündige Kerze.

In der Schlosskapelle der Wellenburg waren einige Reliquien zurückgeblieben: Ein Teil des Schädelbeines, ein Kamm und Pantoffeln, die zwischenzeitlich neu besohlt wurden.

  Körperreliquie der heiligen Radegundis im Hochaltar der Kirche in
  Waldberg
Bis zum Jahr 1976 ruhten die Gebeine der Radegundis von der Wellenburg in der Mensa des linken Seitenaltars der Waldberger Kirche. Dann wurden sie zum nahen Kloster Oberschönenfeld gebracht, von Schwester Dr. Roberta Boucek neu gefasst und gekleidet, dann am 5. Juni 1977 im Beisein des Domkapitulars Dr. Karl-Heinz Braun in feierlichem Zug nach Waldberg zurückgebracht und im barocken Hochaltar beigesetzt. Derselbe stammt von der eingestürzten Kirche zu Holzhausen bei Buchloe und wurde 16. Dezember 1975 eingebaut.

Der Hochaltar mit dem Leichnam der Radegundis wurde zum Ausgangspunkt einer gezielten Re-Barockisierung der Waldberger Pfarrkirche, nachdem die Altarbauten des 19. Jahrhunderts in neuromanischem Stil - mit viel Holz, aber wenig Kunst - keinen Gefallen mehr gefunden hatten und entfernt worden waren.

 
Geblieben sind die vielen wertvollen Stücke, die von der nicht mehr wiedererstandenen Kirche zu Wellenburg nach Waldberg kamen: die Altarbilder, darunter das bedeutendste von Johann Ev. Holzer 1735 gemalt, die 15 Radegundis-Tafeln, schöne Barockfiguren, hochbarocke Stuhlwangen und manches andere.

  Kirche St. Radegundis in Waldberg außen
Im Jahr 1979 stiftete der langjährige Ortspfarrer Leonhard Haßlacher zu seinem 40jährigen Priesterjubiläum erneut einen silbernen "Radegundis-Taler". Er zeigt auf der Vorderseite die Heilige, wie sie von den Wölfen angefallen wird. Auf der Rückseite sieht man, vom Staudenwald umgeben, das Heiligtum "St. Radegund, des Waldlands Stern".

Da über den Todestag der heiligen Jungfrau nichts Zuverlässiges bekannt ist, wurde das Radegundis-Fest traditionell am 13. August gefeiert. Es handelt sich um den Todestag der ebenfalls heiligen und weitaus bekannteren Königin Radegundis von Thüringen, gest. am 13.08.587 in Poitiers. Erst im Jahr 1989 entschloss sich der Augsburger Bischof Josef Stimpfle, die heilige Radegundis in den Diözesankalender zu integrieren; seitdem wird im gesamten Bistum Augsburg der Gedenktag der Heiligen am 1. Juli begangen.

Am 24. und 25. Juni 2012 feierte man in Waldberg den 200sten Jahrestag der Überführung - u. a. mit den Rommelsrieder Wallfahrern - und organisierte anlässlich dieses Jubiläums eine Prozession mit einer Radegundis-Statue, die von vier Radegundis-Mädchen in traditioneller Tracht getragen wurde, sowie eine Ausstellung in der Alten Schule von Waldberg, mit Schautafeln, Votivkerzen und Radegundis-Talern.

Soweit zur Tradition der heiligen Radegundis zur Wellenburg.

 


An Ende noch eine Eigentümlichkeit im Nachtrag, von der wir heute nicht wissen, ob sie in der Heimat der Radegundis von der Wellenburg, also in der Augsburger Gegend, in Waldberg oder Radegundis, überhaupt bekannt ist:

In der fernen Steiermark, am Rande des Grazer Beckens, findet sich ein Dorf, das sowohl seinen Namen als auch sein Wappen von Radegundis von der Wellenburg ableitet: St. Radegund bei Graz. [Link]

Wappen von St. Radegund bei Graz

Die Gründung des Dorfes steht laut der Ortschronik [Link] in Zusammenhang mit der inzwischen untergegangenen, heute in Teilen wieder aufgebauten Burg Ehrenfels, die Kirche St. Radegund selbst ist in Verbindung mit dem Kloster Admont zu sehen, wobei schon 1186 dokumentarisch ein erster Kirchenbau gesichert ist.

Diese Kirche wurde nach 1218 in Zusammenhang mit Gründung der Diözese Seckau Zentrum der Pfarre "Schekl". In einem Urbar von 1295 wird die heilige Radegundis erstmals als Schutzheilige und Patronin der Kirche namentlich ewähnt. Der Name taucht dann auch in späteren Quellen auf, z. B. als "Radigundtstarff" im Jahr 1403.

Während die Chronisten aus den Reihen der örtlichen Lehrerschaft noch ganz unzweifelhaft Radegundis von Poitiers als Patronin annehmen - am 24. Oktober 1896 soll der Pfarrer von Poitiers in Frankreich sogar eine Reliquie derselben in die Steiermark geschenkt haben -, widerspricht dieses Patronat ganz eindeutig dem Wappen des Dorfes, welches im oberen Feld zwei Wölfe und im unteren Teil einen Waschzuber darstellt. Es handelt sich hier ganz unzweifelhaft um die Attribute der heiligen Radegundis von der Wellenburg - mit Anspielung auf das Laugenwunder und den Tod der Heiligen durch Wolfsverbiss. Dieses Patronat gibt auch der Wikipedia-Eintrag der Gemeinde so wieder (Link siehe oben).

Damit tun sich eine Reihe von wichtigen Fragen auf! Vor allem:

  St. Radegund mit seinem überregional
  bekannten Kalvarienberg
Wann und und unter welchen Umständen kam das Patrozinium der Radegundis von der Wellenburg in die Steiermark?

Wenn dies schon vor oder zu Zeitpunkt der Ersterwähnung des Radegundis-Patroziums der Fall gewesen sein sollte, dann käme die gesamte Datierung der Radegundis-Legende ins Wanken, denn nach dieser lebte Radegundis zwischen 1290 und ca. 1320 (alternativ 1270 bis 1300), kann also kaum im Jahr 1296 schon als Patronin der Kirche bei Graz angenommen werden.

Wenn jedoch ein Übergang vom Patronat der Radegundis von Poitiers auf Radegundis von der Wellenburg - wohl zeitgleich mit der Wappenbildung des Ortes - später erfolgt sein sollte, dann ist die Frage nach den Umständen umso wichtiger. Leider konnten wir hierüber bis dato nicht Näheres in Erfahrung bringen.

