Vom Werden und Vergehen eines großen Mannes

Historische Holzstiche von Adolf Cloß zu Glucks Geburts- und Sterbeort


© Dr. Werner Robl, Berching, Februar 2015, aktualisiert Januar 2021.

 

Das Buch für Alle - Illustrierte Familien-Zeitung - Chronik der Gegenwart

So hieß eine der ersten und erfolgreichsten Illustrierten, welche in Deutschland während der Kaiserzeit zwischen 1866 und 1918 erschien. Erstmalig herausgegeben wurde die beliebte Zeitschrift im Verlag Hermann Schönlein in Stuttgart, wobei sie vom Verleger Schönlein noch persönlich redigiert wurde. Ab 1889 erschien sie dann bei Schönlein's Nachfahren, ab 1890 in der Union Deutsche Verlagsgesellschaft. Die Untertitel des Familien- und Bildungsblattes wechselten mehrfach. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Zeitschrift noch eine Zeit lang weiterverlegt (bis 1935).

Im Jahr 1906 erschienen folgende Holzstiche zum ersten und letzten Wohnort Christoph Willibald Glucks, angefertigt im Xylographischen Institut Adolf Cloß in Stuttgart. Es handelte sich damals um eine Zeit, in der derartige Stiche von der Redaktion der Illustrierten z. T. noch preisgünstiger beschafft und gedruckt werden konnten als Fotografien oder Gemälde-Reproduktionen.

Die Holzstiche haben nicht nur einen relativ hohen künstlerischen Anspruch, sondern sie entwickeln nach unserer Recherche der Jahre 2014/15 und 2019/20 zu den Geburts- und Todesumständen Christoph Willibald Glucks ein neue, zuvor ungeahnte Aktualität. Aus diesem Grund werden sie hier vorgestellt.

Wer sich mit den Hintergründen unserer Recherche und ihrer Relevanz für diese Bilder näher beschäftigen will, sei auf unsere Schwerpunktarbeiten verwiesen: [Link 1] [Link 2]

Durch Klick auf die jeweiligen Bilder bekommt man vergrößerte, druckfähige Versionen.

 

Das Forsthaus von Weidenwang - Aspekt des Hauses um 1860

Ausgangspunkt ist eine Federzeichnung, welche, wie die Signatur „F. Trost s.“ belegt, aus der Hand des seinerzeit weithin bekannten und geschätzten Nürnberger Malers, Lithografen und Xylografen Friedrich Trost, des Älteren (*19. Januar 1844, †18. September 1922) stammt.

Da diese Zeichnung in Stuttgart vom dortigen Xylografen Adolf Cloß kopiert wurde (vgl. folgende Abbildung), wird sie über Trost selbst nach Stuttgart gelangt sein, der sich in den Jahren zwischen 1862 und 1865 bei Cloß zu Studienzwecken aufhielt. Es handelt sich somit um die älteste erhaltene Abbildung des Weidenwanger Forsthauses. Wann genau Friedrich Trost bei einem Augenschein in Weidenwang seine Skizze angefertigt hat, ist unbekannt, am ehesten vor 1862.

Der vorliegende Abdruck stammt aus einem Aufsatz von August Sieghardt aus Kufstein: „Christoph Willibald Ritter von Gluck. Zu seinem 200. Geburtstag“, abgedruckt in der Zeitschrift „Die Oberpfalz“, Jahrgang 1914, S. 139ff. Hier steht:

"Weidenwang heißt der Ort, der kaum 50 Häuser zählt. In einem derselben – einer winzigen, ärmlichen Hütte Nr. 42 – wurde Gluck am 2. Juli 1714, also vor 200 Jahren geboren, als Sohn einer mit Glücksgütern wenig gesegneten Förstersfamilie..."

 

Folgende Holzstich, der die Darstellung Friedrich Trosts aufnimmt, stammt aus dem Xylographischen Institut von Adolf Cloß (*14. November 1840 +2. Februar 1894) in Stuttgart. Der Signatur "A. Cloß X. I." entsprechend wurde der Holzstich sicher nach 1869 (als sich Cloß in Stuttgart selbständig gemacht hatte) und vor 1894 (Cloß' Todesjahr) angefertigt, am ehesten im Jubeljahr 1871, in dem das Denkmal Professor Knolls in Weidenwang aufgestellt und das Gluck'sche Geburtshaus mit einer Gedenktafel aus Marmor geehrt wurde (im Stich bereits abgebildet).

Zu einer vergrößerten Abbildung gelangt man durch Klick auf das Bild!

Dieser Holzstich ist in der eigangs erwähnten Illustrierten abgedruckt: "Das Buch für alle – Illustrierte Familien-Zeitung – Chronik der Gegenwart", 41. Jahrgang, Heft 22, Stuttgart 1906, S. 490.

Das hier abgebildete, ehemalige "Forsthäusl" des Klosters Seligenporten am Südende des Ortes Weidenwang stammt aus den Jahren 1723/24 und ist damit eines der ältesten Forsthäuser Bayerns. Es trug zu Zeiten des Königreichs Bayern die alte Hausnummer 42 (heute Weidenwang B 10) und stand im Areal des Anwesens Nr. 22 (heute Weidenwang F 11).