Denkbar ist, dass dabei der oben erwähnte Matthäus Lang als Fürstbischof von Salzburg (1519 - 1540) einen entscheidenden Einfluss ausgeübt hat, zumal die Diözese Seckau, in der St. Radegund lag, bis in die Neuzeit ein Eigenbistum der Erzdiözese Salzburg war, die Salzburger Erzbischöfe also im Grazer Becken ein weitgehendes Mitspracherecht besaßen. Nur wenige Jahre zuvor, 1490 bis 1513, war die ursprünglich romanische Kirche St. Radegund zu einer gotischen Hallenkirche erweitert und in der Folge reicher ausgestattet worden. Gut möglich, dass sich wenig später, zur Zeit des Matthäus Lang, auch der Übergang des Patroziniums zu Radegundis von der Wellenburg ergab. Allerdings sollten sich diesbezügliche Quellen benennen lassen. Die Ortschronik schweigt sich darüber aus.

 


Das Grafenhaus von Lechsgemünd - vermutetes historisches Bindeglied für alle drei Heiligen-Traditionen

  Stiftergrab in der Klosterkirche von Kaisheim - Kenotaph Heinrichs II. von
  Lechsgemünd-Frontenhausen
Die Grafen von Lechsgemünd - später auch Grafen von Frontenhauen-Lechsgemünd-Graisbach genannt - sind ein seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts belegtes Adelsgeschlecht im sogenannten Sualafeld-Gau nördlich der Donau. Ihr Stammsitz lag an der Lechmündung bei Marxheim. Schon zur Mitte des 12. Jahrhunderts hatten die Grafen von Lechsgemünd ihren Besitz weit über ihr angestammtes Kernland hinaus ausdehnen können: Sie erwarben Streubesitz südlich der Donau beiderseits des Lechs, vereinigten sich mit der Grafschaft Frontenhausen in Niederbayern, erwarben vom bayerischen Herzog Lehen im Inntal bis nach Rattenberg, erhielten den oberen Pinzgau bis nach Sulzau und Mittersill und Teile von Osttirol bei Windisch-Matrei.

Einfluss und Besitz dieses Grafenhauses reichten demnach ab dem 12. Jahrhundert weit über den schwäbisch-westbayerischen Raum hinaus. Die wohl exponierteste Persönlichkeit dieses Hauses ist Graf Heinrich II. von Frontenhausen, der dem alten Hause Lechsgemünd zunächst gar nicht angehörte. Er hatte die Grafschaft Lechsgemünd erst durch Einheirat hinzugewonnen und trug von da an den doppelten Grafschaftsnamen. [Link] [Link]

Eng befreundet und verwandt mit dem Grafenhaus von Lechsgemünd war das Grafengeschlecht der Pabonen. Diese wiederum waren - ursprünglich aus der Gegend um Paar und Ilm kommend - Nordgau- und Donaugaugrafen, welche seit Ende des 10. Jahrhunderts auch die politisch bedeutsame Burggrafschaft Regensburg versahen.

Wie eng die Verbindung der beiden Grafenhäuser war, sieht man symbolhaft an einem bedeutsamen Ereignis: Als sich am 23. November 1180 der neue Herzog Otto I. von Wittelsbach auf einem Landtag in Regensburg huldigen ließ, stellten sich nur Burggraf Friedrich von Regensburg und Graf Heinrich von Lechsgemünd-Frontenhausen einmütig dazu ein, während sich alle anderen Grafen Bayerns verweigerten.

Angesichts dieser engen Allianz, Verwandtschaft und Freundschaft auf der einen und der hohen Religiosität der Pabonen und deren Einfluss auf den Volksheiligenkult der damaligen Zeit auf der anderen Seite macht es Sinn, beide Grafenfamilien im Folgenden gemeinsam zu betrachten.

Die Pabonen waren bis zu ihrem Aussterben am Ende des 12. Jahrhunderts nicht nur in Besitz der Burggrafschaft Regensburg, sondern besaßen auch die Grafschaften Riedenburg an der Altmühl und Stefling am Regen und kontrollierten damit ein Gebiet, das von Regensburg über das Regen-Knie und Straubing bis nach Cham, von Ingolstadt bis hinauf in die Westermannmark und nach Ostfranken reichte - solange, bis kein Geringerer als Kaiser Friedrich I. Barbarossa, dem der Einfluss der Pabonen schon lange zuvor ein Dorn im Auge gewesen war, deren Einfluss ein Ende setzte und nach ihren Aussterben im Jahr 1196 eine grundlegende Neuordnung der erwähnten Gebiete zugunsten des Reichsgutes und des Wittelsbacher-Geschlechts vornahm.

  Burggraf Heinrich III. von Regensburg als "Seliger Heinrich" in der Kirche von
  Ebrantshausen in der Hallertau
Speziell für die letzten Generationen des Pabonengeschlechts gelingt es, eine besonders enge Verbindung mit den Volksheiligen-Kulten des Herzogtums Bayern nachzuweisen: Schon ein früher Vorfahre der Pabonen namens Loybrigus hatte ein heiligmäßiges Einsiedlerleben bei Schwandorf geführt. Burggraf Heinrich III. von Regensburg, Schwiegersohn des heiligen Markgrafen Leopold III. von Österreich, wählte aus politischen Gründen nach 1166 die peregrinatio und wurde zum Ende seines Lebens unter Wahrung seines Inkognito ein Volksheiliger in der heutigen Hallertau: der selige Heinrich von Ebrantshausen.

Sein Bruder, Landgraf Otto II. von Stefling, tat es ihm nach und verbrachte seine letzten Lebensjahre als heiligmäßig lebender Asket im Kloster Walderbach. Beide Grafen wurden nach ihrem Tod durch das Bayernvolk anhaltend und voller Imbrust wie kanonisierte Heilige verehrt, so beliebt waren sie bereits zu Lebzeiten gewesen.

Ein ähnliches Schicksal erfuhr eine nahe Verwandte der Familie im heutigen Südfranken, die selige Stilla von Abenberg.

Drei irische Mönche aus dem Schottenkloster in Regensburg wiederum, die sich unter Vermittlung von Burggraf Heinrich III. in Grießstetten und Einsiedeln bei Dietfurt an der Altmühl angesiedelt hatten, wurden in der Folge als die "elenden Heiligen" Marinus, Vimius und Zimius verehrt - mit einer Tradition bis zum heutigen Tag.

Wenngleich für das Haus Lechsgemünd derartig eindrucksvolle "Heiligenkarrieren" nicht in Erfahrung zu bringen sind - bekannt wurde nur die Beteiligung des Frontenhausener Familienzweiges bei der Errichtung des Schottenklosters in Regensburg oder die Gründung einiger Klöster wie Kaisheim, Niederschönenfeld und wahrscheinlich auch Oberschönenfeld - so steht zu vermuten, dass die Volksnähe und Religiosität der Pabonen das benachbarte, verschwägerte und befreundete Grafenhaus Lechsgemünd mit einbezog. Dies mag sich insbesondere auch auf die Förderung des Kultes von Volksheiligen ausgewirkt haben.

Worauf es nun in Zusammenhang mit den geschilderten Kulten der drei heiligen Dienstmägdeankommt, ist Folgendes:

Gunthildis von Suffersheim war eine Heiligengestalt des 11. Jahrhunderts, deren Wirkungs- und Kultort mitten im Sualafeldgau lag, also zentral im Herrschaftsgebiet der Grafen von Lechsgemünd. Ohne dass Näheres darüber bekannt geworden wäre, darf man mit einiger Berechtigung annehmen, dass ihr Herr ein Ministeriale der Grafen von Lechsgemünd war oder ein Edelfreier, der mit diesem Haus in einer wie auch immer gearteten Beziehung stand.

Der Ort Biberbach im Sulzgau, der spätestens seit der Reformation die Tradition der Heiligen Gunthildis übernommen hatte, ist wiederum ein ehemaliger Pabonen-Ort (urkundlich erwähnt 1148). Die dortige Gunthildis-Tradition geht u. U. schon auf das 11. oder 12. Jahrhundert zurück, also direkt auf die Pabonenzeit.

Die enge Verbindung der Pabonen mit dem Haus Lechsgemünd manifestierte sich, wie bereits begründet wurde, in einem regen Kulturaustausch. Somit wäre unter Berücksichtigung der historischen Zusammenhänge der Transfer des Kultes der heiligen Gunthildis auf den erwähnten Ort Biberbach nicht als ungewöhnlich anzusehen, falls er sich schon im 11. oder 12. Jahrhundert ereignet haben sollte.

Südlich der Donau verfügten die Grafen von Lechsgemünd über reichlich Streubesitz, der bis nach Augsburg reichte. Es müsste nicht verwundern, wenn sich dort die Kunde von der heiligen Gunthildis in der mündlichen Tradition der Landleute so festgesetzt hätte, dass er im 13. Jahrhundert - d. h. über 200 Jahre später - in Form des Kultes der heiligen Radegundis wiedererstand. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, dass speziell die Wellenburg hier eine besondere Rolle als Ort der Verbreitung dieser Tradition gespielt hat. Immerhin ist der Besitzübergang der Burg auf die Familie Portner unmittelbar nach dem Aussterben der letzten Lechsgemünder erfolgt (1324 starb mit Berthold III. der letzte Graf von Lechsgemünd, 1327 mit Gebhard von Graisbach der letzte der gesamten Dynastie; siehe aich weiter unten). Selbst wenn die Vorbesitzer, die Edlen "Kämmerer" von Wellenburg nachweislich in Diensten der Bischöfe von Augsburg waren, so ist doch eine frühere Vasallität gegenüber dem Haus Lechsgemünd, die 1327 erlosch, in keiner Weise ausgeschlossen, was den notwendig gewordenen Besitzerwechsel der Wellenburg plausibel erklären würde. Eine doppelte Ministerialität gegenüber weltlichen and geistlichen Herren war damals nicht ungewöhnlich.

Selbst wenn es in der Legende der heiligen Radegundis nicht eigens referiert ist, mag das nicht weit von der Wellenburg, in 7,7 km Luftlinie entfernte Zisterzienserinnen-Kloster Oberschönenfeld einen gewissen Einfluß auf die fromme Magd ausgeübt haben. Das Kloster wurde in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts mit Hilfe des Klosters Kaisheim gegründet, welches wiederum das Hauskloster Graf Heinrichs II. von Lechsgmünd-Frontenhausen und seiner Gattin war (siehe auch Grablege oben). Der Einfluss des Hauses Lechsgmünd und seiner religiösen Traditionen wird also auch hierin spürbar.

Aber auch die Alpenheilige Notburga läßt sich zu den religiösen Traditionen der Grafschaft Lechsgemünd in Beziehung setzen. Zur Erklärung müssen wir ein bisschen ausholen:

  Donjon der Burg Rattenberg aus der Zeit der Grafen von
  Lechsgmünd

Schon seit der Zeit der karolingischen Landnahme hatte im unteren Inntal das Geschlecht der Rapotonen geherrscht. Mit Rapoto II. ist im Jahr 901 ein bayerischer Graf vermerkt, der bereits in Besitz von Radfeld und Rattenberg, dem Geburtsort der heiligen Notburga, stand. Unter Rapoto II. kam es zu Beginn des 10. Jahrhunderts zu einem größeren Gütertausch mit dem Bischof von Regensburg, was diesem weite Besitzanteile der Grafschaft Inntal verschaffte. Als im Rahmen des sogenannten ottonisch-salischen Reichskirchensystems den Bischöfen gezielt immer mehr Grafschaftsrechte in den Alpen übertragen wurden - König Konrad II. verlieh z. B. 1027 die Grafschaft Norital (= Eisacktal) an den Bischof von Brixen -, bekam auch der Stuhl von Regensburg nochmals einen größeren Zuschlag: Es erhielt die Grafschaft Unterinntal und das Gebiet am obersten Tiroler Inn in toto - nicht zuletzt deshalb, weil die späteren Generationen der Rapotonen (Rapoto V. und seine Brüder) sich gegen König Heinrich II. aufgelehnt hatten (nach 1006).

Zwangsläufig gaben die Bischöfe die Alpentäler als Lehen weiter, da sie selbst zur Schutzvogtei nicht imstande gewesen wären. Hierbei wurden die benachbarten Grafenhäuser der Pabonen und Lechsgemünder in besonderer Weise bevorzugt:

Als im Jahr 1133 der Regensburger Bischof Heinrich I. von Wolfratshausen nach einer Fehde die Grafschaftsrechte am rechten Innufer (Rattenberg, Hopfgarten, Itter, Brixental, Kufstein) an den Herzog von Bayern, Heinrich den Stolzen, abtreten musste, gab sie dieser unverzüglich an das Grafenhaus Lechsgemünd-Frontenhausen weiter. So beherrschte Graf Heinrich II. von Lechsgemünd-Frontenhausen zur Mitte des 12. Jahrhunderts fast das ganze rechte Innufer mit der strategisch wichtigen Burg Kufstein und dem alten Rapotonensitz Rattenberg, zusätzlich den Oberpinzgau, die Täler von Matrei in Osttirol, auch Burg Kundl im Inn- und Burg Itter im Brixental.

Auf dem linken Innufer hielten dagegen die Pabonen aus der Hand des Bischofs von Regensburg schon seit dem 11. Jahrhundert zahlreiche Lehen: Kurz vor ihrem Aussterben erstreckten sich von Thierberg bei Kufstein (Hohenstaffing) über Breitenbach (Schintelburg) bis nach Kramsach, aber auch hinein in das Brixental (Burg Sperten) und nach Kitzbühel. Diese Lehen fielen hinterher auf den Bischof von Regensburg zurück, worüber sich zu Beginn des 13. Jahrhunderts ein heftiger Streit mit den Wittelsbachern entspann.