Weil eine Generation Weidenwanger Einwohner um 1850 ihre alte Dorftradition zur Geburt Christoph Willibald Glucks in diesem Anwesen dahingehend interpretiert hatte, dass der Komponist in diesem Gebäude Nr. 42 geboren sein müsse, wurde das reizende Köbler-Gütl mit seinem Hausgärtchen zum authentischen Geburtshaus Christoph Willibald Glucks erklärt. Christoph Willibald Gluck hatte im Jahr 1764 mit hoher Wahrscheinlichkeit Weidenwang und auch dieses Haus besucht und damit selbst zu dieser Tradition entscheidend beigetragen. Als die Nachfrage von Bildungstouristen und Musikliebhabern entsprechend gestiegen war, verlegte man sich sogar darauf, in dieser Gedenkstätte die Stube mit dem Bett zu zeigen, in dem Glucks Mutter Walburga 1714 von ihrem berühmten Sohn entbunden worden war.

Damit schien man aber einem Irrtum aufgesessen zu sein, denn der Pfarrer Franz Xaver Buchner meinte 1915 mit Hilfe von Prozessakten aus dem Forstamt Neumarkt nachweisen zu können, dass das Haus in der gezeigten Konfiguration erst 10 Jahre nach der Geburt Glucks und 7 Jahre nach dem Weggang seiner Familie nach Böhmen entstanden war. Weidenwang wurde hierauf die Ehre des Geburtsortes ab- und dem Nachbarort Erasbach zugesprochen; das Forsthaus selbst geriet in Vergessenheit.

Heute wissen wir, dass Buchner seinerzeit einen kapitalen Bock schoss:

Christoph Willibald Gluck wurde zwar nicht in dem Haus, wie abgebildet, geboren, aber im Vorgängerbau an derselben Stelle, der wahrscheinlich schon aus der Zeit vor dem 30-jährigen Krieg herrührte und auf dem der noch 1820 gebräuchliche Hausname "Zuzm Forsterbarthl" lag. In diesem Häuschen hatte der unmittelbare Vorgänger Alexander Glucks, der Seligenportner Förster Stephan Petzel gelebt und gewirkt, ehe er kurz vor Ausbruch des Spanischen Erfolgekriegs, im Jahr 1701, verstarb. Nach Jahren des Leerstandes und teilweisen Verfalls wurde dann dieses Haus im Jahr 1711 für Glucks Vater, den Unterförster Alexander Gluck, wieder notdürftig hergerichtet und von diesem als Dienstsitz bis 1714 übernommen.

Zwar ist dieser Vorgängerbau in den Schriftquellen nicht expressis verbis vermerkt, aber aufgrund einiger indirekter Hinweise dennoch klar bestätigt. Außerdem konnten wir als Eigentümer des Hauses inzweischen sein Substrat auch mit bauarchäologischen Methoden (inklusive Dendrochronologie) zweifelsfrei nachweisen:

Es haben sich bis heute von diesem früheren Haus nicht nur einige Balken erhalten, sondern auch ein Felsenkeller, der gesamte Ostgiebel und Wandteile mit zugesetztem Durchgang zum früheren Forstraum, sowie die aufgehenden Mauern eines im Nordwesten liegenden Wohnraums, in dem wohl Alexander Gluck als erstes logierte und wahrscheinlich auch Christoph Willibald Gluck geboren wurde.

Franz Xaver Buchner war also auch in diesem ganz entscheidenden Punkt einem fundamentalen Irrtum aufgesessen, und es stimmte mitnichten, was er in seiner Arbeit von 1915 behauptet hatte:

Gluck ist in diesen Hause nicht geboren worden, weil dieses Haus damals (1724) noch nicht existiert hat, auch kein anderes an dieser Stelle."

Nähere Hinweise hierzu finden sich in den oben verlinkten Arbeiten.

 

In der Zeitschrift, in der dieser Holzstich abgedruckt wurde, liest man auf Seite 487 folgende Beschreibung, die heute wieder eine zuvor noch ungeahnte Aktualität hat:

"...Christoph Willibald Gluck wurde am 2. Juli 1714 zu Weidenwang bei Berching in der Oberpfalz geboren. Dort lebte sein Vater nach einem harten und bewegten Soldatenleben als Förster. Es war deshalb auch das Forsthaus des Ortes, in dem der spätere berühmte Tondichter das Licht der Welt erblickte. Wie unser Bild den Lesern zeigt, ist es ein schmuckloses niedriges Gebäude, dem aber das frische Grün ringsherum eine anheimelnde Traulichkeit verleiht. Rechts vom Eingang der Haustür, zu der man über den Hof gelangt, ist jetzt eine weiße Marmortafel angebracht, die in goldenen Lettern die Inschrift trägt: 'In diesem Hause wurde der Tondichter Christoph Ritter von Gluck den 4. July 1714 geboren'. Das Geburtszimmer Glucks, von dem unserer Illustration eine Abbildung beigefügt ist, ist fast noch in dem ursprünglichen Zustand erhalten. Es gleicht einem einfachen Bauernstübchen mit dem bogigen Fenster, dem Gestell zum Aufhängen der Kleidungsstücke an der Decke und dem entsprechenden Meuble­ment von Schränken, Bett und Waschkommode …"

Notabene: Glucks Vater war mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Soldat gewesen, denn als solcher hätte er mindestens bis zum Ende des Spanischen Erbfolgekrieges 1714 dienen müssen.