Ein Adliger namens Adalbert erhielt um 1130 vom Bischof von Trient die Grafschaft Vintschgau und vom Bischof von Brixen die Grafschaft im Eisacktal. Seine Söhne nannten sich seit 1140 nach einer ihrer Burgen südlich des Alpenhauptkammes erstmals Grafen von Tirol. Teile der Grafschaft Unterinntal (um Innsbruck) sowie das Pustertal fielen um 1165 an die in Bayern begüterten Grafen von Andechs, die nach 1180 auch den Titel Herzog von Meranien erhielten. Als das Haus der Andechser 1248 im Mannesstamm erlosch, fielen dessen Besitzungen ebenfalls an das Grafenhaus von Tirol. Dies war die Geburtsstunde der eigenständigen Grafschaft Tirol, an welche die bayrischen Herzöge später mehrfach ihren Besitz Rattenberg verpfändeten. Es waren schließlich dieselben Grafen von Tirol, die die Burg in den Jahren 1300 bis 1339 gemeinsam mit den Stadtmauern erweitern und verstärken ließen. Stadt Rattenberg war danach jahrhundertelang Sitz des vom Ziller bis Kundl reichenden Landgerichts gleichen Namens.

Soweit die komplexen Lehensverhältnisse, die sich seit dem 10. Jahrhundert in den Nordalpen und im ehemaligen Lebensraum der Notburga ergeben hatten.

Selbstredend war das Haus Lechsgemünd, von dem wir selbst heute noch in der Alpenregion verbliebenes Kulturerbe in Form von diversen Bauten (z. B. Turmbau von Felben) identifizieren können. in gleicher Weise wie die befreudeten Pabonen-Grafen bemüht, ihre weit auseinanderliegenden Herrschaftsräume nördlich der Donau und in den Alpen nicht nur wirtschaftlich und politisch, sondern auch religiös und kulturell zu durchdringen.

Diese gezielten Aktivitäten mögen den Boden dafür bereitet haben, dass sich der alte Gunthildis-Kult des Sualafeldgaus schon im 12. Jahrhundert in der mündlichen Tradition des Inntals verankern konnte und später in Form des Notburga-Kultes wieder auflebte. Dabei mag die heilige Notburga, die aus Rattenberg, dem altem Lechsgemünder Lehensbesitz, stammte, eine durchaus historische Person gewesen sein. Ihr könnte die Gunthildis-Legende der Altmühlregion, die in der mündlichen Tradition der alten Lechsgemünder Vasallenfamilien des Inntals in irgendeiner Weise überlebt hatte, zur Motivation gereicht haben, ein ähnlich heiligmäßiges Leben im Dienste der Armen und Kranken zu beginnen.

Auch wenn man in Betracht ziehen muss, dass dieser tief religiöse Lebensstil einem neuen Zeitgeist des 12. und 13. Jahrhunderts entsprach - das Wirken eines Franz von Assisi oder einer Elisabeth von Thüringen hatte sich damals breit herumgesprochen -und deshalb auch in einem ganz anderen Rahmen eingeordnet werden kann, so glauben wir bei den vielen Analogien und Ähnlichkeiten der Legende, die sich um die drei genannten Heiligen rankt, nicht daran, dass sich dies alles zufällig ergeben hat. Vielmehr ist es gestattet, auf eine gemeinsame historische Wurzel rückzuschließen, wofür soeben ein Erklärungsmodell abgegeben wurde.

Es folgen nochmals die hagiographischen Gemeinsamkeiten der drei heiligen Mägde:

 


Resümee

Angesichts der vielen Analogien und Auffälligkeiten ist anzunehmen, dass durch den Informations- und Kulturaustausch zwischen den Herrschaftsräumen der Grafen von Lechsgemünd und durch die von ihnen begründeten religiösen Traditionen der deutlich ältere Gunthildis-Kult der Altmühlregion zum Vorbild für die beiden Heiligenkarrieren des 13. Jahrhunderts im Lechgau (Radegundis) und im Inntal (Notburga) wurde. Wir gehen dabei von einer Historizität der Personen und ihrer Lebensweise aus, selbst wenn Schriftzeugnisse fehlen.

Die hagiographische Tradition einer Heiligen beginnt meistens schon zu deren Lebzeiten, in denen sozusagen der "Ruf der Heiligkeit" bereits erworben wird. Die symbolhafte Ausformung unter "Inszenierung" kennzeichnender Wundertaten, die die göttliche Zustimmung und Güte untermauern sollen, folgt dann in der unmittelbar posthumen Periode, meist gefördert durch den jeweiligen Ortsadel und Ortsklerus, aber immer noch zeitnah zum Leben der Betreffenden, wobei eben die genannten früheren Traditionen aufgegriffen und neu geformt werden.

Nicht selten kommen dabei relativ einheitliche, den Gläubigen eingängige Muster wie das Verwandlungs- und das Gespann-Wunder zum Einsatz. Die Tatsache, dass sich diese in den vorliegenden Fällen nicht nur häufen, sondern auch auffallend analog entfalten, lässt über die üblichen Gepflogenheiten im altbayerischen Raum hinaus auf einen gemeinsamen Traditionsfaden zurückschließen.

Üblicherweise gewinnen die "alten" Heiligengeschichten in späteren Zeiten an weiterem Wert. Im vorliegenden Fall erfuhren die heiligen Mägde - über Jahrhunderte hinweg - immer wieder eine schubweise Förderung, zur Hebung der Volksreligiosität und zur Unterstützung des einträglichen Wallfahrtswesens. Hierzu wurden die Heiligenlegenden dann auch in Bild, Text und Zeremonie unters Volk gebracht, wobei jedoch meist eine hohe Authentizität in den lokalhistorischen Details gewahrt bleibt, also gerade in den Bereichen, in denen die zum rechten Glauben zu führende Landbevölkerung zur Selbstüberprüfung des Wahrheitsgehaltes imstande ist. Die Annahme, dass die relativ einheitlich ausgestaltete Hagiographie der Mägde inklusive der analogen Wundertaten erst damals - z. B. zur Zeit der Reformation oder im Barock - eingesetzt hätte, entbehrt aufgrund der Funde und sonstigen Hinweise jeglicher Grundlage.

Eine Ausnahme bildet wohl der ikonographische Versuch, in zweien der Kultkirchen Heilige des niedrigsten sozialen Ranges (Gunthildis, Notburga) einem Heiligen auf dem Königsthron (Sigismund) gegenüberzustellen. Vielleicht suchte gerade in dieser Antithese Adel und Klerus, die dann mit Sicherheit nicht mehr den alten Geschlechtern des Mittelalters, sondern eher der Neuzeit zuzurechnen sind, den Bogen zum einfachen Landvolk zu spannen, indem man sichtbar demonstrierte: "In der Welt sind wir unterschiedlichen Ranges, vor Gott aber sind wir alle gleich und werden ausschließlich an unseren guten Taten gemessen."

Wenngleich die kulturhistorischen Umstände beim Aufkommen der Kulte dieser drei nahezu identischen Heiligenkarrieren heute nicht mehr in Detail rekonstruiert werden können, so weist doch die anzunehmende gemeinsame Tradition im Stammesherzogtum Bayern auf die Volksverbundenheit und Frömmigkeit längst ausgestorbener und dem Vergessen anheimgefallener Grafengeschlechter des Hochmittelalters hin.

Leider sind diese gemeinsamen kulturgeschichtlichen Wurzeln, die vor allem in den Traditionen der Donaugrafschaften des 12. Jahrhunderts gründen, in den Orten, die heute mit den Heiligengeschichten zu tun haben, vollständig in Vergessenheit geraten.

Diesem Manko ein wenig abzuhelfen, dazu dient diese Zusammenstellung.

Nachtrag:

Erst nachdem dieser Artikel fertiggestellt war, erfuhren wir von einer weiteren Heiligen des 13. Jahrhunderts, welche ganz in das hagiographische Genre der obigen Dienstmagdheiligen passt. Doch nunmehr befinden wir uns nicht mehr im jüngeren Stammesherzogtum Bayern, sondern mitten in der italienischen Toskana, in der Provinz Lucca. Es handelt sich um eine heilige Dienstmagd namens Zita. Lässt sich auch diese in den oben genannten historischen Rahmen einfügen? Auf den ersten Blick wohl schwerlich.

Doch verfolgen wir zunächst ihre Lebensbeschreibung:

Die heilige Zita von Lucca

Zita wurde im Jahr 1218 in Bozzano, einem Ortsteil von Monsagrati bei Lucca in Italien geboren, sie starb am 27. April 1278 in Lucca. Zeit ihres Lebens wirkte Zita als Dienstmagd im Patrizierhaus Fatinelli, sie erwies sich als fleißig und wohltätig gegenüber Armen.

Ihre Attribute sind der Schlüsselbund und drei Brotlaibe. Sie wird auch als Dienstmagd, an einem Brunnen stehend, oder mit einem Krug in der Hand dargestellt.

Zita ist die Stadtpatronin von Lucca, sie ist Patronin der Dienstboten, Haushälterinnen und Hausangestellten. Ihr Festtag in der römisch-katholischen Kirche ist der 27. April.

Zita kam aus einem frommen Elternhaus: Ihr Vater hieß Johannes Lombardo, ihre Mutter Bonissima. Die Bauernfamilie hatte einige Felder, von deren spärlichem Ertrag sie lebte. Zitas Onkel mütterlicherseits namens Graziano stand wegen seines gottesfürchtigen Einsiedlerlebens auf dem Lupeglia in hoher Verehrung; nach seinem Tod nannte man den Berg, auf dem er gelebt hatte, "Monte San Graziano". Zitas ältere Schwester wurde Zisterzienserin. Schon früh stand auch Zitas Leben unter dem benediktinischen Motto "Ora et labora".

Im Alter von 12 Jahren kam Zita als Dienstmädchen in das Haus des lucchesischen Patriziers Pagano di Fatinelli. Bei ihrer Ankunft in Begleitung ihres Vaters soll sie ein Körbchen mit Früchten für ihren zukünftigen Herrn am Arm getragen haben. Pagano betrieb ein florierendes Handelsgeschäft mit Webereien in Seide und Wolle.

Im Haus der Fatinellis soll Zita von einzelnen Mitgliedern der Familie und anderen Dienstboten zunächst unterdrückt, geschmäht und verachtet worden sein, sie behielt jedoch immer ihre Liebenswürdigkeit und Selbstbeherrschung und ertrug die härtesten Schicksalsschläge als Prüfungen ihres unerschütterlichen Glaubens, den sie von klein auf in sich aufgesogen hatte. Nie verließ Zita ihren festen Vorsatz, all ihre Arbeit treu und fleißig vor Gottes Angesicht zu verrichten, in allem pünktlich zu sein, in allem zu gehorchen, zugleich aber Wohldienerei und Kriecherei zu meiden und jede freie Zeit mit Gebeten und guten Werken zu füllen.

Jeden Morgen hörte Zita die heilige Messe und empfing, so oft es möglich war, die Kommunion in der nahe gelegenen Kirche San Frediano. Die Zeit dazu entzog sie dem Schlaf, nicht ihrem Dienst. In der gelebten Nachfolge Marthas, der tätigen Schwester des Lazarus, lautete ihr Motto: "Eine Magd ist nicht fromm, wenn sie nicht arbeitsam ist; arbeitsscheue Frömmigkeit bei einer Person von unserm Stand ist eine falsche Frömmigkeit." Die tägliche Arbeit war ihr somit nicht bloß Herren-, sondern auch Gottesdienst.

  Brotwunder der heiligen Zita - Gemälde von Bernardo Strozzi
Ihr unerschütterlicher Glaube ermöglichte Zita, in alle den Jahren standhaft zu bleiben, trotz aller Unbilden. Auch noch so schwierige Arbeitsaufträge erfüllte sie voller Geduld, betrachtete sie doch dies als Teil ihrer christlichen Buße. Deshalb erwies sich Zita gegenüber ihrer Herrschaft auch nie als ungehorsam. Auf Tadel ragierte sie mit den Worten: "Vergebt mir, daß ich gefehlt habe, aber zürnt nicht, denn das wäre Sünde."

Zita trug immer eine ganz gewöhnliche, einfache Kleidung und ging stets barfuß. Der kalte Steinboden und ein Brett auf demselben waren ihre gewöhnliche Schlafstätte. Vielfach sparte sie sich das Essen vom Mund ab und versagte sich alles Ueberflüssige, um den Armen geben zu können. Zur Nachtzeit suchte sie oft statt Schlaf die Ruhe des Gebets und der Kontemplation und sie begriff nicht, wie man darin müde werden könnte. Zita lebte Zeit ihres Lebens keusch. Einmal zerkratzte sie einem zudringlichen Diener das Gesicht, blieb aber von dieser Zeit an frei von weiteren unsittlichen Anträgen.

Als Papst Gregor IX. die Stadt Lucca zwischen 1231 und 1234 mit dem Kirchenbann belegte, ging Zita bis ins Gebiet von Pisa, um den Leib des Herrn zu empfangen. Mit ihrer Frömmigkeit und einer Reihe von Wundertaten zog sie schließlich die Familie Fatinelli mehr und mehr in ihren Bann: Man fing an, sie hoch zu schätzen und mit Wohlwollen zu behandeln, was sie jedoch mehr bekümmerte als die rohe und harte Behandlung zuvor.

Immer wieder ereigneten sich Wunder, die die Familie Fatinelli und das Volk von Lucca in Erstaunen versetzten:

Einmal bemerkte Zita beim Heimgang aus San Frediano, daß sie, ohne es zu wissen, über die festgesetzte Stunde dort verblieben und damit die Zeit der Teigbereitung, die ihr für diesen Tag aufgetragen worden war, längst vorüber war. Missgünstige Hausgenossen hatten diese Versäumnis ihrer Herrschaft verraten, doch als sich diese in die Küche begab, sah sie dort einen vollen Trog voller Teig und an Stelle Zitas leibhafte Engel beim Brotbacken.