Es muss offen bleiben, ob die verkleinerte Abbildung der Guten Stube links oben im Holzstich auf einer weiteren, heute verschollenen Skizze Friedrich Trosts beruht oder nur eine fantasievolle Zutat des Stuttgarter Holzstechers darstellt. Da gewisse Einzelheiten (Rundbogenfenster innen, korrekte Ausrichtung der Bohlen-Balken-Decke, beheizter Mauerstollen) ein hohes Maß an Authentizität widerspiegeln, nehmen wir das erstere an.

Allerdings ist dem Stuttgarter Holzstecher – Adolf Cloß beschäftigte in besten Zeiten bis zu 30 Angestellte! – auch ein gravierender Fehler unterlaufen: Ein strohgedecktes Dach täuscht einen Stallanbau des ehemaligen Forsthauses vor, der so nie existiert hat. Nach dem Entwurf von Friedrich Trost (oben) gehörte dieses Dach in Wirklichkeit zum dahinter stehenden Bauernhaus, welches um 1720 der Bauer Hans Georg Dengler in Besitz hatte!

 

Das Wohn- und Sterbehaus Christoph W. Glucks in der Wiedener Hauptstraße 32 in Wien

Zu einer vergrößerten Abbildung gelangt man durch Klick auf das Bild!

Im Jahr 1785 wechselte der Mönch Fortunat Durich, eine Experte für biblische Sprachen und Altslavisch, von Prag nach Wien, in das dortige Ordenshaus der Paulaner, nachdem diese den Standort Prag hatten aufgeben müssen. Im Jahr 1796 wurde auch dieses Kloster "auf der Wieden" aufgelöst, und Durich kehrte in seine Vaterstadt Turnau zurück. Wenn Fortunat Durich in den 11 Jahren seines Wiener Aufenthaltes von seinem Studierzimmer aus auf die Altwiedener Straße blickte, erschloss sich ihm exakt der Aspekt des obigen Stichs von Trost: Er sah direkt auf das Wohnhaus des Komponisten Gluck, welches auf der anderen Seite der Straße lag. Nur in einem Punkt unterschied sich das Gluck'sche Anwesen von der obigen Abbildung: Wie das Nachbarhaus zur Rechten war es zur Zeit, als die Glucks hier lebten (1784 - 1787/91), nicht mit drei, sondern nur mit zwei Stockwerken versehen. Hier also verbrachte Christoph Willibald Gluck die letzten Jahre seines Lebens.

Es ist selbstverständlich, dass sich der Gelehrte Durich und das Ehepaar Gluck als unmittelbare Nachbarn kannten und womöglich in anhaltendem, vertrautem Kontakt standen, schließlich gehörte man derselben Wiener Bildungsschicht an. Zwei Jahre, nachdem Christoph Willibald Gluck in diesem Haus an den Folgen einer schweren Herzerkrankung verstorben war (am 15. November 1787), erhielt Fortunat Durich aus der Hand der verwitweten Marianne Gluck, welche nach wie vor in ihrem Anwesen wohnte, den originalen Taufschein Glucks zur Ansicht. Durich fertigte eine genaue Kopie desselben an und schickte diese seinem Freund, dem Gelehrten Jan Bohumir Dlabač, Bibliothekar des Klosters Strahov in Prag. Dlabač übernahm 1794 die Information dieser Taufscheinkopie in eine Facharbeit und übertrug sie dann 1815 buchstabengetreu in sein berühmtes "Künstler-Lexikon für Böhmen".

Das Original des Taufscheins ging später durch einen Brand im Haus des Gluck'schen Universalerben Dr. Carl von Gluck verloren, die Prager Abschrift überlebte in Form der genannten Veröffentlichungen. Dieses vom Weidenwanger Pfarrer Joseph Michael Beck zwischen 1736 und 1743 ausgestellte Dokument enthielt Informationen, welche damals vor Ort noch greifbar waren, u. a. den Taufeintrag im Kirchenbuch. Im Gegensatz zu den Taufmatrikeln wies der Taufschein als Taufdatum den 4. Juli 1714 und als Geburts- und Taufort eindeutig den Ort Weidenwang aus. Seit mehr als 150 Jahren läuft der Versuch, erst das eine, dann das andere in Abrede zu stellen, unsere Archiv-Recherche von 2014/15 hat aber diese Angaben aufgrund zahlreicher, recht eindeutiger Indizien eindrucksvoll untermauern können.

Demnach gilt die alte Weidenwanger Tradition, seit nunmehr 300 Jahren ungebrochen, nur der Geburtstag musste angepasst werden:

Christoph Willbald Gluck wurde am 2. Juli 1714 in Weidenwang geboren und getauft!

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