Als Zita ein anderes Mal während eines Platzregens in einen entlegenen Stadtteil geschickt wurde, trat sie ohne Murren den Weg an und kam wider Erwarten völlig trocken wieder nach Hause.

  Tafelbild in der Kirche St. Michael
  und die Engel, Barton Turf, Norfolk
Eines Tages soll Zita einem frierenden, am Eingang der Kirche San Frediano kauernden Bettler für die Dauer der Christmette den Pelzmantel ihrer Herrschaft geliehen haben. Dieser jedoch verschwand mit dem wertvollen Stück. Bleich vor Schrecken suchte Zita ängstlich nach demselben -vergebens. Schließlich trat sie tief bekümmert, aber doch in festem Gottvertrauen den Heimweg an. Zuhause machte man ihr, wie erwartet, heftige Vorwürfe. Aber als später ihr Herr mit mehreren geladenen Gästen beim Mittagstisch saß, öffnete sich plötzlich die Tür des Saales, und ein unbekannter Mann, der sogleich wieder verschwand, überreichte ihm den vermissten Pelz.

Seit diesem Wunder nannte das Volk von Lucca die Pforte von San Frediano, durch welche Zita aus- und einzugehen pflegte, die "Engelstür". Zita hatte in dem Bettler und dem Mann, der den Pelz zurückbrachte, Christus persönlich erkannt.

Die Legende erzählt auch, dass Zita immer wieder gegen den Willen ihrer Herrschaft Arme speiste. Während einer großen Hungersnot in Lucca verteilte Zita sämtliche Bohnen, welche sie im Hause vorfand, an die Armen und merkte vor lauter Mitleid gar nicht, daß sie zu Ende gingen und ihr Herr sie mit Recht darüber schelten konnte. In aller Demut bat sie diesen um Verzeihung -unnötigerweise, denn der Bohnenkasten hatte sich wie durch ein Wunder wieder von selbst gefüllt.

Ein anderes Mal erschienen Brotlaibe, die sie an die Armen verteilt hatte, bei einer Kontrolle in ihrer Schürze als Blumen. Auch soll sich Brunnenwasser, das Zita einem Armen eingeschenkt hatte, in Wein verwandelt haben.

Je mehr sich Zitas Leben dem Ende zuneigte, desto vollkommener wurde es. Nachdem sie viele Jahre hindurch die Wohltäterin des Hauses und der Kinder gewesen war, hatte sie am Ende größere Freiheiten erhalten, z. B. Kranken- und Gefangenenbesuche zu machen, die Betrübten zu trösten und den Armen beizustehen. Obwohl sie sich zuletzt um nichts mehr kümmerte als um die Ehre Gottes und den Gottesdienst, wurde sie schließlich Vorbild und Trösterin für die ganze Familie.

Nach fast 50jährigem Dienst und Wirken bei ihrer Herrschaft starb Zita am 27. April 1278 an der Schwindsucht - im Ruf der Heiligkeit und im Alter von 60 Jahren. Ein Stern soll über ihrer Sterbekammer und über Lucca aufgeleuchtet haben, strahlend im hellen Sonnenlicht.

Zita wurde feierlich in der Kirche San Frediano bestattet.

Bereits vier Jahre nach ihrem Tod ließ der Bischof Paganello von Lucca ihren Kult in der Kirche offiziell zu. An ihrem Grab ereigneten sich zahlreiche Wunder und begründeten ihre Verehrung weit über die Grenzen Italiens hinaus, bis nach England und Portugal. Das kleine Bauernhaus, in welchem Zita geborenworden war, lieferte seine Steine zu der ihr geweihten Kapelle auf "Monte Sagrati".

Schon früh, in Dantes "Göttlicher Komödie" (entstanden zwischen 1307 und 1321), erscheint Zita als "santa Zita"

Die älteste Lebensgeschichte Zitas wurde in etwa um dieselbe Zeit verfasst, in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstand eine erste Sammlung ihrer Wunder.

Papst Leo X. etablierte eine liturgisches Offizium zu Ehren der Heiligen zu Beginn des 16. Jahrhunderts.

Zitas Grab wurde jeweils in den Jahren 1446, 1581, 1652 und 1841 geöffnet, und jedes Mal wurde der Leichnam der Heiligen unversehrt und mumifiziert gefunden. Dies verstärkte noch den Ruf ihrer Heiligkeit. Die Körperreliquie Zitas gehört damit zu den ca. 100 unversehrten Leichnamen katholischer Heiliger.

  Mumie der heiligen Zita in der Kirche San Frediano in Lucca
Nachdem 150 Wundertaten, die in ihrem Namen und auf ihre Fürsprache geschahen, für wahr befunden worden waren, wurde Zita mit vatikanischer Approbation durch Papst Innozenz XII. im Jahr 1696 selig gesprochen.

Im Jahr 1748 fügte Papst Benedikt XIV. ihren Namen ins römische Martyrologium ein.

Heute ist der Leichnam der heiligen Zita zur öffentlichen Verehrung in der Basilica San Frediano in Lucca in einem Glassarg aufgebahrt. Das Grab selbst befindet sich in der zweiten Seitenkapelle rechts vom Haupteingang. Einige ihrer Reliquien sollen auch nach Ancona übertragen worden sein.

Bis zum heutigen Tag backen Familien in Lucca am Festtag der Heiligen einen Laib Brot zu ihren Ehren.

Nachdem sich zum Ausgang des Mittelalters die Zita-Verehrung in ganz Europa verbreitet hatte, wurde die heilige Magd selbst in England unter dem Namen Sitha verehrt. Englische Dienstboten und Hausfrauen riefen sie an, wenn ein Schlüssel verloren oder eine Brücke zu überqueren war.

 


 

Zum Verständnis:

Wieder findet sich eine Dienstmagd-Heilige - nunmehr im weit entfernten Italien - und wieder stellt sich die Frage:

Konnte die heilige Zita von Lucca von der früheren Heiligenkarriere einer Gunthildis von Suffersheim erfahren haben, um sich in der eigenen Lebensführung davon kontaminieren zu lassen?

Die Heiligen Notburga und Radegundis kamen als Vorbild nicht in Frage, da beide erst nach Zita lebten und wirkten.

Wiederum bedarf es eines kleinen Ausflugs in die Geschichte:

Der Aufstieg der Stadt Lucca als Textilhandelsstadt geht in das 11. und 12. Jahrhundert zurück und bettet sich ein in die Geschichte der Markgrafschaft Tuszien (heute Toskana) und der sogenannten "mathildischen Güter", welche in dieser Zeit zum fortwährenden Zankapfel zwischen den deutschen Königen/Kaisern sowie sowie den Päpsten in Rom wurden:

  Herzog Welf V. und Mathilde von Tuszien, Miniatur, Italien, 14. Jhd.,
  Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana

Markgräfin Mathilde von Tuszien (1069- 1115) verfügte über einen weit gestreuten Herrschaftsbereich, ihre Allodien und Reichslehen umfassten die Toskana, damit auch die Stadt Lucca, sowie die oberitalienischen Städte Mantua, Parma, Reggio, Piacenza, Ferrara, Modena, außerdem einen Teil von Umbrien, Spoleto, den Kirchenstaat von Viterbo bis Orvieto und einen Teil der Mark Ancona. Als sie diese um 1080 als sogenannte "mathildische Güter" an den Heiligen Stuhl vergab, nahm der Konflit zwischen Papst und Kaiser seinen Anfang. Denn kurz vor ihrem Tod setzte Mathilde plötzlich auch noch Kaiser Heinrich V. als Erben ein! Erst Lothar III. gelang es, einen Kompromiss mit dem Heiligen Stuhl auszuhandeln, der den Papst in seinen Eigentumsrechten beließ, den Besitz und damit die eigentliche Verfügungsgewalt jedoch weiterhin dem deutschen Königs-/Kaiser-Haus zuschrieb. Im Jahr 1137 belehnte Lothar mit den "mathildischen Gütern" seinen Schwiegersohn Heinrich den Stolzen aus dem Haus der Welfen, nachdem dieser bereits zuvor Markgraf von Tuszien geworden war. Dabei bediente er einen gewissen Anspruch der Welfen, denn 1090 hatte die über 40-jährige Mathilde den 16-jährigen Welf V. aus dem Geschlecht der Welfen nur deshalb geheiratet, um diese Familie noch enger an die päpstliche Sache zu fesseln. Zwar war diese Scheinehe nie richtig vollzogen worden, auch mangelte es an einem direkten Nachfahren aus dieser Ehe, an den Ansprüchen war jedoch nicht zu rütteln, als es auch keinen anderen Erben gab.

Damit war das ganze Territorium aus dem Erbe Mathildes schließlich doch in der Hand des Herzoghauses der Welfen. Diese hatten übrigens schon seit Vorgenerationen auch das Blut der oberitalienischen Herren von Este in ihren Adern.

Nachdem an Stelle des designierten Welfen, Heinrichs des Stolzen, im Jahr 1138 mit Konrad III. plötzlich ein Staufer König geworden war, spielten die "mathildischen Güter"  eine wichtige Rolle in der nachfolgenden Auseinandersetzung zwischen Staufern und Welfen.

Heinrichs des Stolzen Nachfolge als Inhaber der Güter trat zunächst sein Bruder Herzog Welf VI. an. Als der Stauferkaiser Friedrich Barbarossa im Jahr 1158 plötzlich die Güter auf dem Reichstag von Roncaglia kraft Reichsrecht beanspruchte, verlangte prompt Papst Hadrian IV. im Jahr darauf die Rückgabe an den Heiligen Stuhl. Faktisch blieb blieb jedoch das Erbe Mathildes zunächst in der Verfügung des Welfenhauses, wenn auch mit Unterbrechungen. Erst um 1173/74 kaufte der Barbarossa dem alternden Herzog Welf die Territorien schließlich gegen eine erkleckliche Summe Gold und Silbers ab. Der Konflikt um die "mathildischen Güter" zwischen dem deutschen Kaiserhaus und den Päpsten zog sich dann noch bis 1213 hin, bis schließlich der Stauferkaiser Friedrich II. mit der Goldbulle von Eger einen Schlusspunkt setzte und endgültig auf den Besitz zugunsten des Papsttums verzichtete.

Der hier nur summarisch geschilderte Konflikt zwischen den papsttreuen Welfen und den papstfeindlichen Staufern im 12. Jahrhundert, welcher schließlich mit der Dominanz der Staufer und der politischen Entmachtung des Welfenhauses endete, schlug sich in der Folge auch auf die beständige Rivalität der oberitalienischen Städte untereinander nieder. Die einen bekannten sich ab ca. 1215 zur Gruppe der papstfreundlichen Guelfi (als ehemalige Anhänger der Welfen), die anderen zu den papstfeindlichen Ghibellini (= Waiblinger, nach dem Stammsitz der Staufer). Dieser das ganze Land durchziehende Antagonismus zwischen den "schwarzen" Guelfen und den "weißen" Ghibellinen, also zwischen den Anhängern des Papstes und denen des Kaisers, bestimmte in der Folge über Jahrhunderte die mittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichte Italiens.

Doch drehen wir zunächst das Zeitrad wieder zurück und fokussieren wir auf die Mitte des 12. Jahrhunderts, also jene Zeit, in der die oben erwähnten Grafen von Lechsgemünd und die Burggrafen von Regensburg aus der Familie der Pabonen die kulturelle und religiöse Entwicklung des Herzogtums Bayern entscheidend mitprägten. Wir hatten ihre Rolle für die Entstehung der Kulte der Dienstmagd-Heiligen oben erklärt. 

  Welf VI., Weingartener Stifterbüchlein, um
  1500
Herzog Welf VI. (1115-1191) besaß im bayerischen Adel wegen seiner friedlichen und papsttreuen Gesinnung zur Zeit Kaiser Friedrichs Barbarossa viele Unterstützer. Dazu gehörten auch die beiden Grafenhäuser.

Wie der Herzog der Welfen und Graf Heinrich II. von Lechsgemünd erwies sich der zunächst mächtigste aller Pabonen, Burggraf Heinrich III. von Regensburg, allezeit als Exponent einer friedlichen, auf Ausgleich der regionalen Interessen in Bayern und Oberitalienbedachten und mit dem Papsttum ergebenen Politik. Diese Politik fand nicht zuletzt auch Niederschlag in einer außerordentlichen Förderung der Volksreligiosität. Als orthodoxe Parteigänger des Papstes in Rom verurteilten die Pabonen das anhaltende Schisma in Rom, unterstützen im Bedarfsfall mehr Papst Alexander III. als den kaiserlichen Gegenkandidaten, vereint mit dem ebenfalls sehr papsttreuen Erzbistum Salzburg, was sich z. B. darin niederschlug, dass sie als einziges bayerisches Grafengeschlecht zahllose Schutzkirchen in Bayern für die verfolgten Papstanhänger errichten ließen - soganannte Obergeschosskirchen, deren Überreste wir auch heute noch vielerorts finden. 

Burggraf Heinrich III. von Regensburg fiel deshalb bei Friedrich Barbarossa in Ungnade, pflegte aber in seiner Aversion gegen die staufische Reichspolitik besonders enge und freundschaftliche Beziehungen zum welfischen Herzog. Dies schlug sich auch in dokumentierten Ereignissen nieder:

Die Stadt Lucca erfuhr wie die gesamte Markgrafschaft Tuszien zwischen 1138 bis 1173  die relativ milde und der Stadt und ihrer Region förderliche Herrschaft des Welfenherzogs und bekannte sich aus diesem Grund als "schwarze Guelfi" selbst zu einer Zeit zur Kirchenorthodoxie und zum Papstum, als die bayerisch-schwäbische Linie des Welfenhauses bereits ausgestorben war. Gut zwanzig Jahre dauerte diese welfische Herrschaft in Lucca, wobei sich Herzog Welf VI. und sein Sohn Welf VII. in der Präsenz in Italien abwechselten, ehe die Stadt und die Markgrafschaft Tuszien durch Erbvertrag am Ende wieder formell an die Staufer fiel. 

Die Welfenchronik schildert die Zeit der Welfen in Italien so: "Welf der Jüngere nahm also Besitz von dem Land und machte sich durch festen Sinn, strenge Gerechtigkeit, Freigebigkeit und seine besonders geschätzte Leutseligkeit bei allen beliebt. Den Rittern des Kaisers, die damals in den italienischen Städten das Kommando führten, trat er mit allen Mitteln entgegen, so oft sie sein Gebiet mit ungerechter Unterdrückung heimsuchen wollten, und zog sich dadurch einige Male den Unwillen des Kaisers zu. Aber die Gunst des Volkes gewann er sich umso mehr und erwarb sich überall in den Städten Zuneigung..."

In dieser relativ friedlichen Zeit der Welfenherrschaft mag gerade Lucca prosperiert, seine Handelsbeziehungen ausgedehnt und sich in ganz Oberitalien den Ruf als herausragende Textilstadt erworben haben. Auch wenn sich heute die Einzelheiten nicht mehr klären lassen, werden die Patrizierfamilien von Lucca, darunter sicherlich auch die Familie des Pagano di Fratinelli, von der welfischen Politik des 12. Jahrhunderts in Tuszien auf besondere Weise profitiert haben. Wahrscheinlich verdankten sie dieser sogar konkret ihren Aufstieg als Wolle- und Seidehändler. Wichtiger als diese wirtschaftlichen Einflüsse ist der Umstand, dass damals vermutlich nicht nur das Herzogshaus selbst, sondern auch der welfentreue Adel aus dem Herzogtum Bayern mit Lucca und der Markgrafschaft Tuszien in einem ständigen Personen-, Kultur- und Religionsaustausch stand.

  Grabmal des Richard von Wessex in der
  Kirche San Frediano in Lucca
Für die Grafschaft Lechsgemünd bzw. das Bistum Eichstätt, in welchem diese lag, galt dieser Austausch in besonderer Art und Weise. Denn schon seit dem 8. Jahrhundert war die Kirche San Frediano in Lucca Zwischenstation für alle Rompilger aus der Eichstätter Diözese. Dies rührte daher, dass in dieser Kirche der Vater der Diözesanheiligen Willibald, Wunibald und Walburga begraben lag und ebenso wie seine Kinder als Heiliger verehrt wurde. Es handelte sich um König Richard von Wessex. Dieser war anlässlich einer Rompilgerfahrt im Jahr 720, die er zusammen mit seinen berühmten Söhnen unternommen hatte, in Lucca an einer plötzlichen Krankheit verstorben und in San Frediano bestattet worden.

Gerade zur Zeit der Welfenherrschaft in Lucca, am 7. Februar 1154, wurden Richards Gebeine dort exhumiert und zumindest in Teilen nach Heidenheim und Eichstätt transferiert - beides Orte, welche mitten im Sualafeldgau bzw. in der Grafschaft Lechsgemünd lagen. Man darf deshalb davon ausgehen, dass der Graf von Lechsgmünd hierbei ein gewichtiges Wort mitzureden hatte. 

Damit ist klar, dass sowohl vor als auch nach diesem Zeitpunkt immer wieder Pilger aus der Grafschaft Lechsgmünd und aus dem Bistum Eichstätt nach Lucca kamen, um am Grab des Vaters ihrer Diözesanheiligen zu beten und zu opfern. 

Woraus sich auch die höchste Wahrscheinlichkeit ergibt, dass gerade die heilige Zita zu Lebzeiten in San Frediano mit Leuten aus der Grafschaft Lechsgemünd in Kontakt kam und von der dortigen Diözesanheiligen Gunthildis erfuhr!

Die Verbindungen zwischen den Bistum Eichstätt und Lucca scheinen sich bis in die letzte Generation der Lechsgmünder fortgesetzt zu haben. Als der letzte des Geschlechts, Bischof Gebhard III. von Eichstätt, Kaiser Ludwig den Bayer auf dem Italienfeldzug 1327 gegen Papst Johannes XXII. begleitete, bei Pisa im Feldlager an der Pest erkrankte und dort starb, wurde sein Leichnam seinem letzten Willen entsprechend nicht in der Hochburg der Ghibellinen zu Pisa bestattet, sondern in die papsttreue, guelfische Konkurrenzstadt Lucca verbracht, um dort Seite an Seite mit dem Eichstätter Diözesanheiligen Richard von Wessex und der heiligen Zita in San Frediano beigesetzt zu werden.

Unter Beachtung dieses historischen Kontextes ist sehr gut das möglich, was aus heutigem Blickwinkel zunächst unmöglich erscheint:

In Zusammenhang mit der engen Allianz zwischen Herzog Welfs VI. und Lucca sowie durch die fortwährenden Kontakte zwischen der Stadt und dem Bistum Eichstätt können durchaus in die Gegend um Lucca Heiligengeschichten aus der Grafschaft Lechsgmünd in Lucca Einzug gefunden haben, speziell die einer frommen Dienstmagd namens Gunthildis von Suffersheim. 

Diese mündliche Tradition, die wohl von bayerischen Pilgern immer wieder ans Grab des heiligen Richard in San Frediano transportiert wurden, kann durchaus Jahre später den Anlass dafür gegeben haben, dass sich eine Magd Zita in Lucca zur selben Lebensweise wie Gunthildis von Suffersheim entschloß, und sich danach um sie und ihr heiligmäßiges Leben eine Legende spann, welche in ihrer Analogie der Legende der Gunthildis in nichts nachsteht.

So durchweben sich in der Person der heiligen Zita von Lucca die alten Traditionen der Grafengeschlechter Bayerns und des Bistums Eichstätt sowie die lokale Überlieferung Tusziens in historisch plausibler und besonders origineller Art und Weise.

Diese Arbeit kam zum Abschluss, wenige Tage bevor in Rom eine weitere fromme Dienstmagd aus Bayern heilig gesprochen wurde. Es handelt sich um die heilige Anna Schäffer aus Mindelstetten (1882-1925). [Link] Neben dem niedrigen Stand der Dienstmagd und einer vergleichbaren christlichen Demut kommen bei Anna Schäffer andere als die von den 4 Dienstmägden bekannten hagiographischen Merkmale zur Ausprägung. Dies liegt wohl an den Zeitumständen und einer früh erworbenen Krankheit der Anna Schäffer. Ansonsten aber ist ihr Leben in christlicher Selbstaufgabe und Pflichterfüllung ein durchaus Vergleichbares gewesen.

      Dr. Werner Robl, Berching, 21. Oktober 2012, Tag der Heiligsprechung der Anna Schäfer in Rom

  Heiligsprechung der Anna Schäffer in Rom

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